Wegen Binden vor Gericht

Stella Nyanzi - Foto: Imago
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Im letzten Jahr wurde Ugandas Langzeitherrscher Yoweri Museveni wiedergewählt. Eines seiner Wahlversprechen: Kostenlose Binden für Ugandas Schülerinnen. Er besuchte Schulen auf dem Land, ließ sich mit den Mädchen dort öffentlichkeitswirksam fotografieren. Nach der Wiederwahl, die laut der Beobachterkommission des Commonwealth nicht einmal den „wichtigsten demokratischen Standards“ entsprach, stellte sich heraus: alles nur heiße Luft.

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Plötzlich war angeblich kein Geld mehr für Binden da. Zumindest verkündete das die First Lady Janet Museveni, die ihr Ehemann kurzerhand zur Bildungsministerin gemacht hatte. Eine absurde Aussage, wenn man bedenkt, dass Museveni für sich und seine Entourage in den letzten fünf Jahren mehr als vierhundert Autos gekauft hat.

Ugandas führende Feministin, Stella Nyanzi, war wütend. Auf Facebook kommentierte sie: „Ich verabscheue Menschen, die die First Lady als ›Mama Janet‹ bezeichnen. Diese Frau ist keine Mutter der Nation. Welche Mutter würde es zulassen, dass ihre Töchter der Schule fernbleiben, weil sie sich keine Binden leisten können?“ Die 42-jährige Medizinanthropologin, die an der University of London promoviert hat, beließ es nicht bei Worten. Kurzerhand gründete sie die BürgerInneninitiative Pads4Girls, um das Geld für die Binden selbst zu sammeln.

Es gibt viele Gründe, warum Mädchen in Uganda die Schule abbrechen: Kinderehen, frühe Schwangerschaft, Eltern, die nicht allen Kindern eine Ausbildung finanzieren können und die Jungen bevorzugen. Fehlenden Monatshygieneprodukte rangieren unter diesen Gründen nach wie vor ganz vorne. Viele Mädchen bleiben während ihrer Regel einfach zu Hause, weil sie kein Geld für Binden haben und verpassen so den Unterricht. Manchmal müssen Mädchen sogar ein Schuljahr wiederholen, wenn sie wegen ihrer Regel die jährlichen Abschlussprüfungen versäumen. All das führt dazu, dass auf hundert Jungen, die in Uganda die weiterführende Schule besuchen, nur 85 Mädchen kommen.

Die UganderInnen spendeten also fleißig für das Projekt Pads4Girls. Schnell kamen um die 5.000 Euro zusammen. Eine beachtliche Summe in einem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung von weniger als einem Euro am Tag lebt. Doch die Regierung legte Nyanzi Steine in den Weg, verweigerte ihr die Ausreise zu einem Kongress nach Amsterdam, sorgte dafür, dass sie ihre Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Makerere University verlor. Schulen wurde verboten, Nyanzi und ihr Team aufs Gelände zu lassen - aber das führte nur dazu, dass die Verteilungen der Binden dann eben außerhalb stattfanden.

Auch die Tatsache, dass sich Nyanzi für die Rechte von Homo-, Bi- und Transsexuellen engagiert, wurde ihr zum Vorwurf gemacht. GegnerInnen behaupteten, die Bindenverteilungen seien nur ein Vorwand. Tatsächlich wolle sie Ugandas Schülerinnen zum Lesbischsein erziehen- ein schwerer Vorwurf in dem erzkonservativen, streng christlichen Land, das Homosexuelle immer wieder ins Gefängnis sperrt. Nyanzi schoss auf Facebook zurück, bezeichnete Museveni unter anderem als „ein paar Arschbacken“.

Daraufhin wurde sie am Abend des 7. April festgenommen. Nach einem Vortrag verließ Nyanzi gerade das Mackinnon Suites Hotel im Zentrum der Hauptstadt Kampala, als sie von einer Horde maskierter Männer überfallen wurde. Sie zerrten sie gewaltsam in ein Auto, zerrissen dabei ihr Kleid und fuhren mit ihr davon.

Stundenlang wusste niemand, wo sie war, bis sich herausstellte: Sie sitzt in Untersuchungshaft. Drei Tage später wurde vor Gericht verhandelt. Die Anklage: Beleidigung des Präsidenten auf Facebook. Der Staatsanwalt unterstellte Nyanzi, psychisch krank zu sein und zum moralischen Verfall Ugandas beizutragen, drohte mit Einweisung in die Psychiatrie. Sie schoss zurück: „Ich habe diese Dinge geschrieben, aber den Präsidenten nicht beleidigt. Diese Regierung beleidigt Uganda."

