Alice Schwarzer schreibt

Der Vatikan - ein Fall für den Verfassungsschutz?

Artikel teilen

Der Vatikan wird viel gescholten für die erneute Verdammung von Homosexualität und Homo-Ehe. Da mag ich ihn nicht so ganz allein im Regen stehen lassen. Denn in zwei Punkten hat er schließlich recht: Erstens hat er noch nie etwas anderes gesagt. Und zweitens ist in der Tat Gefahr im Verzug. Immer mehr Länder der tonangebenden westlichen Welt "tolerieren" nicht nur die gelebte Homosexualität, ja legalisieren sie, sondern haben sogar Tendenz, sie mit der Heterosexualität weitgehend gleichzustellen, bis hin zur so genannten Homo-Ehe. Und das ist in der Tat eine Kulturrevolution, die bisher "heilige Werte" - wie das Monopol der Heterosexualität - auf den Kopf stellt. Niemand scheint das so klar erkannt zu haben wie der Vatikan.

Anzeige

Logisch, dass er sich mit aller Macht dagegen stellt. Das geht nun wirklich ans Eingemachte. Wenn dieser frauenfreie Männerbund, der ohne Unterlass die Heiligkeit der Ehe predigt, jetzt Sodom und Gomorrha zuließe - ja, wo käme er dann hin? Der ganze Laden ginge hoch.

Denn es liegt ja in der Natur eines Männerbundes, dass in ihm vor allem Männer sind, die sich in exklusiver Männergesellschaft besonders wohl fühlen. Und es sieht übrigens, ganz nebenher gesagt, so aus, als sei diese neuerliche Beschwörung des Vatikans auch ein Machtkampf innerhalb der katholischen Kirche: Die homosexuellen Seilschaften in dieser Institution werden mehr - und könnten in nicht allzu ferner Zeit die Homophoben und Schrankschwulen im Vatikan überrollen.

Es ist also durchaus aufschlussreich, die "Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls" über die "Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen" im 15-Seiten-Original zu lesen: aus dem Computer von Kardinal Ratzinger, Opus-Dei-Mitglied und Vorsitzender des "Obersten Verfassungsorgans" der Katholischen Kirche, früher auch Inquisition genannt.

Wortgewandt und hoffärtig entwirft der deutsche Vordenker für die ganze Welt ein Tableau von biblischer Wucht und jesuitischer Gerissenheit. Es geht vor allem darum, die eigenen Schäfchen - allen voran die Priester und Politiker - nochmal einzuschwören und einzuschüchtern: "Die Ehe ist heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen. Denn bei homosexuellen Handlungen bleibt die Weitergabe des Lebens beim Geschlechtsakt ausgeschlossen." Sie sind darum "in keinem Fall zu billigen." Mehr noch: von "schweren Verwirrungen" ist die Rede, von "Sünden, die schwer gegen die Keuschheit verstoßen", ja von dem "Bösen" an sich. Kurzum: Es droht das Fegefeuer.

Zu dieser alttestamentarischen Verdammnis - für die allerdings, so Experten, weder das Alte noch das Neue Testament etwas können: Da steht das alles nicht drin - gesellt sich die Strategie für das 21. Jahrhundert: In Ländern, in denen es noch keine Homo-Ehe gibt, sollen Politiker diese verhindern. Und wo es schon zum Schlimmsten gekommen ist, sollen sie für "Schadensbegrenzung" sorgen. Was die katholischen PolitikerInnen in Deutschland auch tun: Seit zwei Jahren wird der zweite Teil der "Eingetragenen Partnerschaft" für gleichgeschlechtlich Liebende vom Bundesrat blockiert, in dem die Bundesländer mit dem großen C das Sagen haben. Es geht darin u.a. um so wesentliche Punkte wie das Erbschaftsrecht.

Übrigens steht der dogmatische Papst mit seinem dunklen Vordenker nicht allein in der Katholischen Kirche mit der Verdammnis der Homosexualität. Auch der nette Kardinal Lehmann verklickerte einen Monat nach dem Bannstrahl aus dem Vatikan in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Bischofskonferenz das Ganze nochmal auf nett den Deutschen: Was bei Ratzinger eine Order ist, ist bei Lehmann zwar nur noch verschleiernd eine "Ermutigung", aber in der Sache dasselbe.

Der Heilige Stuhl betont übrigens mehrfach, dass es hier keinesfalls um Glaubensfragen gehe, sondern um solche der "allgemeinen Vernunft und natürlichen Ordnung" (sic). Das heißt, der Vatikan spricht keinesfalls nur für sich und seinen Verein, sondern erhebt wie gewohnt weiterhin den Anspruch der allgemeinen Gültigkeit und Hegemonie der katholischen Kirche über alle anderen Religionen, den Staat, ja über die ganze Welt.

Wo, mit Verlaub, ist da noch der Unterschied zu den islamischen Fundamentalisten, die ebenfalls weltbeglückende Kreuzzügler sind (und Homosexuelle übrigens zu steinigen pflegen)? Ist der fundamentalistische Vatikan mitsamt seinen Getreuen in unserem Land also ein Fall für den Verfassungsschutz?

Alice Schwarzer, EMMA September/Oktober 2003

Artikel teilen
 
Zur Startseite