Mode oder politisches Instrument?
Kein Härchen lugt unter dem schwarz-gold gemusterten Kopftuch hervor, am Hals ist kein Stückchen Haut zu sehen. Der steckt in einem weißen Stehkragen, verschlossen von zwei Perlen. Und auf 162 Seiten geht es so weiter: verhüllte Frauen.
Von der hippen Jeansträgerin, die zu ihrem gelben Kopftuch coole Sonnenbrille und Nasenpiercing trägt; über die Speerwerferin, die, bis auf Hände und Gesicht, kein bisschen nackte Haut zeigt und ihre Haare mit einem schwarzen Tuch verhüllt hat; bis hin zur Vollverschleierten, von der nur die Augen zu sehen sind: modest fashion.
Es handelt sich nicht um eine Publikation aus Katar oder dem Iran. Nein, dies ist ein Ausstellungskatalog aus einer der liberalsten Städte der Welt: San Francisco. Titel der Ausstellung: „Contemporary Muslim Fashions“. Im September 2018 startete die Ausstellung in den „Fine Arts Museums of San Francisco“, finanziert von einem „unbekannten Sponsor“. Jetzt kommt die Schleierausstellung nach Frankfurt a. M., wo sie ab 5. April im Museum für Angewandte Kunst gezeigt werden soll.
„Von Haute Couture über Streetwear bis zu Sportbekleidung: Der Markt für muslimische Mode wächst weltweit rasant“, heißt es in der Ankündigung. „Rund 80 Ensembles von etablierten und aufstrebenden Marken, ergänzt von Modefotografie und Laufstegvideos, zeigen die Raffinesse, mit der regionale Ästhetiken mit globalen Modetrends verwoben werden.“
Die Ausstellung wird finanziert von einem "unbekannten Sponsor"
Raffinesse? Regionale Ästhetiken? Wie raffiniert und ästhetisch mögen die Frauen in Ländern wie Iran, Afghanistan oder Saudi-Arabien wohl ihre Hijabs und Abayas finden? Ihnen drohen drakonische Strafen, wenn sie versuchen, sich gegen den Schleierzwang zur Wehr zu setzen. Wie mögen wohl die Indonesierinnen den neuen Trend finden, dass gerade in immer mehr Regionen die Scharia inklusive Kopftuchzwang eingeführt wird?
„Die Ausstellung hat ihren Hauptfokus auf dem modischen Aspekt des Phänomens und zeigt individuelle Interpretationen von ‚modest fashion‘ aus aller Welt“, erklärt auf Anfrage von EMMA Mahret Ifeoma Kupka, die Frankfurter Kuratorin.
„Modest Fashion“? Modest heißt übersetzt „bescheiden“, „anständig“, „sittsam“. Die Unterscheidung von Frauen in „anständige“, sprich: verhüllte, und „unanständige“, sprich: unverhüllte, ist ein Markenzeichen der konservativen bis fundamentalistischen Strömungen des Islam, die viel Leid in der Welt verursachen, nicht nur für Frauen.
Das aber ficht die AusstellungsmacherInnen offenbar nicht an. Die Ausstellung zeige „die Vielfalt der Entscheidungsfreiheit innerhalb eines als modest definierten Rahmens“. Schade nur, dass es für muslimische Mädchen und Frauen immer schwieriger wird, diesen als „modest definierten Rahmen“ zu verlassen – nichtzuletzt wegen affirmativer, pseudo-toleranter Ausstellungen wie dieser.
„Inzwischen ist die ‚Islamic Fashion‘ in der Modeindustrie angekommen. Die großen Labels kennen kein Halten mehr bei der Vermarktung von hippen Kopftüchern, hippen Ganzkörperbadeanzügen oder hippen Tschadors“, berichtete EMMA im Sommer 2016 und widmete dem Siegeszug der „Islamic Fashion“ eine ganze Titelgeschichte: H&M präsentiert seine Mode mit Kopftuch-Models, Donna Karan entwirft eine „Ramadan-Kollektion“, Dolce & Gabbana nennt seine Kollektion gleich „Abaya“. Nike hat einen Sport-Hijab herausgebracht und erklärt stolz, wie professionell er den Verhüllungsvorschriften angepasst ist („Die Rückseite des Hidschabs ist länger geschnitten, damit er nicht verrutschen kann.“). Ein verrutschter Hijab – Allah bewahre!
