Der Vater? Eine Leerstelle.

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Eine Frau, die geduldig vier Kinder, drei davon Kleinkinder, anzieht. Bei vier Paar Skischuhen, acht Armen, acht Handschuhen, Helmen, Brillen fällt es schwer, nicht einzugreifen. Der untersetzte Mann, der fertig angezogen daneben wartet und gutgelaunt in sein Handy tippt, ist der Vater und nicht zuständig.

Würde ich die Familie nicht aus dem Frühstücksraum der Pension kennen, ich würde ihn als Fremden, Unbeteiligten einordnen. Wir sind in Mitteleuropa, in Schladming, 2016. Nicht in Afghanistan. Und die Frau sieht, zugegeben, gar nicht geknechtet aus. Das ginge mich gar nichts an, würde hier nicht – schon seit dem Frühstück – ein kleines Lehrstück darüber aufgeführt, was in ­diesem Land schief läuft.

Ich verzweifle an diesem Mann im Skistall, der in so einer Situation einfach nicht zuständig sein darf. Und ich ärgere mich über die Frau, die ihn so gottergeben und selbstgewiss aus der Pflicht nimmt. Ich will sie an den Schultern beuteln und sagen: Willst du den Erzeuger nicht ein bisschen einspannen? Stell dir vor, du kriegst Brustkrebs und dein Mann kann das alles nicht – willst du es ihm nicht beibringen? Wollt ihr nicht versuchen, ein besseres Vorbild für eure vier Kinder zu sein? Und zum Mann will ich sagen: Hilf deiner Frau gefälligst, du Arsch. Geht’s noch egoistischer?

Bei Egoismus kenne ich mich aus. Letztes Jahr hatte ich meinen egoistischen Höhenflug. Nicht nur das Herumjetten zu den Lesungen, 19 Tage war ich noch dazu in Italien, durchgehend, ein Stipendium einlösen, das ich wegen der Kinder schon oft aufgeschoben habe. Anfangs hielt ich es geheim, weil ich mich für ­meine lange Abwesenheit pflichtgetreu schämte. Aber der Egoismus war stärker als die Scham. Als ich meiner Umgebung mein Stipendium beichtete, löste es im bürgerlichen Speckgürtelmilieu einen kollektiven Ohnmachtsanfall aus. Die armen Kinder! Der Mann, sein Beruf! Muss denn das sein? Ohne Schreiben kein Buch, und ohne Buch kein Geld, erklärte ich. Aber wenn der Mann eh gut verdient?

Ich flog, mein Mann übernahm. Er wurde dafür bemitleidet und bewundert, beides uferlos. Er machte alles, was ich so mache, wenn ich nicht abwesend bin: ­arbeiten, einkaufen, Essen machen, Hausaufgaben, den Haushalt vernachlässigen. Während er Tag für Tag zwischen Beruf und Familie grätschte, saß ich in Italien und hatte ein schlechtes Gewissen, aber ich schrieb in den 19 Tagen mehr als im halben Jahr zuvor. Als ich zurückkam, hörte ich, dass ich viel verlange. Von unseren Kindern. Von dem Mann, der wirklich brav sei.

2016, Mitteleuropa. 19 Tage mütterliche Abwesenheit sind eine Art Naturkatastrophe. Die vielen Absenzen meines Mannes, der jahrelang nur am Wochenende da war, als das erste Kind noch klein war, können da nicht mithalten. Väterliche Abwesenheit und mütterliche Präsenz ist Norm, und Norm wird nicht hinterfragt.

Mir wird gerne vorgeworfen, meine Protagonistinnen seien nicht zeitgemäß. Die seien doch in den finsteren vorfeministischen Tiefen der 50er Jahre angesiedelt! Das Milieu sei längst ausgestorben, gähnten vor allem die Feministinnen, die mich als misogyn bezeichneten und lieber einen Roman über moderne Superheldinnen mit rezenten Problemen gelesen hätten. Und überhaupt: #regrettingmotherhood Schublade auf, Klemm rein, Schublade zu.

Aus meiner Schublade heraus muss ich heftig widersprechen.

Es ist schwierig, unbezahlte Arbeit zu beziffern, wenn sie in Liebe gemessen wird. Mutterliebe ist so österreichisch oder deutsch wie das Schnitzel. Dass das Private politisch ist, wissen wir seit ­Simone de Beauvoir, aber wie wir das ­Politische ins Privatleben hineinkriegen, bleibt ein Rätsel. Besonders schwierig wird es, wenn Frauen freiwillig weniger oder nicht berufstätig sind. Wenn sie aus Liebe zurückstecken. Wenn sie gerne dem Mann den Rücken frei halten. Wenn sie instinktiv die Alleinherrschaft über den Kinderkosmos inklusive aller Handschuhe und Windeln an sich reißen. Die unbezifferbare, weibliche Kinder- und Haushaltspflege, die oft weit von Brust und Nabelschnur entfernt ist. Ihre Bezifferung nimmt uns der Pensionsrechner ab, ihm entgeht keine Sekunde, die nicht in Erwerbsarbeit gesteckt wurde. Bezahlt wird mit mieser Altersvorsorge, vertanen Chancen auf beruflichen Erfolg und schlechtem Verdienst.

