Ein Bündnis für die Frauen
Im Herzen der politischen Macht stellt ein Frauenbündnis die Machtfrage. Es fordert: mehr Politikerinnen und mehr Frauenpolitik! Doch um das durchzusetzen, brauchen die Politikerinnen den Rückhalt der Wählerinnen. Die sind, trotz steigenden politischen Interesses, wahlmüde geworden in den letzten Jahren. Veständlicherweise. Kommen sie doch in der Bonner Politik kaum noch vor. Das soll andes werden. Hat sich das Bonner Frauenbündnis vorgenommen.
Bonner Presseclub, Freitag der 3. April, 11 Uhr. An der Stirnseite des Raums sitzen 15 Frauen, die so, in dieser Konstellation, noch nie an die Öffentlichkeit getreten sind. „Wir haben in den letzten Monaten gemeinsam darüber nachgedacht, wie Frauen verstärkt ihre Interessen in die Politik einbringen könnten“, erklären sie. „Wir sind 14 Parteipolitikerinnen und eine Parteiunabhängige. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß die Frauenpolitik in keinem politischen Lager einfach ist, sondern immer erkämpft werden muss.“
Fotoapparate klicken, TV-Kameras surren und am nächsten Tag erscheinen die Schlagzeilen: „Frauen bilden überparteiliches Bündnis“ (SZ), „Frauen sollen sich einmischen“ (Tagesspiegel), „Für mehr Frauen im Bundestag“ (Kölner Stadtanzeiger).
In der Tat hat es einen solchen Schulterschluss wie an diesem Vormittag im Herzen des Regierungsviertels noch nie gegeben in der Geschichte der Bundesrepublik. 14 Parteifrauen, von CSU bis Grüne, und eine parteiunabhängige Feministin tun sich zusammen, um der Stimme von Frauen auch im parteipolitischen Raum wieder mehr Gewicht zu verleihen. Für Gesetze zum Schutz von Frauen und Kindern vor Pornographie und Sexualgewalt! Für mehr Frauen in der Politik! Und für mehr Engagement der Wählerinnen. Angefangen hatte die neudeutsche Frauenbündelei im Herbst letzten Jahres. Wohl nicht zufällig war es Alice Schwarzer, die einzige Parteiunabhängige in der Runde, die den Anstoß gab. Sie rannte mit ihrer Idee eines Frauenbündnisses offene Türen ein. Bei allen Politikerinnen, von der christdemokratischen Rita Süssmuth und der christsozialen Michaela Geiger über die sozialdemokratische Inge Wettig-Danielmeier oder Christine Bergmann bis hin zur grünen Rita Griesshaber. Alle fanden: Die Zeit ist reif.
Die Spitzenfrauen der Bonner Parteien, die seit Jahren, ja manchmal Jahrzehnten um Gehör und eine angemessene Interessenvertretung von Frauen in der Männerpolitik ringen, sind es leid. Sicher, sie alle haben einiges erreicht, dank Quoten und Quoren sind sie mehr geworden in den Parlamenten und Gremien. Doch je bewußter und stärker sie werden, umso rascher stoßen sie an die Grenzen. Frauen wird nie etwas geschenkt, auch nicht und gerade nicht in Bonn. Was sie erreichen wollen, müssen sie erkämpfen.
Der erste Abend bei der bayerischen Staatsministerin Ursula Männle. Bei Schweinebraten und Semmelknödeln wird Tacheles geredet. Der nächste Abend in der Residenz der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Die Stimmung steigt, ja schlägt gegen Mitternacht hohe Wellen. Ein letztes Treffen im FrauenMediaTurm in Köln, allerletzte Anrufe und Faxe. Die 15 sind sich einig. Programm und Presseerklärung des ersten Bonner Frauenbündnisses stehen.
Diesmal geht es um mehr als „nur“ um eine Sachfrage – wofür die Parteifrauen schon öfter miteinander gekungelt hatten: so wie 1992 für die Reform des § 218, 1995 für die Heraufsetzung der Klagefrist mißbrauchter Kinder bis zum 28. Lebensjahr oder 1997 für die juristische Gleichstellung der Vergewaltigung in der Ehe. Diesmal geht es ums Ganze: um die Sache der Frauen! Um mehr Gewicht, mehr Teilhabe, mehr Rechte für alle.
