Susan Brownmiller: "Against our will"

Susan Brownmiller
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New York, Anfang der 1970er Jahre. Eines Tages, so erzählt es Susan Brownmiller heute, sei eine Mitstreiterin in das Treffen der „New York Radical Women“ gestürmt und habe einen Zeitungsartikel auf den Tisch geknallt. Darin schilderte eine Frau, wie sie als Anhalterin von einem Autofahrer vergewaltigt worden war. Das war neu. Bis dato hatten Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren, verschämt geschwiegen.

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Es geht nicht um „Triebabfuhr“, sondern um Macht

Jetzt aber begannen sie in Brownmillers „Consciousness Raising“-Gruppe zu reden. Und tatsächlich erwachte nun bei Susan Brownmiller das Bewusstsein dafür, wie viele Frauen Opfer sexueller Gewalt werden – und welche katastrophalen Folgen das für sie hat. „Eine ehemalige Fotografin erzählte zum Beispiel, dass sie nach ihrer Vergewaltigung nie wieder einfach auf die Straße gehen und Bilder machen konnte.“ Zudem tobte seit einigen Jahren der Vietnam-Krieg und die Gräueltaten der amerikanischen Soldaten gegen die Zivilbevölkerung, auch und besonders gegen die weibliche, drangen langsam an die Öffentlichkeit. Brownmiller beschloss: „Jemand musste sich systematisch mit Ausmaß und Funktion von Vergewaltigung befassen!“     

Die damals 36-jährige Journalistin machte sich ans Werk. Nach vier Jahren Recherche in Archiven und Bibliotheken über das verborgene Verbrechen war es soweit: 1975 erschien „Against Our Will. Men, Women and Rape“. Brownmiller kam darin zu damals bahnbrechenden Erkenntnissen: 1. Vergewaltigung ist nicht Sexualität, sondern Gewalt. Es geht dabei nicht um „Triebabfuhr“, sondern um Macht. 2. Vergewaltiger sind keine Bestien, sondern ganz normale Männer. 3. Alle Männer profitieren von Vergewaltigungen, weil durch sie alle Frauen in einem Zustand permanenter Einschüchterung gehalten werden. Und Brownmiller deckte auf, dass Vergewaltigung in Kriegen systematisch als Waffe eingesetzt wird.

Vergewaltiger sind keine Bestien, sondern ganz normale Männer

Das Buch, das 1978 auch in Deutschland erschien, machte Furore und wurde zum Klassiker der Frauenbewegung. Die New York Public Library erklärte „Against Our Will“ zu einem der wichtigsten 100 Bücher des 20. Jahrhunderts. Während der Jugoslawien-Kriege meldete sich Brownmiller erneut mit Essays wie „Making Female Bodies the Battlefield“ zu Wort. Und trug dazu bei, dass Kriegsvergewaltigungen endlich mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein drangen. In historischen Urteilen erklärte der Internationale Strafgerichtshof Vergewaltigung zum Kriegsverbrechen, sprach erstmals Täter schuldig und verhängte hohe Gefängnisstrafen.

Heute eröffnet die feministische Pionierin mit einem öffentlichen Gespräch die (nicht öffentliche) internationale Konferenz „Against Our Will – Fourty Years After: Exploring the Field of Sexual Violence in Armed Conflict" in Hamburg. Vom 2. bis 4. Juli ziehen rund 100 WissenschaftlerInnen und NGO-ExpertInnen Bilanz zum Thema Kriegsvergewaltigungen. Veranstaltet wird die Tagung von der 2010 gegründeten internationalen ForscherInnen-Gruppe „Sexual Violence in Armed Conflict“ (SVAC).

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Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft (Fischer TB)

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Vergewaltigte Frauen schutzlos?

© Jens Schicke/imago
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Justizminister Heiko Maas (SPD) hat, das muss man ihm lassen, schnell reagiert. Zum Beispiel auf diesen unsäglichen Fall in Neuwied. Da hatte ein Lehrer zigfach Sex mit einer 14-jährigen Schülerin. Er wurde aber nicht wegen „Missbrauchs an Schutzbefohlenen“ verurteilt, weil er weder Fach- noch Klassenlehrer des Mädchens war. Daher habe, so das Gericht, kein direktes Vorgesetzten-Verhältnis bestanden. Prompt hat der Justizminister diese Gesetzeslücke in seinem Entwurf für ein neues Sexualstrafrecht geschlossen. Künftig soll der § 174, der den „Sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen“ unter Strafe stellt, jemandem gelten, der „unter Ausnutzung seiner Stellung“ sexuelle Handlungen an einer „noch nicht 18 Jahre alten Person“, vornimmt, die ihm „in einer dazu bestimmten Einrichtung zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebens­führung“ anvertraut ist. Entscheidend ist das Machtverhältnis zwischen Täter und Opfer.

