Alice Schwarzer schreibt

Sehr normale Frauen ...

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Alice Schwarzer Es geht ja jetzt hier darum, mal ein bisschen die Wahrheit über uns EMMA-Macherinnen zu sagen …

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Chantal Louis Jawohl, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Darüber, ob wir selbst schon mal Diäten gemacht haben, wer welche Diät gemacht hat, wer abstreitet, jemals eine Diät gemacht zu haben und trotzdem welche macht …

Franziska Becker Müssen wir auch Kilozahlen preisgeben???

Alice Bist du wahnsinnig? Nur in Gegenwart meiner Anwältin! Fang du doch mal an, Chantal.

Chantal Nein, Alice, ich finde, wir fangen mit deiner Kohlsuppen-Diät an, die du im November gemacht hast.

Alice Also gut: Ich mache ab und zu Diäten, aber ich mache es sehr selten. Alle ein, zwei Jahre. Und jetzt eben die Kohlsuppen-Diät …

Lisa Ortgies Das ist ja eine der ekligsten Diäten, die es gibt. Da fängt man ja schon morgens mit Kohlsuppe an!

Alice Trennkost hab ich auch schon gemacht, Ananas-Diät und, ganz früher, auch schon mal die Brigitte-Diät.

Alle Neiiin!

Alice Wahr ist: Ich habe seit Mitte vierzig eine Tendenz zum Moppeligerwerden – so würde ich das mal liebevoll formulieren. Und ich fühle mich mit meinem Gewicht pudelwohl! Daher mache ich diese Diäten niemals aus gesundheitlichen Gründen. Ich bekenne ganz offen: Es ist reine Eitelkeit. Dass ich zum Beispiel denke: Mensch, das Kleid passt mir nicht mehr. Oder ich sehe ein schönes Kleid an der Stange hängen, das ich nur bis zu den Schultern drüberkriege. Und ich will auch gleich bekennen, dass nach meinen Diäten der Körper immer wieder auf das alte Gewicht zurückflutscht.

Chantal Ich habe noch nie eine Diät gemacht, die ich mir aus einer Zeitschrift geklaubt hätte. Dafür extra einkaufen und kochen, das ist nix für mich. Aber ich habe diese FdH-Diäten gemacht, sprich: einfach weniger essen. Das habe ich bevorzugt in meiner Pubertät getan. Da war ich phasenweise diffus unzufrieden und unglücklich. Und das hat sich dann auch im Essverhalten niedergeschlagen, und zwar zeitweise ganz schön heftig. Da hab ich vorm Kühlschrank gesessen und gedacht: Was könnte ich denn jetzt noch essen? Erstmal drei Scheiben Salami, dann drei Riegel Schokolade, dann wieder zwei Scheiben Schinken, dann wieder Schokolade … Ich hab mich dabei zwar immer noch halbwegs beherrscht, aber bin dabei etwas moppelig geworden. Mit Anfang 20 hat sich das dann von allein verflüchtigt.

Alice Das kenne ich überhaupt nicht aus meiner Jugend, dass ich da aus Frustration gegessen hätte. Ich habe mit Essen gar nichts verbunden.

Franziska Ich auch nicht. In der Pubertät habe ich nicht eine Sekunde übers Essen nachgedacht.

Chantal Ihr seid ja auch Nachkriegskinder.

Lisa Aber es war doch nicht so, dass in unserer Teenagerzeit so exzessiv Diäten gemacht wurden, wie die Mädchen das heute tun. Ich erlebe das bei Freundinnen, deren Töchter jetzt um die 14 sind. Da gibt es nicht ein Mädchen, für das Gewicht und Diäten nicht Thema sind. Diese Verbreitung ist vollkommen neu! Ich hatte auch eine Mädchenclique, und natürlich haben wir uns über Themen wie Aussehen unterhalten. Aber dass ich beim Essen irgendwas weggelassen hätte – nein!

Franziska Ich hab noch nie in meinem Leben eine Waage besessen. Und ich hab mich auch schon ewig nicht mehr gewogen.

Alice Ich habe eine Waage, gehe aber nur alle paar Monate drauf.

Franziska Aber ich werde natürlich auch dicker, je älter ich werde – das merke ich zum Beispiel beim Turnen, wenn mir mein eigener Bauch im Weg ist. Ich habe auch schon versucht, weniger zu essen. Aber das gelingt mir nicht wirklich. In dem Moment, wo ich das beschließe, denke ich überhaupt nur noch ans Essen. Dann stürze ich automatisch zum Kühlschrank und gucke, ob ein Schokolädchen drin ist.

