Alice Schwarzer schreibt

Von der Leyen: Die Top-Kandidatin!

Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron bei der Pariser Luftfahrtschau. - Foto: MichaelBaucher/Panoramic/Imago Images
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Seien wir mal ganz ehrlich: Wer kannte denn schon wirklich Manfred Weber – bevor der Arme als „Spitzenkandidat“ abgemeiert wurde?! Niemand, außer seinen Nachbarn in Ingolstadt und seinen Bazis in der CSU. Seien wir noch ehrlicher: Wer hat denn bei den EU-Wahlen sein Kreuz bei der SPD gemacht wg. Spitzenkandidatin Katarina Barley?! Niemand, die Wenigen wohl vor allem mit dem Motiv, die SPD nicht so ganz ins Nirwana abrutschen zu lassen. Das nun plötzlich von manchen PolitikerInnen so hochgehaltene Spitzenkandidaten-Prinzip ist also für uns EuropäerInnen noch höchst gewöhnungsbedürftig.

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Nun ist also eine, die zwar keine Spitzenkandidatin war, dafür aber eine Topkandidatin ist, Europas Nr. 1: Ursula von der Leyen oder „Ürsüla“, wie unsere französischen Freunde zu sagen pflegen. Denen, genauer Präsident Macron, verdanken wir ja auch, dass diese herausragend qualifizierte Politikerin überhaupt ins Rennen als EU-Präsidentin geschickt worden ist. Über ihren Sieg ist der Jubel in fast ganz Europa groß; nicht nur bei den Franzosen, die diese Art von weltgewandter, tüchtiger, gebildeter und gutaussehender Frau zu schätzen wissen. Nur ein Land mault: Deutschland. Und zwar nicht nur die beleidigte SPD, der offensichtlich nicht mehr zu raten bzw. zu helfen ist, sondern auch viele Frauen, ja sogar Feministinnen. Was ist los?

Von der Leyen weckt höchst ambivalente Gefühle - gerade bei Frauen

Was ist falsch an der 60-jährigen von der Leyen, die als Familienministerin, unterstützt von der Kanzlerin, eine quasi feministische Politik gemacht und Pro-Quote gekämpft hat? (Und die für die EU-Spitze eine geschlechter-paritätische Besetzung angekündigt hat!). Was ist falsch an der Frau, die als Verteidigungsministerin zumindest versucht hat, dem in Teilen rechtslastigen und sexistischen Männerbund sowie der traditionellen Korruption durch die Waffenlobby den Kampf angesagt hatte (Was ihr viele Feinde eingebracht hat und einen verschärften Blick auf hohe Beraterverträge, von denen sie persönlich, das ist inzwischen gesichert, nichts wusste). Und was ist falsch daran, dass eine geborene Europäerin (in Brüssel zur Schule gegangen), eine Kosmopolitin (in Amerika Ärztin und Hausfrau gewesen) und erfahrene Familienfrau jetzt an der Spitze der Europäischen Union steht? An einer Frau, die schon seit Jahren vor der Klimakatastrophe warnt - und die sich als Ministerin auf Staatsbesuch in Saudi-Arabien offensiv nicht verschleiert hat?!

Von der Leyen sind in Deutschland von Anbeginn an höchst ambivalente Gefühle entgegengeschlagen, nicht nur von Männern, gerade auch von Frauen. Ich vermute, der Grund ist nicht, dass sie „die schwächste Ministerin im Kabinett“ war (zumindest nach Martin Schulz) – nein, im Gegenteil: Der Grund ist, dass sie zu stark ist. Seiteneinsteigerin, Blitzkarriere, Mutter von sieben Kindern - und trotzdem noch nie öffentlich ein Tränchen gedrückt.

Es ist unübersehbar: Deutschland hat ein besonderes Problem mit starken Frauen. Mit unverhüllt starken Frauen. Darum sind auch die aktuell niedrigen Sympathiewerte der Kanzlerin ausgerechnet nach dem Zitteranfall in die Höhe geschnellt, um 20 Prozent. Endlich schwach.

Doch während ein Teil der Männer gerade beginnt, Spaß an starken Frauen zu finden (die coolsten Kommentare zu vdL stehen zurzeit in der FAZ), klammert sich so manche Frau weiterhin an ihr gutes altes Frauenbild. Motto: Gemeinsam sind wir schwach.

