Iran: Welche Rolle spielen die Frauen?

Sie protestiert am White Wednesday gegen die Zwangsverschleierung.
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Sie steht auf einem Stromkasten, mitten auf dem belebten Enghelab-Platz in Teheran, den Kopf stolz erhoben. Ihre langen, dunklen Haare umwehen ihre Schultern. Sie schwenkt einen Stock, an den sie ein weißes Kopftuch geknotet hat: Protest und Friedensangebot zugleich. Kurz darauf wird sie von der Sittenpolizei festgenommen.

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Denn was diese junge, bisher unbekannte Frau an diesem Nachmittag in Teheran getan hat, mag andernorts für wenig Aufsehen sorgen. Aber im Iran ist es verboten: Sie ist unverschleiert auf die Straße gegangen. Spätestens ab dem neunten Lebensjahr werden iranische Mädchen qua Order der Religionswächter dazu gezwungen, sich zu verschleiern. Häufig sind sie noch jünger.

Das Screenshot der jungen, unverschleierten Frau aus einem Video ist seither weltweit zum Symbol des iranischen Widerstands geworden. Die Frau gilt als die „Rosa Parks des Irans“. Rosa Parks hatte 1955 die Revolte der Schwarzen ausgelöst, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen.

Immer mehr Menschen gehen seit Beginn der Proteste am 28. Dezember, die in Maschhad, der zweitgrößten Stadt im Nordosten des Landes, begannen, auf die Straße. Es sind die größten Proteste seit der „Grünen Revolution“ im Jahr 2009. Ihre Motive sind vielfältig. Viele sind regimekritisch, weil der Gottesstaat ihnen zu repressiv ist. Rufe wie „Nieder mit der islamischen Republik!“ wurden laut. Manchen aber ist der iranische Präsident Hassan Rohani gar zu lasch: Sie wünschen sich einen rigideren Gottesstaat.

Die meisten Menschen scheinen jedoch aus Zorn über die hohen Lebensmittelpreise, die Arbeitslosigkeit, das Wohlstandsgefälle und die Korruption zu protestieren. Ihnen ist der als liberal geltende Präsident nicht fortschrittlich genug. Aber auch die AnhängerInnen des Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei haben sich inzwischen organisiert.

Das Video der jungen Frau, die das weiße Tuch schwingt, wurde scheinbar am 27. Dezember aufgenommen, also noch bevor die Proteste begannen. „Es gibt keinen direkten Link zwischen ihr und dem aktuellen Protest“, sagt die Iranerin Masih Alinejad, die im New Yorker Exil lebt. Sie ist es, die den friedlichen, mutigen Protest gegen den Kopftuchzwang organisiert hat, der im Netz genauso stattfindet wie auf der Straße. Motto: „My Stealthy Freedom“ (etwa „Meine heimliche Freiheit“).

"Diese Frauen benutzen ihr Smartphone als Waffe. Sie haben keine Angst"

Diese Bewegung wird getragen von iranischen Frauen im In- und im Ausland, die alle gegen die Zwangsverschleierung kämpfen, dieses Symbol der Unterdrückung der Iranerinnen seit der Machtübernahme 1979 der Gottesstaatler unter Ayatollah Khomeini, der die Verhüllung der Frauen zum Gesetz machte. Ausgerechnet am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, waren die unverschleierten Iranerinnen unter den Tschador gezwungen worden - und aus der Öffentlichkeit, von den Unis und aus den Büros verjagt. Die Proteste von Hundertausenden gegen diese Maßnahmen wurden von den Religionswächtern mit drakonischer Gewalt niedergeschlagen.

Der Unmut der Iranerinnen über ihre Entrechtung war von Anfang an groß. Aber es war lebensgefährlich für sie, sich gegen die Mullahs aufzulehnen. Erst in den letzten Jahren wagen manche Iranerinnen auch außerhalb ihrer privatesten Kreise - Freunde, Familie - den Aufstand im Kleinen: ein Haaransatz hier, ein verrutschtes Kopftuch dort. „My Stealthy Freedom“ zeugt davon, die Aktion startete im Frühjahr 2014.

