Die ganze Branche ist krank!

Sehr froh, kein Top-Model mehr zu sein: Anne-Sophie Monrad Foto: Helge Henry
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Anne-Sophie, als Wolfgang Joop im November 2021 von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen von reichen Männern an jungen Models in den guten alten Zeiten sprach, waren viele entsetzt. Du auch?
Niemand, der die Branche kennt, war das. Und: Das Ausnutzen von Macht und sexuelle Übergriffe gehören nicht einer „sündigen Vergangenheit“ an, sondern das ist noch immer Alltag im Leben vieler Models. Ich hätte mir gewünscht, dass nach dem Wirbel um Joops Äußerungen endlich was passiert. Ist es aber nicht, das System ist geblieben.

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Wer ist denn das System?
Es sind die Booker, Fotografen, Agenten, Designer. Entweder geben sie Versprechungen, die dann aber nie eingelöst werden oder es läuft ganz direkt mit Erpressungen, nach dem Motto: Wenn du hier weiterkommen willst, dann ... Das passiert auch bei minderjährigen Models. Die sollen dann noch dankbar sein, weil sich ihr Peiniger ja so für sie einsetzt. Die ganze Branche fußt auf dem Prinzip Ausbeutung.

Gibt es gar keinen Protest aus Model-Kreisen?
Nein. Es ist ein Business, in dem es keine Regeln gibt. Die Modebranche ist eine eigene Welt. Das ist von außen nur schwer nachvollziehbar. Die Models sind meist zwischen 16 und 24 Jahre alt, halbe Kinder, sie arbeiten in fremden Städten in einem immerzu neuen Umfeld, sie haben überhaupt keine Erfahrung in der Arbeitswelt, glauben natürlich alles, was Chefs ihnen sagen. Es gibt keine Kontrollinstanzen.

Hast du selbst auch sexuelle Übergriffe erlebt?
Mir wurde angeraten, mit einem Promi in die Kiste zu gehen, um Öffentlichkeit zu bekommen. Da werden oft professionelle Deals geschlossen. Direkte Übergriffe konnte ich zum Glück abwehren. Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Wenn es im Job sexuell anzüglich wurde, hat mein innerer Kompass ausgeschlagen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn mir ein Fotograf sagte, ich solle das männliche Model anschauen, als hätte ich Lust auf Sex. Es gab einen Haufen grenzwertiger Bilder, die eindeutig pornografisch ausgerichtet waren, und die ich heute garantiert nicht mehr machen würde. Ich habe meinen Eltern eine innere Haltung zu verdanken, die mich vor vielem bewahrt hat.

Wie hat denn dein Traum vom Modeln angefangen?
Zuhause auf dem Sofa beim Schauen von „Germany’s Next Topmodel“. Ich habe mir so einen Pony wie Heidi Klum schneiden lassen, fand das alles ganz toll. Dieser Glamour, diese Anerkennung. Dann habe ich bei einem Model-Wettbewerb in Flensburg mitgemacht. Ich habe nicht gewonnen, aber der damalige Booker gab mir seine Karte und meinte: Du hast eine Chance. Meld’ dich, wenn du abgenommen hast!

Wie ging es weiter?
Ich habe mich bei einer Agentur gemeldet, kleine Aufträge bekommen. Mit gerade 18 bin ich zum ersten Mal nach New York geflogen, allein. Ich bin nachts gelandet, ein Fahrer von der Agentur fuhr mich zum Model-Apartment. Wir kamen am Times Square mit all seinen blinkenden Lichtern vorbei, und ich dachte nur: Wow! Das ist es! Ich komme vom Land in Flensburg, sowas kannte ich nicht. Drei Tage später kam der erste Downer bei den Castings. Mir wurde immer wieder gesagt, ich soll abnehmen. Dabei war ich ein sehr schlankes junges Mädchen. Ich bin ständig Achterbahn gefahren. Mal war alles supertoll, dann war ich wieder zu dick.

Was hast du konkret erlebt?
Ich wurde bei Castings mit „Hello Fatty“ begrüßt, nach dem Messen mit dem Maßband hieß es: Wären da nur nicht diese Löwenschenkel! Ich musste mich in Schuhe in Größe 37 quetschen, obwohl ich 41 habe und den ganzen Tag darin rumstehen. Alle Models werden permanent körperbezogen drangsaliert und schikaniert.

