Freier: Ganz normale Männer
Warum ich für Sex bezahle? Frauen gehen mir oft auf den Sack. Sie machen Stress. Dafür zu zahlen, das hat was. Ins Gesicht abspritzen kostet 50 Euro extra. Eigentlich ist das Macht. Man kann mit der Frau machen, was man will.“ Sie waren verblüffend offen, die Männer, die Bettina Flitner 2013 im Stuttgarter Großbordell „Paradise“ traf. Sie ließen sich sogar fotografieren, sie wussten, dass ihre Sprüche und ihr Gesicht im Stern erscheinen würden und fanden das okay. Und auch die Gründe, die sie für ihren Frauenkauf angaben, schienen ihnen nicht weiter fragwürdig zu sein.
„Normalerweise muss ich eine Frau erst zum Essen einladen, kostet 100 Euro. Hier klappt es sofort“, sagt Iwan, 64, Kfz-Mechaniker. „Ein Date ist immer Stress und kostet Zeit“, klagt auch Dung, 28, Juniorchef im Restaurant. „Hier kann man auch mal über Grenzen gehen. Anal zum Beispiel kostet 100 Euro extra“, weiß Kai, 49, Bankangestellter. Sieben Tage hatte Flitner in der „Wellnessoase“ verbracht und die Freier mit ihrem Argument überzeugt: „Ins Bordell zu gehen ist doch heute ganz normal.“
Das stimmt, zumindest in Deutschland.
Und ganz normal sind auch die Männer, die es tun: Frauen kaufen. Der durchschnittliche deutsche Freier ist der durchschnittliche deutsche Mann. Er hat Hauptschulabschluss oder Abitur, er ist 18 oder 75, er hat Migrationshintergrund oder auch nicht. Das hat die Studie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland“, kurz: GeSiD, ermittelt, die 2022 vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf durchgeführt wurde. 2.236 Männer aus einer „repräsentativen Bevölkerungsstichprobe“ wurden persönlich befragt. Mehr als jeder vierte dieser Männer, nämlich 27 Prozent, gaben an, im Laufe ihres Lebens mindestens einmal für Sex bezahlt zu haben. Dabei sind also alle vom (einmaligen?) Gelegenheitsfreier bis zum regelmäßigen Stammfreier.
Natürlich hat der Durchschnittsfreier überdurchschnittlich viele, nicht selten ungeschützte, Sexualkontakte. Folge: „Heterosexueller kommerzieller Sex gilt als eine der Hauptursachen für die HIV-Epidemie in der Welt.“
Zum Vergleich: In Schweden gibt laut GeSiD-Studie nicht einmal jeder zehnte Mann (9,5 %) an, schon einmal für Sex bezahlt zu haben. Dort werden seit nunmehr 26 Jahren Freier geächtet, ja bestraft. Eine ganze Generation Männer ist also schon mit der Botschaft aufgewachsen, dass Prostitution uncool ist: Sie ist Gewalt gegen Frauen und ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Auch in Norwegen und Großbritannien ist bzw. war nur jeder achte Mann in seinem Leben Freier. Norwegen hat 2009 die Freierbestrafung nach schwedischem Vorbild eingeführt, Nordirland folgte 2015. Im restlichen Großbritannien ist Prostitution zwar legal, aber das Betreiben eines Bordells kann mit bis zu sieben Jahren Haft bestraft werden.
Die deutschen Freier stehen mit jedem vierten an der Spitze. Bordellbetreiber gelten hierzulande als „normale Unternehmer“ und der Freier als „Kunde“. Ganz und gar nicht „normal“ ist allerdings, welche Gewalt den Frauen in der Prostitution angetan wird. Das weiß nicht nur Joachim, 58, Ingenieur, Kunde im „Paradise“: „Viele hier haben Zuhälter, das habe ich schon selbst gesehen.“
Eine internationale Studie der amerikanischen Psychologin Melissa Farley von 2022 zeigt: Freier wissen, dass die Mehrheit der Frauen nicht freiwillig in der Prostitution ist. Und: Es ist ihnen egal. 763 Männer, die Frauen kaufen, haben Farley und ihr Team in fünf Ländern befragt, davon knapp hundert in Deutschland. Das Ergebnis: ein „Blick in menschliche Abgründe“ (Welt).
Freier wissen, dass Frauen Prostitution nur aushalten, wenn sie sich mit Alkohol und Drogen betäuben und indem sie sich innerlich „wegbeamen“. „Sie scheinen wie weggetreten.“ Und die Freier wissen noch mehr. „Deutsche Sexkäufer werden signifikant häufiger Zeugen von Menschenhandel als in anderen westlichen Ländern, melden diese Straftaten aber deutlich seltener“, stellt die Farley-Studie fest. So hatte die Hälfte der Freier teilweise schwerste Misshandlungen durch Zuhälter beobachtet. „Er hat sie geschlagen, bis sie ihm mehr Geld gab.“ – „Die Frauen hatten blaue Augen und ausgeschlagene Zähne.“ – „Sie war zur Prostitution gezwungen. Ich konnte es an ihrem Verhalten sehen, sie hatte keinen Willen.“ Konsequenzen: Keine. „Ich hatte trotzdem mit ihr Sex, weil ich dafür bezahlt habe.“ Nur einer (!) der deutschen Freier hatte seine Beobachtungen bei der Polizei gemeldet.
Ein besonders beliebtes „Argument“ gegen ein Sexkaufverbot ist (spätestens) mit der Farley-Studie ad absurdum geführt: Prostitution verhindere Vergewaltigungen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Männer, die am häufigsten zu Prostituierten gehen, begingen auch signifikant häufiger sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung.
PS Der Besitzer des „Paradise“, Jürgen Rudloff, in dem Flitner die Freier fotografiert hatte, wurde 2019 wegen Beihilfe zum Menschenhandel zu fünf Jahren Haft verurteilt.
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