"Ihr Elend lässt mich nicht los"
Frau Fässler, wie sind Sie Ermittlerin in Rotlichtmilieu geworden?
Magdalena Fässler Ins Berufsleben gestartet bin ich als Pflegefachfrau. Später mit 40 wurde ich Polizistin und schließlich Kriminalpolizistin, in Deutschland wäre das Kommissarin. Ich komme also aus einer sozialen Richtung und kann gut mit Menschen in schwierigen Situationen umgehen. So bin ich oft im Rotlichtmilieu eingesetzt worden. Das Elend dieser Frauen hat mich nicht mehr losgelassen.
Vertrauen Ihnen die Frauen?
Vertrauen aufzubauen ist eigentlich das Schwerste. Mittlerweile hat sich mein Ruf herumgesprochen und es ist einfacher geworden. Anfangs hat mir meine Zusatzausbildung als Opferbefragerin von Sexualdelikten geholfen. Ich wusste also, wie man Frauen anspricht, die vergewaltigt oder Opfer von Missbrauch geworden sind. Aber ich war schnell in einem Dilemma.
In welchem?
Ich sehe all diese Frauen in der Prostitution, die massive Übergriffe und Gewalt durch Freier und Zuhälter erleben, die keine Chance auf Gerechtigkeit haben. Erstens wissen die meisten nicht einmal, dass sie Opfer von einer Straftat geworden sind, weil sie das quasi für ein Berufsrisiko halten. Und zweitens haben sie Angst vor den Zuhältern. Ich kann sie nicht zu einer Aussage, geschweige denn einer Anzeige überreden. Oft haben die Frauen Familie und Kinder, sie wollen irgendwann zurück. Dann kommen die Zuhälter.
Was haben Sie gesehen?
Schwerste Verletzungen, Verbrennungen, Verbrühungen, Würgemale. Einer Frau hat ihr Zuhälter die Zähne ausgeschlagen, damit sie „besseren“ Oralsex anbieten kann. Auch die Berichte der Frauen sind erschütternd. Da sind zum Beispiel Frauen, die kurzerhand für einen Escort-Service eingesetzt werden. Schwarze Frauen müssen da zum Beispiel Sklavinnen spielen. Es gibt „Spiele“ mit Fäkalien. Diese Perversionen machen die Frauen innerlich kaputt. Das kann auch keine Gucci-Tasche oder ein anderes Geschenk, das es hinterher gibt, wieder kitten. Mir fallen immer die leeren Augen auf, die Prostituierte haben und wie schnell sie altern. Viele versuchen ihr Leben durch Drogen und Alkohol erträglich zu machen.
Woher kommen die Frauen?
Die meisten Prostituierten in der Schweiz kommen aus dem osteuropäischen Raum: Rumänien, Ungarn, Bulgarien. Eigentlich haben alle eine zerrüttete Kindheit, sie haben Missbrauch und Gewalt erlebt und natürlich Armut. In der Schweiz ist Prostitution heute ab 18 erlaubt. Was ich erst mit den Jahren verstanden habe, ist, dass diese Frauen fast alle Roma sind. Sie sind immer sehr jung, knapp 18. Viele von ihnen haben da schon Kinder geboren. Das macht sie erpressbar.
Warum?
In Ungarn zum Beispiel gibt es im Kinderschutz strenge Auflagen. Vielen minderjährigen Roma-Frauen werden dort die Kinder weggenommen. Es reicht zum Beispiel schon, wenn sie zu wenig Wohnraum zur Verfügung stellen können. Diese Kinder kommen ins Kinderheim. Die Mütter müssen aber die Kosten für das Heim tragen, sie müssen also schnell an Geld kommen. Viele stolpern so in die Prostitution oder werden von der eigenen Familie hineingetrieben. Und wenn die Kinder mit 18 aus dem Kinderheim entlassen werden, stehen da schon die Zuhälter, um auch sie in die Prostitution zu schleusen. Roma-Frauen leben in einer Spirale der Gewalt, der sie kaum entkommen können. Noch dazu haben sie fast nie eine Chance auf Bildung. Sie wissen gar nicht, dass sie Rechte haben, dass sie sich an Behörden wenden können, dass es Hilfe gibt.
