Prostitution: Wiener Charme
Am 23. Februar 2024 betrat Ebadullah A. das Asia Studio 126A im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Zuerst stach er, wie ein Sachverständiger ausführte, 16 Mal auf eine 47-jährige Chinesin ein, dann tötete er eine weitere Prostituierte mit 30 Messerstichen und schließlich richtete er die Betreiberin des Bordells mit 60 Stichen hin. Der Dreifach-Femizid war nicht der einzige misogyne Gewaltakt an diesem Wochenende in Wien: Tags davor wurden auch noch eine Frau und deren 13-jährige Tochter vom Ehemann der Frau erwürgt.
Das offizielle Österreich zeigte sich „tief erschüttert“, so auch die SPÖ-Frauensprecherin und nunmehrige Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner. Sie forderte die sofortige Umsetzung eines Nationalen Aktionsplans (NAP) gegen Gewalt an Frauen. Und siehe da: Seit Juni dieses Jahres arbeitet die Bundesregierung unter Federführung der neuen Frauenministerin auf Hochtouren an einem solchen Aktionsplan, der gegen Jahresende der Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Laut Ministerin basiert er „auf der Vision, dass jede Frau und jedes Mädchen das Recht auf ein gewaltfreies Leben hat – unabhängig von Herkunft, Alter, Behinderung, Beruf oder Lebensweise“. Prostituierte? Über sie verlor die Ministerin kein Wort.
„Es ist verantwortungslos, die gewaltvollen Erfahrungen von Frauen in der Prostitution vorsätzlich auszuklammern und die Bedeutung dieser legalisierten, misogynen Strukturen für die Gesamtgesellschaft zu ignorieren“, schrieb die Initiative Stopp Sexkauf an die Ministerin. Doch niemand rührte ein Ohrwaschel, um es auf gut Wienerisch zu sagen. Das Frauenministerium erklärte, es gebe ja bereits eine Arbeitsgruppe „Sexuelle Dienstleistungen“, die in der Frauensektion im Bundeskanzleramt angesiedelt ist und das Thema „Gewalt in der Prostitution“ hinlänglich abdecke. Das Problem dabei ist allerdings, dass diese Arbeitsgruppe kategorisch gegen das „Nordische Modell“, also gegen die Bestrafung der Freier ist. Und damit auch die dem Modell zugrundeliegende Ansicht, dass Prostitution eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist, in Frage stellt. Da ist es wenig verwunderlich, dass das Gremium allen empfiehlt, anstatt des Begriffs Prostitution das Wort „Sexdienstleistung“ zu verwenden, um den „Dienstleistungscharakter zu betonen“. Der Terminus „Prostitution“ werde oft mit Gewalt und Menschenhandel assoziiert und sei daher „negativ konnotiert“. Mit Sprachkosmetik gegen Gewalt? Versuchen kann man es ja.
Österreich hat, wie Deutschland und die Schweiz, eine liberale, jedoch sehr komplexe und inhomogen geregelte Prostitutionsgesetzgebung, die an einen Fleckerlteppich erinnert. Denn zuständig sind sowohl der Bund, als auch – was die Bestimmungen zu Altersgrenzen, zulässigen Arbeitsorten und Betriebsauflagen angeht – die jeweiligen Bundesländer. Da Prostitution nicht unter die Gewerbeordnung fällt, firmieren Prostituierte als sogenannte „Neue Selbstständige“, wie z. B. auch Künstlerinnen, Hebammen oder Journalistinnen, sind in der Pensions-, Kranken und Unfallversicherung pflichtversichert und müssen Steuern zahlen. Laut Bundeskriminalamt gibt es österreichweit aktuell rund 5.000 registrierte „Sexdienstleisterinnen“, die vornehmlich aus Osteuropa, China, Nigeria und Lateinamerika kommen. Legt man die Zahlen aus Deutschland zugrunde, dürfte die Dunkelziffer jedoch relativ bei mindestens 25.000 liegen. Die Frauen gehen in 579 genehmigten Prostitutionslokalen und auf genau geregelten Straßenabschnitten der Prostitution nach.
