"Ich bin immer an ihrer Seite"

Artikel teilen

Eine Frau, die eine Vergewaltigung an­gezeigt hat, muss den Prozess nicht allein durchstehen: Sie kann sich professionell begleiten lassen. Antje Prinz von dem Berliner Büro für Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung „AHGATA – Hilfe für die Zeugin“ bietet schon im Vorfeld des Prozesses Unterstützung: Welche Rechte hat die Opferzeugin vor Gericht? AHGATA wurde schon 1998 in Berlin gegründet. Auch immer mehr Frauenberatungsstellen haben Prozessbegleiterinnen.

Anzeige

Mit welchen Fragen kommen Frauen zu Ihnen?
Antje Prinz Das kommt sehr auf den Zeitpunkt der Kontaktaufnahme und auf den Stand des Verfahrens an. Die meisten kommen, nachdem die Anzeige erstattet wurde, weil sie Informationen, Beratung und Begleitung für den weiteren Prozess suchen. Manchmal benötigen Frauen sehr kurzfristig Unterstützung, weil der Termin zur Hauptverhandlung schon kurz bevorsteht. Wenn sie noch keine Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt haben, ist neben der emotionalen Stabilisierung vor allem Aufklärung über die Rechte und Pflichten als Opferzeugin und als Nebenklägerin notwendig. Daraus ergeben sich dann viele Fragen: Wie läuft ein Gerichtsverfahren ab? Muss ich da alleine hingehen? Wird der Angeklagte im Saal sein? Was ist ein Glaubhaftigkeitsgutachten? Es kommen auch Frauen, die noch nicht entschieden haben, ob sie überhaupt Anzeige erstatten wollen.

Wie bereiten Sie sie auf den Prozess vor?
Viele haben kaum Informationen darüber, wie so ein Strafverfahren und ein Gerichtsprozess tatsächlich abläuft. Oft bestehen ganz falsche Vorstellungen, die auf TV-Gerichtsshows oder amerikanischen Filmen beruhen. Ich erkläre, welche Phasen das Verfahren – von der Anzeige bis zum rechtskräftigen ­Urteil – durchläuft, welche Personen jeweils daran beteiligt sind und was ihre Rolle dabei ist. Um die Angst vor dem Gerichtsprozess abzubauen, machen wir vorab einen Besuch im Gericht und nehmen an einer öffentlichen Verhandlung teil, idealerweise in dem Saal, in dem der Prozess stattfinden wird. Auf Wunsch versuche ich eine Begegnung mit dem vorsitzenden Richter oder der Richterin zu organisieren. Dieses persönliche Kennenlernen ist vor allem für die Kinder und ­Jugendlichen, die als OpferzeugInnen aussagen müssen, eine große Entlastung. Was ich in der Prozessvorbereitung nicht tue: mit den Zeuginnen über den Tathergang sprechen.

Warum nicht?
Damit ich tatsächlich die ganze Zeit an der Seite der verletzten Zeuginnen bleiben und sichergehen kann, dass mich das Gericht nicht in den Zeugenstand ruft. Auf diese Idee könnte es kommen, wenn es davon ausgeht, dass ich mit der Frau über Einzelheiten der Taten spreche. Wenn es aber weiß, dass ich keine Details über den Tathergang kenne, komme ich als Zeugin (vom Hörensagen) nicht in Frage. Und das wiederum müssen die Frauen, Mädchen und Jungen, die ich durch ihre Prozesse begleite, von Anfang an wissen. Meistens ist es für sie eine Entlastung, zumal sie ohnehin im Laufe des Strafverfahrens an anderen Stellen teilweise sogar mehrfach detaillierte Auskünfte über ihre Gewalterfahrungen geben müssen.

Und wie bereiten Sie ein Gewaltopfer auf die mögliche Begegnung mit dem Täter vor?
Für einige ist diese Konfrontation mit dem Angeklagten sogar wichtig, andere haben davor große Angst. In der Beratung besprechen wir, welche Befürchtungen die Frau hat, und simulieren verschiedene Situationen, wie sie reagieren könnte. Zum Beispiel: Möchte sie ihn ansehen oder bewusst wegschauen? Durch diese Auseinandersetzung ist die Zeugin zumindest vorbereitet und wird später nicht von den eigenen Gefühlen überrascht. Ich zeige auch Entspannungs- und Stabilisierungstechniken, die helfen, mit der Aufregung umzugehen. Manchmal befürchtet die Frau auch, dass der Angeklagte noch einmal gewalt­tätig wird, womöglich auch im Gericht. Dann sprechen wir darüber und können gegebenenfalls zur Sicherheit die Polizei und im Gericht die WachtmeisterInnen hinzuziehen.

