Schüler bedrohen Lehrerinnen...

Foto: Matej Kastelic/Panther Media/imago images
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Am Abend des 2. November 2020 sitzt Susanne Wiesinger mit einer Freundin in einem Restaurant in der Nähe des Schwedenplatzes im Wiener Ausgehviertel. Beide Frauen sind Lehrerinnen, beide unterrichten an Brennpunktschulen. Sie sind in Sorge oder vielmehr: noch mehr in Sorge als sonst. Denn Corona verschärft die ohnehin schon schwierige Lage. „Wir sprachen darüber, wie durch den Lockdown der Kontakt zu den Kindern und ihren Familien noch weniger geworden ist“, erzählt Wiesinger. „Die Parallelgesellschaften blühen.“

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Plötzlich: Geschrei und Gerenne. Menschen flüchten von draußen ins Restaurant. Kellner schließen die Türen ab, der Restaurantbesitzer telefoniert aufgebracht. Susanne Wiesingers Handy klingelt. Es ist ihr Mann, der besorgt fragt: „Bist du irgendwo drinnen in Sicherheit?“ Denn draußen sterben gerade Menschen, mindestens ein Attentäter schießt wahllos auf die Passanten. Noch weiß man nicht, wer es ist. Doch beide Frauen, erinnert sich Wiesinger, haben in diesem Moment den gleichen Gedanken: „Hoffentlich ist es keiner meiner Ex-Schüler.“

Wenige Stunden später steht fest: Der Täter ist der 20-jährige Kujtim F. Seine Familie stammt aus Bosnien, aber er ist in Österreich aufgewachsen. Er ist hier zur Schule gegangen. Er war kein ehemaliger Schüler von Susanne Wiesinger oder ihrer Freundin – aber er hätte es sein können.

Die österreichische Lehrerin hat vor dem, was sich in österreichischen – und auch deutschen oder französischen – Schulen zusammenbraut, schon vor Jahren gewarnt. Als es niemand hören wollte, schon gar nicht die rot-grüne Wiener Stadtregierung, schrieb sie ein Buch: „Kulturkampf im Klassenzimmer“ (EMMA 6/2018). Sie berichtete darüber, dass normaler Unterricht an den Brennpunktschulen „kaum noch möglich ist, weil islamische Gebote und Verbote, gepaart mit desolaten Deutschkenntnissen den Lehrplan quasi abgeschafft haben“. Eine Stunde über die Entstehung des Universums? Endet im Chaos, schließlich hat Allah die Welt in sechs Tagen erschaffen. Das Biologiebuch? Ist „haram“, weil darin nackte Menschen abgebildet sind. Die Lektüre in Deutsch? Wird verweigert, weil darin ein 17-jähriges Mädchen einen Freund hat, ohne mit ihm verheiratet zu sein.

Die fanatischen religiösen Vorstellungen der SchülerInnen treffen auch Lehrerinnen: So manche Kollegin komme nur noch mit langen Ärmeln in die Schule und verschweige ihre „wilde Ehe“, weil die Schüler das sündige Verhalten ansonsten mit Verachtung strafen. Wiesingers Fazit: An diesen Schulen seien „die muslimischen Schüler mit einem streng konservativen bis fundamentalistischen Gedankengut mittlerweile die absolute Mehrheit. Die reaktionäre Variante des Islam gewinnt immer mehr an Boden.“ Das Buch erschien 2018 und sprang aus dem Stand auf Platz 1 der Bestsellerliste.

Zwei Jahre später ermordet ein islamistisch verhetzter 18-Jähriger in Frankreich den Lehrer Samuel Paty. Der hatte im Unterricht anhand der Mohammed-Karikaturen in Charlie Hebdo über das Thema Meinungsfreiheit sprechen wollen oder, wie Emmanuel Macron es später in seiner Trauerrede formulierte, „seine Schüler zu Bürgern machen“. Der Täter, der aus Tschetschenien stammt, war seit seinem achten Lebensjahr in Frankreich aufgewachsen.

Darum ist Susanne Wiesinger nicht die Einzige, die es zwar wichtig findet, dass die Politik nach den Attentaten von Conflans-Sainte-Honorine, Nizza, Wien und Dresden jetzt mit Anti-Terrorplänen die EU-Außengrenzen besser sichern und strengere Waffengesetze schaffen will, um weitere islamistische Morde zu verhindern. In der Tat ist es schwer verständlich, wie Kujtim F. sich in Wien Munition für sein Attentat beschaffen konnte, oder warum der 20-jährige Syrer, der in Dresden ein Männerpaar mit einem Messer angriff und als gefährlicher IS-Anhänger bekannt war, überhaupt wieder auf freiem Fuß war. Noch wichtiger aber wäre es, dass jetzt dort hingeschaut und gehandelt wird, wo der Nährboden dafür gelegt wird, dass junge Männer mitten unter uns zu Mördern werden.

