Wir sind alle Zimmermädchen

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Sie waren in ganzen Busladungen nach Manhattan gekommen, um ihm ihre Wut entgegenzubrüllen: „Shame on you!“ Schämen Sie sich! riefen die „Zimmermädchen“ in ihren Schürzen und Kitteln, als Dominique Strauss-Kahn am 6. Juni im dunklen Anzug aus seinem schwarzen Van stieg und, fest eingehakt von seiner Frau, das Gerichtsgebäude betrat. „Wir wollen Gerechtigkeit!“ erklärt eine der Demonstrantinnen, die die Uniform des Plaza-Hotels trägt. „Übergriffe wie der, um den es hier geht, gehören für uns zum ­Alltag.“ Deshalb fordern die gewerkschaftlich organisierten Frauen Alarmanlagen in den Hotelzimmern – und eine gerechte Strafe für den Mann, der laut Anklage ihre Kollegin vergewaltigt haben soll.

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Die Demonstration der Hotel-Bediensteten an diesem Tag ist nicht die erste im Fall Strauss-Kahn. Schon am 18. Mai hatten die National Organization for Women (NOW) und weitere Frauenorganisationen zum Protest vor dem IWF-Hauptsitz in Washington aufgerufen. Vier Tage, nachdem der IWF-Präsident auf dem Sprung in den Flieger nach Frankreich verhaftet worden war, forderten die Feministinnen den Rücktritt des „Großen Verführers“. „Wir müssen Vergewaltigung als das benennen, was es ist: Kein scharfer Mann, der sich in der Hitze des Augenblicks vergisst, sondern ein gestörter Mann, der Frauen mit Gewalt unter seine Kontrolle bringen will!“ rief NOW-Chefin Terry O’Neill in ihr Mikrofon. Der Spruch auf den Plakaten der ­Demonstrantinnen: „Rape is Rape!“

Das sahen nicht alle US-Medien so – und sorgten so für die nächsten Frauenproteste. „Die Staatsanwälte sagen, dass Mr. Strauss-Kahn die Klägerin zum Oralsex ‚gezwungen‘ hätte. Wie? Hatte er eine Pistole? Hatte er ein Messer? Und wenn er so einschüchternd war, warum hat sie sich dann uneingeschüchtert genug gefühlt, sofort ihre Vorgesetzten zu alarmieren und ihre Geschichte zu erzählen?“ fragte der bekannte Publizist Ben Stein im American Spectator und fuhr fort: „Ich habe selbst schon völlig durchgeknallte Zimmermädchen erlebt, die mir Flugtickets und Medikamente ­gestohlen haben. Woher wissen wir, dass das Wort dieser Frau genug zählt, um Mr. Strauss-Kahn in ein Horror-Gefängnis zu schicken?“ Sekundiert wurde Stein von einem Kommentar seines französischen Kollegen Bernard-Henri Lévy, der im Daily Beast erschien. In seiner „Verteidigungsrede“ für seinen „charmanten, verführerischen Freund“ durfte Lévy über die Frage philosophieren, „warum ein Zimmermädchen allein in die Suite ging, obwohl es doch den Gepflogenheiten der meisten New Yorker Grand Hotels entspricht, eine ‚Reinigungsbrigade‘ von zwei Angestellten“ in die Zimmer zu schicken.

Diese und weitere Diffamationen der Klägerin riefen das „Women’s Media Centre“ auf den Plan. Das Medien-Netzwerk, zu dessen Gründungsmitgliedern Jane Fonda und Gloria Steinem gehören, stellte einen Appell auf seine Website: „Sehr geehrter Redakteur, diese Art der Bericht­erstattung und Kommentierung trägt nicht dazu bei, einen mutmaßlichen Vergewaltiger zur Verantwortung zu ziehen. Sie ­beschuldigt und beschämt lediglich das Opfer. Die Medien haben die Verantwortung dafür, fair über solche Vorfälle zu ­berichten, anstatt eine Kultur zu unterstützen, in der sexuelle Gewalt tägliche Realität ist.“

Und auch im Heimatland des „Mannes, der die Frauen liebt“ sind die Frauen nicht mehr länger bereit, die verharmlosenden Berichte und Solidaritätsbekundungen der Strauss-Kahn-Freunde hinzunehmen. Sprüche wie die des Ex-Kulturministers Jack Lang, der sich über die Verhaftung seines Parteifreundes wunderte („Es ist schließlich niemand gestorben“) oder die Feststellung des linken Publizisten Jean-François Kahn, es habe sich da wohl um eine „troussage de domestiques“ (frei übersetzt: Schürzenjägerei von Bediensteten) gehandelt.

„Wir sind wütend, wir sind revoltiert, wir sind empört!“ kontert ein Appell, den die Frauenorganisationen „Osez le Feminisme“ (Feminismus wagen), Paroles de Femmes (Frauen Reden) und La Barbe (Der Bart, sinngemäß: Es reicht!) eine Woche nach Strauss-Kahns Verhaftung veröffentlichten und der inzwischen von mehr als 30000 Menschen unterzeichnet wurde, darunter die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royale und die bekannte Ex-Richterin und potenzielle grüne Spitzenkandidatin Eva Joly. Sie alle protestieren gegen den „enthemmten Sexismus“, der sich in den Medien bahnbricht und der zu einer „inakzeptablen Vermengung von sexueller Freiheit und ­sexueller Gewalt beiträgt“.

Einen Tag nach Veröffentlichung des Appells demonstrierten rund 3000 wütende Frauen vor dem Pariser Centre Pompidou und hielten ihre Schilder in die Kameras: „Nous sommes toutes des femmes de chambre!“ (Wir sind alle Zimmermädchen!)

Der Proteststurm, der über Frankreich fegte, hat Folgen. Die Sache ist auf dem Tisch, das Schweigen gebrochen. Auch Journalistinnen und Politikerinnen – linke wie rechte – stellten sich an die Seite der protestierenden Frauen und bliesen zur ­Attacke auf eine Kultur, die sexuelle Übergriffe zur Normalität erklärt. Der Nouvel Observateur titelt mit „Das Frankreich der Machos“, Libération erklärt: „Es ist Zeit, Tabus zu brechen“ und meint damit das journalistische Schweige-Kartell, das Übergriffe von Herren der so genannten Elite bisher diskret verschwieg.

Die ersten „Verführer“ bekommen den Klimawandel schon zu spüren: So musste Staatssekretär Georges Tron zurücktreten, nachdem zwei Mitarbeiterinnen ihn wegen „sexueller Aggression“ angezeigt hatten. Vor dem Sturm, das ist allen klar, hätte er die Geschichte ausgesessen. Und noch etwas ist neu: Französische Hilfsorganisationen melden, dass sich neuerdings mehr Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, bei ihnen melden. Den protestierenden Französinnen ist es offenbar gelungen, die sexistische Stimmung zu kippen. – In Deutschland ist nach dem Kachelmann-Prozess das Gegenteil der Fall: Die Opfer sind entmutigt (siehe S. 22). Öffentliche Proteste oder Petitionen gab es hierzulande keine.

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