Chantal Aber fühlst du dich denn wohl mit deinem Körper oder bist du chronisch unzufrieden?

Franziska Nein, ich denke ganz selten drüber nach. Nur so anfallsweise, wie Alice.

Alice Ich habe einen Hass auf die Leute, die sagen: ‚Wenn ich abnehmen will, dann esse ich einfach ein bisschen weniger.‘ Ich esse nämlich nicht viel, sondern sehr gesund, koche selbst und immer frisch. Meine einzige Sünde ist möglicherweise das Gläschen Wein am Abend. Oder die zwei oder drei. Kürzlich habe ich einen Bekannten getroffen, der total abgenommen hatte, der hat gesagt: ‚Du, das ist ganz einfach: Lass die Süßigkeiten weg!‘ Da bin ich schon in Würgestimmung, denn: Ich esse gar keine Süßigkeiten. Ich wäre mit meiner Ernährung seit Jahrzehnten ein leuchtendes Beispiel für alle Bioschwestern.

Lisa Du kriegst nie Schokofressanfälle???

Alice Nie! Wenn die Kolleginnen hier im Redaktionsschluss Haufen von Schokolade essen, nehme ich mir ab und zu ein winziges Stückchen. Und ich nehme trotzdem zu!

Chantal Und das bei dem Energieumsatz …

Alice Meine Hausärztin behauptet, das wäre Veranlagung. Die sagt: „Gewicht ist genetisch.“ Das finde ich extrem sympathisch.

Lisa Einerseits ist das natürlich erleichternd, aber andererseits ist es auch ein gefährlicher Trend. Jetzt wollen sie nämlich das Genom für Fettleibigkeit entschlüsseln. Und dann kriegst du schon als Kind deinen Ernährungsplan. Nutrigenomik heißt das.

Chantal Und jetzt behaupten sie auch schon, Magersucht hätte genetische Ursachen. Damit ist man praktischerweise ganz von den gesellschaftlichen Ursachen weg.

Alice Zurück zu unseren Diäten. Lisa, wie war das bei dir?

Lisa Ganz ehrlich: Ich habe nie eine Diät durchgezogen. Nicht, weil ich es nicht gewollt hätte. Aber meine Disziplinlosigkeit hat dazu geführt, dass ich das nicht durchgehalten habe. Es war mir immer zu mühevoll, Kalorien zu zählen oder irgendwas dafür einzukaufen oder zu kochen. Und jetzt, mit zwei Kindern, geht das schon gar nicht mehr. Das einzige, was ich ab und zu mache, wenn ich nicht mehr in eine Hose passe, ist, abends die Kohlenhydrate wegzulassen.

Chantal Ha! Also doch. Was heißt das denn in Lebensmitteln gesprochen?

Lisa Fleisch und Fisch mit Gemüse oder Salat. Keine Kartoffeln, keine Nudeln, kein Brot.

Alice Jetzt geben wir uns hier schon gegenseitig Tipps …

Chantal Und wie war es nach deinen Schwangerschaften?

Lisa Da sind die Kilos, die draufgekommen waren, automatisch wieder gepurzelt, weil Stress angesagt war – zumal mit zwei Kindern. Aber ich hatte mir darüber auch gar keine Gedanken gemacht. Ich war bei Größe 44 angekommen, aber nach der Entbindung habe ich mich leicht gefühlt wie eine Feder. Ich dachte: ‚Wahnsinn, ich bin der Schuss!‘ Dass mein Gewicht ein Problem sein könnte, das wurde von außen an mich rangetragen. Nach einem Jahr, wenn es wieder runter ist, sagen einem die Leute dann: ‚Meine Güte, da warst du ja schon ganz schön moppelig!‘ Meine Körperwahrnehmung in der Zeit nach der Geburt war aber eine ganz andere. Deshalb habe ich mich auch so gewundert, warum die im WDR immer nur Nahaufnahmen gemacht haben …

Alice Das wäre doch für die Zuschauerinnen total erleichternd gewesen, mal so einen Körper zu sehen und nicht immer diese Hungerhaken.

Lisa Ja, klar! Und übrigens gibt es sogar während der Schwangerschaft Druck. Ich kenne Frauen, denen haben die Ärzte gesagt: ‚Jetzt wird es aber langsam zu viel!‘ Ich weiß von vielen, die schon in der Schwangerschaft Diät machen, um dann gleich wieder in die alte Haut reinzusteigen.