Immer haben solche Frauen etwas zu nörgeln an Frauen, die vorausgehen. Statt sich einmal einfach von Herzen zu freuen! Sich zu freuen, dass manche es schaffen - und so Ermutigung und Vorbild für viele sind. Statt sich zu freuen, dass es nun auf der internationalen Bühne noch ein weibliches Vorbild aus Deutschland gibt! Auch Kanzlerin Merkel wird ja - unabhängig von punktueller Sachkritik - weltweit bewundert. Vor allem von Frauen. Sie gilt international als Rolemodel Number One.

Warum sich nicht einfach mal von Herzen freuen über das Vorbild?

Und über Christine Lagarde, die jetzt vom IWF-Chefsessel auf den Posten der quasi obersten Finanzministerin der EU wechselt, mault in Frankreich niemand. Im Gegenteil: Die Franzosen sind stolz, eine so tüchtige (und elegante!) Landsmännin auf diesem Posten zu haben. Es herrscht uneingeschränkter Respekt. Kritisiert werden von manchen höchstens konkrete Positionen ihrer Geldpolitik, wie es bei einem Mann auch der Fall wäre. Ist das Starke-Frauen-Bashing also eine deutsche Spezialität?

Selbstverständlich kann und wird in der Amtszeit von EU-Chefin von der Leyen dieses oder jenes Thema auftauchen, das EU-Bürgerin Schwarzer anders sieht als sie. So wie ich auch ihre Interventionsstrategie als Verteidigungsministerin höchst kritisch gesehen habe. Doch ich erwarte nicht, dass eine PolitikerIN so handelt, wie ich mir das wünschen würde, nur weil sie eine Frau ist. Die Kritik in der Sache ist eine andere Ebene.

Also selbst auf die Gefahr hin, dass meine eigenen Leserinnen mir einen Shitstorm liefern: Ich freue mich jetzt erst einmal uneingeschränkt darüber, dass eine so höchst qualifizierte Frau wie Ursula der Leyen auf dem Posten gelandet ist! Ich bin stolz auf sie!! Und ich gratuliere ihr von Herzen!!!

Alice Schwarzer

PS: Nachfolgend ein Auszug aus einem Gespräch, das ich Anfang 2006 mit ihr geführt habe. Da war sie gerade ein paar Wochen Familienministerin – und redet noch ungewöhnlich offen über sich und ihre Situation als Frau.

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"Ich passe in keine Schublade"

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Frau Ministerin, wie erklären Sie sich die Aggressionen, die Sie auslösen?
Vielleicht passe ich in keine Schublade, so wie ich lebe – und was ich tue. Einerseits erfülle ich mit meinen sieben Kindern das klassische Mutterbild in Deutschland – andererseits habe ich einen qualifizierten Beruf und mache eine politische Karriere. Das eine geht, das andere auch, aber bitte nicht beides gleichzeitig. Eine Mutter von vielen Kindern, die nicht zu Hause bleibt, wird oft noch als eine schlechte Mutter angesehen. Und eine Frau, die viele Kinder hat, kann keine gute Ministerin sein. Das ist leider noch typisch deutsch. An mir entzündet sich also die grundsätzliche Frage: Darf eine Frau mit vielen Kindern gleichzeitig erfolgreich im Beruf sein?

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Es wird doch neuerdings überall beteuert, die so genannte Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei so wünschenswert für Frauen.
Das ist die Theorie. In der Praxis sieht das anders aus. Unabhängig davon, ob ich mich als Ärztin qualifizieren wollte, ob ich mich um ein Landtagsmandat beworben habe oder als ich Sozialministerin in Niedersachsen wurde, war da immer die bohrende Frage: Geht das denn, Sie haben doch Kinder? Der Widerspruch wurde mir noch klarer, als ich Bundesministerin wurde.

Sie haben eben erwähnt, Sie fänden das sehr deutsch. Sie selber sind ja recht undeutsch aufgewachsen. Sie haben nicht nur mit Mann und Kindern in den 90ern in den USA gelebt, sondern sind in Brüssel geboren und dort auch zur Schule gegangen.
Ja, ich bin 1964 in die Europäische Schule in Brüssel eingeschult worden. Und ich war glücklich in dieser Ganztagsschule! Genau wie meine Geschwister. Erst als ich später in Deutschland selber Kinder hatte, wurde mir klar, wie weit wir in diesem Punkt zurück sind. Hier verlässt sich eine gesamte Gesellschaft auf die Mütter. Was übrigens auch die Bildungschancen für Kinder verringert. Kinder aus bildungsnahen Familien sind in dem System im Vorteil, die anderen fallen hintenüber.