Seit Mai 2017 findet darüber hinaus der „White Wednesday“ statt, an dem Iranerinnen ganz ohne Schleier oder nur mit einem leichten, weißen Schal auf die Straße gehen. „Viele dieser Frauen haben ihre Auseinandersetzungen mit der Sittenpolizei gefilmt, sie haben ihr Smartphone wie eine Waffe benutzt. Sie haben keine Angst und ohne Angst funktioniert die Maschinerie der islamischen Republik nicht mehr“, schreibt Masih Alinejad bei Women in the World.


An einem solchen weißen Mittwoch hat sich auch die unbekannte Iranerin auf den Stromkasten in Teheran gestellt. Am selben Tag übrigens, an dem der Teheraner Polizeichef Hossein Rahimi offiziell verkündete, dass Frauen, denen „der Schleier aus Versehen verrutscht”, fortan nicht mehr sofort verhaftet, sondern in Erziehungskurse gesteckt werden sollen. Kurse, in denen ihnen die „islamischen Werte eingeschärft“ werden. Alleine in Teheran soll es schon 100 dieser Einrichtungen geben.

Seit dem 27. Dezember binden auch andere Iranerinnen ein weißes Kopftuch an einen Stock und marschieren damit durch die Straße. Eine erklärt: „Ich fordere die Frauen dazu auf, es dieser jungen Frau gleichzutun! Zieht euren Hidschab aus, knotet ihn an einen Stock und schwenkt ihn! Schickt Fotos und Videos, um dieses Mädchen zu unterstützen. Sie ist eine Heldin!“

Von der Heldin fehlt seit ihrer Verhaftung jede Spur.

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Iranerinnen: Protest ohne Schleier

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Masih Alinejad ist Journalistin und Iranerin. Zweiteres hat für sie allerdings keine große Bedeutung, denn sie lebt mittlerweile in London. Frei und unverschleiert. Seitdem sie im Jahr 2009 wegen ihrer kritischen Artikel über Ex-Präsident Ahmadinedschad das Land verlassen musste. Aus dieser Zeit stammt auch das Foto, für das Masih es mitten in Iran einfach mal im Auto riskiert hatte: Den Schleier ablegen. Und das sie nun auf ihre Facebook-Seite stellte: „Ich wette, viele Iranerinnen besitzen solche Fotos heimlicher Freiheiten“, schrieb sie dazu.

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Wette gewonnen. Innerhalb weniger Tage landeten hunderte Fotos auf Masihs Pinnwand: alle von Iranerinnen, die sich die Freiheit nehmen, den Schleier zu ­lüften. Inzwischen sind es tausende. Aus Protest gegen den Verhüllungszwang des Mullah-Regimes. Das Schockierende beim Anblick dieser Bilder ist die Erkenntnis: Diese Frauen, die wir sonst nur als wandelnde, triste Stoffhaufen wahrnehmen, sind Frauen wie wir. Mit denselben Sehnsüchten und demselben Freiheitsdrang – aber meist schönerem Haar.

Dabei ist auch für die Städterinnen in Iran, einst Persien, das islamistische Kopftuch, das Haar und den Haaransatz streng verdeckt, relativ neu. Es war Ayatollah Khomeini, der nach seiner Machtübernahme 1979 die Verhüllung der Frauen zum Gesetz machte. Ausgerechnet am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, hetzte er seine „Revolutionsgarden“ auf die Frauen – auf der Straße, im Büro, an der Uni – und ließ alle Kopftuchlosen mit Schimpf und Schande nach Hause jagen.

Bis heute werden Iranerinnen, die sich nur leicht widersetzen – indem sie den Schleier auch schon mal „verrutschen“ ­lassen – von „Sittenwächtern“ verhaftet und mit Auspeitschung oder Gefängnis bestraft. Der Ganzkörperschleier und das Kopftuch sind nicht nur praktisch eine Behinderung, sondern auch das Symbol für die Segregation der Geschlechter und den Ausschluss der Frauen. 