Franziska Das kriegt man ja in den Frauenzeitschriften auch immer suggeriert. ‚Julia Roberts: Nach Geburt schon wieder Traumfigur‘ und diese ganze Scheiße …

Lisa Irrwitzig ist das, total pervers. Deshalb habe ich bis heute keine Waage. Ich fand das so unmöglich, dass man da von den Ärzten immer draufgestellt wurde.

Alice Ich hätte ja geschworen, dass ich mit dem Thema Gewicht nie was zu tun hatte. Ich habe als junge Frau bei einer Größe von 1,70 Meter 60 Kilo gewogen und hatte die damaligen Traummaße 93-65-93. Aber als ich das Freundinnen-Buch gemacht habe, habe ich in alte Briefe geguckt und entdeckt, dass ich mit 22 an meine Freundin Barbara von Paris aus geschrieben habe: ‚Gut, dass du mich nicht siehst. Mit dem französischen Weißbrot bin ich ganz schön dick geworden.‘ Da wog ich dann vielleicht 62 Kilo.

Franziska Ich war sogar zu dünn. Ich habe bei 1,72 Meter 54 Kilo gewogen. Ich war sehr knabenhaft. Meine Mutter wollte ja auch lieber einen Knaben haben.

Alice Hat euch eigentlich schon mal ein Mann gesagt: ‚Du solltest mal ein bisschen abnehmen!‘?

Alle nicken

Alice Aber eigentlich sind das doch eher die Frauen untereinander, oder?

Chantal Es kommt von beiden, aber es kommt immer von außen. Mein erster, und ja dann auch letzter, Freund hat schon an mir rumgemäkelt. Aber es waren auch Mädchen, die blöde Bemerkungen gemacht habe. Ich hatte am Anfang der Pubertät, so mit elf, ein Erweckungserlebnis im negativen Sinn. Ich hatte mir keinen einzigen Gedanken über meinen Körper oder übers Essen gemacht, ich war ja mit der robusten Hausmannskost meiner Oma groß geworden. Und dann hat ein Mädchen, in das ich dummerweise auch noch ein bisschen verknallt war, gesagt: „Du hast ‘nen dicken Arsch!“ Ich wusste erst gar nicht, wovon die sprach. Aber dann hab ich mich vor dem Spiegel verrenkt und befunden, dass sie recht hat. Und ein Buch hat meine beste Freundin damals auch angeschleppt: „Schlank, schön und selbstbewusst“ hieß das.

Lisa In der Reihenfolge …

Chantal Da hab ich angefangen mit Kalorienzählen.

Alice Und es kommt ja auch oft von Müttern.

Franziska Bei mir war das so. Ich war eben dieser knabenhafte Typ, aber in dem Moment, wo ich das gefunden hatte, was ich beruflich machen wollte, bin ich regelrecht aufgeblüht. Ich bin zwischen 21 und 27 sogar nochmal fünf Zentimeter gewachsen. Und dann hab ich auch meine Haare wachsen lassen und mein Körper ist weiblicher geworden. Und ich weiß noch, wie meine Mutter gesagt hat: „Du bist ja ne richtige Maschine geworden!“ Das hat mir schon was ausgemacht.

Alice Was würdet ihr euch denn wünschen für den Umgang mit eurem Körper?

Franziska Ich würde mir ein gelasseneres Verhältnis zu meinem Körper wünschen. Ich werde ja nun auch älter und bin mit einem Mann zusammen, der Ansprüche geltend macht.

Alice Na, der ist aber selbst auch kein dünnes Hemd …

Franziska Nee, aber er war früher extrem dünn und würde heute auch gern weniger wiegen. Er verbrämt es dann im pluralis majestatis: „Wir müssten mal …“ Das beschäftigt mich schon. Ich würde mir auch wünschen, dass es im öffentlichen Bild mehr Möglichkeiten der Identifikation gäbe. Das betrifft ja nicht nur junge Mädchen, sondern natürlich auch unsere Generation.

Alice Ja, dass man auch Frauen als scharf präsentiert kriegt, die nicht unterernährt sind, sondern moppelig. Also eine Palette an Typen.

Lisa Die Frauen, die in dieser Hinsicht angeblich Vorbild sein sollen und uns in der Yellow Press als besonders mutig und „Sie steht zu ihren Pfunden“ präsentiert werden, die sind doch alle topschlank! Es kann doch gar keine Rede davon sein, dass die moppelig sind. Und daran sehe ich, dass das Körperbild sich in den letzten zehn Jahren komplett geändert hat. Wenn heute jemand eine kleine Plauze hat oder normale kleine Pölsterchen an Stellen, wo man sie auch braucht, damit man da keinen blauen Fleck kriegt, dann wird das gleich als moppelig bezeichnet. Aber ich mit meiner Sozialisation finde dieselbe Frau total schlank. Nicht vollschlank. Schlank.