Das Opfer muss ja auch damit rechnen, vom Anwalt des Täters attackiert zu werden.
Natürlich haben viele Zeuginnen Angst vor der Verteidigung. Wichtig ist, dass sie vorab über deren Funktion Bescheid wissen und sich darüber im Klaren sind, dass die Verteidigung möglicherweise versucht, sie in Wider­sprüche zu verwickeln. Die Aufgabe der Strafverteidigung ist es nun mal, den Angeklagten frei zu bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass die Geschädigte eine neben­klageerfah­rene Rechtsanwältin an ihrer Seite hat, die auf solche Attacken schnell reagieren kann. Zum Beispiel, indem sie unzulässige Fragen der Verteidigung ablehnt. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sie ihrer Mandantin bestimmte Fragen selbst stellt. Wenn dann die Vertei­digung versucht, die Zeugin erneut daraufhin zu befragen, kann die Rechtsanwältin sagen: „Stop, diese Frage wurde schon beantwortet!“

Wie begleiten Sie die Frauen beim eigent­lichen Gerichtsprozess?
Meist fahren wir schon zusammen zum ­Gericht oder wir treffen uns dort. Dann warten wir gemeinsam an einem ruhigen Ort. Wenn der Aufruf kommt, gehen wir in den Saal. Ich sitze während der Vernehmung neben der Opferzeugin und kann so auch einen Sichtschutz zum Angeklagten bilden. Die richterliche Befragung kann manchmal Stunden dauern oder sogar an mehreren Verhandlungstagen erfolgen. Ich beobachte die Frau genau und schaue, wie es ihr geht. Zittert sie? Wird die Atmung flach? Wenn ich merke, dass sie überfordert ist, versuche ich, eine Pause zu erwirken. Nach der Entlassung der Zeugin verlassen wir dann gemeinsam das Gericht und tun, was die Frau sich wünscht. Einige möchten noch etwas trinken gehen und über die Aussage sprechen. Und wenn ein Kind sich wünscht, dass wir in den Zoo gehen, dann machen wir das.

Was kostet Ihre Beratung?
Die Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung bei AHGATA kostet 50 Euro pro Stunde. Für Frauen mit geringem Einkommen bieten wir gestaffelte Preise. Die Kosten können auch durch das Sozialamt oder die Arbeitsagentur übernommen werden, bei Kindern oder Jugendlichen vom Jugendamt. Wir helfen den Frauen auch bei der Beantragung bei den Ämtern. Außerdem gibt es Unterstützung von privaten SpenderInnen und Stiftungen.

Und wie viel Stunden benötigen Sie für die Vorbereitung?
Manche Frauen kommen erst eine Woche vor dem Verhandlungstermin, wenn sie merken, dass die Angst immer größer wird und dass sie Unterstützung brauchen. Dann können wir nur noch ein, zwei Termine machen und die Begleitung ins Gericht anbieten. Wenn die Frauen sich früher melden, sind es in der Regel bis zu zehn Termine. Die Sozial­pädagogische Prozessbegleitung für die Mädchen und Jungen ist umfangreicher. Da arbeite ich stärker mit den anderen Prozessbeteiligten wie dem Jugendamt oder Angehörigen zusammen.

Was sind die Motive von Gewaltopfern, ­Anzeige zu erstatten?
Die meisten Frauen wollen die Anerkennung, dass ihnen etwas Schlimmes passiert ist, das nicht rechtens war. Sie möchten aus dem Schweigen, der Passivität und der Tabu­isierung, zum Beispiel in der Familie, herauskommen. Das ist oft dann der Fall, wenn es um sexuellen Missbrauch geht. Was mir sehr oft begegnet, ist der Wunsch, andere potenzielle Opfer zu schützen.

Begegnet Ihnen auch das Motiv Rache?
Es gibt sicherlich den Wunsch nach Gerechtigkeit und die Hoffnung, dass der Täter Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Aber ein Bedürfnis nach Rache im Sinne von Vergeltung mit dem Ziel, dass der Täter leiden und es ihm schlecht gehen soll, erlebe ich selten.

AHGATA gibt es jetzt seit 13 Jahren. Welche Entwicklungen beobachten Sie?
Ich mache hier in Berlin viele gute Erfahrungen mit der Polizei. Die VernehmungsbeamtInnen sind sehr gut geschult und gehen einfühlsam mit den gewaltbetroffenen Frauen, Kindern und Jugendlichen um. Im Gericht sind meine Erfahrungen gemischt. Natürlich gibt es immer wieder Verteidiger und auch Verteidigerinnen, die die Opferzeuginnen sehr scharf befragen. Ich beobachte aber auch durchaus, dass Richter und Richterinnen diese Art von „Konfliktverteidigung“ unterbinden. Im Umgang mit den Geschädigten vor Gericht verändert sich nun doch einiges zum Positiven: Zum Beispiel begleite ich gerade ein zehnjähriges Mädchen, dem die Vorsitzende Richterin einen tollen Brief geschrieben hat. Darin erklärt sie kindgerecht, warum sie nach all den Vernehmungen bei der Polizei nochmal gehört werden muss. Außerdem hat sie dem Mädchen ihre Durchwahlnummer mitgeteilt und aufgefordert sie persönlich anzurufen, falls sie noch Fragen hat. Das ist doch ein echter Fortschritt!

Weiterlesen
Übersicht Dossier: Haben Opfer eine Chance?

Artikel teilen
 
Zur Startseite