„Die Iranerinnen, die sich auf Facebook ohne Schleier zeigen, sind unglaublich mutig“, schwärmte Masih Alinejad im Gespräch mit EMMA. Mehr noch: Sie sind Heldinnen, die den Millionen Frauen, die das nicht wagen (können), Mut machen. Auch wenn sich manche verständlicherweise hinter großen Sonnenbrillen verbergen oder gar nur von hinten zeigen. Aber sie tun es! Und sie werden immer mehr.

Die Journalistin richtete eine eigene ­Facebook-Seite ein: My Stealthy Freedom (Meine heimliche Freiheit). Die hat mittlerweile wohl über eine halbe Million Likes. „Es ist so wunderbar, den Wind in meinem Haar zu spüren“, schreibt eine. Oder: „Wenn du in meiner Heimat lebst, musst du heimlich lachen, heimlich ­singen, heimlich trinken und heimlich ­küssen. Du musst heimlich leben, um zu überleben“, schreibt eine ­andere.

Auch Alinejad ist selbst im Londoner Exil nicht ganz frei. Denn ihre Familie lebt noch in Iran. „Dort verbreiten Hardliner im Internet jetzt das Gerücht, ich sei eine Spionin des britischen Geheimdienstes“, erzählte sie. In Iran finden die GegnerInnen die erfolgreiche Kopftuch-Runter-­Aktion so bedrohlich, dass Gegenaktionen gestartet wurden: Facebook-Seiten, die dazu aufforderten, die Iranerinnen auf den Fotos zu identifizieren und zu vergewaltigen. Facebook hat die Inhalte gelöscht. Auch die offiziellen Medien griffen den „Kontrollverlust der Regierung über die Verschleierung der Frauen“ auf.

Die Fernsehnachrichten verkündeten zuletzt, Alinejad habe in London angeblich Drogen genommen und sei danach von drei ­Männern vergewaltigt worden. In Anwesenheit ihres kleinen Sohns. Die Exil-­Iranerin ­widerspricht: „Das ist die Fortsetzung einer Kampagne der Islamischen Republik gegen uns Frauen, die mit der Wahrheit nichts zu tun hat.“

Immerhin: Der „Reform“-Präsident Hassan Rohani hatte es jüngst gewagt, in Sachen Verschleierung für „mehr Toleranz“ zu plädieren. Aber da hatte der Staatschef seine Rechnung ohne die wahren Machthaber, die Mullahs, gemacht. Rund 4000 Menschen, Verhüllte und Männer, demonstrierten prompt vor dem Innenministerium pro Verschleierung und für „mehr Moral“ im Gottesstaat.

Doch davon lässt eine Nasrin Sotoudeh sich nicht einschüchtern. Die Menschenrechtsanwältin arbeitet seit Jahren zusammen mit der Juristin und Frauenrechtlerin Shirin Ebadi, die für ihr Engagement 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. Allerdings ist seither der Druck auf Ebadi und ihre Mitstreiterinnen eher stärker als schwächer geworden. Nasrin war drei Jahre lang, von 2010 bis 2013, für ihren Menschenrechtskampf im Gefängnis. Sie hatte den ungeheuren Mut sich auch noch innerhalb des ­berüchtigten Teheraner ­Evin-Gefängnisses zu weigern, den dort vorgeschriebenen Tschador, das ­bodenlange schwarze ­Gewand, zu tragen.

Über ihre bitteren Erfahrungen im ­Gefängnis berichtet die Menschenrechtlerin auf der Facebook-Seite von Masih Alinejad. Sie weiß, dass sie nicht allein ist. Nasrin: „In den letzten 30 Jahren haben Iranerinnen sich immer wieder dem Zwang widersetzt, den Hijab zu tragen. Aber diese Proteste wurden nie so bekannt, wie sie es verdient hätten – es gab ja noch kein Internet.“ Jetzt gibt es das Internet. Nasrin: „Wenn tausende Frauen sich dem Hijab-Gesetz widersetzen, kann der Drang nach Veränderung nicht länger geleugnet werden.“

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