Eva Hesse - Extreme Gegensätze

Selbstporträt, 1964, Öl auf Leinwand (91,4 x 91,4 cm)
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"So viel Eva sein wie möglich, als Künstlerin und als Person" wollte sie, sagte Eva Hesse (1936 bis 1970) in einem Interview. Vier Monate später war sie tot. Zumindest in der Kunst hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie hatte eine neue Form von Skulptur geschaffen, auffallend anders, nie da gewesen - ganz Eva. Auffallend anders will etwas heißen im New York der 60er Jahre. Die schrille Pop Art überschwemmte die Welt mit ihren knalligen Banalitäten und die Minimalisten erklärten Dutzendware wie Neonröhren oder Metallplatten zur Skulptur. Eva Hesse war die Radikalste. Gefragt, ob sie mit der Tradition gebrochen habe, antwortete sie: "Nein, denn ich mache keine traditionelle Bildhauerei."

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Eva Hesse wurde zur Schlüsselfigur der Moderne. Dennoch wird erst 30 Jahre nach ihrem Tod in Deutschland eine große Werkschau gezeigt. Dabei hatte die deutsche Emigranten-Tochter hier den Weg zur Skulptur gefunden, weit weg von der brodelnden Kunstmetropole New York. Ein deutscher Industrieller hatte Eva Hesse und ihren Mann, den Bildhauer Tom Doyle, im Jahr 1964 eingeladen, in Kettwig an der Ruhr zu arbeiten. Sie sah die Documenta, sie lernte deutsche Künstler kennen. Und ihre Zeichnungen eroberten den Raum, wurden Skulpturen. "Die Arbeiten wuchsen und wuchsen. Sie kamen aus dem Boden, von der Decke herab, aus den Wänden".

Nach 15 Monaten Kettwig war ihre Ehe am Ende. In der Kunst stand Eva Hesse an einem neuen Anfang: der Skulptur. Zurück in New York werden ihre Materialien immer ungewöhnlicher. Sie steckt unförmige, mit Sand gefüllte Plastikbälle in Fischernetze und lässt sie von der Wand baumeln. Latex und Fiberglas werden ihre Markenzeichen. Und sie geht immer weiter in ihrer Suche nach der "Kunst als Nicht-Kunst". Gegen Ende ihres Lebens taucht sie Schnüre in Latex und verknotet sie zu einem wirren Netz, das ungeordnet von der Decke hängt.

Ob Plastik, Draht oder Glas, alles scheint unter Eva Hesses Händen lebendig zu werden. Zum Beispiel der kistengroße Würfel in der Arbeit "Accession". Er bekommt von Eva Hesse einen dichten Pelz aus Plastikfühlern verpasst, die nach innen wachsen - und wird zu einer Art surrealem Tier. Die erste Version liebten die Ausstellungsbesucher regelrecht zu Tode: Jeder wollte die Arbeit berühren, sogar in sie hineingelangen - was ihr nicht bekam.

Die Versuchung lag nahe, in dieser sinnlichen Kunst etwas "typisch Weibliches" zu sehen. Doch Eva Hesse ließ sich nicht ins Frauen-Ghetto stecken. "Kunst betrifft die Essenz, die Seele, das Zentrum. Egal ob sie von einer Frau, einem Mann oder einer Kakerlake gemacht wurde."

Kunst und Leben waren für Eva Hesse untrennbar. "Ich erinnere mich daran, dass ich immer mit Widersprüchen und mit gegensätzlichen Elementen gearbeitet habe, was auch meiner Idee vom Leben entspricht." Doch die Kunst war immer das Einfachere: Da hatte sie keine Angst. Anders im Leben. Da gab es "nie etwas Normales oder Mittelmäßiges", es war "immer extrem".

Die Angst begann früh, mit der Flucht aus Nazideutschland. Da war Eva zwei Jahre alt. Allein mit ihrer Schwester kam das kleine Mädchen in ein Amsterdamer Kinderheim. Erst nach drei Monaten gelang es ihren Eltern nachzukommen. Die Familie flüchtete nach New York und überlebte. Doch Evas Mutter wurde depressiv. 1946, als sie sich das Leben nahm, war die Ehe der Hesses bereits zerbrochen. Die Kinder lebten beim Vater und der ungeliebten Stiefmutter.

Danach prägte Krankheit Eva Hesses Leben. Erst in ihrer Familie, dann traf es sie selbst. "Keine Kleinigkeit, mit 33 Jahren einen Hirntumor zu haben", kommentierte sie sarkastisch kurz vor ihrem Tod. Heute, 40 Jahre später, zerbröseln auch ihre Kunstwerke unter den Augen der Konservatoren. Und doch, Eva Hesses Kunst ist unsterblich. Denn sie prägte die Vorstellung darüber, was Kunst heute ist.    

Wibke Bantelmann 

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