Alice Schwarzer schreibt

Die junge Frau - eine Begegnung

Foto: Günther Ortmann/imago images
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Das mit den Frauen und Männern ist wie in der Geschichte vom Hasen und Igel: die Frauen rennen und rennen – und die Männer sind immer schon da. Nehmen wir zum Beispiel die sogenannte „junge Frau“. Die ist neuerdings angesagt, denn es gibt nicht genug Frauen in wichtigen Positionen, wie wir wissen. Nun kommen sie also, die Frauen, allen voran „die junge Frau“. Sie ist die Antwort auf den „alten weißen Mann“. Der ist im Verschiss, spätestens seit Harvey Weinstein mit seiner Frauengier zum Auslöser der MeToo-Bewegung wurde.

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Der alte weiße Mann. Das ist auch nicht nett. Stimmt. Sogar ein bisschen sexistisch (und ageistisch, also altersdiskriminierend sowieso). Aber musste jetzt einfach mal sein – in Reaktion auf den gewohnheitsmäßigen Machtmissbrauch durch Ihn.

Die Antwort auf den „alten weißen Mann“ sind also jetzt „die jungen Frauen“. Das allerdings weniger hinter den Kulissen und in den Vorstandsetagen, sondern eher auf den Bühnen dieser Welt. Vor allem in Branchen, wo die junge Frau sichtbar – und dekorativ – ist: in den Medien und in der Kultur. Da sitzt sie nun in allen Farben neben dem alten weißen Mann. Genau gesagt: eine bestimmte Sorte junger Frauen.

Die junge Frau als Sidekick grätscht gern dazwischen. Sie sieht alles anders. Nur wie?

In den vergangenen Wochen habe ich zweimal hautnah erlebt, wie das funktioniert; einmal auf der Bühne, ein anderes Mal beim Aufzeichnen eines Podcasts. Und das verlief so:

Auf der Bühne sitzt ein erfahrener Kulturjournalist mittleren Alters, neben ihm eine sehr junge Journalistin, die Haare lang und offen (scheint mehr oder weniger ein Muss zu sein). Ich sitze in der Mitte und die beiden interviewen mich. Das heißt, vor allem der Mann interviewt mich. Er hat offensichtlich mein Buch gelesen, um das es an diesem Abend geht, und stellt sachkundige Fragen. Die Frauen grätscht ab und an als Sidekick dazwischen. Sie hat offensichtlich mein Buch nicht gelesen und führt sich mit dem Satz ein: „Ich als junge Frau …“ Sie suggeriert, dass sie als junge Frau so manches anders sähe als ich. Wie und was, das wird allerdings nicht so ganz klar.

Ich bin an diesem Abend in Begleitung eines „alten weißen Mannes“ aus dem Literaturbetrieb. Einer, der bekannt dafür ist, dass er in den vergangenen zwanzig Jahren viele junge Männer gefördert hat. Nach der Veranstaltung frage ich ihn: „Hat einer deiner Jungs schon mal in einem Gespräch mit dir argumentiert mit dem Satz: Ich als junger Mann …?“ Mein Begleiter schaut mich verdutzt an. Und auch mir wird die Absurdität der Situation erst in ihrem ganzen Ausmaß klar, als ich es ausspreche.

In der Tat, noch nie in meinem Leben habe ich in einer Diskussion einen jüngeren Mann zu einem älteren Mann sagen hören: „Ich als junger Mann …“ Klar, wäre ja auch kein Argument – und würde einen jungen Mann eher schwächer, wenn nicht lächerlich machen. Es geht schließlich um Kompetenz, nicht um das Alter der Diskutanten.

Das Alter würde erst ein Argument, wenn der Jüngere aufgrund seines Alters andere Erfahrungen macht und die auch benennen kann.

Situation Nummer zwei. Ich sitze mit einem alten weißen Mann (d. h. so alt in dem Fall auch wieder nicht) vor dem Mikrofon. Er hat zusammen mit einem anderen alten weißen Mann in Berlin einen neuen Sender gegründet, der sich als streitbar versteht. Seinen Podcast macht er zusammen mit einer jungen Frau, die sich – im Gegensatz zu ihm, der eher liberal-konservativ ist – als linke Feministin versteht, genauer: als „intersektionale Feministin“. So eskortiert wird der Podcast, so hoffen wohl die Herren, auch nach Berlin-Mitte ausstrahlen.