Für das Bonner Frauenbündnis 1998 ist von Anfang an klar, daß der Kampf gegen Pornographie und Sexualgewalt im Mittelpunkt der Initiative stehen muss. Und es ist wohl kein Zufall, dass, ganz wie bei den vergangenen Initiativen, auch jetzt wieder die Sexualpolitik im Mittelpunkt steht. Denn davon ist jede Frau betroffen, egal wo sie im Leben und wo in der Politik steht. Das Bündnis stellt die Forderung nach einem neuen Gesetz gegen Pornographie in den Mittelpunkt der Initiative: „Wir sind alarmiert über den Anstieg der Pornographie und über die Sexualgewalt, die sich in erster Linie gegen Kinder und Frauen richtet“, erklärten die 15. „Wir fordern Aufklärung und Schutz vor diesem Angriff auf die Menschenwürde und neue Gesetze gegen Pornographie.“
Mit Verve und Kompetenz tragen die Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) und die Ex- Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf der Pressekonferenz die juristische und politische Unzulänglichkeit der bestehenden Gesetzeslage zu Pornographie und Frauenhandel vor. Bereits 1978 hatte Peschel-Gutzeit in den Kulissen die Klägerinnen im „Stern-Prozess“ beraten. Und 1988 erarbeitete sie zusammen mit Alice Schwarzer den Vorschlag für ein neues Pornographie-Gesetz, bei dem es nicht, wie im alten, um „Anstand und Sitte“ geht, sondern um die Menschenwürde.
Heute, zehn Jahre später, ist klar, dass die schlimmsten Befürchtungen nicht nur eingetroffen sind, sondern noch übertroffen wurden. Inzwischen hat die Pornographie die gesamten Medien erfasst – und von der Phantasie zur Tat ist es ein beweisbar kleiner Schritt. Gleichzeitig aber steigt die Sensibilisierung, ja, der Widerstand. Sexualmorde an Kindern und Frauen sind nicht länger Dreizeiler auf „Vermischtes“, sondern Nachrichten auf Seite 1. Das Frauenbündnis übernahm darum die Pornographie-Definition von 1988, erweiterte sie jedoch um die Betroffenheit der Kinder.
Das Bonner Frauenbündnis geht noch weiter. „Pornographie ist auch sexualisierter Frauenhass“, heißt es in der Presseerklärung. „Darum muß Frauenhass – ganz wie der Fremdenhass – geächtet und bekämpft werden.“ Konkret heißt das:
„Medien müssen zur Verantwortung gezogen, gegebenenfalls bis hin zur Indizierung bzw. Einschränkung von Ausstrahlungen. Hier müssen europaweite Regelungen „angestrebt werden.“ „Der Gesetzgeber muss – parallel dem Motiv Fremdenhass – das Motiv ‘Frauenhass’ einführen. Die Aufstachelung zum Frauenhass muss strafrechtlich geahndet werden.“
„Die Opfer von Frauen/Kinder-Hass sowie die Täter müssen in polizeilichen und juristischen Statistiken gesondert ausgewiesen werden, differenziert nach Geschlechtern. Und dies möglichst unter besonderer Berücksichtigung eines direkten Zusammenhangs mit der Produktion bzw. dem Konsum von Pornographie.“
Frauen, die zu Untermenschen degradiert werden, sind auch im Beruf weniger wert. Zwischen sexueller Demütigung und ökonomischer Benachteiligung gibt es einen Zusammenhang. Dass gerade die Frauen in dieser „Zeit der sozialen und ökonomischen Umbrüche nicht wieder zu den Veliererinnen“ werden, hoffen alle und betonen nicht zufällig die Ostpolitikerinnen wie die Brandenburger Ministerin Regine Hildebrandt und ihre Berliner Kollegin Christine Bergmann ganz besonders. Das Frauenbündnis will dazu beitragen, dass jede Frau eines Tages „die Chance hat, an der Erwerbsarbeit teilzuhaben und ihre Existenz selbständig zu sichern“. Sätze, die den von „Familienphase“ und „freier Wahl“ schwadronierenden Parteifreunden der konservativen Politikerinnen wehtun müssen. Und dennoch haben auch die konservativen Frauen im Bündnis zugestimmt.