„Stoppen wir den politischen Islam!“ forderten 16 liberale MuslimInnen, IslamwissenschaftlerInnen und PolitikerInnen am 30. Oktober in der Welt – drei Tage vor dem Attentat in Wien – in einem gemeinsamen Aufruf. Sie erklären: „Religiöser Extremismus beginnt nicht erst bei Mord, er gedeiht in abgeschottet lebenden Milieus, die sich unseren Werten verschließen. Ein verweigerter Handschlag für eine Frau kann bereits ein Indiz sein. Fehlende Mädchen im Schwimmunterricht,
Respektlosigkeit gegenüber Lehrerinnen bereits in Grundschulen oder gar Drohungen und Gewalt gegen Andersgläubige brauchen andere Antworten als runde Tische und den Burkini als genehmigte Schulkleidung.“

Zu den UnterzeichnerInnen gehören: Die Soziologin Necla Kelek und die Juristin Seyran Ates, der Präsident der BAG Immigrantenverbände, Ali Ertan Toprak und der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Und der Psychologe Ahmad Mansour, der schon 2015, nach den Attentaten im Pariser Bataclan und auf Charlie Hebdo in EMMA beklagt hatte, „wie oberflächlich die Politik bisher agiert hat und wie sehr man auf Aktionismus setzt“. Manhätte „längst darüber reden müssen, warum und in welchem Ausmaß sich Jugendliche, die in diesem Land aufgewachsen sind, von unseren Werten entfernt haben. Es findet keine Debatte über die Ursachen statt. Eine flächendeckende Strategie, mit der wir diese Menschen erreichen, bevor sie sich radikalisieren, gibt es nicht.“

Eine solche Strategie fehlt fünf Jahre später immer noch. Es mangelt schon an Kenntnissen über das Ausmaß des Problems. Deshalb ist die erste von fünf Forderungen der 16 UnterzeichnerInnen eine „Schulstudie über die Erfahrungen und Probleme von Lehrern mit islamistischen Einflüssen“.

Wer Lehrern und Lehrerinnen aus Brennpunktschulen zuhört, weiß, wie groß diese Probleme schon seit vielen Jahren sind. Von einem „Klima der Einschüchterung“ spricht der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. „Der Druck ist vor allem in Brennpunktschulen mit einem hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund sehr hoch.“

Zum Beispiel im Ruhrgebiet. „Es gibt doch schon jetzt abstruse Forderungen aus Moscheen, was Schulen im Unterricht alles nicht machen sollen“, sagt Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen. „Da wird zum Beispiel die generelle Freistellung vom Schwimmunterricht oder die Absetzung der Sexualkunde gefordert.“ Willert weiß, „dass viele Lehrer bestimmte Themen im Unterricht vermeiden, um Problemen aus dem Weg zu gehen“. Zu diesen heiklen Themen gehören zum Beispiel der Holocaust, der Nahost-Konflikt oder die USA.

Harald Willert hat 35 Jahre lang im Ruhrgebiet unterrichtet, darunter auch an einer Gesamtschule in der Nachbargemeinde von Duisburg-Marxloh, wo die – nach Köln – zweitgrößte DITIB-Moschee Deutschlands liegt. Gleich nebenan ist Dinslaken. Von dort aus zogen mindestens zwei Dutzend junge Männer nach Syrien in den „Dschihad“, darunter fünf Schüler der Lehrerin Lamya Kaddor.

Einer von ihnen, der Konvertit Nils D., steht gerade zum zweiten Mal vor Gericht, weil er IS-Deserteure folterte und hinrichtete. „Acht Kilometer von mir entfernt war es möglich, dass sich junge Männer derartig radikalisiert haben!“ klagt Harald Willert.

„Man hat diese Entwicklung ja jahrzehntelang zugelassen“, sagt Astrid-Sabine Busse. Die Vorsitzende des „Interessenverbandes Berliner Schulleitungen“ ist Rektorin einer Grundschule in Neukölln, an der 97 Prozent ihrer SchülerInnen einen Migrationshintergrund haben. Sie erklärt: „Als ich junge Lehrerin war, gab es noch keinen politischen Islam an den Schulen.“ Seitdem ist viel passiert. Islamisten agitieren seit Jahrzehnten in den muslimischen Communities. Das hat Folgen in den Klassenzimmern, und zwar schon bei den jüngsten SchülerInnen.

