Lesben fordern mehr Sichtbarkeit!

Mädels vom PULS in Düsseldorf beim CSD. - © Hans-Jürgen Bauer
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Das sind doch mal neue Töne: "Wir bitten darum, alles daran zu setzen, dass der Demo-Charakter erkannt wird und Besucher und Presse nicht ausschließlich den Eindruck haben, dass wir ,nur' schrill und bunt sind", hatten die OrganisatorInnen der CSD-Parade Düsseldorf auf ihrer Homepage gebeten. Natürlich präsentierten dennoch einige Herren den PassantInnen ihre Waschbrettbäuche und nackten Hinterteile, aber unter den knapp 1.000 TeilnehmerInnen der Parade waren zum Beispiel auch die Mädels vom PULS, dem Düsseldorfer Jugendzentrum für Lesben und Schwule (Foto). Und auch die beiden Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters, der inzwischen abgewählte Dirk Elbers (CDU) und sein Herausforderer Thomas Geisel (SPD) kamen zum Gipfeltreffen zum CSD, um über Homosexuellen-Rechte zu diskutieren. Denn die, so die VeranstalterInnen, sind keinesfalls vollständig durchgesetzt - nicht in Deutschland und schon gar nicht im Rest der Welt. 

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"All united" lautete deshalb das Motto des Düsseldorfer Christopher-Street-Day, das zu einem Blick über den Tellerrand animieren sollte. "Wir wollen einerseits ein wenig feiern, dass wir in unserer Gegend frei zu uns selbst stehen dürfen, und andererseits mahnen, kämpfen und dafür einstehen, dass dies auch überall so sein darf", erklärten die CSD-OrganisatorInnen. Solange zum Beispiel "FIFA und IOC ihre Top-Veranstaltungen in Länder vergeben, wo es die Todesstrafe für Homosexuelle gibt, so lange müssen wir aufklären, diskutieren und kämpfen".

Wir wollen weiter für Homo-Rechte auf der ganzen Welt kämpfen

Auch in Berlin sollte der Christopher Street Day "politischer werden", wie Sprecher Robert Kastl erklärte. Allerdings tobte in der Hauptstadt ein veritabler Zoff. Denn die Veranstalter, der "Berliner CSD e.V.", hat den CSD auch umbenannt. Von 2014 an soll er "Stonewall Parade" heißen.

Im "Stonewall Inn", einer Homosexuellen-Kneipe in der New Yorker Christopher Street, hatten sich am 28. Juni 1969 die BesucherInnen gegen Razzien und Polizeiwillkür zur Wehr gesetzt. Schwule, Lesben und allen voran die besonders hart diskriminierten Transvestiten hatten sich im Stonewall Inn verbarrikadiert. Ihr Protest war vor 45 Jahren zum Auslöser für die Homosexuellenbewegung geworden.

Die Umbenennung des Berliner CSD löste in der Szene, die sich in die Entscheidung nicht einbezogen fühlte, jedoch offenbar so viel Unmut aus, dass es zur Spaltung kam. Vor zwei Wochen starteten deshalb in der Hauptstadt zwei Paraden: die "Stonewall Parade" am Kurfürstendamm und "Der andere CSD" an der Ugandischen Botschaft. Uganda hatte jüngst seine Gesetze gegen Homosexualität verschärft und verfolgt homosexuelle Frauen und Männer seitdem noch härter als zuvor. Auch die "Stonewall Parade" hat das Thema Homosexuellenverfolgung in den Mittelpunkt gestellt: "LGBTI-Rechte sind Menschenrechte" (zur Erklärung: LGBTI = Lesbian, Gay, Bisexual, Trans und Intersexual) lautet das Motto.

In Anbetracht der Tatsache, dass es offenbar keine inhaltlichen Differenzen zwischen beiden Paraden gibt, ist die Spaltung zumindest aus der Außenperspektive einigermaßen unverständlich. Offenbar geht es hier nicht um einen Konflikt zur  Ausrichtung "Party vs. Politik", sondern womöglich eher um Personalfragen.

Sehr gut verständlich hingegen ist, dass die Berliner Lesben von der Dominanz der schrillen Drag Queens und hypersexualisierten Lederschwulen die Nase voll hatten und nun schon zum zweiten Mal ihren eigenen "Dyke March" für "mehr lesbische Sichtbarkeit" starteten.

