Gegen Prostitution: Sisters in Fight!
Ganz schön schrill, die jungen Frauen, die da nach vorne treten und zum Mikro greifen: kurze Röcke, bunte Schuhe, rosa Krönchen auf den blonden Locken. Doch was aussieht wie eine Party vergnügungssüchtiger Mittzwanzigerinnen, ist das Treffen zum zehnten Jahrestag von Sisters e. V., der Verein, der angetreten ist, um das Monopol der Pro-Prostitutions-Lobby auf die Darstellung von Prostitution in der Öffentlichkeit zu brechen – und um Frauen, die aussteigen wollen, direkt und unbürokratisch zu helfen.
Nein, Prostitution ist kein „Beruf wie jeder andere“ und schon gar kein „Empowerment“ für Frauen. Das aber behaupten nicht nur diejenigen, die davon profitieren, wie Zuhälter und BordellbetreiberInnen, sondern auch Gutmeinende wie zum Beispiel die Pfarrerin, die anlässlich des „Welthurentages“ (ja, den gibt es) am 2. Juni 2025 in die Leipziger Peterskirche einlud. Motto: „Huren im Hause des Herrn – Dialograum Sexarbeit“.
Angekündigte Rednerinnen: Zum Beispiel Johanna Weber, Domina und Sprecherin des „Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD). Oder Ruby Rebelde, ebenfalls Domina, die auf ihrer Website neben „Dirty Games“ auch Workshops gegen „Sexarbeitsfeindlichkeit“ anbietet.
Dialog? Also fragten die 15 Sisters der Ortsgruppe Leipzig an: Ob sie auch einen Vortrag halten dürften? Nein, dürften sie nicht. Dann wenigstens einen Infostand in der Kirche? Nein, auch nicht. Also schritten die Sisters außerhalb der Kirche zur Tat.
Sie schrieben mit Kreide Sprüche auf die Bürgersteige: „Heute auf der Kanzel: Die Frohe Botschaft vom Sexkauf“, stand dort. Oder Sätze aus Freierforen: „Hatte sie gut gepackt, somit konnte sie nicht sperren.“
Vor der Kirche warteten die Straßenmalerinnen dann mit einem Infostand und einem Schild: „Wir sind hier zum Dialog“. Und sie verteilten eine Broschüre, die sie rasch gemeinsam mit dem Netzwerk Ella produziert hatten. Titel: „Hört uns endlich zu!“ Bei der von Huschke Mau gegründeten Initiative Ella engagieren sich Aussteigerinnen aus der Prostitution für die Bestrafung von Freiern. In der Broschüre erzählen sie ihre Geschichten, die so ganz anders klingen als die von der „selbstbestimmten Sexarbeit“.
Von solchen Aktionen berichteten die Sisters auf der Zehn-Jahres-Feier am 27. September im Kölner Bayenturm. Und zum Abschluss eines langen, aufschlussreichen Tages erzählten Sabine Constabel und Alice Schwarzer, wie es vor zehn Jahren angefangen hat, nämlich mit einer Handvoll Frauen. Heute sind die Sisters 700 zahlende und aktive Mitglieder – und ihrem Ziel schon ein ganzes Stück nähergekommen!
Alice Schwarzer erinnert sich: „Ich war es einfach leid, immer nur die ‚freiwilligen‘ und ‚glücklichen Prostituierten‘ in den Talkshows zu sehen, die von der Sexindustrie gebrieft waren. Der Gipfel der Dreistigkeit war die Ex-Prostituierte und Bordellbetreiberin Felicitas Weigmann, die gern erzählte, wie gut es den Prostituierten angeblich geht. Mir war klar: Wir brauchen öffentliche Gegenstimmen.“ Und dann? „Also habe ich Sabine Constabel angesprochen, die ich als unerschrockene Kämpferin für die Frauen in der Prostitution und gegen die Zuhälter kennen- und schätzen gelernt hatte: Sabine, du musst eine Organisation gründen, damit die Journalisten auch kritische Gegenstimmen einladen können!“
Und Sabine? „Ich habe mich erstmal erschrocken und dachte: Wie soll ich das neben meiner Ausstiegsarbeit schaffen? Aber dann hat Alice mich überzeugt und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden.“ Auch die Stuttgarter Sozialarbeiterin wusste: „Was diese Berufs-Propagandistinnen in den Talkshows erzählten, hatte so gar nichts mit dem zu tun, was ich mit ‚meinen‘ Frauen erlebte. Und ich dachte: Wir müssen lauter werden! Wir müssen denjenigen eine Stimme geben, die selbst keine haben!“ Und diesen Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution helfen. Denn der ist ungeheuer schwierig – auch, weil die meisten der öffentlich geförderten Beratungsstellen Teil der Pro-Prostitutions-Lobby sind und eher beim Einstieg als beim Ausstieg behilflich sind.
Kennengelernt hatten sich EMMA-Herausgeberin Schwarzer und Sozialarbeiterin Constabel im März 2012 bei einer Maischberger-Sendung. Da hatte EMMA schon vielfach über die Sabine Constabel berichtet, die Klartext redete über das Elend der Frauen in der Prostitution. Gemeinsam holten Schwarzer und Constabel die Gewerkschafterin und spätere SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier mit ins Boot, sowie Huschke Mau. Die Aussteigerin und spätere Gründerin des Netzwerks Ella saß gemeinsam mit Constabel und Breymaier auf dem Podium, als sich Sisters am 27. September 2015 der Öffentlichkeit vorstellte – und das nicht irgendwo, sondern in der Bundespressekonferenz. „Ganz nach Alice’ Motto: Think big!“
Auf den Tag genau zehn Jahre später sitzen Schwarzer und Constabel jetzt also im Kölner Bayenturm und erzählen von den Anfängen von Sisters. „Wir sind wie ein Feuerwerk gestartet!“ erinnert sich Sabine Constabel. „Wir standen sofort in der Öffentlichkeit, wir bekamen sofort Mitglieder, die sagten: Endlich kann ich persönlich was tun!“ Heute hat Sisters 700 Mitglieder, zehn Ortsgruppen sind in ganz Deutschland aktiv: von Hamburg bis Nürnberg, von Köln bis Dresden.