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Auch als sich anlässlich des Falls Edathy eine weitere Gesetzeslücke offenbarte, hat Maas, selbst Vater zweier Söhne, sofort ­gehandelt. Bilder wie die von nackten pubertierenden Jungen, die Parteigenosse Edathy sich bei einer kanadischen Firma bestellt hatte, waren bis dato von keinem Gesetz erfasst. Auch das soll sich ändern. Auch die Darstellung eines Kindes in ­„unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ soll zukünftig unter den Begriff Kinderpornografie fallen. Die Strafe: Mindestens drei Monate Gefängnis. 

Entscheidend: Machtverhältnis zwischen Täter und Opfer

Insgesamt 21 Paragrafen will der Bundesjustizminister mit seiner Reform des Strafrechts angehen. Das wurde auch Zeit, denn seine liberale Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte die dringend angemahnte Reform jahrelang verschleppt. So ist zum Beispiel seit Jahren klar, dass das sogenannte Cyber-Grooming nicht länger in einem rechtsfreien Raum stattfinden darf: die sexuelle Belästigung von Kindern via Internet. Das neue Gesetz ergänzt die alten „Schriften“, mit denen ein Täter ein Kind zu sexuellen Handlungen bringen will, um die „Informations- und Kommunikationstechnologie“. Wer also zum Beispiel eine 14-Jährige auf Facebook auffordert, sich auszuziehen und zu berühren, macht sich künftig strafbar. 

Und auch der so genannte „revenge porn“, zu Deutsch: „Rache-Porno“ wird von der Strafrechtsreform erfasst. Bestraft wird in Zukunft, wer „unbefugt eine Bildaufnahme von einer unbekleideten Person herstellt oder überträgt“. Wer also zum Beispiel aus Frust über die Ex-Freundin Nacktbilder von ihr ins Netz stellt, ist künftig im Visier der Justiz.

Und auch ein weiteres Projekt, das sich der Minister auf die Fahnen geschrieben hat, harrt schon lange seiner Umsetzung: die Neuformulierung des „Mordpara­grafen“. Der § 211 des Strafgesetzbuches stammt aus der Nazizeit, formuliert hat ihn Roland Freisler, der juristische Chefideologe, auf dessen Konto zahllose Todesurteile gegen RegimegegnerInnen gehen, darunter das gegen Sophie und Hans Scholl. Richter Freisler wollte den „Mord“ von der „Tötung“ unterschieden wissen, indem er das Motiv des Mörders benannte: „niedrige Beweggründe“ und, unter anderem, „Heimtücke“. 

Vor allem die „Heimtücke“ richtete sich immer wieder gegen Täterinnen, die statt zum Beispiel acht Jahre Gefängnis für „Tötung“ lebenslänglich für „Mord“ bekamen, denn Frauen erschlagen oder erwürgen meist nicht offen oder im Affekt, weil sie dem Getöteten physisch oder mental unterlegen sind. 

„Wie sehr der Mordparagraf vor allem Frauen benachteiligt, zeigen die so genannten Haustyrannen-Fälle“, schrieb der Minister jüngst in einem Kommentar. „Eine Frau, die von ihrem Partner jahrelang ­gedemütigt und misshandelt wurde, sieht in ihrer Not keinen anderen Ausweg, als ihren Peiniger zu töten. Weil sie ihm körperlich unterlegen ist, tötet sie ihren Mann im Schlaf. Damit hat sie nach dem bisherigen Recht ‚heimtückisch‘ getötet. Heimtücke bedeutet Mord, und dafür sieht das Gesetz die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Wenn allerdings der Mann seine Frau erschlägt, dann verwirklicht er in der Regel kein Mordmerkmal. Nach dem ­Gesetz wiegt das Unrecht, das die Frau ­begangen hat, also viel schwerer als das des Mannes.“ Weil das nicht sein kann, berät nun eine ExpertInnengruppe, wie das ­Gesetz neu formuliert werden muss.

Wer aus Frust Nackbilder der Ex im Netz veröffentlicht, ist im Visier

Bei einem weiteren Gesetz jedoch sieht der Justizminister leider keinen Handlungsbedarf, und das, obwohl Frauenverbände seit Jahren auf die katastrophalen Urteile aufmerksam machen, die es produziert: der sogenannte Vergewaltigungsparagraf. Denn der hebelt das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein“ aus. 

