Alice Schwarzer schreibt

Borys B., Michel F. und Ewa

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Wenn im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit im Januar weiter verhandelt wird gegen den Zuhälter und mutmaßlichen Menschenhändler Borys B. und die drei Mitangeklagten, dann wird ein Stuhl im Saal leer sein. Sehr leer. Es fehlt Michel Friedman, Inhaber einer der 3.875 Telefonnummern von Kunden, die die Polizei bei Borys B. fand. Unter diesen Nummern wurden die "naturgeilen jungen Ukrainerinnen" angeboten und bestellt. Geliefert von Bewachern, die 75 Euro (für eine Standardnummer) kassierten, von denen die Frauen selbst maximal 25 Euro erhielten - wenn überhaupt. Zunächst hatten sie für den Transport nach Berlin 3.000 bis 5.000 Euro bei ihren Schleusern bzw. Kidnappern "abzuarbeiten".

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"Sie mussten jeden Kunden annehmen, und sei er noch so schmutzig und abstoßend", sagt die Staatsanwältin im Prozess. "Es gab keinen freien Tag". Nicht nur der Kunde - und potentielle Zeuge - Michel F. fehlt bei dem Prozess gegen Borys B.. Es fehlen alle Kunden. Denn in Deutschland ist zwar der Handel mit Frauen strafbar, nicht aber ihr Kauf. Dabei machen erst die Freier den Frauenhandel zum Geschäft, zum Milliardengeschäft. Neben dem Waffenhandel und Drogenhandel rangiert der Menschenhandel heute international ganz vornean bei der internationalen Mafia mit ihren großen und kleinen Gaunern. Borys B. ist ein kleiner.

Dass er überhaupt vor Gericht landete, ist einem Freier zu verdanken. Der hat bei der 20-jährigen "Ewa" nicht weggesehen. Er hat begriffen, dass das bestellte "Frischfleisch" keine Ware war, sondern ein Mensch. Ein Mensch in höchster Not. Heute unterstützt er "Ewa", die im wahren Leben Olesya heißt.

Es ist trotzdem nicht einfach für Olesya, in dem Berliner Prozess zu reden. Noch ist sie gefangen in dem Terrorsystem von Gewalt. Noch liegt sie Nacht für Nacht wach. Die Gruppenvergewaltigungen. Die Folter. Die Morddrohungen ("Wenn du brüllst, wirst du im Wald vergraben"). Die Erpressungen ("Wenn du Zicken machst, sprengen wir das Haus deiner Eltern in die Luft").

Olesya ist eine von etwa 100.000 Osteuropäerinnen, die zur Zeit in Westeuropa "arbeiten", die überwältigende Mehrheit unter Zwang. Und es werden bald mehr werden. Denn die Osterweiterung der Europäischen Union im Mai 2004 öffnet nicht nur dem freien Handel, sondern auch dem freien Menschenhandel Tür und Tor.

Sicher, einige der Frauen wussten, dass sie sich im Westen prostituieren würden. Viele aber wurden getäuscht, den Arbeitslosen wurden lukrative Jobs versprochen. Und so manche wurden regelrecht gekidnappt, mit Gewalt und Chloroform entführt. Nicht eine aber ahnte, was sie wirklich erwartete: die totale Rechtlosigkeit und Degradierung zu einem Stück Fleisch, das verkauft und gekauft wird.

Und all das will der Jurist und Journalist Michel Friedman nicht gewusst, ja noch nicht einmal geahnt haben? All das scheint dem in eigener Sache so beredt Empörten so negligeabel, dass er sich zwar, als es gar nicht mehr anders ging, öffentlich für den Kokainkonsum entschuldigte und 17.400 Euro Strafe zahlte - aber bis heute kein Wort von sich aus über seinen Kauf von Zwangsprostituierten verlor! Kein Wort des Erschreckens. Kein Wort der Reue. Kein Wort der Entschuldigung.

Sicher, Friedman ist nicht der einzige, der Frauenkauf und Freiertum noch immer für ein Kavaliersdelikt zu halten scheint. Aber er ist nun mal aufgeflogen. Und er ist nicht irgendwer. Friedman ist Jurist, eine öffentliche Person und war als Stellvertreter im "Zentralrat der Juden" eine moralische Instanz.

Vor allem aber: Er ist selber ein Mensch, der die bittere Erfahrung der Entmenschlichung aus allergrößter Nähe kennt. Seine Eltern sind Polen und so genannte "Schindler-Juden", die nur dank des Mutes des Ehepaars Schindler knapp vor der Deportation gerettet werden konnten.

Das Psychogramm des 1956 geborenen Michel Friedman, dessen Spirale von Selbstdarstellung, Selbstgerechtigkeit und Machtrausch sich immer schneller gedreht zu haben scheint (zusätzlich gepuscht von Drogen), wäre nochmal ein eigenes und sicherlich höchst aufschlussreiches Kapitel. Aber selbstverständlich kann er nicht mit einer strengeren Elle gemessen werden als all die anderen.

Dennoch schmerzt es besonders, dass ausgerechnet er, der zu einer Menschengruppe gehört, die die Mechanismen der Entmenschlichung aus eigenster und schmerzlichster Erfahrung kennt, nun seinerseits so selbstverständlich eine andere Menschengruppe entmenschlicht: die Frauen. Und es ist eine bittere Pointe, dass ausgerechnet dieser Sohn polnischer Eltern sich Osteuropäerinnen liefern ließ.

Nur wenige Wochen nach dem Eklat hat Michel Friedman im Herbst verhalten strahlend sein Comeback versucht. Es ist ihm nicht ganz, aber doch halb gelungen. In kürzester Zeit hat er schon wieder reichlich Pöstchen gesammelt: als Kolumnist von Max, als Radiokommentator, als Herausgeber von Büchern etc. etc. Nur sein Traum, endlich wieder im Fernsehen aufzutreten, ist ihm (noch?) nicht erfüllt worden. Dabei gäbe es für den gelernten Juristen Michel Friedman heute nur eine einzige wirklich sinnvolle und glaubwürdige Rolle: die als Anwalt - auf der Seite der Opfer des Menschenhandels. Dann wäre der leere Stuhl endlich besetzt. Und vielleicht zum ersten Mal im Leben von Michel Friedman wäre er sogar richtig besetzt.

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