Stella Nyanzi (re) verteilt Binden in einer Schule. Foto: Barigye Ambrose
Stella Nyanzi (re) verteilt Binden in einer Schule. Foto: Barigye Ambrose

Seitdem sitzt Nyanzi im Hochsicherheitsgefängnis Luzira. Bis zum 10. Mai soll sie dort mindestens noch bleiben, danach wird erneut verhandelt. Vom Personal wird sie schikaniert: Sie berichtet, man habe ihr Geld gestohlen und verbiete anderen Gefangenen, mit ihr zu reden. Trotzdem versucht sie, das Beste aus ihrer Situation zu machen und unterrichtet in der Gefängnisschule.

Der Fall Nyanzi zeigt, wie sehr die Meinungsfreiheit in Uganda mittlerweile eingeschränkt ist. UnterstützerInnen Nyanzis berichten von Drohungen am Telefon und auf Facebook. Eine Freundin von ihr verbrachte kürzlich einen Tag im Gefängnis, weil sie eine regimekritische Plakette auf ihr Auto geklebt hatte.

Ugandas Schülerinnen aber wird weiterhin geholfen. Trotz aller Einschüchterungsversuche: Seit letzter Woche ist das Team von Pads4Girls in seinem Minibus voll Binden wieder im Land unterwegs - auch, wenn die Gründerin nicht persönlich dabei sein kann.

Charlotte Meyn

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Die Scham ist vorbei!

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Spanien, März 2010: Sechs Freundinnen schlendern durch die Straßen von Madrid. Sie passieren Cafés. Sie treffen auf Menschen, die einen Schaufensterbummel machen; und auf Handwerker, die ihrem Tagwerk nachgehen. Ein normaler Tag in Spaniens Hauptstadt. Zumindest fast. Denn die jungen Frauen tragen nicht nur ein Lächeln im Gesicht und den Kopf hoch erhoben; sie tragen auch weiße Shorts, die blutverschmiert sind. Und auch an ihren Händen klebt Blut. Periodenblut. Auf Spanisch: Sangre Menstrual. So nennt sich die Gruppe der Frauen, die sich nun lässig an eine Hauswand lehnen.

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Is’ was, Jungs? Na, was soll schon sein: Die Periode ist doch das Normalste der Welt! So steht es auch in ihrem „Manifest für die Sichtbarkeit der Menstruation“, das sie an diesem Tag verteilen. „Ich ­schäme mich nicht!“, erklären sie da. Und: „Ich bin nicht krank!“ Die Frauen mit den blutigen Hosen gehen nicht nur gegen das Tabu Menstruation auf die Straße. Sondern auch: gegen den Rückschlag in Sachen Frauenrechte.

England, April 2015: Kiran Gandhi, 26, steht an der Startlinie für den London Marathon. Ein Jahr lang hat sie trainiert, um dabei zu sein. Und ja, sie hatte schon morgens Unterleibskrämpfe und die leise Ahnung, dass sie bald ihre Tage bekommt. Aber „niemals hätte ich damit gerechnet, dass es ausgerechnet an der Startlinie losgeht“, sagt Kiran.

Hastig geht sie die Möglichkeiten durch. Binde? Schlechte Idee für einen 42-Kilometer-Lauf. Tampon? Würde der Wattestopfen nicht ihre Leistung beeinträchtigen? Und überhaupt: Der allererste Tag der Periode! Sollte sie etwa die ganze Zeit mit Ersatztampons in der Hand ­rennen? Und wo sollte sie den Tampon auswechseln?

Also traf Kiran eine Entscheidung, die bis heute nachhallt: Sie lief den Marathon und das Blut lief ihr die Beine runter, ohne Tampon. Das Foto der blutbefleckten orangen Hose der Läuferin ging um die Welt. „Ich hätte niemals gedacht, dass daraus eine so große Sache wird“, sagt Kiran im Rückblick.

Klar hat sie sich geschämt. Ganz besonders bei Kilometer 14. Da jubelten der Vater und der Bruder, während Kiran krampfhaft versuchte, ihr Shirt bis zu den Knien zu zerren. Aber das war der Familie egal. „Sie wollten mich umarmen, ein Foto machen und mich feiern – alles ­andere hat sie gar nicht interessiert“, erinnert sich Kiran. Da wurde ihr plötzlich bewusst: „Ich konnte an diesem Tag meine Scham überwinden, Millionen Mädchen auf dieser Welt können das nicht.“ In ihrer Heimat Amerika nicht und noch viel weniger in Indien, wo Vater Vikram, ein erfolgreicher Investmentbanker, und Mutter Meera, Gründerin einer Frauenrechtsorganisation, herkommen.

