Alice Schwarzer schreibt

"Die Fremde" ist ein Augenöffner

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Umay, aufgewachsen in Berlin, lebt mit Ehemann Kemal und dem kleinen Sohn Cem in einem Vorort von Istanbul. Vor der Gewalt ihres Mannes und der Enge ihrer Existenz flieht sie mit ihrem Kind nach Berlin, klingelt bei den Eltern und zieht erst mal wieder ein. Zur Bedrückung der Eltern und der beiden Brüder, denn es ist klar: Das wird Ärger geben.

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Doch Umay lässt sich nicht einschüchtern. Sie widersteht den Verlockungen und Befehlen zurückzugehen, sucht sich eine Stelle, flieht aus der Familie in ein Frauenhaus, sucht sich eine Wohnung, findet Freunde und eine Freundin.

Doch der Familienclan will die „Schande“ nicht hinnehmen. Der Anfang der unheilvollen Befehlskette liegt beim Großvater in Anatolien, der Vater gibt den Befehl zögernd aber unausweichlich weiter – und es ist schließlich der geliebte kleine Bruder, der ihn exekutieren soll: Umay hat den Tod verdient. Doch wer wird sterben?

„Die Fremde“ ist der erste große Spielfilm von Feo Aladag, die für das so mutige Projekt volle Verantwortung übernommen hat: als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin. Sie hat alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen. Denn „Die Fremde“ liefert uns eine ungewöhnlich realistische, differenzierte Innenansicht in eine zerrissene deutschtürkische Familie: zwischen Tradition und Moderne, zwischen Väterrecht und Frauenemanzipation.

Der Film wird den Frauen gerecht, im Guten wie im Bösen – der revoltierenden Tochter wie der wegsehenden Mutter – aber auch den Männern: Diese Söhne beugen sich dem Gesetz ihrer Väter und Vorväter nicht in Komplizität, sondern in Verzweiflung. Dennoch werden sie gegen ihr eigenes Gefühl zu Tätern.

Die SchauspielerInnen sind großartig. Sibel Kekilli ist als Umay bedrückend überzeugend, und die in der Türkei berühmten Eltern (Settar Tanriögen und  Derya Alabora) verkörpern eindringlich die Zerrissenheit dieser Generation.

Übrigens: Feo Aladag ist keine Türkin, wie man meinen könnte, sondern geborene Wienerin und verheiratet mit dem Deutsch-Türken und Coproduzenten des Films, Züli Aladag, der u.a. den vieldiskutierten TV-Film „Wut“ gedreht hat. Zu Wut gibt auch „Die Fremde“ reichlich Anlass.

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