§219a: Baerbock gegen Kompromiss

Grünen-Chefin Baerbock sieht keine grundsätzliche Abtreibungsdebatte. Foto: Metodi Popow/Imago
Artikel teilen

Warum sprechen Sie morgen in Berlin beim Aktionstag zur Abschaffung des §219a?
Die Entscheidung, ob eine Frau eine Schwangerschaft abbricht oder nicht, gehört sicherlich zu den schwersten im Leben. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir Frauen sie selbstbestimmt und gut informiert treffen können. Aber genau das wird durch den Paragrafen 219a verhindert. Er schreibt ein „Werbeverbot“ vor, was Ärzte im kommerziellen Sinn ohnehin nicht dürfen. Somit stellt dieser Sonderparagraf faktisch die medizinische und sachliche Information über einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. Ärztinnen geraten so in große Rechtsunsicherheit.
 
Und die schwangeren Frauen? 
Gerade im ländlichen Raum, wo es nicht an jeder Ecke Frauenärztinnen gibt, bräuchte es Onlineinformationen. Sonst wissen Frauen gar nicht, welche Ärztin oder welcher Arzt sie beraten kann. Das müssen wir ändern. Schwangere haben ein Recht auf Unterstützung und Information.
 
Welche Möglichkeiten sehen Sie als Grüne, die politischen Entscheidungen über das Recht auf Abtreibung zukünftig zu beeinflussen?
Wir bringen uns intensiv in die Debatte ein. Das gilt zum einen im Parlament, wo wir - auch aus der Oppositionsrolle heraus - versuchen, über Fraktionsgrenzen hinweg endlich eine Lösung zu finden. Zum anderen ist der Zusammenschluss mit der Zivilgesellschaft so wichtig wie lange nicht.
 
Wieso?
Auch bei uns droht von einigen Kräften aus ein “Rollback“. Frauenrechte sind ein Seismograph für den Stand um die liberale Demokratie, wie wir in Polen, den USA oder Russland sehen können. Daher sind wir in engem Kontakt und unterstützen die internationale Bewegung, gerade auch die polnische Frauenbewegung, die unter harten Bedingungen gegen eine Verschärfung der Abtreibungsregeln kämpft. Hier ist Solidarität über Grenzen hinweg gefragt. Und Erfolge wie in Irland machen Mut. Jetzt erst recht! Das ist die Devise.
 
Was ist ihr Ziel? Nur die Abschaffung des §219a – oder auch die Abschaffung des §218? Also endlich eine Fristenlösung auch für Frauen in Deutschland.
Beim Paragraf 219a geht es ja nicht um das Für oder Gegen Abtreibung. Es geht um Informationsfreiheit für Ärztinnen. Die Vorstellung, man verhindert Abbrüche, wenn Frauen sich möglichst schlecht informieren können, ist doch absurd. Daher gilt für mich: Frauen brauchen bei ungewollter Schwangerschaft Unterstützung und Hilfe, keine Bevormundung und keine Strafe. Und angesichts der erneuten Angriffe von rechts oder von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern gilt es gerade, sich dem konsequent entgegen zu stellen und alles dafür zu tun, dass es nicht noch zu einer Verschärfung kommt.
 
Wie schätzen Sie die Position der SPD bei der anstehenden Abtreibungsdebatte ein? Werden die Grünen den Schulterschluss oder die Konfrontation suchen?

Ich sehe im Moment keine grundsätzliche Abtreibungsdebatte. Es geht um die Frage, ob Ärztinnen und Ärzte über ihre Leistungen informieren dürfen. Wer das will, kann den Paragraf 219a getrost streichen. Es gibt eine parlamentarische Mehrheit dafür. Die Streichung steht und fällt mit der SPD, die das ja schon mal einstimmig beschlossen hat. Wir brauchen da keine symbolischen Kompromisse, sondern Klarheit. Und das heißt: Streichung des Paragrafen 219a.

Anzeige
Artikel teilen

§219a: Deutschlandweite Proteste

Auch auf dem Women's March Berlin gab's Protest für das Recht auf Abtreibung und gegen den §219a. - Christian Spicker/Imago
Artikel teilen

In rund 30 Städten sind für den kommenden Samstag Protestaktionen angekündigt. Das Motto dieses Aktionstages: Keine Kompromisse! Weg mit §219a! „Wir rechnen mit einigen tausend Menschen auf der Straße“, sagt Silke Stöckle, Sprecherin des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.