Kiran ist übrigens nicht irgendeine selbstbewusste junge Frau. Sie ist auch die Schlagzeugerin der berühmten Musikerin M.I.A. Als Kira den Marathon lief, stand sie außerdem eine Woche vor ihrer Abschlussprüfung in Wirtschaft an der Elite-Uni Harvard. Und ist nicht nur dank ihres Bachelors in Women’s Studies unter Kollegen berüchtigt dafür, sich für Frauen im Musikbusiness stark zu machen.

Zwischen dem blutigen Protest der Spanierinnen in Madrid und dem blutigen Lauf von Kira in London liegen fünf Jahre. Fünf Jahre, in denen sich die Menstruation von ihrem Schattendasein in der Damentoilette in die Öffentlichkeit katapultiert hat. „Wir befinden uns in einer Periode menstrualer Anarchie“, befand die kanadische Tageszeitung Globe and Mail. Der britische Guardian sprach gar von einer „Menstruationsrevolution“.

Selbst „American Apparel“ springt auf diesen Zug auf: Das coole Mode-Label ­engagiert 2013 die feministische Designerin Petra Collins für den Entwurf eines
T-Shirts. Ihr Motiv: eine riesige, krausig behaarte Comic-Vagina, an der eine Hand rumfummelt und aus der (pinkes) Blut läuft. Das Motiv provozierte on- wie off­line hasserfüllte Reaktionen, meistens von erzürnten Männern: E-K-E-L-H-A-F-T!

Deutschland, Frühjahr 2015 Der Satz „Stellt euch vor, Männer wären von Vergewaltigungen genauso angeekelt wie von der Periode!“ saust durchs Netz. Als die 19-jährige Schülerin Elona Kastrati aus Karlsruhe das liest, hat sie eine Idee.

Elonas Eltern sind Kosovo-Albaner, 1994 sind sie in die Nähe von Karlsruhe gezogen. Ein Jahr später kam Elena auf die Welt. Bis heute reist sie regelmäßig in den Kosovo. Und sie kennt sich aus in ­Sachen Sexismus, hier wie dort. Also greift sie sich einen Stapel Binden. Auf eine schreibt sie den Spruch, den sie gerade gelesen hat. Auf die nächste Binde schreibt sie: „Vergewaltiger vergewaltigen Menschen, keine Outfits“. Und auf die nächste: „My pussy, my choice!“

Am 8. März, Weltfrauentag, geht Elona auf Tour in Karlsruhe. Sie klebt die Binden an Straßenlaternen, an Bushaltestellen, auf Mauern. Und von jeder öffentlichen Binde macht Elena ein Foto und veröffentlicht es auf ihrem Blog. Versehen mit dem Hashtag #PadsAgainst­Sexism: Binden gegen Sexismus.

Und siehe da: Medien berichteten weltweit über die Aktion der Schülerin aus Karlsruhe. Sie wird von den renommierten „TEDx-Talks“ als Rednerin nach Priština eingeladen. Auf der Bühne steht eine ernste junge Frau, die erklärt, wieso sie die Doppelmoral, mit der Frauen leben müssen, so wütend macht – im Kosovo, in Albanien, in Deutschland, auf der ganze Welt: Elona: „Ich habe ‚Mein Name ist nicht Süße!’ auf Binden geschrieben, die Frauen im Kosovo jeden Tag kaufen und dann in zwei Plastiktüten verbergen, damit bloß niemand sehen kann, was sie da gekauft haben. Manche Frauen schicken sogar ihre Kinder, weil sie sich so schämen.“ Und sie sagt: „Ich frage mich oft, wie sollen denn aus kleinen Jungen verantwortungsvolle Erwachsene werden, wenn sie nie erfahren haben, dass Frauen einmal im Monat menstruieren? Wenn Männer nicht einmal diesen so wesent­lichen Fakt über den Körper einer Frau kennen – was sollen sie denn dann überhaupt etwas über Frauen lernen?“

Als ein Video von Elenas Vortrag auf YouTube erscheint, sind die Reaktionen nicht nur positiv: „Raus hier, du deutsche Fotze!“, schreibt einer. „Du kennst dein Land und deine Leute nicht!“ Oder: „Was labert die da? Erstens ist sie komplett irrational und zweitens ist sie hässlich wie die Nacht!“

Indien, März 2015: Doch längst hat Elenas Binden-Protest Nachahmerinnen gefunden. Seit im Dezember 2012 eine 23-jährige indische Studentin nach einer Gruppenvergewaltigung in einem öffentlichen Bus zu Tode kam, reißen die Proteste gegen Gewalt gegen Frauen nicht mehr ab.