In Österreich heißt das: Trotz besserer Bildung der Frauen 18 % Gender Pay Gap bei Vollzeitbeschäftigten, 39 % weniger Bruttoeinkommen für Frauen, halb so hohe Frauenpensionen wie Männerpensionen, fast dreimal so viel Hausarbeit (27 zu 11 Stunden pro Woche). In Deutschland heißt das: 21 % Gender Pay Gap, 46 % der Frauen sind teilzeitbeschäftigt und verdienen nur die Hälfte des Bruttoeinkommens. Plus in beiden Ländern Armutsgefährdung bei alten und alleinerziehenden Frauen, frauenfreie Vorstandsetagen, sinkende Frauenanteile in den Parlamenten. Zum Trost gibt’s die allerbesten Chancen auf eine Beförderung in den unbezahlten, töchterlichen oder schwiegertöchterlichen Pflegedienst (73 % der privat pflegenden Angehörigen in Österreich sind weiblich, in Deutschland sogar 90 %). Wobei natürlich immer zu hoffen ist, dass einen der Mann, dem man den Rücken freigehalten hat, bis zum Tod durchfüttert.

Wenn wir schon bei den Zahlen sind: Die, die bei Befragungen angegeben werden (und auf die ist man ja angewiesen), stimmen nicht. Laut einer Studie von Sarah Speck belügen wir uns selbst und einander, was die Aufteilung der unbezahlten Tätigkeiten betrifft. Und je gebildeter, desto raffinierter und wortgewandter lügen wir. Auch wenn die Frauen das Haupteinkommen verdienen. Keine Ausrede ist zu blöd, wenn es darum geht, die immer noch aufrechten Machtverhältnisse schönzureden. Da werden unterschiedliche Sauberkeitsstandards zitiert, da halten „Kochen für Gäste“ und Wäsche-eines-Mehrpersonenhaushalts-Schupfen die Waage, da wird das wöchentliche Müll-Runtertragen als adäquate Gegenleistung für Einkaufen und Kochen gefeiert.

Da wird nach den Gesetzen der Homöopathie um Ursache und Wirkung geschachert, was im Alltag so aussieht: Gutausgebildete Frauen, die freiwillig zurückstecken, und zwar ein Leben lang. Die es nicht als Zurückstecken sehen, sondern als Mutterpflicht, als Liebesdienst. Frauen, die aus dem Beruf in den Kindergarten (so er Nachmittagsbetreuung hat!) hetzen, danach in den Supermarkt, und dabei immer schön die Kinder domptieren. Podiumsdiskussionen mit Expertinnen, die sich abmühen, die Unvereinbarkeit von weiblichem Beruf und Familie aufzudröseln. Omis, die es bei solchen Veranstaltungen immer gibt, die immer aufzeigen und entrüstet bestätigen, dass sie gerne und gut und voll der Mutterliebe gedient haben und nichts, aber auch wirklich nichts, bereuen.

Das könnte jetzt noch ewig so weitergehen, aber ich will es abkürzen. Der einzige Vater, der in diesem Text bis jetzt vorgekommen ist (meinen wirklich braven Mann ausgenommen), ist übrigens der Arsch, der Social Media Kontakte pflegt, während die Frau den Oktopus anzieht. Das Geldverdienen entbindet den Vater, der noch Ressourcen hat, von allem Unbezahlten; auch im Diskurs. Es gibt keine Vereinbarkeitsdebatte über Vaterschaft und Beruf, weil für Beides locker Platz ist, wenn einem der Rücken freigehalten wird.

Väter werden heute mehr in die Pflicht genommen, keine Frage. Aber in dem Artikel über das Burnout einer vollzeitbeschäftigten Mutter, die um 5 Uhr aufstehen muss und alles reinquetscht, was noch vor dem Arbeitsbeginn so anfällt – und der Rest wird dann reingequetscht, wenn die Kinder im Bett sind – kommt der Papi, der vielleicht auch ein bisschen früher aufstehen und Mami helfen könnte, quasi nicht vor. Auch nicht im Interview mit der Musikerin, die ihr Bedürfnis zu musizieren unterstreicht, gleichzeitig die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf beklagt und zum Schluss die gute alte Mutterliebe auspackt und mit ihr all ihre Visionen vom Tisch fegt: Sie mache diese Abstriche gerne, denn die Zeit mit den Kindern würde man, wie Omi immer sagt, nie bereuen.

Mamis Visionen im Keller, Babys Bedürfnisse auf dem Podest, und zum Schluss die Absegnung des Missstandes mit dem obligatorischen Opferseufzer. Der Vater? Eine Leerstelle. Vielleicht bringt er sich ein, aber das ist, im Gegensatz zu Omis groooßer Hilfe, ohne die nix geht, keiner Erwähnung wert.