Sie persönlich hatten also einen doppelten Vorteil: die Ganztagsschule und das bildungsnahe Elternhaus.
Meine Mutter war Journalistin beim Bonner Generalanzeiger. Das war für ihre Generation sehr ungewöhnlich. Als die Kinder geboren wurden, hörte sie auf zu arbeiten. Siebzehn Jahre später, mit dem Amt meines Vaters als Ministerpräsident ist sie dann wieder mehr raus gegangen, aktiver geworden. Sie hat Seiten an sich wieder entdeckt, die lange brach gelegen hatten. Das war auch für uns Kinder neu. Rückwirkend wird mir ihre Zerrissenheit und Ambivalenz klar.

Und Sie selber? Hatten Sie Absprachen getroffen mit Ihrem Mann, bevor das erste Kind kam?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind da mit großer Leidenschaft und Naivität gleichzeitig rangegangen. Wie das so ist bei einer jungen Liebe. Es begann mit dem inneren Wissen: Wir wünschen uns Kinder! Aber das war auch schon alles. Wir waren gerade mit dem Studium fertig und arbeiteten beide als kleine Assistenzärzte, er in der inneren Medizin und ich in der Gynäkologie und Geburtshilfe.

Hatten Sie denn wenigstens vorher überlegt: Wie mache ich das, wenn ein Kind da ist?
(Lacht) Nein. Das Leben hat uns einiges gelehrt, muss ich sagen. Wir haben beide ganz naiv angefangen. Ein Teil in mir wollte es so machen wie die Eltern, die Mutter – ein anderer Teil in mir wollte gerne Ärztin sein. Ich habe dann Phasen erlebt, gerade mit dem ersten Kind, die ich nie vergessen werde. Ich war plötzlich nicht mehr die vielversprechende junge Ärztin, sondern wissenschaftlich ausrangiert: Na gut, die arbeitet ein paar Jahre auf Station – und dann wird sie sowieso mit den Kindern zu Hause bleiben, sagten meine Kollegen.

Was Sie ja auch getan haben, alles in allem sieben Jahre lang.
Ja, ich habe alles gemacht, was Mütter so machen: ganz zu Hause bleiben, Teilzeit arbeiten, voll im Beruf sein. Aber immer alles mit schlechtem Gewissen. Wo ich auch war, ich hatte das Gefühl, etwas zu versäumen: zu Hause den Beruf – und im Beruf die Kinder. Diesen tiefen Konflikt und vor allem das schlechte Gewissen, das spüre ich bis heute. Ich hatte das Gefühl, in der Medizin eine Enttäuschung zu sein, nachdem man so lange in mich investiert hatte: Was hatten wir noch alles mit Ihnen vor, und jetzt sind Sie schwanger … Ich hatte aber auch das Gefühl, in der Familie zu versagen.

Und Ihr Mann?
Nach dem ersten Kind war ich zehn Monate zu Hause. Und dann ging es so nicht mehr. Die Decke fiel mir auf den Kopf. Wir haben also miteinander beraten. Er hatte zwar von vornherein mitgemacht bei dem Kind, aber unterschwellig war uns beiden klar: Er verfolgt weiter die Vollspurkarriere, also habilitiert sich etc., und ich fahre Schmalspur. Das ging so bis zum dritten Kind. Ich arbeitete inzwischen Halbzeit, teilte mit einer anderen Frau, die auch drei Kinder hatte, den Arbeitsplatz.

Und wie reagierte die Umwelt?
Schwierig. Familie und Freunde erwarteten, dass ich eine Vollzeitmutter bin. Und die Klinik gab mich als Wissenschaftlerin auf. Denn im Ärzteberuf erwartet man ein Engagement rund um die Uhr mit Leib und Seele – das aber ist mit Kindern nicht möglich. Beim dritten Kind hatte ich dann innerlich kapituliert. Ich wäre auf Dauer auf eine Halbtagsstelle in einer Arztpraxis gegangen, wenn …

… wenn Sie nicht nach Amerika gezogen wären.
Genau. Das war meine Rettung! An der Stanford University in Kalifornien, wohin mein Mann gerufen wurde, ringt man um junge kluge Köpfe in der ganzen Welt, auch um weibliche. Zum ersten Mal erlebte ich dort, dass Kinder kein Minus- sondern ein Pluspunkt sein können. Zum ersten Mal schlug mir nicht diese Wie-wollen-Sie-das-denn-schaffen-Grundhaltung entgegen, sondern mein Muttersein wurde positiv gesehen: drei Kinder? Toll! Sie müssen ja vielfältig belastbar und organisationsfähig sein. Zum ersten Mal schlug meine resignierte Wir-schaffen-das-alles-nicht-Haltung positiv um. Das hat uns Mut zu mehr Kindern gemacht.

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