Die Binden gegen Sexismus kommen da gerade recht. In Neu-Delhi bekleben Studentinnen wenige Tage nach dem 8. März die Wände der „Nationalen Islamischen Universität“ damit. Wenig später: Protest-Binden auch an der Universität in Kalkutta.

Und es sind nicht nur Binden. Unter dem Hashtag #HappyToBleed (Ich blute gern!) protestierten Inderinnen auf Twitter wenige Monate später gegen das Verbot, einen Tempel zu betreten, während sie ihre Tage haben.

In Nepal fotografierten Mädchen Dinge, die sie während ihrer Periode nicht berühren dürfen: Spiegel, Nahrung, Wasser aus dem Brunnen. Nicht nur diesen Nepalesinnen, sondern über eine Milliarde Mädchen, fehlt der Zugang zu angemessenen Hygiene-Produkten für ihre Blutungen. Sie benutzen stattdessen Blätter oder Stofffetzen. Vor allem im Westen ­Nepals werden Frauen, die ihre Tage haben, bis heute in so genannte Menstruationshütten verbannt, weil sie als „unrein“ gelten (eine Tradition, die es auch in anderen Ländern gibt). Chhaupadi nennt sich diese Praxis. Die nepalesische Regierung hat sie eigentlich schon 2005 verboten.

Verbannt werden menstruierende Frauen übrigens auch in der so entwickelten westlichen Welt, weiß die kanadische Studentin Rupi Kaur. Sie hatte gerade ihr Projekt „Period“ über die verschiedenen Stadien der Menstruation abgeschlossen, als sie es mit der Foto-Plattform Insta­gram zu tun bekam. Auf einem der Fotos sehen wir Kaur, wie sie in einer grauen Jogging-Hose zusammengekauert auf dem Bett liegt. Erst beim zweiten Hinsehen entdecken wir den roten Fleck zwischen ihren Beinen. Instagram entfernte das Bild sofort. Ein Versehen? Rupi lud das Foto nochmal hoch – und wieder verschwand es prompt.

Das ließ die Studentin nicht auf sich sitzen. „Danke Instagram, für genau die Reaktion auf meine Arbeit, die ich kritisiere“, schrieb sie auf Facebook. „Eure Seiten sind gepflastert mit Fotos, auf denen Frauen erniedrigt werden. Aber so ein kleines Leck, das ist nicht okay?!“ Rupis Reaktion wurde tausendfach geteilt. Der Protest wurde so laut, dass das Unternehmen sich entschuldigte. Das Foto steht wieder online.

Großbritannien, November 2015: Erfolg hatten auch die Engländerinnen. Sie wehrten sich gegen eine kuriose Regelung, die so ähnlich übrigens auch für Deutschland gilt: Der Tampon unterliegt dem gleichen Mehrwertsteuersatz wie so manche Luxusgüter (in Großbritannien: fünf Prozent). Schluss damit!, forderten im vergangenen Jahr über 320000 BritInnen in einer Online-Petition. Sie protestierten auf Twitter unter #EndTamponTax. Und auch auf der Straße. „Heute stelle ich mich ohne Tampon und Binde vor das Parlament, um zu beweisen, wie luxuriös Tampons tatsächlich sind“, so formulierte es die 22-jährige Charlie Edge. Die sich, ganz wie die Frauen in Madrid, mit blutigen Hosen vor den Westminster-Palast stellte. Mit Erfolg. Ex-Premierminister David Cameron signalisierte, die Tampon-Steuer ­abzuschaffen. Er setzte auf einem EU-Gipfel durch, dass alle Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuersätze von Hygiene-Produkten auf Null setzen können. Premierministerin Theresa May wird gerade in diesem Punkt wohl nicht hinter ihren Vorgänger zurückfallen wollen. Denn auch Staatschefinnen sind Frauen.

Amerika, Juni 2016: Der Hashtag #Tweet­YourPeriod nimmt Fahrt auf. Frauen twittern über ihre Periode. Die Idee zu der Aktion stammt von der jungen Filmemacherin Risa Pappas aus New Jersey, die zum #RedSummer, zum roten Sommer aufruft: „Ich möchte in einer Welt leben, in der wir offen über unsere Regel sprechen können“, schreibt sie. Ein Jahr zuvor hatte Präsidentschaftskandidat Donald Trump ein für seinen Geschmack zu kritisches Fernseh-Interview mit der Fox-Nachrichtenchefin Megyn Kelly mit den Worten kommentiert: „Du konntest sehen, wie das Blut aus ihren Augen floss. Blut kam aus wo auch immer …!“ Na und? Die Scham ist vorbei, Mister Kandidat!                

Alexandra Eul

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