Wer sind die Zuhälter?
Einige gehören sicher der organisierten Kriminalität an, die meisten aber sind einzeln unterwegs. Es sind Ehemänner, Loverboys, Mitglieder aus Familienclans. Viele Zuhälter agieren nicht direkt in der Schweiz, sondern von ihrem Heimatland aus: aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Eine Besonderheit in der Schweiz ist die sogenannte „3 x 30-Tage-Regelung“. Prostituierte aus EU-/EFTA-Ländern dürfen bis zu insgesamt 90 Tage im Jahr im Rahmen eines sogenannten Meldeverfahrens in der Schweiz arbeiten. Das Meldeverfahren läuft einfach online und wird vom Arbeitgeber gemacht, also vom Bordellbetreiber. Man kann sich also vorstellen, wieviel Spielraum Bordellbetreiber haben, wieviel „Neuware Frau“ sie unbehelligt einschleusen können. Das gilt besonders für die Wohnungsprostitution.
Wie genau sieht die aus?
Da werden Frauen für die Prostitution in privaten Wohnungen angekarrt. Es sind nicht ihre eigenen Wohnungen. Da kommen Lieferwagen aus Bukarest, voll mit Frauen, die 24/7 in diesen Wohnungen arbeiten. Für die Auslastung sorgt die Besitzerin. Betrieben werden diese Bordelle oft von Landsfrauen, die es geschafft haben, einen Schweizer Mann zu heiraten, durch ihn eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und dadurch leichter ein Gewerbe anmelden können. Die Frauen leben völlig isoliert, sie haben null Kontakt zur Außenwelt. Und dann verschwinden sie nach 30 Tagen wieder. Sie sind dann völlig fertig. Das alles passiert mit politischer Rückendeckung. Wir haben hier Sexberatungsstellen, die von den Kantonen mitfinanziert werden. Auf kantonalen Homepages veröffentlichen sie „Businesspläne für angehende Wohnungsbordellbesitzer“. Das ist das politische Klima! Und Bordellbetreiber von größeren Bordellen machen dann einen auf Gutmensch.
Inwiefern?
Sie tun so, als wäre in ihrem Bordell ja alles bestens geregelt. Schließlich haben die Frauen ja etwas Auslauf und Freizeit am Morgen. Und sie machen sich ja solche Sorgen. Ein Bordellbetreiber sagte mir doch glatt: „Frau Fässler, ich war früher auch Freier, heute möchte ich keiner mehr sein.“ „Warum nicht?“, fragte ich. „Praktisch jede von denen – gemeint sind die Prostituierten – hat eine Geschlechtskrankheit. Die sind nie gesund“, sagte er. Als wären die Frauen schuld! Die Freier wollen immer öfter Sex ohne Kondom. Viele der Prostituierten wissen nicht einmal, dass sie das Recht haben, ein Kondom zu verlangen. Sie können doch gar nicht gesund sein! Jede Prostituierte bringt einen Teil ihrer Geschichte mit, der eindeutig Menschenhandel ist. Sie wurde angeworben oder erpresst. Trotzdem reicht das nicht für ein Ermittlungsverfahren und das darf nicht sein!
Und die Freier?
Wenn wir Kontrollen machen, fühlen sie sich ertappt. Sie werden frech und wollen ihren Ausweis nicht zeigen. Sie haben null Verantwortungsbewusstsein oder Schuldgefühle. Selbst, wenn jeder sofort sehen kann, dass es der Frau nicht gut geht oder dass es sich um eine Zwangsprostituierte handelt. Die Frauen sind ihnen scheißegal. Und ich kann nichts gegen die Freier tun. Es ist ja legal, was sie tun. Theoretisch müsste ich sogar noch nett zu ihnen sein.
Haben Sie schon mal eine selbstbestimmte Prostituierte getroffen?