Der Umsatz der "Modest Fashion Industrie"? Zirka 44 Milliarden Euro
Dass Modefirmen den so genannten „islamischen Markt“ mit seinen Petro-Dollars bedienen, ist nicht weiter verwunderlich: Es geht schließlich um enorme Profite. Auf 44 Milliarden wird inzwischen der Jahresumsatz der „Modest Fashion Industrie“ geschätzt. Der Markt boomt. Warum? Weil ein reaktionäres Islam-Verständnis auf dem Vormarsch ist. Finanziert von Gottesstaaten wie Saudi-Arabien oder Katar (Stichwort: „unbekannter Sponsor“) verbreiten islamische Fundamentalisten ihre menschen- und frauenfeindliche Ideologie und gewinnen zusehends an Boden. Und die Propaganda für „Modest Fashion“ zieht mit. Modest goes Mainstream.
„Wir beobachten tagtäglich, dass auch in unserer neuen Heimat Deutschland die Verschleierung von Mädchen aller Altersstufen ein zunehmendes Phänomen geworden ist“, alarmiert das Internationale Frauennetzwerk „Iran Women Solidarity“. Auch die Exil-Iranerinnen haben deshalb den Appell „Den Kopf frei haben“ von Terre des Femmes für ein Verbot des Kinderkopftuchs unterzeichnet.
Mit der islamistischen Offensive wächst auch der Widerstand gegen die vorgebliche muslimische „Verhüllungspflicht“. In der Türkei tragen, laut einer aktuellen Studie, zwei von drei Frauen überhaupt kein Kopftuch – vor zehn Jahren war es noch jede zweite. Unter dem Hashtag #10YearsChallenge posten Türkinnen Selfies von sich mit (früher) und ohne (heute) Kopftuch. Diese Aktion ist eine der vielen Reaktionen aufgeklärter Musliminnen auf den „World Hijab Day“, den „Welttag für das Kopftuch“ am 1. Februar. Gegen den Propaganda-Tag, der „Musliminnen sichtbar machen soll, die sich freiwillig für das Kopftuch und ein Leben in Sittsamkeit entschieden haben“, riefen sie den „No Hijab Day“ ins Leben.
„Es ist sicherlich wahr, dass muslimische Frauen unter bestimmten Umständen wenig in der Lage sind, zu entscheiden, ob, wie, wann und wo sie Teile ihres Körpers bedecken wollen“, gesteht Reina Lewis ein. Was die Co-Kuratorin der Ausstellung und Kulturwissenschaftlerin am „London College of Fashion“ nicht daran hindert, „Kreativität und Einfallsreichtum“ der Modest Fashion zu feiern. Zum Beispiel die „zeitgenössischen Updates“ der „traditionellen Abaya, ein einfaches, lockeres, schwarzes Gewand, das den Körper von Kopf bis Fuß bedecken soll“, durch Modedesigner.
Es gibt keine Pflicht für Musliminnen, "sittsame Mode" zu tragen
„Ich möchte schreien angesichts der Naivität, mit der Diversity mit der Bedeckung der Frau gleichgesetzt wird“, sagt Lale Akgün, ehemalige migrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Mitgründerin des „Verbands liberaler Muslime“. „Es gibt keine sittsame Mode, die zu tragen für Musliminnen eine Pflicht ist. Das Kopftuch ist keine Vielfalt.“ Akgün ist nicht die einzige, die sich über die Frankfurter Ausstellung empört. „Die Veranstalter einer solchen Ausstellung verkaufen sich für viel Geld an die Textilindustrie und die Islamisten, die am liebsten alle Frauen dieser Welt verhüllen würden“, sagt Seyran Ateş, Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, und fragt: „Warum kämpft die Linke eigentlich nicht für die Rückkehr des Damensattels oder der Bademode der 30er-Jahre im Westen?“ Und der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, Autor des Buchs „Ihr müsst kein Kopftuch tragen“, erklärt: „Durch eine solche Ausstellung fallen die Macher sämtlichen Frauen in den Rücken, die in den muslimischen Ländern und im Westen gegen den Zwang zur Verschleierung kämpfen.“
Ort: Studierendenhaus, Mertonstr. 26-28, 60325 Frankfurt, Beginn: 19 Uhr, Weitere Information auf Facebook