Damenwahl im Kanzleramt

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Es war eine beeindruckende Riege, die da auf zwei Stuhlreihen im Bundeskanzleramt einträchtig zusammen saß und jenen großen Frauensieg feierte, ohne den sie heute nicht hier säßen: Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) neben Kollegin Brigitte Zypries (SPD); die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) neben der Wismarer Stadtchefin Rosemarie Wilcken (SPD); die fast 90-jährige Hildegard Hamm-Brücher, Grande Dame der Liberalen, neben der noch nicht 40-jährigen Silvana Koch-Mehrin (FDP); Christa Thoben, Wirtschaftsministerin NRW, hinter ihrem Kabinettskollegen, dem Frauen(!)minister Armin Laschet.

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Und in der Mitte, rechts von Alice Schwarzer: Angela Merkel, Gastgeberin und Bundeskanz- lerin. Sie hatte alle zur Frauen- wahlrechtsfeier - und pünktlich zum Auftakt des Wahljahres - ins Kanzleramt geladen. Die rund zwei Dutzend Schüler- sprecherinnen, die ebenfalls dabei sein durften, verfolgten in den hinteren Reihen mit blitzenden Augen und Zahnspangen, was ihnen die Politikerinnen bei der "wenig staatstragenden, sondern fröhlichen und witzigen Veranstaltung" (Tagesspiegel) über das Leben und Überleben in der (noch immer) Männerdomäne Politik zu erzählen hatten.
 
Zwei "Killerphrasen" bekämen Frauen, die in die Politik wollten, regelmäßig zu hören, erklärte Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen. Erstens: "Kann die das überhaupt?" Und zweitens: "Wie wollen Sie das denn schaffen?!" Das meint die Fähigkeit, Politik und Kinder unter einen Hut zu kriegen; eine Frage, die Vätern selten gestellt wird. "Frauen, die keine Kinder haben, unterstellt man dagegen, dass ihnen Alltagserfahrung und Bodenhaftung fehlen." Fazit der Frauenministerin: "Das nervt, meine Damen!" Also hat die Ministerin die Kampagne "Frauen Macht Kommune" gestartet. Denn in der Kommunalpolitik sind nur ein Fünftel Frauen, (im Bundestag sind es immerhin ein Drittel). 

Es seien vor allem ältere Frauen gewesen, die sie damals davon abhalten wollten, in die Politik zu gehen, berichtete Petra Roth (CDU). "Wenn ich denen bei Parteitagen auf der Toilette begegnete, dann nahmen die mich zur Seite und sagten: ‚Ei, Frau Roth, lasse se des doch die Männer mache!’" Diese Frauen seien eben noch "Opfer der Entrechtung der Frauen im Nationalsozialismus gewesen, wo man ihnen ja sogar das passive Wahlrecht entzogen hatte", erinnerte die taffe Frankfurter Oberbürgermeisterin, die bei der letzten Wahl mit 60,5 Prozent der Stimmen zum dritten Mal wiedergewählt wurde.

Einen Anranzer bekam bei der Gelegenheit Jörg Thadeusz, der die Veranstaltung kundig und humorvoll moderierte, jedoch die Oberbürgermeisterin früher öfter in ihrer Eigenschaft als Frau "sehr kritisch angegangen sei". Aber, so Roth lapidar: Wie so vieles in den letzten Jahren, "haben auch Sie sich geändert".

Einig waren sich Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) und Bürgermeisterin Wilcken (SPD), dass allein die Tatsache, dass man als Frau für ein Amt nominiert werde, für sich genommen noch nichts heiße. Denn die Funktion der Frau sei dabei oft die eines Feigenblatts, um Frauenthemen nicht wirklich angehen zu müssen.

"Frauen werden nominiert, wenn die Mehrheiten unklar sind", weiß Rosemarie Wilcken, die Bürgermeisterin von Wismar, und das aus eigener bezeichnender Erfahrung. Sie durfte bei den Kommunalwahlen in ihrer Heimatstadt als Spitzenkandidatin nur antreten, weil es unwahrscheinlich war, dass die SPD gewinnen würde. Als Wilcken dann überraschend gewann, meldeten sich plötzlich einige Herren zu Wort: Die Spitzenkandidatin müsse ja nicht zwingend Bürgermeisterin sein, sagten sie, und empfahlen sich selbst für den Job.

Die SPD-Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, 66, konstatierte, dem Antifeminismus, der in Zeiten des Kampfes um das Frauenwahlrecht üblich gewesen wäre, könne frau auch heute noch begegnen. Ihre Parteikollegin, die Justizministerin Brigitte Zypries, wollte von Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen PolitikerInnen nichts bemerkt haben. Auf den eklatant unterschiedlichen Führungsstil von Kanzler Schröder und Kanzlerin Merkel angesprochen, läutete "die Ministerin den Wahlkampf ein" (wie Moderator Thadeusz ironisch feststellte), indem sie erklärte: "Herr Steinmeier würde das Kabinett ganz ähnlich moderieren wie es Frau Merkel tut. Das ist eine Frage des Charakters und nicht des Geschlechts."

Last not least sprach die Kanzlerin. Sie tat's temperamentvoll, engagiert und "für ihre Verhältnisse ausgelassen" (Tagesspiegel). Und sie sprach über Themen, die in der frühen Berliner Republik keine waren: "Dass heute im Kabinett genauso über Kinder- pornografie oder Prostitution gesprochen wird, wie über andere Themen", findet die Kanzlerin bemerkenswert. Zu ihren Zeiten als Frauenministerin habe es bei den "Frauenthemen" immer hochgezogene Augenbrauen gegeben und den Spruch: "Kann se's nicht kürzer machen?"

Merkel erwähnte auch die "interessanten Einblicke" in das Rollenverständnis der Männer, die "wir bei der Einführung des Elterngeldes bekommen haben". Und sie forderte: "Männer müssen ihre Rollen ändern, damit das nicht zu einer Überforderung der Frauen führt." Die liefen sonst Gefahr, "eine Art Supermensch" werden zu müssen, der "vom Intellekt über den beruflichen Erfolg bis hin zur Mutterschaft alles leisten muss".

Der letzte Appell der Kanzlerin schließlich ging an die Schülersprecherinnen: "Lassen Sie sich nicht davon beirren, wenn Männer lamentieren, dass die Welt jetzt von Frauen beherrscht sei und sie nichts mehr zu sagen hätten. Das ist nur eine der vielen Strategien, die Gleichberechtigung nicht zuzulassen!" Sie muss es wissen.

Anstoß für die lange geplante Feierstunde zum 90-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts war übrigens das von Alice Schwarzer herausge- gebene Buch "Damenwahl", in dem nicht nur die Geschichte des mutigen Kampfes von Frauen um das Wahlrecht erzählt wird, sondern für das auch Kanzlerin Merkel das Geleitwort schrieb und Spitzenpolitikerinnen – die meisten von ihnen an diesem Morgen dabei – nach ihren ersten Schritten in die Politik befragt wurden. Und zwar echt überparteilich.

Auch der Vormittag im Kanzleramt sei "eine überparteiliche und außerordentlich harmonische Veranstaltung" gewesen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Allerdings, so befand die Kollegin spitzzüngig, "ohne klare Botschaft". Dabei war eine Botschaft unüberhörbar: Frauen sind ein Thema! Anzunehmen, dass sie es auch im Wahlkampf sein werden.

"Damenwahl", Hrsg. Alice Schwarzer, Autorinnen: Chantal Louis und Tissy Bruns (KiWi, 8.95 €)

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