Auch die KölnerInnen haben das Problem der mangelnden Frauenpräsenz auf dem CSD und in den Medien erkannt, wenngleich man am Rhein gewohnt launig daherkommt. "Wir sind Kölsche Mädscher" ist eins von, klar, elf Plakatmotiven unter dem Motto "Wir sind ,nur' der Rosa Karneval - Köln demonstriert an diesem Sonntag, den 6. Juli, Vielfalt". Denn: "Egal, um welche Themen es geht: Regenbogen-Familie, Homo-Ehe, Coming-Out, CSD-Paraden, Lesben und Schwule in Politik oder Sport", argumentieren die Frauen, "die Medien kennen nur Schwule. Das Wort ,lesbisch' taucht selten auf. In Text und Bild dreht sich alles um den (schwulen) Mann. Wir grüßen die Medien: Her mit Butches und Femmes! Her mit den lesbischen Businessfrauen, Pionierinnen, Politikerinnen, Sportlerinnen, Müttern, Töchtern und Grandmamas! Wir sind überall!"

Conchita hatte den Hirnlappen dabei

Überall ist in diesen CSD-Wochen auch Conchita Wurst. Entweder in echt oder als Imitat. Schon jetzt wurden auf den Parade-Wagen und im Publikum zahlreiche Conchita-Lookalikes gesichtet. Auf dem Berliner CSD war die bärtige Siegerin des Eurovision Song Contest, die so klug mit den Geschlechterrollen spielt, Ehrengast der "Stonewall-Gala". Conchita alias Tom Neuwirth wurde dort mit dem "Soul of Stonewall Award" ausgezeichnet. Denn: "Ihre Performance ist ein positiver Schlachtruf für Respekt".

Einen eigens für sie/ihn kreierten Preis konnte Conchita bereits am 12. Juni beim Gay Pride in Zürich entgegennehmen: den "Unstoppable: The Conchita Wurst Award". Und wieder einmal bewies Conchitas Kreateur Tom Neuwirth, dass er mit seiner Mischung aus Intelligenz und Gelassenheit tatsächlich nicht zu stoppen ist. Gerade tobt in der Schweiz eine Auseinandersetzung um den SVP-Abgeordneten Toni Bortoluzzi, der in einem Interview erklärt hatte, Lesben und Schwule seien "fehlgeleitet", denn sie hätten "einen Hirnlappen, der verkehrt läuft". Homosexuelle demonstrierten gegen Bortoluzzi, die Schweizer Organisaiton "Pink Cross" drohte mit einer Klage. Auf den Spruch des Politikers angesprochen, erklärte Conchita Wurst nur trocken: "Den Hirnlappen habe ich dabei".

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Alice Schwarzer schreibt

Conchita & Alice bei Maischberger

© Chuck Yung
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Nein, eine Dragqueen ist er nicht. Eine Dragqueen ist ein Mann, der gerne Frauenkleider anzieht und darin in der Regel femininer aussieht als die Frau von heute. So viel Weiblichkeit wie die Möchtegernfrauen kann und will im Zeitalter der Emanzipation keine geborene Frau mehr liefern. Die versucht eher, Land zu gewinnen – und sei es auf Highheels.

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Tom ist beides bzw. er ist dazwischen

Aber was ist dann Thomas (Tom) Neuwirth, berühmt geworden als Conchita Wurst? Tom ist beides bzw. er ist dazwischen. Er ist Mann und Frau zugleich. Das erreicht er, indem er gleichzeitig die weibliche und die männliche Karte spielt: mit dem Bart im geschminkten Gesicht und seiner eher androgynen Attitüde. Und genau das ist das Verführerische, das Subversive an ihm. Darum schickte Elton John ihm Blumen und gratulierte Cher – selber Mutter einer Tochter, die den Schritt zum Mannsein operativ gegangen ist.

Tom aber benötigt weder Hormone noch Messer, um das Terrain des anderen Geschlechts zu besetzen. Der bekennende Homosexuelle spielt auf beiden Klaviaturen. Was nicht zufällig jetzt möglich ist: ein halbes Jahrhundert nach Aufbruch der Frauenbewegung, die die Geschlechterrollen infrage stellte; und ein viertel Jahrhundert nach Beginn der Queerbewegung, die dieselben gleich ganz abschaffen will.