Wie genau passiert das?
Durch das öffentliche Wiegen oder Messen mit dem Maßband zum Beispiel. Es gibt kaum etwas Entwürdigenderes. Dann die Castings. Bei Calvin Klein zum Beispiel wartest du stundenlang, bis du dran bist. Dann kommt man zu fünft in den Raum, muss kleine schwarze billige Seidenkleidchen von H&M anziehen – die völlig dreckig und verschwitzt sind – und muss in einer Reihe im Gleichschritt zum Tisch und zurücklaufen. Da sitzen dann drei Leute und sortieren per Zuruf aus. Es wird verkündet, wer noch abnehmen muss oder gelobt, wer in Top-Shape ist und wird auf den Po geklatscht.

Was hat dich am meisten bedrückt?
Die ständige Bewertung der Figur: Zu viel Po, zu viel Brust, zu viel Oberschenkel. Es ist verpönt, weibliche Rundungen zu haben. Die dünnsten Models werden am besten behandelt – das sendet ein Zeichen an alle anderen. Dir wird gesagt: Iss kein Brot, keinen Mais, keine Kartoffeln. Ich habe mich zeitweise nur von Säften und Shakes ernährt. Irgendwann habe ich meine Periode nicht mehr bekommen, weil ich zu untergewichtig war. Ich habe eine ernste Essstörung entwickelt. Ich war mit einer Größe von 1,81 Meter unter 55 Kilo.

Was verdient man denn als Model?
Du musst wirklich viel verdienen, bis was hängen bleibt. Die Flüge, die Doppelmieten. Übrigens auch die Krankenversicherung – und die ist ganz schön teuer, wenn man untergewichtig ist. Immer bekommt die Agentur 25 Prozent, dann kommen noch die Steuern runter. Auch wenn du einen Tagessatz von 4.000 Euro hast, weiß du nicht, ob du im nächsten Monat wieder einen Auftrag kriegst. Dann gibt es viele Jobs, zum Beispiel Fotostrecken für Magazine, die nicht bezahlt werden, weil sie
„für die Ehre“ sind. Es ist unglaublich, was alles unter „Ehre“ läuft, weil es als karrieredienlich gilt. Die Agentur kriegt aber immer was.

Wie ticken diese Agenturen?
Das sind Abzocker. Sie machen Models emotional abhängig. Das geht bis zu Gehirnwäsche. Und es ist Missbrauch. Eigentlich dürften Minderjährige noch keine Models sein. Auch 18 ist noch viel zu jung.

Was war der Wendepunkt für dich?
Ich habe eine Model-Freundin im Krankenhaus besucht, die beinahe gestorben wäre, weil sie zu dünn war. Ihr Körper war zu schwach für ein funktionierendes Immunsystem, jede Erkältung war lebensbedrohlich. Der Arzt sagte, wenn sie noch zwei Kilo weniger gehabt hätte, wäre sie gestorben. Da habe ich beschlossen: Ich will ab jetzt gesund sein!

Und dann?
Das habe ich meiner Agentur mitgeteilt – und habe keine Jobs mehr bekommen. Dann habe ich beschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und mein Buch „Fashion Victim“ über das Business zu schreiben. Ich hatte gehofft, dass es einen Aufschrei gibt, dass sich endlich etwas ändert, aber das ist nicht eingetreten. Aber immerhin können Eltern, deren Tochter davon träumt, ein Supermodel zu werden, damit einen Einblick davon kriegen, wie das Leben als Model wirklich ist.

Was machst du heute?
Ich model noch hin und wieder, aber nur unter meinen Bedingungen. Ich habe meine Waage weggeworfen, das Maßband zu meinem Nähzeug gelegt. Ich habe beschlossen, mich in den Agenturen nicht mehr messen zu lassen. Entweder man will mich so, wie ich jetzt bin, oder nicht. Und langfristig will ich beruflich was anderes machen, daran arbeite ich gerade.

Das Gespräch führte Annika Ross.

Weiterlesen: Anne-Sophie Monrad: Fashion Victim – Licht und Schatten des Modelbusiness: Ein Topmodel berichtet (dtv, 16,95 €)

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