Alice Klar, das hat sich alles total verschoben.

Lisa Ich merke, dass ich davon leider nicht unbeeinflusst bin. Wenn ich an einem schlechten Tag an der Ampel auf so ein blödes H&M-Plakat gucke, dann ist der erste Gedanke: „Ist ‘ne schöne Frau!“ und der zweite: „Also, du hast an den Oberschenkeln Dellen und dein Bauch, der wird ja nie wieder so wie früher.“ Und dann geh ich mit dieser Stimmung in den Tag rein. Und ich schaffe es nicht immer, mir bewusst zu sagen: „Hallo, das ist Werbung. Diese Frauen sind nochmal im Photoshop bearbeitet.“

Chantal Naja, und viele Mädchen sehen inzwischen ja auch real so aus. Manchmal, wenn ich die so sehe, denke ich: Mit meiner Figur bin ich für die ne fette Wurst.

Alice Also bitte, Chantal! Beim besten Willen …

Chantal Doch! Die sind teilweise so dürr, so mager! Da hat sich echt was verschoben.

Lisa Die betrachten einen mit diesem Blick. Das spürt man.

Alice Ich halte es für einen normalen Verlauf, dass man, wenn man älter wird, mehr wiegt. Und ich akzeptiere das. Natürlich guck ich manchmal skeptisch an mir runter, aber dann denke ich: Gut, so ist es eben. Ich kann total gut damit leben, dass ich 20 Kilo mehr wiege als mit Mitte zwanzig. Es scheint mir auch zu meinem Körper gut zu passen. Aber natürlich hätte man so gerne eine Obergrenze fixiert … (zeichnet energisch einen Strich aufs Papier)

Alle lachen

Alice Was mich am allermeisten aufregt, sind die Boutiquen. Ich hab mich mein Leben lang für Mode interessiert und bis vor kurzem auch noch bei Kookaï eingekauft, weil die da immer so lustige Sachen haben. Dieser Rock hier ist zum Beispiel von Kookaï (zupft am Rock) – gut, zugegeben, der dehnt sich …

Alle Gröhl

Alice Und da macht mich rasend, dass da, wo es modisch frech ist, nur noch Mädchenkleider hängen.

Chantal Ich esse sehr gern und mein Körper signalisiert mir unter normalen Umständen supergut, was er jetzt braucht. Und wenn er Obst will, kriegt er Obst, wenn er Schokolade will, kriegt er halt Schokolade.

Franziska Also, mein Körper signalisiert mir immer: Erst Obst, dann Schweinebraten mit Kartoffeln und dann Schokolade …

Chantal Aber wenn es mir nicht gut geht, wenn ich zum Beispiel viel Stress habe oder unausgegoren bin, dann kippt das Ganze.

Lisa Das finde ich interessant, denn normalerweise geht ein Bedürfnis ja einen geraden Weg.

Alice Ich finde es erschreckend, dass die Unbefangenheit mit dem Essen verloren gehen kann. Dass man also nicht einfach isst, sondern sich fragt: Welche psychologische Bedeutung steckt dahinter?

Chantal Aber das ist doch bei sehr vielen Menschen so, dass über das Essen andere Gefühle ausgetragen werden. Bei Stress oder Liebeskummer oder einem Trauerfall verändern doch die meisten Leute ihr Essverhalten. Ich selbst merke das auch.

Lisa Wusstet ihr, dass es jetzt so Körperbild-Therapien gibt? Es gibt Frauen, die haben jahrelang gar nicht mehr in den Spiegel geguckt, weil sie sich zu dick finden. Die sagen: „Ich bin sowieso ein Stromkasten, ich schau mich einfach nicht mehr an.“ Und mit dieser Therapie stellen die Frauen dann fest, dass sie ein ganz unrealistisches Bild von sich haben.

Alice Meine unrealistische Wahrnehmung geht ja eher dahin, dass ich mich für bedeutend schlanker halte, und mich nur das doofe Kleid dick macht oder das Foto eben ungünstig ist.

Alle Kicher

Lisa Ich verrate euch zum Schluss ein Geheimnis: Ich bin nach meiner Schwangerschaft am Miederhöschen hängengeblieben. Damit kann man den Bauch so nach oben drücken, dass er bis ins Dekolleté reingeht. Da kann man dann gleich auch um eine Körbchengröße zulegen!

Franziska So ein Ganzkörper-Push-up …

Chantal Sind die beige …???

Lisa Nein. Schwarz.

Alice Sag mir nachher mal die Marke!

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