Viviane Reding: Couragiert

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Wütend erlebt man Viviane Reding nur selten. Immerhin ist die 59-jährige Luxemburgerin eine erfahrene, gestandene Politikerin. Doch neulich im Brüsseler Presseraum verlor die immer adrett gekleidete Vizepräsidentin der EU-Kommission ihre diplomatische Contenance. „Genug ist genug“, rief sie in Richtung Paris und verglich die französische Abschiebung der Roma indirekt gar mit den Deportationen von ethnischen Minderheiten während des Zweiten Weltkrieges.

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Ein Eklat – für den sie sich später beim französischen Staatspräsidenten entschuldigen musste. Doch in der Sache blieb sie hart. Roma seien auch Bürger der Europäischen Union und dürften nun mal nicht einfach so von Frankreich in ihre Heimatländer nach Rumänien und Bulgarien abgeschoben werden. Die „Niederlassungsfreiheit“ gelte für alle. Unter ihrem Druck hat Frankreich dann eingelenkt und Besserung gelobt. Doch Reding drohte in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Monde, das Land würde „weiter unter Beobachtung stehen“.

Dieser Frau geht es nicht um persönliche Siege oder Niederlagen, sondern um Gerechtigkeit. Immer wieder stellt sie unter Beweis, dass niemand ihr Angst machen kann. Sie habe schon früh gelernt, nichts und niemanden zu fürchten.

Eine ganz andere Viviane Reding erlebt man privat. Auf einem Markt in der Provinz stöbert sie in Stoffballen, Gewürzen und Taschen, kauft Geschenke für ihre drei erwachsenen Söhne und ihre Mutter. „Ich bin ein Familienmensch und schöpfe daheim in Luxemburg Kraft für den stressigen Brüssler Polit-Rummel“, sagt sie.

Kochen und gutes Essen liebt sie, wie die meisten Luxemburger. Frische Pfifferlinge und Steinpilze, Käse und Rotwein – schnell hat sie das perfekte Picknick zusammengestellt. Häufig sieht man sie im Zug hausgemachte Spezialitäten essen. Zum Nachtisch gibt’s eine Praline aus dem Luxemburger Esch. Genieße jeden Augenblick, so ihr Lebensmotto. Viviane Reding ist von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt und ruht in sich selbst.

Vor elf Jahren wurde die ehemalige Journalistin EU-Kommissarin. Weggelobt aus der Luxemburger Innenpolitik hoffte sie schon damals auf den Vizepräsidentenjob, doch sie bekam einen ganzen Bauchladen kleiner Fachressorts: Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Es sei nicht immer einfach, sich als „Kleine Luxemburgerin“ Gehör zu verschaffen, sagt Reding.

Mit Fingerspitzengefühl und fundierten Sachkenntnissen spielt sie inzwischen auf dem internationalen Parkett eine Rolle. Schnell erwarb Reding sich einen Ruf als emsige Politikerin, die sich nicht zu schade ist, auch schwierige Probleme anzupacken, sich für die Rechte von Minderheiten einzusetzen. Europa sei ja kein bloßes Wirtschaftsgebilde, sagt sie, Europa, das seien 500 Millionen Bürger und Bürgerinnen, die dürften sich nicht diskriminiert fühlen.

In ihrer zweiten Amtszeit wurde das „Handy“ zum Symbol im Kampf gegen die Mächtigen der Wirtschaft. Als Kommissarin für Medien und Informationsgesellschaft zwingt sie die Telefonbetreiber in die Knie: Roaminggebühren für Telefonate und SMS aus dem Ausland müssen um über 60 Prozent gesenkt werden. Kritiker von einst, die ihr damals noch unerlaubtes Eingreifen in den Markt vorwarfen, sind heute des Lobes voll. „Die Kommissarin hat den Mut, den andere in Brüssel vermissen lassen und fängt damit so manches ab, was vom gesamten Kollegium der Kommission erwartet wird“, sagt der liberale Europa-Abgeordnete Jorgo Chatzimakakis heute.

Ihr größter Erfolg hat ihr nicht nur Achtung, sondern auch den Spitznamen „Brüssels Eiserne Lady“ eingebracht. Die unbequeme Luxemburgerin ist in ihrer dritten Amtzeit verantwortlich für Justiz- und Grundrechte – als Vizepräsidentin nun endlich. Als erstes forderte sie mehr Frauen in den Führungsetagen großer Unternehmen. Ihr schwebt für das Jahr 2015 ein Frauenanteil von 30 Prozent in den Aufsichträten vor. Sie ist entschlossen, gar über „gesetzliche Schritte“ nachzudenken, sollten sich bis Ende 2011 keine Fortschritte abzeichnen.

Argumente, dass Frauen das nicht könnten, fegt sie vom Tisch. „Auch ich hätte es niemals an die Spitze geschafft, wenn ich nicht immer wieder gesagt hätte: ‚Ich will und ich mache es‘.“
Niemals würde Viviane Reding zugeben, wie hart sie innerhalb des festen Brüsseler Gefüges oft für die Dinge kämpfen muss, die ihr wichtig sind. Arbeit und Leben im grenzenlosen Europa ohne Bürokratie, dafür müssten auch bi-nationale Ehen- und Scheidungen leichter werden.

Für ein grenzenloses und (geschlechter)gerechtes Europa arbeitet sie wie eine Besessene. 12- bis 14-Stundentage sind normal. Und was sie sich abverlangt, erwartet sie auch von ihren MitarbeiterInnen. Sie sei eine gute, doch fordernde Chefin, hört man hinter vorgehaltener Hand aus ihrem Kabinett. Wenn die Presse Viviane Reding kritisiert, dann nimmt sie das gelassen. Lieber berichtet sie mit glänzenden Augen von Fan-Emails, die sie bekommt. Gesendet von begeisterten Bürgerinnen und Bürgern, die schreiben: Ihr Europa ist das Europa, an das wir glauben.

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