Anzeige

In Karlsruhe werden schon Kleiderbügel verteilt.

Das Bündnis ist aktiv, wenn es um den Kampf für das Recht auf Abtreibung in Deutschland geht. Seit 2012 organisiert der Zusammenschluss aus rund 40 Organisationen - von Terre des Femmes über die Grünen bis hin zum feministischen Arbeitskreis Frauengesundheit – jedes Jahr eine Gegendemo gegen den bundesweiten „Marsch für das Leben“, der von selbsternannten Lebensschützern initiiert ist. Bei den Solidaritäts-Aktionen für die wegen „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verurteilte Ärztin Kristina Hänel war das Bündnis ganz vorne dabei. Hänel will bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

Beim Aktionstag am 26. Januar sind viele dabei: von Beratungsstellen wie Pro Familia über feministische Frauengruppen bis hin zu empörten Individuen. Alle verfolgen das gleiche Ziel. Die Zahl der Initiativen, die sich für die Abschaffung von §219a einsetzen, steigt unaufhörlich. Vor allem seit Dezember.

Denn seit CDU und SPD nach monatelangen Verhandlungen statt der Abschaffung des Nazi-Paragrafen 219a, der abtreibende ÄrztInnen einschüchtert und bedroht, ein „Eckpunktepapier“ für ein halbherziges Reförmchen präsentiert hatten, ist es mit der Geduld vieler Frauen vorbei. „Dieser Kompromiss, der ja gar keiner war, hat für sehr viel Empörung gesorgt“, weiß Silke, die Sprecherin des Bündnisses.

Auch an der SPD-Basis regt sich Unmut. Zu den UnterstützerInnen der Kundgebung am 26. Januar um 12 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin zählt zum Beispiel die Berliner SPD: „Wir fordern ersatzlose Streichung von §219a!“ twitterte die Partei.

In Göttingen wird sich Nora Szász, eine der beiden angeklagten Ärztinnen aus Kassel, zu Wort melden. Der Prozess gegen sie sollte eigentlich am 28. Januar beginnen. Nun wurde er vorerst ausgesetzt, um eine mögliche Gesetzesänderung abzuwarten. Die verurteilte Ärztin Kristina Hänel wird am Samstag auf der Abschlusskundgebung in Gießen sprechen.

In Frankfurt ruft die Initiative Frankfurt für Frauenrechte zum „Flashmob vor der Paulskirche“ auf. Mit zugeklebtem Mund. Das X aus Klebeband ist ein feministisches Symbol für das fehlende Recht auf Informationsfreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen. „Vor Ort gibt es auch Schilder, Klebeband und Stifte zum Ausleihen“, versprechen die Organisatorinnen.

Kurz danach findet um 15 Uhr auf dem Frankfurter Opernplatz noch eine zweite Demo statt, die nicht nur die Streichung von 219a, sondern auch die von §218 fordert – wie so manche der Unterstützerinnen des bundesweiten Aktionstages. „Die Forderungen nach einer Streichung aller Anti-Abtreibungsparagrafen ist höchst aktuell“, erklärt das „Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt“.

In der Tat haben in Deutschland auch fast 50 Jahre nach den ersten Protesten – die 1971 die Frauenbewegung ausgelöst haben – Frauen noch immer nicht das Recht auf Abtreibung. Man gewährt ihnen höchstens die Gnade. In den meisten unserer Nachbarländer hingegen gilt längst die Fristenlösung.

In Münster ist es der Auftakt gegen die Lebensschützer.

Auch in Karlsruhe werden schon fleißig Transparente gemalt. Und Kleiderbügel verteilt. Eine Warnung: Für viele ungewollt schwangere Frauen war der Kleiderbügel früher oft die einzige Lösung - wenn sie den selbst durchgeführten Eingriff überlebt haben und nicht verblutet sind. Das Feministische Kollektiv Karlsruhe ruft zusammen mit der Linken, dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und dem Stadtteilladen Barrio137 am Samstag um 13 Uhr zu einer Protestkundgebung auf den Ludwigsplatz.

Im katholischen Münster gilt der Protest am Samstag um 12 Uhr auf dem Prinzipalmarkt als Mobilisierung für die Gegen-Demo gegen den „1000 Kreuze Marsch“ der Lebensschützer am 16. März.

Und das sind nur einige Beispiele. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat auf Facebook und auf seiner Webseite eine Liste erstellt, die laufend aktualisiert wird.

EMMA berichtet weiter.

Weiterlesen
 
Zur Startseite