Die Kandidatin und der Feminismus
Annalena Baerbock, 40, studierte Politikwissenschaftlerin und KanzlerInnen-Kandidatin der Grünen, scheint die Inkarnation des feministischen Traums zu sein. Ihr Mann und Vater ihrer beiden kleinen Töchter hält ihr als freiberuflicher „Politikberater“ den Rücken frei oder stärkt denselben sogar. Robert Habeck, mit dem sie bisher die Partei im gleichberechtigten Duo führte, kündigte sie am 19. April sanft lächelnd als KanzlerInnen-Kandidatin der Grünen an. Wenn das nicht die Traumkandidatin aller Frauen ist – und ein Spitzenerfolg des Feminismus dazu!
Auf Nachfrage antwortete die Kandidatin auf der Pressekonferenz in Bezug auf das Kriterium bei der Entscheidung für sie statt für ihn: Ja, selbstverständlich habe das auch „etwas mit Emanzipation“ zu tun. In der Tat, die Gleichberechtigung der Geschlechter ist Teil der DNA der Grünen, zusammen mit dem Klimakampf.
Doch warum sagt die Frau am Mikro dann kein einziges Wort zu dem Thema? Sie erwähnt nur am Rande die „Mütter“, „Großmütter“ und „Rentnerinnen“, das allerdings eher im Zusammenspiel der Generationen.
Die Entscheidung für sie hat auch
"etwas mit Emanzipation" zu tun
Aber als weltweit strukturell benachteiligte Mehrheit? Stichwort Gender Gap? Stichwort Körperpolitik via Schönheits- und Schlankheitswahn? Stichwort Gewalt in der Familie? Stichwort Frauenhass im Internet? Stichwort Femizid?
Gerade die Grünen hatten sich von Stunde Null an die Gleichberechtigung der Geschlechter mit auf die Fahnen geschrieben, von Mitgründerin Petra Kelly bis zum „Feminat“, das als erster rein weiblicher Parteivorstand 1984 Furore machte. Diese Frauen stellten die Machtfrage!
Real war das dann zwar weiterhin so, dass es die starken Männer in der Partei waren – wie Trittin oder Fischer -, die im Kaminzimmer den Machtpoker spielten. Doch scheinen diese Zeiten vorbei zu sein. Diesmal siegte im Hinterzimmer die pragmatische Baerbock gegen den intellektuellen Habeck. Nicht zuletzt vermutlich auch mit Blick auf die Kandidaten der anderen Parteien: Laschet oder Söder. Nun also Laschet. Der CDU-Kandidat hat der Grünen-Kandidatin schon freundliche Worte signalisiert. Hoffung: Schwarz-Grün.
Aber setzt diese Frau überhaupt auf die Frauenkarte? Ist sie sich eigentlich dessen bewusst, dass sie zwar jetzt eine Frau an der Spitze ist, aber doch in einer weiterhin männerbeherrschten Welt? So wie Kamala Harris es war, die das zentral zum Thema machte und bei deren Ernennung zur Vizepräsidentin eine Freudenwelle durch alle Frauen ging, schwarze wie weiße, Amerikanerinnen wie andere.
Die pragmatische Baerbock siegte
gegen den intellektuellen Habeck
Doch so sieht es zurzeit bei den Grünen leider nicht aus. Es gibt Länder, in denen sogar die Verteidigungsministerinnen von sich sagen: „Ich mache eine feministische Außenpolitik.“ Reden wir nicht von Kamala Harris. Doch Annalena Baerbock?
Bei einer EMMA-Leserinnenumfrage im Herbst 2020 haben 43 Prozent aller Frauen erklärt: Ich wähle die Grünen! Dieser Prozentsatz dürfte dank der Ernennung einer Kandidatin noch steigen. Aber wer ist Baerbock? Eine bewusste Frau, Feministin gar, wie es in ihrer Partei geboten wäre? Und was wird sie tun an der Macht? Würde sie für ein gerechtes Klima und für Geschlechtergerechtigkeit sorgen?
Am Ende der Pressekonferenz fragte eine Journalistin, wie Baerbock es denn mit dem Feminismus in ihrer Politik halten würde? Bis dahin hatte die Kandidatin jede einzelne Frage akribisch beantwortet. Doch die F-Frage schien sie nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen. Sie plauderte kurz und munter über ihre eigene Familie und dass die immer wisse, wo sie, die Mutter, „hingehöre“.
Aber weiß Annalena Baerbock auch, wo sie politisch hingehört?
ALICE SCHWARZER
Aktualisiert am 20. April 2021