Zum ersten Mal nahmen die Spitzenpolitikerinnen aller Parteien auch zu der Gefahr des religiösen Fundamentalismus Stellung. Sie erklärten: „Auch die Bedrohung der existentiellen Menschenrechte, und in erster Linie der von Frauen, durch einen religiösen Fundamentalismus, der die Demokratie abschaffen und den Gottesstaat einführen möchte, beunruhigt gerade uns Frauen tief.“
Doch das alles werden Frauen nur erreichen können, wenn sie in der politischen Auseinandersetzung die Machtfrage stellen: als Politikerinnen wie als Wählerinnen. Genau darum ist die dritte Forderung, die das Bonner Frauenbündnis stellt, so wichtig: Die Rücknahme einer Veränderung des Wahlgesetzes, die seit 1994 verhindert, daß das Wahlverhalten der Geschlechter analysiert werden kann. Denn:
„Seit Anfang der 70er Jahre ist der Gender gap, die Geschlechterkluft beim Wahlverhalten, immer größer geworden. So wählten zum Beispiel bei der Europawahl 1994 sechs Prozent der Männer die Republikaner – aber nur zwei Prozent der Frauen. Umso wichtiger, dass eine Entscheidung rückgängig gemacht wird, die seit 1994 verhindert, dass das Wahlverhalten von Frauen und Männern getrennt benannt und analysiert werden kann. Vorgeblicher Grund: der Datenschutz. Wir fordern, daß diese Entscheidung noch vor den Wahlen am 27.9.1998 rückgängig gemacht wird!
Am 27. September sind rund 60.500.000 Deutsche wahlberechtigt, mehr als die Hälfte davon, 52,5 Prozent, sind Frauen. Das Bonner Bündnis hofft, daß Frauen ihre Stimme einbringen – und vor allem PolitikerInnen und Parteien wählen, die auch ihre Interessen vertreten.
Doch nur mit einer Lobby der Frauen im Rücken können sich die Politikerinnen in den männerbeherrschten Parteien durchsetzen. „Als politisch engagierte Frauen wollen wir nicht nur in diesem Wahlkampf dazu beitragen, dass Frauenpolitik in Deutschland verstärkt eine Stimme hat. Auch von den Politikerinnen und Politikern, die ihre Wahl auch den Frauen zu verdanken haben, erwarten wir, dass sie die Frauen nicht vergessen. Wir fordern von den Parteien, dass sie für die Rechte von Frauen eintreten!“
Als erstes steht an: Ein Straf- und Zivilgesetz gegen Pornographie, das benennt, worum es bei diesem Verbrechen wirklich geht – um einen Verstoß gegen die Menschenwürde.Sowie ein Wahlgesetz, das das Wahlverhalten der Geschlechter nicht länger verschleiert.
Die Initiatorinnen des Frauenbündnisses: Dr. Christine Bergmann, Senatorin für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen in Berlin, SPD; Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, MdB, CDU; Andrea Fischer, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Sozialpolitische Sprecherin; Michaela Geiger, Vizepräsidentin des Dt. Bundestages, MdB, CSU; Rita Griesshaber, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Frauenpolitische Sprecherin; Dr. Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in Brandenburg, SPD; Irmgard Karwatzki, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, CDU; Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, FDP; Prof. Ursula Männle, Bayerische Staatsministerin für Bundesangelegenheiten, CSU; Dr. Lore Maria Peschel- Gutzeit, Justizsenatorin in Hamburg, SPD; Ulla Schmidt, Vorsitzende der ‘Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann’, MdB, SPD; Alice Schwarzer, EMMA-Herausgeberin; Bärbel Sothmann, Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/-CSU-Bundestagsfraktion, MdB, CDU; Prof. Rita Süssmuth, Präsidentin des Dt. Bundestags, CDU; Inge Wettig-Danielmeier, Schatzmeisterin der SPD.
EMMA, 3/1998