Haftstrafe für Online-Missbrauch
Isabella Sorley, 23, und John Nimmo, 25, müssen für zwölf bzw. acht Wochen hinter Gitter, hat das Gericht in Westminster entschieden. Beide sollen zudem je 800 Pfund (rund 1000 Euro) Schadenersatz an Caroline Criado-Perez zahlen. Die Briten bedienten gleich mehrere der 86 Twitter-Accounts, von denen im vergangenen Sommer Vergewaltigungs- und Morddrohungen an die feministische Aktivistin verschickt wurden.
Criado-Perez hatte erfolgreich erkämpft, dass auf einer Pfund-Note, genauer dem Zehn-Pfund-Schein, neben der Queen auch zukünftig das Antlitz einer weiteren Frau zu sehen sein wird: Jane Austen, die britische Schriftstellerin (1755-1817) und Autorin von u.a. "Stolz und Vorurteil". Kaum hatte die Bank of England die Botschaft verkündet, wurde die Feministin mit hasserfüllten Tweets überschüttet. Unter den rund 50 Vergewaltigungs- und Morddrohungen, die sie zeitweise pro Stunde erhielt, waren auch solche von Sorley und Nimmo: "Vergewaltigt sie in ihren netten Arsch "/ „Ich werde dich finden!“ / „F*** up und stirb du wertloses Stück Scheiße“/ "Vergewaltigung ist deine geringste Sorge."
Ähnliche Tweets erhielt auch die Labour-Abgeordnete Stella Creasy, die die Aktion für Frauen auf Pfund-Scheinen unterstützte.
Vergewaltigung ist deine geringste Sorge.
Dass sie dafür nun öffentlich mit einer Gefängnisstrafe und Schadensersatz zur Rechenschaft gezogen werden, ist ein echter Paradigmenwechsel. So wie auch die Begründung der Strafe wegen sogenanntem „Online-Missbrauch“. Richter Howard Riddle erklärte: Das Ausmaß der Drohungen sei für die Betroffene eine „lebensbeeinträchtigende Erfahrung“. Und: „Die Tatsache, dass die Drohungen anonym waren, hat die Furcht noch verstärkt.“ Das Opfer hatte „keine Ahnung, wie gefährlich diese Menschen waren, ob sie möglicherweise gerade erst aus dem Gefängnis kommen oder wie man sie erkennen und meiden kann, wenn sie einem in der Öffentlichkeit begegnen“.
Criado-Perez Erfahrungen hingegen sind alles andere als einmalig. Vor der Gerichtsverhandlung am Freitag sagte sie: „Die beiden Täter sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sowohl was das Ausmaß meines eigenen Missbrauchs angeht, als auch den anderer Frauen. Frauen, die nur wenige oder keine Mittel haben, ihr Recht einzufordern.“
Kürzlich erst veröffentlichte die US-amerikanische Feministin Amanda Hess einen Artikel im Pacific Standard, der das erschütternde Ausmaß von Sexismus im Netz in den USA offenbarte (EMMA berichtete). In Deutschland ist der Hass gegen Frauen im Netz seit mehreren Jahren Gegenstand der Internet-Debatten.
Criado-Perez Fall hat - im Gegensatz zu den meisten anderen Vorfällen - auch deshalb ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit erhalten, weil Twitter selbst erstmalig im Fadenkreuz stand: Nachdem das Unternehmen anfangs gar nicht auf die Hilfegesuche der britischen Feministin reagierte, nahmen die Nutzer den Microblogging-Dienst unter #takebacktwitter und #standwithwomen in die Pflicht. Eine Online-Petition für einen Missbrauchs-Button erhielt über 100.000 Unterschriften. Zuletzt entschuldigte sich Tony Wang, Twitter-Chef in Großritannien, persönlich mit einem Tweet bei allen Frauen, die Perez’ Erfahrung teilen. „Es gibt mehr, was wir tun können und tun werden, um unsere Nutzer gegen Beleidigungen zu schützen“, versprach er.
Die Tatsache, dass die Drohungen anonym waren, hat die Furcht noch verstärkt.
Wenn das Urteil aus Großbritannien die zu erhoffende Signalwirkung hat, hat Wang keine Wahl. Denn dann wird de facto ein Recht umgesetzt, dass es de jure ohnehin schon gibt, nicht nur in England. Belästigung, Androhungen von Gewalt oder Morddrohungen sind online genauso strafbar wie offline. Bisher allerdings ruhen sich die Behörden auch hierzulande darauf aus, dass die Übergriffe angeblich kaum nachzuverfolgen seien, der „raue Ton“ im Netz ja Gang und Gäbe sei und die „Trolle“ das sowieso nicht so meinten.
Umso interessanter sind die Reaktionen auf den Richterspruch: Schon jetzt beschweren sich NutzerInnen über den Verlust der „Meinungsfreiheit“ im Internet, erklären den Fall Criado-Perez zum „gefährlichen Präzedenz-Fall“ und beklagen die Bevorzugung von Frauen. Ungeachtet der Tatsache, dass eine Morddrohung mit Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Und die Adressaten dieser Hassattacken erwiesenermaßen meistens Frauen sind.
Caroline Criado-Perez war am Freitag vor Gericht nicht anwesend. Sie wollte sich der Situation nicht aussetzen, erklärte sie auf Twitter. Allerdings sei sie „erleichtert darüber, dass das Gericht die Schwere der Auswirkung begriffen hat, die der Missbrauch auf mich hatte“.