Iran: „Frauen müssen sich vernetzen!“

Azadeh Kian lebt und forscht in Paris.
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Welche Rolle spielen die Frauen bei den Protesten im Iran?
Natürlich haben sich iranische Aktivistinnen, Intellektuelle und auch Schauspielerinnen mit den Protestierenden solidarisch erklärt. Und wir wissen, dass Studentinnen bei den Protesten verhaftet worden sind. Aber insgesamt sieht man bisher auf den Demonstrationen nur sehr wenige Frauen. Und es gibt auch keine Forderungen, bei denen es konkret um die Rechte der Iranerinnen geht. Bei der „Grünen Revolution“ 2009 war das noch anders: Da hatten die Frauen eine Vorreiterinnen-Rolle. Diesmal sind es vor allem junge Männer zwischen 17 und 25 Jahren, die auf die Straße gehen. Ihre Forderungen sind genereller: die Schaffung neuer Jobs, die Beendigung der Korruption und soziale Gerechtigkeit.

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Trotzdem ist das Bild einer unverschleierten jungen Frau, die ein weißes Kopftuch schwenkt, zum Symbolbild der Proteste geworden.
Ja, aber das hat sie ja schon vor den Demonstrationen gemacht. Sie ist Teil einer Bewegung, die es schon seit dem Jahr 2000 gibt, sie nennt sich White-Veil-Movement. Die Frauen im Iran haben schon immer gegen die mittelalterlichen Gesetze wie die Zwangsverschleierung protestiert. Und sie fordern auch schon sehr lange, Arbeitsplätze für Frauen zu schaffen. Die religiösen Führer, die die Frauen am liebsten in der Rolle der Hausfrau und Mutter sehen, haben ihren Zugang zum Arbeitsmarkt ja extrem eingeschränkt. Viele iranische Frauen müssen aber trotzdem arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sind also häufig zur Schwarzarbeit gezwungen.

Werden die derzeitigen Proteste denn eine Modernisierung bringen?
Ja, es handelt sich schließlich um legitime Forderungen. Und inzwischen sagen sogar einige der Religionsführer: Wir können nicht immer nur mit Unterdrückung antworten. Sie wissen also, wie unzufrieden die Menschen sind. Die Bevölkerung ist jung und hervorragend ausgebildet. Aber viele sind arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt sogar 50 Prozent. Der Iran ist ein sehr reiches Land, was Rohstoffe wie Öl und Gas angeht, aber die Armut in der Bevölkerung ist groß. Selbst die, die arbeiten, verdienen nicht genug für ein normales Leben. Stattdessen sehen die Menschen, wie Milliarden Dollar in die religiösen Institutionen und in die Kassen der Revolutionsgarden fließen. Und: Viele der aktuellen Forderungen sind eigentlich schon in der iranischen Verfassung verankert. Zum Beispiel das Recht, friedlich zu protestieren. Oder das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber die Religionsführer respektieren diese Rechte nicht. Sie sagen: Die Rechte gelten nur solange, wie der Gottesstaat nicht gefährdet wird. Mit diesem Argument haben sie ja auch schon zahlreiche Frauenrechts-Initiativen verboten.

Besteht die Gefahr, dass die Frauenrechte vergessen werden bei den aktuellen Protesten?
Die Ungleichheit der Geschlechter ist das Fundament des Gottesstaates, seine zentrale Säule. Deswegen müssen wir an die Gleichberechtigung denken!