Falls es sie gibt, ist ihr Anteil minimal. Es ist das pure Elend, das Frauen in die Prostitution treibt. Ein paar Mal hatte ich mit deutschen Dominas zu tun, die ein eigenes Studio haben. Ich habe sie gefragt, was sie dort anbieten. Freier wünschen sich zum Beispiel, dass sie den Hoden aufschneiden oder mit einem Stöckelschuh zerquetschen. So etwas macht doch auch mit diesen scheinbar „selbstbewussten“ Frauen etwas. Es ist eine Arbeit, die Menschen zerstört. Alles andere ist ein Märchen.
Und was tut sich im Kampf gegen die Prostitution?
Es findet ein Umdenken statt. Besonders unter den bürgerlichen Frauen. Ich habe nur Sorge, dass die Schweiz den gleichen Fehler wie Deutschland macht und glaubt, mit einem Prostituiertenschutzgesetz etwas erreichen zu können. Wer glaubt, Prostituierten mit ein paar Regulierungs-Schräubchen hier und da helfen zu können, irrt. Es geht um das System Prostitution, das abgeschafft gehört. Und das funktioniert nur über das „Nordische Modell“. Das heißt: Der Markt muss gestoppt, die Freier müssen bestraft werden. Aber das ist nicht allen Menschen beizubringen. Besonders wütend machen mich linke Frauen aus dem studentischen Dunstkreis.
Warum?
Diese Frauen – einige davon arbeiten sogar in den Frauenzentralen – glauben ernsthaft an „Selbstbestimmung“ in der Prostitution. Die „Frauenzentrale Zürich“ setzt sich als einzige Frauenzentrale in der Schweiz stark für das „Nordische Modell“ ein. Der „Freie Wille“ – dass ich nicht lache! Darf ich etwa meine Organe verkaufen, wenn ich das will? Wenn diese Frauen auch nur eine Woche in dem Job arbeiten würden, den sie da glauben verteidigen zu müssen, sähe die Sache anders aus. Sie merken nicht einmal, wie sie mit ihren dummen Parolen den Menschenhandel und das Patriarchat stützen! Da sind sogar manche Männer offener.
Noch dazu haben Sie in der Schweiz „Nein heißt Nein!“
Ganz genau! Seit 2024 ist das revidierte Sexualstrafrecht in Kraft. „Nein ist Nein!“ – warum gilt das nicht in der Prostitution? Hier gilt: Ein Geldschein legitimiert den Non-Konsens-Sex! Und das wird von den Linken unterstützt.
Ihr Job ist kein leichter. Wie gehen Sie für sich damit um?
Ich musste lernen, mit meiner Wut auf die Freier und mit meiner Betroffenheit umzugehen. Doch anders als den Prostituierten wird mir als Polizistin geglaubt. Mir wird zugehört. Das will ich nutzen und mich immer wieder öffentlich für das „Nordische Modell“ aussprechen. Dass es in meinem Land Prostitution gibt, das macht auch etwas mit mir als Frau und Mutter von vier Söhnen. Es macht etwas mit allen Frauen, wenn das eine Geschlecht das andere kaufen kann.
Sie haben einen Verein gegründet.
Ich habe den Verein „NorM182“ gegründet, der sich für die Einführung des „Nordischen Modells“ einsetzt. NorM steht für „Nordisches Modell“ und der Artikel 182 des schweizerischen Strafgesetzes beschäftigt sich mit Menschenhandel. Wir machen Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit und wollen politisch einwirken. Außerdem arbeiten wir an einem Dachverband zusammen mit der Frauenzentrale Zürich. Wir wollen den Prostitutionsbefürwortern die Stirn bieten! Ich mache das alles auch in Gedenken an meinen Großvater.
Wieso Großvater?
Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Mein Großvater war ein sogenanntes Verdingkind. In der Schweiz wurden in den 1940er Jahren viele Kinder, die unehelich oder arm waren, den Müttern und Eltern weggenommen und auf Bauernhöfe gebracht. Dort wurden sie regelrecht versklavt und oft auch missbraucht. Mein Großvater war so ein Kind. Ich habe sein Trauma miterlebt. Es hat mich sehr berührt. Niemand hat das Recht einen anderen Menschen zu versklaven.
Das Gespräch führte Annika Ross
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