„Wenn wir etwas über Darwin machen oder die Kinder im Museum griechische Statuen sehen, drehen sich viele um und halten sich die Ohren zu“, erzählt Busse. „Das war vor zehn Jahren noch nicht so.“ Ihre Schule besteht dennoch darauf, Darwin und Sexualkunde im Unterricht zu behandeln, doch der Druck auf die LehrerInnen wächst. Und die Angst. „Dem Verfassungsschutzbericht kann man entnehmen, dass die Zahl der gewaltbereiten Islamisten steigt. Und uns Lehrer kann ja niemand schützen.“ Auch sie würde im Unterricht die Mohammed-Karikaturen nicht zeigen, erklärt die Schulleiterin resigniert. „Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt.“

Seit Jahren beklagen LehrerInnen Einschüchterung und Sprechverbote. Und EMMA machte im Schwerpunkt „Problem Schule“ schon 2017 darauf aufmerksam, „wie schwierig es für so mancheN LehrerIn geworden ist, bestimmte Lerninhalte zu vermitteln, wenn in einer Klasse eine gewisse Menge islamistisch indoktrinierter SchülerInnen vor ihnen sitzt“.

Für das Dossier hatte EMMA mit zahlreichen Lehrerinnen gesprochen. Eine berichtete, dass ein Film über die Evolutionstheorie von SchülerInnen „regelrecht ausgebuht“ wurde. Eine andere hatte in einer Stunde über die Verfassungsrechte auch über die Beschneidung dieser Rechte in der Türkei gesprochen. Die Folge: Ein Beschwerdebrief der SchülerInnen (die unübersehbar von rhetorisch geschulten Kräften unterstützt wurden) und einer Rüge der Schulleitung: Die Lehrerin habe „die religiösen Gefühle der Schüler verletzt“.

Dass die Lehrerin von ihren Vorgesetzten in vorauseilendem Gehorsam in die Schranken gewiesen wurde, scheint kein Einzelfall, sondern die Regel. „Die Schulaufsicht unterstützt uns nicht“, bedauert auch Harald Willert. „Stattdessen heißt es dann: Löst das pädagogisch!“

„Es kann aber nicht sein, dass das Problem an der einzelnen Schule hängenbleibt“, sagt Astrid-Sabine Busse. Deshalb setzt sich ihr Berliner Schulleitungsverband in einem Appell für den Erhalt des Neutralitätsgesetzes ein. Das Gesetz ist seit 2005 in Kraft und besagt, dass LehrerInnen im Unterricht keinerlei weltanschauliche oder religiöse Symbole tragen dürfen: kein Kreuz, keine Kippa und – kein Kopftuch. Kürzlich hat eine Lehrerin vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt gegen das Gesetz geklagt und Recht bekommen. Die RichterInnen entschieden: Es müsse in jedem Einzelfall geschaut werden, ob das Kopftuch tatsächlich „den Schulfrieden gefährde“. Was für eine Zumutung für die eh schon überlasteten LehrerInnen. Die Berliner Grünen, denen das Neutralitätsgesetz schon lange ein Dorn im Auge ist, wollen das Urteil zum Anlass nehmen, das Neutralitätsgesetz ganz abzuschaffen, allen voran der grüne Justizsenator Dirk Behrendt.

Bei einem zweiten Blick auf den Umgang des Justizsenators überrascht das nicht. So postete die Deutsch-Afghanin Fereshta Ludin Fotos von sich und Behrendt auf Instagram: Seite an Seite auf Demos und Podiumsdiskussionen. Ludin hatte ab Ende der 1990er Jahre mit Unterstützung des „Zentralrats der Muslime“ durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht für das„Recht aufs Kopftuch“ für Lehrerinnen in Schulen geklagt. Damals unterrichtete die Lehrerin am Berliner Islamkolleg, das gerichtlich bestätigt als „Tarnorganisation von Milli Görüs“ bezeichnet werden durfte.

Dabei hat sich Behrendts Parteivorsitzender Robert Habeck gerade zum Kämpfer gegen den islamischen Fundamentalismus ausgerufen: „Wir müssen den islamischen Terror und die mörderische Ideologie dahinter gemeinsam entschieden bekämpfen“, erklärte Habeck und legte einen Elf-Punkte-Plan vor. Nur: Wo will der Grünen-Chef diese Ideologie bekämpfen? Jedenfalls nicht in seinem Bundesland Schleswig-Holstein.

So scheiterte ein Verbot der Vollverschleierung an Universitäten Anfang 2020 im Habeck-Land Schleswig-Holstein an – den Grünen. Eine Studentin im ersten Semester hatte sich an der Universität Kiel im Tschador in eine Vorlesung gesetzt. Die deutsche Konvertitin, die augenscheinlich einen öffentlichkeitswirksamen Präzedenzfall schaffen wollte, wurde nachweislich von bekannten Salafisten unterstützt. Die Universität untersagte die Vollverschleierung und bat das Schulministerium um Rückendeckung und eine Verankerung des Schleierverbotes im Hochschulgesetz.