Wie sind die Iranerinnen denn organisiert?
Im Iran ist es für die Frauen wegen der Repressionen schwer, zusammenzukommen oder etwas zu publizieren. Sie kämpfen eher auf einer individuellen Ebene. Ich kenne zum Beispiel Frauen in ländlichen Gebieten, die ihre Töchter selbst ausbilden. Sie sagen: „Meine Tochter soll in die Schule gehen, sie soll studieren, sie soll einen guten Job finden, damit sie unabhängig sein kann von ihrem zukünftigen Ehemann.“ Die Iranerinnen wollen die Gleichberechtigung. Sie wollen politische und wirtschaftliche Teilhabe. Aber wenn man sich dann wiederum die Rechtssprechung anschaut sieht man: Wir haben Gesetze wie im Mittelalter, die nichts mit der Realität der Frauen zu tun haben, die heute häufig überdurchschnittlich ausgebildet sind – und sich auch zu Wort melden. Und ich meine nicht nur die Aktivistinnen. Wenn Wahlen anstehen, wählen die Iranerinnen den Kandidaten, der für Reformen steht. Aber das Problem ist, dass solche Kandidaten ihre Versprechen an die Frauen nach der Wahl ganz schnell wieder vergessen – so wie ja auch Rohani. Der wollte Frauen in das Kabinett holen und ein Frauenministerium schaffen. Aber dann hat Ayatollah Chamenei gesagt: Nein, das will ich nicht!

Was müsste in der Zukunft passieren?
Wir brauchen unabhängige Frauenorganisationen im Iran. Frauen sollten sich nicht auf politische Parteien verlassen müssen – sondern auf sich selbst. Solche Organisationen müssten natürlich erst mal eher zurückhaltend agieren. Nur leider sehen wir in den letzten Jahren einen gegenseitigen Trend: Die Zahl der Aktivistinnen wird nicht größer. Und das hat nicht nur mit der Unterdrückung der Frauen zu tun. Es gibt nicht genügend Kontakt zwischen den Aktivistinnen in Teheran und dem Rest des Landes. Die Frauen im Iran müssen sich besser vernetzen. Ich kann selbst leider nicht mehr in den Iran einreisen. Ich habe zwar einen iranischen Pass - aber es wäre einfach zu gefährlich. Ich bin viel zu präsent in den Medien.

Was können Frauen im Westen tun, um die Iranerinnen zu unterstützen?
Berichten! Über die diskriminierenden Gesetze und den Kampf der Frauen dagegen. Und ihr könnt natürlich eure Regierungen in die Pflicht nehmen, die mit dem Iran im Dialog stehen. Sie müssen auf diplomatischem Wege die Rechte der Frauen fordern.

Das Gespräch führe Alexandra Eul

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Iran: Welche Rolle spielen die Frauen?

Sie protestiert am White Wednesday gegen die Zwangsverschleierung.
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Sie steht auf einem Stromkasten, mitten auf dem belebten Enghelab-Platz in Teheran, den Kopf stolz erhoben. Ihre langen, dunklen Haare umwehen ihre Schultern. Sie schwenkt einen Stock, an den sie ein weißes Kopftuch geknotet hat: Protest und Friedensangebot zugleich. Kurz darauf wird sie von der Sittenpolizei festgenommen.

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Denn was diese junge, bisher unbekannte Frau an diesem Nachmittag in Teheran getan hat, mag andernorts für wenig Aufsehen sorgen. Aber im Iran ist es verboten: Sie ist unverschleiert auf die Straße gegangen. Spätestens ab dem neunten Lebensjahr werden iranische Mädchen qua Order der Religionswächter dazu gezwungen, sich zu verschleiern. Häufig sind sie noch jünger.

Das Screenshot der jungen, unverschleierten Frau aus einem Video ist seither weltweit zum Symbol des iranischen Widerstands geworden. Die Frau gilt als die „Rosa Parks des Irans“. Rosa Parks hatte 1955 die Revolte der Schwarzen ausgelöst, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen.

Immer mehr Menschen gehen seit Beginn der Proteste am 28. Dezember, die in Maschhad, der zweitgrößten Stadt im Nordosten des Landes, begannen, auf die Straße. Es sind die größten Proteste seit der „Grünen Revolution“ im Jahr 2009. Ihre Motive sind vielfältig. Viele sind regimekritisch, weil der Gottesstaat ihnen zu repressiv ist. Rufe wie „Nieder mit der islamischen Republik!“ wurden laut. Manchen aber ist der iranische Präsident Hassan Rohani gar zu lasch: Sie wünschen sich einen rigideren Gottesstaat.

