Alice Schwarzer schreibt

Hannelore Hoger, Heidi Klum & ich

© Bettina Flitner
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Vor einigen Wochen habe ich die letzte Folge von Bella Block gesehen, diesen Hoger auf den Leib geschriebenen Krimi. Genauer: diesen früher Hoger mal auf den Leib geschriebenen Krimi. Denn schon länger ging es bergab. Sodann habe ich die neuesten Gerüchte über Heidi Klum gelesen – und sehe seither Grund, die Partei von Germany’s Top Sadistin zu ergreifen. Und sodann habe ich über mich nachgedacht.

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Aber reden wir erst einmal von Hannelore Hoger, alias Bella Block und ihrem Abgang in der letzten Folge der Krimi-­Reihe. Folgende Frauenrollen kamen darin vor: dauernackte Nackttänzerinnen bzw. Prostituierte; eine verstörte junge Frau im intellektuellen Stadium einer Neunjährigen; eine eiskalte, korrupte Richterin – sowie Bella Block.

Die legendäre Kommissarin war von ihrer Schöpferin, Doris Gercke, mal als Charakterrolle, als sperrige, eigensinnige, kluge, sinnliche Frau erfunden worden. Es fiel der charaktervollen, sperrigen, eigensinnigen, klugen, sinnlichen Schauspielerin Hoger nicht schwer, sie zu verkörpern. Aber jetzt?

"Alt" ist man immer nur in den Augen der Anderen

Ich gucke selten Krimis. Und immer seltener, aus Prinzip. Ich möchte einfach nicht, dass all diese Bilder von Gewalt, unbemerkt durch die Wohnung streifenden Männern und Frauenleichen sich in meine Fantasie schleichen. Ich habe daher auch nicht viele Bella Blocks gesehen. Was aber habe ich jetzt gesehen? Sehr, sehr viel Gewalt, von A bis Z nochmal vorgeführt. Sehr viele halbnackte Frauen. Und immer wieder durch die Wohnung einer alleinstehenden Frau schleichende Männer. Sowie eine Hauptdarstellerin, die zum Weinen war.

Schlimmer noch: zum Bemitleiden.

Die alternde Bella/Hannelore löst ihren letzten Fall. Nein, in Wahrheit löst sie ihn nicht, sie darf nur mehrfach naiv ihr Leben riskieren (wie die meisten Kommissarinnen) und zuguterletzt ganz resignieren. Das Böse siegt eben über das Gute, das ist die Moral dieser Geschichte.

So auch im Privatleben der Kommissarin. Das endet so: Kurz vor dem Finale taucht ihr langjähriger, wenn auch seit sechs Jahren getrennter Lebensgefährte Simon auf, um ihr zu sagen, dass er heiraten wird. Nein, nicht sie, sondern irgendeine andere. Nach seinem Abgang wirft Bella sich aufs Bett und sagt sarkastisch, wie es ihre Art ist: „Ich bin eine alte, alleinstehende Frau mit Hund.“

Sie muss sodann noch einen (im Film von ihren Verfolgern vorgetäuschten) Selbstmordversuch machen (mit sehr viel Blut in der Wanne) und in der Psychia­trie landen (mit grotesk geschnittenem Nachthemd).

Am Ende steht Bella auf einem Steg am See und schaut schwermütig ins Wasser. Alt, resigniert, einsam.

Eine Branche,
die solche Frauenbilder produziert, hat ein Problem

Da darf man sich nicht wundern, dass eine Branche, die solche Frauenbilder produziert, ein Problem hat, ein #MeToo-Problem. Denn wie fühlt sich wohl eine Schauspielerin, wenn sie sich in solche Rollen einfühlen muss? Und wie fühlen wir Zuschauerinnen uns, die jungen, wenn sie glauben sollen, dass sie bei Charakter so ein Ende erwartet – und erst wir alten, die endlich abtreten sollen?!