Zwar hatten Frauen erkämpft, dass bei der letzten Reform des Gesetzes anno 1997 auch die „schutzlose Lage“ in das Gesetz aufgenommen wurde. Das war ­eigentlich ein enormer Fortschritt, denn der §177 berücksichtigte in Absatz 3 nun endlich die Tatsache, dass Vergewaltigungsopfer sich häufig nicht massiv und körperlich gegen den Vergewaltiger wehren, sondern aus Angst erstarren. Allerdings interpretieren Staatsanwaltschaften und Gerichte in Vergewaltigungs-Verfahren eine „Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“, seither äußerst restriktiv. Ein reales Beispiel aus einer Fallanalyse des „Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe“ (bff):

Der Freund der ­betroffenen Frau will mit ihr schlafen. „Die Frau gibt verbal eindeutig zu verstehen, dass sie dies nicht will. Daraufhin wird sie von ihm von der Couch hoch­gezogen und ins Schlafzimmer geschubst, worauf sie zu Boden fällt. Da ihr Freund zuvor bereits öfter aggressiv war, die schwangere Frau mehrfach geschubst und Gewalt gegen ihre Katze und Gegenstände ausübte und sie zusätzlich Angst um ihr ungeborenes Kind hat, wehrt sie sich nicht und zieht sich, nachdem sie von ihm aufgefordert wird, ‚freiwillig‘ aus, um anschließend sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen. Währenddessen wiederholt sie mehrfach verbal, dass sie keinen Sex will, Schmerzen hat und er aufhören soll. Um deutlich zu machen, dass sie den Geschlechtsverkehr nicht möchte, hat sie ihren Freund sowohl angefleht als auch angeschrieen.“

Das Verfahren wurde eingestellt. Begründung: Der Beschuldigte habe „weder Gewalt angewendet, um ihren (nicht geleisteten) Widerstand zu überwinden noch hat er ihr in irgendeiner Form gedroht.“ 

Hundert solche Fälle hat der Dachverband von 160 Beratungsstellen und Notrufen gesammelt. Jedesmal hat sich der Täter ohne jeden Zweifel über den klar artikulierten Willen des Opfers hinweg­gesetzt, jedesmal wurde das Verfahren eingestellt. Mit Begründungen wie diesen: „Zwar haben Sie Ihren entgegenstehenden Willen ihm gegenüber geäußert, jedoch ist die bloße Vornahme einer sexuellen Handlung gegen den Willen einer Person nicht unter Strafe gestellt.“ 

Das aber verstößt gegen die EU-Konvention „zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Diese so genannte Istanbul-Konvention, die 2011 vom Europarat verabschiedet wurde und am 1. August 2014 in Kraft getreten ist, verlangt, dass „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen“ unter Strafe gestellt werden. In Artikel 36 heißt es dort klipp und klar: „Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“ Dennoch findet der deutsche Justiz­minister: „Das geltende Recht genügt den Vorgaben der Istanbul-Konvention.“ Schließlich sorge ja gerade die „schutzlose Lage“ dafür, dass die Strafbarkeitslücke geschlossen sei, in der das Opfer aus Angst auf Widerstand verzichtet. 

Schluss mit der Straflosigkeit bei Vergewaltigung

Das sieht der Deutsche Juristinnenbund (DJB) anders. „Wenn wir in der Entwicklung der Rechtsprechung sehen, dass es immer wieder zu solchen Urteilen kommt, dann müssen wir das Gesetz ändern, das solche Urteile ermöglicht“, sagt Dagmar Freudenberg, Staatsanwältin und Vorsitzende der DJB-Strafrechtskommission. Wie ein solches Gesetz aussehen könnte und sollte, hat der Juristinnenbund jetzt in einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen: „Wer ohne Einverständnis einer anderen Person a) sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von der Person vornehmen lässt oder b) diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“ So einfach könnte das sein, wenn man sich vom „tradierten Denkmuster von weiblicher Verfügbarkeit und der Irrelevanz weiblicher Willensbekundungen“ verabschiedet.

Ob auch Justizminister Maas umdenkt, muss sich noch zeigen. Wenn nicht, wird er mit Widerstand rechnen müssen. Schon im Mai 2014 hatte ihm die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes 30.000 ­Unterschriften überreicht: „Schluss mit der Straflosigkeit bei Vergewaltigung!“ fordern die UnterzeichnerInnen. Eine von ihnen ist übrigens Frauenministerin Manuela Schwesig. Über den § 177 dürfte es im Kabinett also noch die eine oder andere lebhafte Diskussion geben.

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