Die meisten Menschen scheinen jedoch aus Zorn über die hohen Lebensmittelpreise, die Arbeitslosigkeit, das Wohlstandsgefälle und die Korruption zu protestieren. Ihnen ist der als liberal geltende Präsident nicht fortschrittlich genug. Aber auch die AnhängerInnen des Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei haben sich inzwischen organisiert.

Das Video der jungen Frau, die das weiße Tuch schwingt, wurde scheinbar am 27. Dezember aufgenommen, also noch bevor die Proteste begannen. „Es gibt keinen direkten Link zwischen ihr und dem aktuellen Protest“, sagt die Iranerin Masih Alinejad, die im New Yorker Exil lebt. Sie ist es, die den friedlichen, mutigen Protest gegen den Kopftuchzwang organisiert hat, der im Netz genauso stattfindet wie auf der Straße. Motto: „My Stealthy Freedom“ (etwa „Meine heimliche Freiheit“).

"Diese Frauen benutzen ihr Smartphone als Waffe. Sie haben keine Angst"

Diese Bewegung wird getragen von iranischen Frauen im In- und im Ausland, die alle gegen die Zwangsverschleierung kämpfen, dieses Symbol der Unterdrückung der Iranerinnen seit der Machtübernahme 1979 der Gottesstaatler unter Ayatollah Khomeini, der die Verhüllung der Frauen zum Gesetz machte. Ausgerechnet am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, waren die unverschleierten Iranerinnen unter den Tschador gezwungen worden - und aus der Öffentlichkeit, von den Unis und aus den Büros verjagt. Die Proteste von Hundertausenden gegen diese Maßnahmen wurden von den Religionswächtern mit drakonischer Gewalt niedergeschlagen.

Der Unmut der Iranerinnen über ihre Entrechtung war von Anfang an groß. Aber es war lebensgefährlich für sie, sich gegen die Mullahs aufzulehnen. Erst in den letzten Jahren wagen manche Iranerinnen auch außerhalb ihrer privatesten Kreise - Freunde, Familie - den Aufstand im Kleinen: ein Haaransatz hier, ein verrutschtes Kopftuch dort. „My Stealthy Freedom“ zeugt davon, die Aktion startete im Frühjahr 2014.

Seit Mai 2017 findet darüber hinaus der „White Wednesday“ statt, an dem Iranerinnen ganz ohne Schleier oder nur mit einem leichten, weißen Schal auf die Straße gehen. „Viele dieser Frauen haben ihre Auseinandersetzungen mit der Sittenpolizei gefilmt, sie haben ihr Smartphone wie eine Waffe benutzt. Sie haben keine Angst und ohne Angst funktioniert die Maschinerie der islamischen Republik nicht mehr“, schreibt Masih Alinejad bei Women in the World.


An einem solchen weißen Mittwoch hat sich auch die unbekannte Iranerin auf den Stromkasten in Teheran gestellt. Am selben Tag übrigens, an dem der Teheraner Polizeichef Hossein Rahimi offiziell verkündete, dass Frauen, denen „der Schleier aus Versehen verrutscht”, fortan nicht mehr sofort verhaftet, sondern in Erziehungskurse gesteckt werden sollen. Kurse, in denen ihnen die „islamischen Werte eingeschärft“ werden. Alleine in Teheran soll es schon 100 dieser Einrichtungen geben.

Seit dem 27. Dezember binden auch andere Iranerinnen ein weißes Kopftuch an einen Stock und marschieren damit durch die Straße. Eine erklärt: „Ich fordere die Frauen dazu auf, es dieser jungen Frau gleichzutun! Zieht euren Hidschab aus, knotet ihn an einen Stock und schwenkt ihn! Schickt Fotos und Videos, um dieses Mädchen zu unterstützen. Sie ist eine Heldin!“

Von der Heldin fehlt seit ihrer Verhaftung jede Spur.

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