Was ich im Vorlauf nicht begriffen hatte, war, dass das Gespräch wohl als „Streitgespräch“, sprich Weiberzank, konzipiert war: intersektionale Jungfeministin gegen reaktionäre Altfeministin. Der Kollege überlässt seiner Co-Moderatorin also weitgehend das Gespräch. Sie ist wg. Corona-Quarantäne nur zugeschaltet.

Fakten? Argumente? Alles überflüssig. Hauptsache Distanzierung zur „Altfeministin“

Es stellt sich rasch heraus, dass sie offenkundig noch nie eine Zeile von mir gelesen hat. Denn sie agiert ausschließlich mit (falschen) Unterstellungen, die ich sehr leicht widerlegen kann. Doch wie auch immer: Ich stehe für sie unter Rassismus-Verdacht. Warum? Weil ich mir erlaubt hatte zu sagen, dass die Täter der Silvesternacht in Köln fast ausschließlich Maghrebiner und Araber waren. Sie findet das empörend. Dass es so war? Nein, dass ich es benenne.

Das Gespräch geht über eine Stunde. Und es gipfelt darin, dass sie recht unbefangen behauptet, EMMA sei „rassistisch“. Belege? Na, zum Beispiel diese „rassistischen Bilder“, die EMMA veröffentlicht habe. Beispiele? Na, zum Beispiel die nackte weiße Frau, an deren Körper ein schwarzer Arm hochgleitet.

Nun beginnt der Moderator zu hüsteln. Sie ist schließlich seine Kollegin in einer Podcast-Serie, deren Chefredakteur er ist. Da sollte sie sich nicht zu arg blamieren. Also sagt er: Du irrst dich, dieses Bild hatte eine andere Zeitschrift veröffentlicht.

Der Einwand kann die selbsterklärte „Antirassistin“ nicht aufhalten. Na, dann eben woanders, entgegnet sie locker. Doch auf jeden Fall sei das rassistisch. Ja, aber da kann EMMA doch nichts dafür, wende ich nun ein. Egal, wie auch immer: EMMA ist rassistisch! Das scheint beschlossene Sache.

Doch zurück zu dem in der Tat rassistischen Bild, das nie in EMMA erschienen ist. Der Zufall wollte, dass ich eben diese Grafik von der weißen Frau mit dem schwarzen Aggressor – die im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschienen war – in EMMA thematisiert und als Paradebeispiel für Rassismus analysiert hatte. Auch das wusste meine Gesprächspartnerin nicht. Sie liest ja keine EMMA, sie weiß nur, dass EMMA rassistisch ist.

EMMA ist rassistisch. Das ist beschlossene Sache. Belege? Nein.

Fakten? Argumente? Analysen? Alles überflüssig. Das entscheidende Argument ist die Befindlichkeit, das Jungsein und die Distanzierung von der „Altfeministin“.

Das Problem für dieses besondere und öffentliche Genre (noch) junger Frau ist, dass sie sich in dem Wahn wähnt, niemals älter zu werden. Doch solange sie nicht mehr ist als jung, werden sich die meisten jungen wie alten Männer vortrefflich von ihr abheben. Und irgendwann ist dann diese einst junge Frau selbst eine alte Frau – und die war noch nie angesagt.

Einst war die junge Frau nur privat schmückendes Beiwerk für den alten Mann, heute dürfen einige wenige von ihnen das im Namen der Emanzipation auch öffentlich beruflich sein. Sollte diese Methode – alter weißer Mann flankiert von dekorativer junger Frau – klappen, könnten wir auch die Quote in der Pfeife rauchen. Denn dann können die Männer aller Generationen sich wieder beruhigt zurücklehnen und die alle drei bis fünf Jahre frisch anbrandende Welle „junger Frauen“ vom Dienst gelassen an sich vorüber schwappen lassen. Denn diese Art junger Frauen kommt und geht und hat gar nicht erst die Gelegenheit, sich zu qualifizieren, das heißt zu einer ernsthaften Konkurrenz für den alten weißen Mann zu werden.

Darum, liebe junge Frauen, tut uns älteren und vor allem euch selbst den Gefallen und verlasst euch nicht auf eure Jugend. Die ist vergänglich. Die Männer aber bleiben. So wie in der Geschichte vom Hasen und Igel – der Igel ist immer schon da.

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