Doch obwohl CDU und FDP die „Vollverschleierung als Symbol des radikalen Islam“ aus deutschen Hörsälen verbannen wollten, schwadronierte der grüne Jamaika-Koalitionspartner von „Religionsfreiheit“ und stellte sich quer.

Auch Habeck pflegt einen einschlägigen Umgang. Als die dauerlächelnde, aktuelle Vorzeige-Muslima Kübra Gümüşay ihr Buch „Sprache und Sein“ veröffentlichte (EMMA 3/20), stand der oberste Grüne bereit für ihre Werbetour. Geplant war, dass Habeck zusammen mit der Autorin das Buch vorstellen sollte. Was nur durch Corona verhindert wurde.

Nun also noch der Kampf der Grünen gegen das Berliner Neutralitätsgesetz. Das sei eine „völlig falsche Strategie“, das Gesetz zu kippen, warnen die Berliner SchulleiterInnen. „Große Teile meiner Schüler leben in einer Parallelgesellschaft, die wir jetzt schon nicht mehr erreichen“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Berliner Schulleitungsverbandes, Karina Jehniche. „Und für diese Jungs ist klar, dass sie später ein gutes, sauberes Mädchen mit Kopftuch heiraten wollen. Und dass unsere offene, demokratische Lebensweise nicht die ist, die sie in ihrem Leben wollen.“ Fazit der Schulleiterin einer Brennpunktschule in Spandau: „Wir können so nicht weitermachen. Irgendwann ist der Prozess unumkehrbar.“

Was also muss passieren? Der Deutsche Lehrerverband, der rund 160.000 PädagogInnen vertritt, hat zunächst drei Forderungen aufgestellt: 1. Eine Studie. „Weder die zuständigen Ministerien noch die Schulbehörden wissen, wie groß das Problem ist“, erklärt Verbandschef Heinz-Peter Meidinger. 2. Hilfe für die Schulen. „Es müssen Experten an die Schulen, um sie beim Kampf gegen islamistische Einflüsse zu unterstützen.“ 3. Ombudsstellen für die LehrerInnen. „Es muss Ansprechpartner für Lehrer geben, die an ihrer Schule ein Problem mit islamistisch indoktrinierten Schülern haben, und zwar außerhalb des Dienstwegs.“

Die Wienerin Susanne Wiesinger, die nach ihrem Buch ins Schulministerium geholt wurde, um die Lage an den Brennpunktschulen zu eruieren, fügt noch hinzu: „Das Thema Islamismus muss in die Lehrerausbildung!“ Die Schulen müssen die Teilnahme am Schwimmunterricht oder am Theaterworkshop rigoros durchsetzen. Erstens, weil die Schulpflicht über religiösen Geboten steht, und zweitens, „weil wir den Kindern Angebote machen müssen!“ Und: „Der Staat muss Vereine und Moscheen viel besser kontrollieren und gegebenenfalls auch schließen!“ Denn dort finde die Indoktrinierung und Radikalisierung der Kinder und Jugendlichen statt. Auch Attentäter Kujtim F. hatte in Wien eine radikale Moscheebesucht. „Da wird der Nährboden gelegt, und zwar schon bei den ganz jungen.“

Wiesinger unterrichtet nach ihrem Jahr im Ministerium jetzt an einer Grundschule. „Ich wollte unbedingt wieder an eine Brennpunktschule“, sagt sie, denn sie wolle „etwas bewegen“. Am ersten Schultag lautete die Frage eines Erstklässlers an die Lehrerin: „Bist du Muslim?“ Als Susanne Wiesinger verneinte und erklärte, es sei für ihren gemeinsamen Umgang doch egal, wer an was glaube, lautete die Antwort: „Nein, das ist nicht egal!“ „Da ist schon ganz früh dieses Ihr und Wir“, sagt Wiesinger.

Wie weit dieses „Ihr“ und „Wir“ führen kann, hat Karina Jehniche vom Schulleiterverband an ihrer Berliner Schule erlebt. Dort hatte eine Lehrerin den SchülerInnen erklärt, dass ihre Eltern auf alle Fälle zum Elterngespräch erscheinen müssten, andernfalls drohten Sanktionen. Daraufhin sagte ein Schüler: „Wenn das passiert, mache ich mit dir das Gleiche wie der Junge mit dem Lehrer in Frankreich!“ Der Schüler ist elf Jahre alt.

CHANTAL LOUIS

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