Aber wer ist Tom? Gleich nach seinem Sieg beim Eurovision Song Contest erschien eine Flut von Artikeln, die dem Österreicher hinterherspürten und versuchten zu erforschen, „Wie er wurde, was sie ist“ (Stern).

Im Dorf wurde früh ­getuschelt

Tom wurde vor 25 Jahren in einem 3.200-Seelen-Bergdorf ­geboren. In Bad Mitterndorf leben bis heute seine offensichtlich zugewandten, liberalen Eltern. Helga und Sigi Neuwirth führen ein inzwischen berühmtes Gasthaus im Dorf, das jetzt auch schon mal Polizeischutz braucht vor dem Ansturm der Fans.

Tom hat früh gewusst, dass er anders ist. Wenn die Jungs zum Fußball gingen, stieg er auf den Dachboden und spielte Frau. Die Wände hatte der spätere Modeschüler und Dekorateur mit Modezeichnungen tapeziert und auf der Nähmaschine fabrizierte er seine Traumroben selber. Das erste Kleid soll ihm, so will es die rasche Legende, die Großmutter geschenkt haben, als er fünf Jahre alt war. Großmutter Maria freut sich, ganz wie die Eltern, von Herzen über Toms Erfolg: „Ich bin megastolz auf dich!“ erklärte sie bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt.

Doch Familie ist nicht alles. Umwelt und Peergroup wiegen genau so schwer, wenn nicht schwerer. Im Dorf wurde früh ­getuschelt über den eigenartigen Buben, den die Neuwirths da haben. Und in der Schule verkroch Tom sich in den Pausen immer öfter auf der Toilette, um den Hänseleien der Gleichaltrigen zu entgehen. Anderssein hat seinen Preis.

Aber Tom hat durchgehalten. Er konnte wohl gar nicht anders. Auf der Modeschule in Graz war er dann schon nicht mehr so ganz allein, und in Wiener Schwulenkreisen wurde der hübsche Junge rasch zum Szenestar. Im Heaven Club trat Tom auch schon mal als Donatella Versace auf: mit den gezurrten Wangen, den aufgeworfenen Lippen und der strohblonden Mähne echter als das Original.

Toms Inszenierungen verspotten keine Frauen

Toms Inszenierungen meiden den platten Versuch, einfach nur „sexy“ zu sein. Sie verspotten die Frauen auch nicht, sondern nehmen sie ernst. Sie sind einfühlsam und ironisch zugleich. Da ist immer ein Bruch, ein Geheimnis. Also immer Erotik.
Das muss natürlich einen wie den Sado-Rapper Sido, der platt auf Supermännlichkeit baut, einfach verunsichern. In Kopenhagen verwies das Jurymitglied Conchita auf Platz 13. Die gesamte deutsche Jury bevorzugte stattdessen den Pornoauftritt der drallbusigen Polinnen und setzte den harmlosen Song des Dänen marokkanischer Herkunft auf Platz 1. Gnadenloser konnte man nicht daneben liegen. Nur noch Italien war so reaktionär wie Deutschland. Das Showbiz ist hierzulande eben rückschrittlicher als das Publikum.

Das Publikum hat sich getraut. Es hat den kleinen Tom vom Dachboden auf die großen Bühnen der Welt gehoben. Sogar der Broadway ist schon im Gespräch. Und selbst Wiens Kardinal Schönborn, eher als konservativ bekannt, freute sich über Conchitas Sieg. Eigentlich keine Überraschung. Denn wenn man genau hinsieht, steckt auch ein Stück Jesus in der langhaarigen, bärtigen Conchita-­Inszenierung.

Dennoch: Tom wird weiterhin nicht nur geliebt. Er wird auch angepöbelt, und das nicht nur von russischen Politikern. Seine Reaktion darauf ist entwaffnend: „Man muss mich nicht lieben“, sagte er. „Aber man muss akzeptieren, dass ich da bin. Denn ich gehe nicht mehr weg.“

Wie schön. Klug ist er, sie, es also auch noch.
 

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