Rund 80 Sisters sind an diesem 27. September nach Köln gekommen, um im Bayenturm – dem Sitz der EMMA-Redaktion und des Feministischen Archivs – das Jubiläum des Vereins zu feiern, der so eine rasante Erfolgsgeschichte hingelegt hat. So berichtet Vorstandsfrau Karen Ehlers, dass die Zahl der Frauen, die Sisters jährlich beim Ausstieg begleitet, kontinuierlich gestiegen ist und 2024 ihren bisherigen Höhepunkt mit 83 Frauen erreicht hat.
Sabine Constabel erzählt von einem konkreten Fall, den sie eine Woche zuvor erlebt hat: Eine Bulgarin, die drei Jahre lang in einem Bordell angeschafft hat, ist dort rausgeflogen, weil sie mit der horrenden Miete im Rückstand ist. Sie ruft einen ihrer Freier an, der sie bei sich aufnimmt. Natürlich erwartet der eine „Gegenleistung“. Statt 30 Minuten im Bordell muss sie ihm nun die ganze Zeit zur Verfügung stehen.
Das war der Moment, in dem die Frau nicht mehr konnte – und sich bei Sisters meldete. Eine Wohnung hatte sie schon gefunden. Sabine überwies die erste Miete, die Frau konnte am nächsten Tag einziehen. „Das ist das, was Sisters kann“, sagt Sabine Constabel: Wir können blitzschnell solche Zustände beenden.“ Hätte die Bulgarin einen Antrag auf dem Amt stellen müssen, hätte es bis zur Bewilligung Wochen gedauert.
„Jeder Ausstieg ist so individuell wie die Frau, die vor einem steht“, weiß Adele Mieschner von der Ortsgruppe Leipzig. Dort haben sie einer 19-jährigen Deutschen mit vielen Telefonaten einen Therapie-Platz organisiert und einer Südamerikanerin beim Asylantrag geholfen. Einer älteren deutschen Prostituierten mit prügelndem Ehemann haben sie den Rechtsanwalt bezahlt.
Aber Sisters kann noch mehr, wie man den äußerst lebendigen Erzählungen aus den Ortsgruppen an diesem Feier-Tag entnimmt. Nämlich sich einmischen in die Debatte, das Märchen vom „ältesten Gewerbe der Welt“ entlarven und über die bittere Realität informieren – und darüber, dass es eine Alternative gibt: das „Nordische Modell“, also die Bestrafung der Freier bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten plus Ausstiegshilfe. Und dass dieses Modell in vielen Ländern bereits gut funktioniert.
Als die Caritas (ausgerechnet!) eine Führung über den Essener Straßenstrich anbietet, fahren die Dortmunder Sisters hin, um die als Werbeveranstaltung geplante Führung „kritisch zu begleiten“. Zur Fußball-WM 2024 machten sie mit der Aktion „Rote Karte für Freier“ des „Bundesverbandes Nordisches Modell“ Stände in der Fußgängerzone. Die Sisters veranstalten Filmabende und Lesungen; sie klären mit Workshops in Schulen auf. Und sie sind AnsprechpartnerInnen für die Medien.
Nicht nur Sozialarbeiterin Sabine Constabel und die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier saßen seither in unzähligen Talkshows. Auch bei den Ortsgruppen klopfen Zeitungen und auch das Fernsehen an, so das ZDF für sein Reportage-Format 37 Grad oder der Bayerische Rundfunk zum Start der neugegründeten Ortsgruppe Nürnberg. Die berichtet: „In unserem Rotlichtviertel sitzen die Frauen in Schaufenstern wie in Amsterdam.“ Einmal im Monat schreiben sie Zitate aus Freierforen auf die Straßen. Motto: „Wir kreiden an.“
Natürlich gibt es auch Gegenwind. So wurde ein Filmabend an der Uni Leipzig von 70 Vermummten gestürmt. Die Sisters hatten dort die Dokumentation „Bordell Deutschland“ zeigen wollen. Anderthalb Stunden dauerte es, bis die Polizei endlich eintraf. „Aber wir ließen uns nicht einschüchtern“, berichtet Saskia. „Und am Ende waren die Medienberichte die beste Werbung für uns und wir hatten bei den nächsten Treffen reichlich Zuwachs.“
Keine Frage: In den zehn Jahren, in denen Sisters jetzt existiert, ist die öffentliche Meinung gekippt, und „dazu hat Sisters einen maßgeblichen Beitrag geleistet“, sagt Sabine Constabel. Als sie und Alice Schwarzer sich anno 2012 in der Maischberger-Sendung begegneten, mokierte sich der Spiegel noch über das „empörte Durcheinandergeschnatter“. Heute klingt das anders: „Seit gut 20 Jahren ist das Geschäft mit dem Sex in Deutschland legal. Das Gesetz sollte Prostituierte schützen. Aber es war ein verhängnisvoller Fehler, wie die brutale Realität auf dem Strich und in den Bordellen zeigt.“
„Prostitution war damals ein Schmuddelthema, jetzt ist es ein Menschenrechts-Thema, das im Bundestag diskutiert wird“, sagt Sabine Constabel. Die Sisters-Vorsitzende ist sich sicher: „Das Sexkaufverbot kommt! Es geht gar nicht anders.“
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