Auch geflüchtete Frauen dürfen sich ganz offiziell prostituieren. AsylbewerberInnen dürfen in nur wenigen Bereichen arbeiten: als Saisonkräfte, ErntehelferInnen oder in einem „freien Gewerbe“, wozu die Prostitution gehört. „Das riecht nach Kolonialismus und nach einer fetten Kombi aus Rassismus und Frauenverachtung – die Arbeitsplätze dürfen AsylbewerberInnen keinem wegnehmen, aber unseren weißen Herren die Schwänze lutschen, das geht“, kommentiert Huschke Mau vom Netzwerk Ella den unwürdigen Umgang mit Asylwerberinnen in Österreich.
Die jährlichen Einnahmen der österreichischen Sexindustrie werden auf mindestens 1,5 Milliarden Euro geschätzt. Da fällt für den Staat natürlich auch einiges ab. Also wird viel getan, damit diese Geldquelle nicht versiegt. Das heißt: möglichst keine Schlagzeilen, bloß keine politischen Debatten. Als das EU-Parlament 2023 mit großer Mehrheit den „Bericht über die Regulierung der Prostitution in der EU“ (Berichterstatterin: Maria Noichl, SPD) annahm, der allen EU-Mitgliedstaaten das „Nordische Modell“ empfiehlt, wurde in Österreich darüber kein Wort verloren. Obwohl der Bericht genau jene Probleme anvisiert, die Österreich durch die Sexindustrie hat: Menschenhandel, organisierte Kriminalität und steigende Gewalt gegen Frauen.
Frauen und Mädchen in der Prostitution werden auch hierzulande oft unter grausamsten Umständen sexuell ausgebeutet, wie kürzlich ein von Europol aufgedeckter Fall zeigt: Ein internationaler Menschenhändlerring hatte 43 Kolumbianerinnen nach Österreich geschleppt und sie „wie Waren angeboten“. Laut Polizei wurden die Frauen vor laufender Kamera schwer misshandelt, um die Videos anderen Frauen zwecks Einschüchterung vorzuspielen. Das Abdriften der Prostitution in die Illegalität, gepaart mit immer größerer Brutalität, ist also auch in Österreich eine Folge des legalisierten Sexmarktes.
Trotzdem steht für die Regierung und die sozialdemokratische Frauenministerin fest, dass es in absehbarer Zeit keine andere Prostitutionspolitik geben wird: „In dieser Regierungsperiode wird das ‚Nordische Modell‘ nicht kommen“, ließ Ministerin Holzleitner kürzlich auf einer Pressekonferenz wissen. Sie weiß in der Frage auch ihre Parteigenossinnen hinter sich, die „Sexarbeit“ als „Arbeit“ betrachten und deshalb ihre „gesellschaftliche Aufwertung“ fordern. Dabei wird so getan, als müsste man die „Sexarbeiterinnen“ vor den Befürworterinnen des „Nordischen Modells“ mehr schützen als vor der ausbeuterischen Sexindustrie.
Der Dreifach-Femizid in dem Asia Studio vor einem Jahr war nicht der erste Frauenmord, der in den letzten Jahren im österreichischen Rotlichtmilieu passierte: Prostituierte wurden zu Tode geprügelt, erwürgt, auf die Straße geworfen und mit dem Auto überfahren. Und im alltäglichen Geschäft werden sie gewürgt, hochschwanger penetriert, bei „Gang Bangs“ von bis zu 20 Freiern benutzt und vieles mehr. Alles offiziell und ganz legal. Jetzt gäbe es im Rahmen des Nationalen Aktionsplans die Chance, diesen legalisierten, frauenverachtenden Gewaltstrukturen ins Auge zu blicken. Doch so, wie es aussieht, wird diese Gelegenheit wieder einmal nicht genützt.
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