Wenn ich von der Realität genug habe, versuche ich mich abzulenken, aber die Realität holt mich überall ein. „Teile dies, wenn Du stolz auf Deinen Sohn bist.“ „Drei Boschihauben in einer Woche gehäkelt! Yeah!“ „Hilfe, der Zwergenclub hat zugesperrt! Wo kann ich mit meiner zweijährigen Maus Geburtstag feiern??“

Leck mich am Arsch, Facebook. Du bist das Gruselkabinett unserer Lebens­realitäten. Hier kann ich nicht nur mitverfolgen, wie sich berufstätige, intelligente Frauen mit Bastel- und Pädagogiktricks von jeglichem Verdacht auf Nichtmütter­licheit reinwaschen, ich kann auch zähneknirschend feststellen, wie sich dort Männer (sympathischerweise) raushalten.

In Schweden ist sie längst Alltag, die geschlechtergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Steuerpolitik, flächendeckende Kinderbetreuung und ein flexibler Arbeitsmarkt machen das hierzulande Undenkbare möglich – mit ansehn­lichen wirtschaftlichen und gesellschaft­lichen Konsequenzen. In Österreich oder Deutschland wird die Ressource Vater nicht einmal angedacht. Ist es Realitätsverweigerung oder Privilegien-Horten?

Hiesige Väter werden statistisch nur in Ausnahmesituationen in die Erziehungspflicht mit all ihren Konsequenzen genommen, während ihre Frauen sich trotz guter Ausbildung nicht als Ernährerinnen definieren. So betrügen beide sich selbst (und einander) um wichtige Facetten eines modernen Lebensprinzips, in dem wir kompetent in beidem sein könnten: als vollwertiger Elternteil und erwerbstätig – im Alltag und nicht nur im Notfall.

Es muss diese Abschottung vom Alltag mit Kindern sein, die solche Männer wie den Arsch im Skistall hervorbringt. Wie kann es sonst sein, dass nicht einmal im engsten Familienverband mit Mitgefühl gerechnet werden darf? Es sind Väter von Töchtern, die ich sagen gehört habe: Ich stell’ nie im Leben eine Frau in meine Firma ein. Es sind liebende Angehörige, die es mit dem Beschluss von Gesetzen ihren Töchtern, Schwestern, Müttern, Ehefrauen so schwer machen, gleichen Lohn für ­gleiche Arbeit zu bekommen.

Aber auch Frauen bringen nur wenig Empathie für ihr eigenes Geschlecht auf, wenn sie Parteien wählen, die sich an fundamentalen, mit Zähnen und Klauen erstrittenen Frauenrechten wie straffreiem Schwangerschaftsabbruch oder Schutz vor Gewalt vergreifen wollen – Situationen, in die jede einzelne Frau viel zu schnell hineingeraten kann.

Der Feminismus ist tot, und noch ein bissl toter, seit die hereinströmenden Muslime unsere schönen Frauenrechte untergraben. Die Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Was sind schon 2/3 der Hausarbeit gegen das Autofahrverbot von Frauen in Saudi-Arabien? Was ist schon das bisschen ungleiche Bezahlung und Sexismus gegen Burka und Beschneidung? First World Problems!

Es ist leicht, über die Frauenrechts­bewegung die Nase zu rümpfen, wenn man nichts Anderes kennt als ihre Errungenschaften. Wenn man in eine Speckschwarte hineingeboren wird, wie soll man sich da den Hunger vorstellen?

Sich zu informieren, ist ein Anfang. Der Feminismus hat viel geleistet, aber er ist viel zu leise geworden und viel zu beschäftigt damit, seine Kinder zu fressen; noch dazu kann er politisch nicht lösen, was privat verabsäumt wurde. Er kann uns informieren, wachrütteln und uns die Prinzipien der Gleichberechtigung auf die Türmatte legen – den Konflikt müssen wir leider selber austragen, und zwar nicht auf der Straße oder in den Vorstandsetagen, sondern an den Tischen und in den Betten, die wir mit unseren Liebsten teilen. 

Nörgeln, keifen, jammern. Das ist das Vokabular, das uns die Gesellschaft für die Mitteilung von Geschlechterungerechtigkeit zur Verfügung stellt. Egoistinnen sind wir, karrieregeil, wehleidig, herzlos, selbstsüchtig. Rabenmütter. Mit diesen Zuweisungen lebt es sich leichter, wenn man ­ihnen konsequent die Ressource Vater ­gegenüberstellt und konstant hinterfragt: muss ich wirklich allen Kindern die Handschuhe alleine anziehen? Bricht unser Arbeitsmarkt wirklich zusammen, wenn wir ein schwedisches System andenken? Sterben die Kinder wirklich an Liebesentzug, wenn sie nachmittags fremdbetreut werden?

Im letzten Bericht des Jugendmonitors gaben 2/3 der jungen Männer an, sich um das Geldverdienen kümmern zu wollen und Frauen den Haushalt und die Kinder zu überlassen; 50 Prozent der weiblichen Jugendlichen bejahten das.

Zieht euch warm an, liebe Töchter.

Gertraud Klemm

 

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Von der Autorin erschien zuletzt: "Muttergehäuse" (Verlag Kremayr & Scheriau, 19,90€)
 

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