Das mit dem Alter fängt übrigens früh an, zumindest für Frauen, liebe Schwestern. Jüngst habe ich gelesen, dass Heidi Klum, 44, eine Affäre oder Beziehung mit Tom Kaulitz, 28, von Tokio Hotel haben soll. Prompt wurde auf Instagram gepöbelt, eine Mutter von vier Kindern habe sich „nicht an kleine Jungen ranzumachen“.

Die Männer, die mit zehn, zwanzig, dreißig Jahre jüngeren Frauen zusammen sind, gehen in die Millionen. Das findet niemand auch nur bemerkenswert. Präsident Trump glaubte, sich bei seinem Staatsbesuch in Frankreich jedoch erlauben zu können, der 24 Jahre älteren Frau von Präsident Macron zu attestieren, sie sähe „aber noch gut aus“. Trumps Frau Melania ist exakt 24 Jahre jünger als ihr Mann. Aber der sieht nicht mehr gut aus.

Übrigens, der Trend gibt Brigitte und Heidi recht: Auch in Deutschland war 2015 laut Statistischem Jahrbuch jede fünfte Frau mit einem jüngeren Mann verheiratet.

Doch ginge es nach den einschlägigen Medien, sollten Frauen sich ab 50, spätestens 60 die Tarnkappe überziehen. Auch bei mir hat das mit Ende 50 angefangen. Manche konnten es kaum erwarten zu schreiben: „Alice Schwarzer Komma 60“. Die Begeisterung stieg, als sie endlich schreiben konnten: „Alice Schwarzer Komma 70“. Mein Alter steht noch in der kleinsten Fünf-Zeilen-Meldung, auch wenn es in dem Zusammenhang mit dem Vermeldeten überhaupt keine Relevanz hat.

In Amerika gibt es für sowas längst einen Begriff und auch scharfe Kritik daran: Agism, die Diskriminierung wg. Alter. Davor hat man und frau sich in den USA inzwischen genauso zu hüten wie vor Sexism oder Racism. Aber das ist in Old Germany noch nicht angekommen.

So manche
18-Jährige ist
älter als manche
80-Jährige

Okay, bei mir ist die Sache verschärft durch den Feminismus. Die „Alt-Feministin“ (Standard-Formulierung seit vielen Jahren, auch und gerade in den Texten so mancher selbst ernannter „Jung-Feministin“) soll endlich von gestern sein! Das wäre schön. Dann müssten die Jungfeministinnen, die naiven, immer wieder von vorne anfangen und kämen nicht vom Fleck. Die Alt-Feministin soll darum Ruhe geben. Sie soll abtreten.

„Wollen Sie nicht endlich loslassen?“ So lautet seit einigen Jahren eine Standardfrage bei Interviews. Ich frage mich dann immer, wen oder was ich loslassen soll? Das Leben? Das Denken? Das Engagement? Soll ich keine Bücher mehr schreiben (obwohl die verlegt und gelesen werden)? Soll ich EMMA aufgeben oder am besten gleich einstellen? Und warum? Ganz einfach: Weil ich alt bin!

Liebe Junge und Möchte-gern-Junge, ich werde euch mal was verraten: Erstens werdet ihr alle irgendwann (hoffentlich) so alt wie ich. Zweitens ist das Alter nur ein Faktor von vielen, die einen Menschen ausmachen (und sind manche 18-Jährige schon so alt, wie andere 80-Jährige nie werden). Und drittens ist man „alt“ immer nur in den Augen der Anderen. Selber aber ist man, so lange man nicht gebrechlich ist, ganz die Junge: innerlich mal acht oder 18, mal 38 oder 48. Selten älter.

Genauso geht es auch mir. Da liege ich im Trend. Studien haben ergeben, dass nicht nur das biologische Alter relativ ist, sondern dass sich auch psychologisch Menschen in Deutschland heutzutage in der Regel zwanzig Jahre jünger fühlen, als sie es auf dem Papier sind.

Na, geht doch. Dann wäre ich jetzt 55. Soll mir recht sein.

Alice Schwarzer

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