Alice Schwarzer schreibt

Schwarzer über 100 Autorinnen!

Monroe liest Joyce' "Ulysses", 1955. Foto: Eve Arnold.
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Hier liest Marilyn Monroe „Ulysses“ von James Joyce, ein Schlüsselwerk der Moderne. Die bitterarm aufgewachsene Hollywood-Ikone war für ihren Bildungshunger bekannt. Doch darum geht es nicht. Es geht nicht um Marilyn Monroe und nicht um James Joyce, zwei ganz Große in ihrer Domäne. Es geht um 100 Autorinnen, die gerade ausgewählt wurden als die Wichtigsten aller Zeiten.

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Die klassischen Kanons der Literatur erheben in der Regel Allgemeingültigkeit – auch wenn in ihnen kaum eine Schriftstellerin vorkommt. Dem haben fünf renommierte, wenn auch sehr unterschiedliche, Literaturkritikerinnen ihren Kanon zur Seite gestellt: 100 Autorinnen im Porträt. Die Sammlung erschien 2009 zum ersten Mal und wurde jetzt von den Autorinnen aktualisiert.

Einige flogen raus aus dem Schriftstellerinnen-Himmel, andere kamen neu rein, wie zum Beispiel die Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie oder die Französin Annie Ernaux. Manche Leserin wird vielleicht eine Lieblingsschriftstellerin vermissen (wie ich Jenny Erpenbeck), eine andere wird diese oder jene Erwählte deplatziert finden. Doch sie sollte Nachsicht walten lassen. Denn es ist ja ein fast größenwahnsinniges Unterfangen, das über alle Kontinente und Zeiten geht.

Es fängt tatsächlich an mit Sappho („Die Erste“), und auch Christine de Pizan aus dem 14. Jahrhundert wurde nicht vergessen („Die erste Intellektuelle“). Und es geht weiter über die Brontë-Schwestern, Johanna Spyri oder Else Lasker-Schüler bis hin zu Joan Didion und Rachel Cusk. 70 der 100 ausgewählten Autorinnen kommen aus dem 20. Jahrhundert.

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Auswahlkriterium ist, so die Rezensentinnen, die literarische Qualität, die jeweils individuelle Leistung der Autorin wird im Porträt mit der exemplarischen und historischen Bedeutung verknüpft. Dass es gemeinhin gut ist, einen gewissen zeitlichen Abstand zu haben, wird an dem Vorwort zu den fast 600 Seiten deutlich. Da führen die Literaturkritikerinnen ausgerechnet Amanda Gorman als zukünftige Hoffnung für „die Repräsentanz der weiblichen Stimme“ an.

Dabei ließe sich schon an sich über die literarische Qualität dieses so effektvoll zur Inauguration von Präsident Biden vorgetragenen Gedichtes diskutieren. Dass der Auftritt der jungen schwarzen Dichterin jedoch in Wahrheit vor allem ein Werbeauftritt für die Modefirma Prada war – bei der Gorman seit 2019 als „Modebotschafterin“ angeheuert ist und in deren Mantel und Haarreif sie dekorativ gewandet war – sollte eigentlich auch die in ihre Bücher vergrabenen Rezensentinnen inzwischen erreicht haben.

Doch: So what! Bei 100 plus 1 darf frau sich auch mal irren. Die meisten der in dem gewichtigen Werk versammelten Autorinnen haben es mehr als verdient, gewürdigt zu werden.

Weiterlesen Verena Auffermann/Julia Encke/Gunhild Kübler/Ursula März/Elke Schmitter: 100 Autorinnen in Porträts (Piper, 24 €).

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