Übernahme der Macht

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Eine Ehefrau greift zur Macht im weltgrößten Medienkonzern – und verärgert die Globalplayer.

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Sie ist 61. Sie müsste Irritationen kennen. Diesen inneren Widerstreit zwischen Allmachtsgefühlen und Rückzugssehnsucht. Und erste Ahnungen von jenen besonderen Wunden des Alterns müsste sie haben – nie so viel gewusst und trotzdem schrittweise abserviert werden im Blick der andern. Tatsächlich aber outete sie sich als aufbruchbereit und eine der mächtigsten Frauen im deutschen Wirtschaftsleben: Seit dem 30. Juli ist Liz Mohn Vorsitzende der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft, die die Interessen der Familie vertritt. Was schlichtweg bedeutet, dass sie die Kontrolle über 75,1 Prozent Stimmrecht ausübt und damit die Kontrolle über künftige Weichenstellungen des Medienriesen mit seinen 82.000 Mitarbeitern, 20 Milliarden Euro Jahresumsatz und nahezu 600 Firmen weltweit, darunter RTL, Gruner + Jahr, der weltgrößte Buchverlag Random House, Buchclubs und die Bertelsmann Music Group.
Einige Männer hat das in Verwirrung gestürzt. Vor allem seit offenkundig ist, dass der jung-dynamische Globalplayer und Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff (49) auf ihr Betreiben hin von einem Tag zum anderen geschasst und durch den eher traditionellen Liz-Vertrauten Gunter Thielen (59) ersetzt wurde. Geradezu hysterisch malte FAZ-Autor Michael Hanfeld an die Wand, wie bei Bertelsmann nun "die Kleingärtner, die Bewahrer, Altgeschäftsliebhaber und die Frau des Konzernherrn" regieren werden. Ja, wirklich, den Schlag müssten die Mitarbeiter "erst einmal verdauen, dass sie nun von einer ehemaligen Sekretärin und zwei alten Herren angeführt werden". Und das alles nur, weil "den betagten Reinhard Mohn die Kräfte verließen und er sich dem Urteil von Liz fügte, der gelernten Sekretärin".
Männerängste, Männerüberheblichkeiten. Frauenkarrieren gelten ihnen als Anmaßung, während der Aufstieg eines Mannes von ganz unten als besondere Leistung bejubelt wird. Der ewige Blick auf Frauen durchs umgekehrte Fernglas, der Entwicklungen ausblendet – so als würde jemand etwa den Kanzler und Vizekanzler auf immer als "gelerntenPorzellanverkäufer" bzw. "ehemaligen Taxifahrer" festschreiben.
Tatsache ist, dass Liz Mohn schon seit Jahrzehnten als Managerin bei Bertelsmann die Fäden zieht: Sie leitet seit 1981 den Bereich "Medizin und Gesundheit" der Bertelsmann-Stiftung, übernahm 1987 auch den Schwerpunkt Kultur mit der internationalen Förderung des Opernnachwuchses, ist seit 1999 Mitglied der Verwaltungsgesellschaft und im Aufsichtsrat, rückte 2000 ins Präsidium der Bertelsmann-Stiftung auf, rief schon 1993 selbst die Deutsche Schlaganfall-Hilfe ins Leben und ist als einzige Frau in den "Club of Rome" berufen worden. Kurzum: Längst hat sich das Arbeitspensum des Ehepaares Mohn verkehrt – ist sie die Vollzeit-Managerin "mit einem Terminkalender wie ein Außenminister", und ist er, 81-jährig, der Steuermann im Hintergrund, der seiner Vertrauten Stück für Stück die Macht überträgt.
"Er war mein Lehrmeister. Ich habe viel von ihm gelernt", sagt Liz Mohn. Lernen vor Ort, realitätsnah, eingebettet in die Unternehmensregeln, die nahezu inbrünstig darauf bestehen, die Seele eines Familienbetriebes auch für den zum Riesen gewachsenen Konzern zu erhalten. Alte Ökonomie gegen neue Ökonomie, Gütersloh gegen Globalisierung. Damit dies weiter funktioniert, brauchte Reinhard Mohn jemanden, der sein ganzes Vertrauen besitzt. Und das ist in erster Linie - wie schon bei Axel Springer –  die Ehefrau, die – derselbe Reflex wie bei Friede Springer – von Außenstehenden erst einmal unterschätzt wird.
Denn natürlich war der Weg von Liz Mohn zunächst ein eher typischer Frauenweg. 1941 in Wiedenbrück geboren, Kriegskind mit der Sehnsucht nach Regeln der Ordnung und dem Hunger nach Erfahrung. Gipfel der Abenteuer: Fahrradtouren mit den Pfadfinderinnen. Lernt ihren Mann mit 18 kennen, als sie in einem seiner Buchclubs arbeitet. Chef und Sekretärin, er 20 Jahre älter; sie findet es hart, dem üblichen Büroklatsch ausgesetzt zu sein.
Es folgt die Ehe und die Zeit als Hausfrau. Drei Kinder, das Unternehmen wächst, sie brilliert als Gastgeberin: "Nie hätte ich damals im Traum daran gedacht, eine eigene Karriere zu verfolgen." Mit 40 jedoch, als auch ihr Jüngster zur Schule ging und das Haus leer schien, wurde ihr klar, "dass ich nicht viel mitbekam von der Arbeitswelt meines Mannes". Sie organisierte Treffen, Vorträge, Reisen. Erst für Ehefrauen der Bertelsmänner, dann auch für Pensionäre, später für Sekretärinnen.
Nur wenige begriffen, dass das Coming-out der Liz Mohn hier seinen Anfang nahm, und belächelten ihre Aktivitäten als Gattinnenzeitvertreib. Zum Beispiel, als sie durchsetzte, dass Frauen an allen internen Bertelsmann-Diskussionsforen teilnehmen konnten. "Da gab es tatsächlich Männer, die meinten, nun wären die Foren 'entwertet'..."
Bis vor kurzem noch wurde Liz Mohn vor allem als Charity-Lady wahrgenommen, die mit ihrer Schlaganfall-Hilfe an die Öffentlichkeit trat, einen Bambi und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse dafür bekam und ansonsten als chic und fit in Frauenzeitschriften hergezeigt wurde. Es gibt Zitate von ihr, die so glattgeschliffen klingen, dass die kantige Person dahinter kaum zu entdecken ist. Sie sagt Sätze wie: "Musik ist Nahrung für die Seele." – "Ich glaube an die Macht der Liebe." Oder: "Wir müssen unserer Jugend mehr geistige Orientierung geben." Meist aber folgt solchen Weisheiten ein zweiter Satz, etwa: "Kinder sind einzigartig. – Mütter auch."
Wer Liz Mohn heute in der Firma ist, das hat noch keinen Namen im Managementvokabular. Die Süddeutsche Zeitung charakterisiert sie als "heimliche Herrscherin in Gütersloh" und "Lordsiegelbewahrerin des Unternehmens". Die Welt nennt sie schlicht "die Bertelsfrau". Der Begriff könnte passen für die Unterwanderung einer Männerriege, doch verschleiert er die inzwischen zu Liz gehörende Macht. Solange es Männern unvorstellbar bleibt, dass eine Frau Vorstandsvorsitzende ist, also bestallte Konzernchefin, werden sie noch nicht einmal ahnen, welche Sprengkraft darin liegen könnte, wenn da plötzlich kein Patriarch, sondern eine Matriarchin das Sagen hat.
Eva Kohlrusch, EMMA 5/2002

 

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