Alice Schwarzer schreibt

Unabhängig?

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Westliche Feministinnen waren über diese Nachricht nicht sonderlich erstaunt. Schließlich treten bei den West-Grünen Feministinnen inzwischen wegen "Frauenfeindlichkeit" aus. Die DDR-Frauen aber waren entsetzt. Sicher, sie waren in der Vergangenheit gewohnt, belogen und betrogen zu werden. Aber genau darum wollten sie wohl jetzt endlich einmal glauben können.

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Wer auch immer die Verhandlungen mit den Grünen so zu Ungunsten der Frauen geführt haben mag - tat/en sie es aus Naivität oder mit Absicht? Und wer hatte überhaupt entschieden, dass die gerade erst "unabhängig" Gewordenen so rasch wieder mit einer gemischten, also männerbeherrschten Partei zusammengingen - und das, obwohl nach DDR-Wahlrecht auch die Kandidatur einzelner Frauen für den Frauenverband durchaus möglich gewesen wäre?

"Wie wir zu dem Bündnis mit den Grünen gekommen sind, das weiß ich ehrlich gesagt selbst nicht", antwortete mir eine der im Frauenverband Engagierten. "Das wurde eines Tages überraschend vom Podium aus verkündet - und wir waren alle viel zu ahnungslos, um ermessen zu können, was das heißt."

Doch spätestens die Wahlparolen im Namen des lila-grünen Bündnisses hätten die Frauen hellhörig machen müssen. Da wurden in ihrem Namen in einem uns hierzulande übersatt bekannten Polit-Jargon wohltönende, unverbindliche Sprüche geklopft (für den "Abbau von Feindbildern durch umfassende Erziehung zum Frieden und zum konfliktlosen Verhalten"; für "Städte und Dörfer als intakte soziale Organismen" etc. etc.). Schlimmer noch: Von Frauen war quasi überhaupt nicht mehr die Rede. Es ging um "den" Menschen, "die" Zukunft oder "die" Kultur, die für "alle Menschen frei und zugänglich" sein soll, "unabhängig vom sozialen Stand, Einkommen oder Wohnort". Vom Geschlecht keine Rede mehr. Das war im Bündnis schon lange vor der Wahl unter die Räder gekommen.

Unter den Umständen war es vielleicht kein Zufall, dass die "Unabhängigen Frauen" am 18. März so kläglich wenig Stimmen erhielten (1,6, zusammen mit den Grünen). Dabei geht die Zahl der betroffenen Frauen, denen sie etwas zu sagen gehabt hätten, in die Millionen!

Die Zeit vom Aufbruch bis zur ersten Wahl war kurz, zu kurz. In der heißen Vorwahlzeit haben in allen Gruppen und Parteien die unterschiedlichsten Kräfte mit den verschiedensten Motiven ihre Süppchen gekocht. Das wird beim Frauenverband nicht anders gewesen sein - trotz Euphorie und gerade erst entdeckter Schwesternseligkeit.

Dabei sind gerade die wirklich unabhängigen, die radikalen Frauen besonders gefährdet. Die Lieblingswaffen gegen sie, gegen uns, heißen traditionsreich: Manipulation, Spaltung und Diffamation. Ich weiß, wovon ich rede. Als exponierte Vertreterin des autonomen, unabhängigen Feminismus ist mir und meinen Mitkämpferinnen in den letzten 20 Jahren wenig erspart geblieben.

Wenn wir es trotzdem geschafft haben, eine wahre Revolution in den Köpfen auszulösen - und auch die Realität ein Stück zu verändern - so hat das damit zu tun, dass wir seit 1971 genau die Probleme ansprechen, die die meisten Frauen real haben. Die Frauen verstehen das. Die Parteien wollten es nie verstehen. Auch die Linken nicht. Im Gegenteil. Sie haben uns autonome Feministinnen von der ersten Stunde an mit Ausdauer und Harne verfolgt.

Vorneweg die DKP und DKP-nahe Kräfte wie die "Argument"-Gruppe um Frigga Haug. Feministische Forderungen wurden von diesen linken Ideologen grundsätzlich zunächst vom Tisch gewischt und lächerlich gemacht (nachzulesen in alten und neuen Ausgaben von "Argument"). Erst wenn die Forderungen sich durchgesetzt hatten, sprangen diese Gralshüter des "Hauptwiderspruchs" auf den Zug und übernahmen unsere Inhalte; gemäßigt, versteht sich, und mit zehn, 15 Jahren Verspätung.

Es ist für mich also nicht ohne Ironie, zu sehen, wie rasch gewisse Kräfte im "Unabhängigen Frauenverband" der DDR im Westen ausgerechnet mit solchen Leuten paktieren. Bereits Anfang März erschien eine deutsch-deutsche Broschüre, herausgegeben vom "Unabhängigen Frauenverband" und von der "Argument-Frauenredaktion". Die zum Teil recht informative Schrift (die Reden und Forderungen der DDR-Frauen abdruckt) wiegelt wie gewohnt schon auf der ersten Seite ab, indem sie schreibt: "Wir führen (den Kampf) nicht gegen Männer und gegen bestimmte Parteien, sondern für Frauen, ihre Rechte und Interessen."

Ist eine Klassengesellschaft vorstellbar, in der kämpferische Besitzlose versichern: Wir kämpfen nicht gegen die Besitzenden? Gibt es eine rassistische Gesellschaft, in der protestierende Schwarze beteuern: Wir kämpfen nicht gegen die Weißen? Nein. Warum sollten sie auch. Und warum sollten Feministinnen in einer sexistischen Gesellschaft ohne Unterlass beteuern: Wir kämpfen nicht gegen Männer?

Dass wir nicht gegen den biologischen Mann, sondern gegen den patriarchalischen Mann kämpfen, versteht sich. Aber: Jeder Mann profitiert, ob er will oder nicht, heute im Patriarchat von den Macht/Ohnmacht-Verhältnissen zwischen den Geschlechtern. Jeder muss Privilegien, die er auf Kosten von Frauen hat, abgeben, wenn sich etwas ändern soll. Sprechen wir es also aus: Der Geschlechterwiderspruch ist eine Machtfrage! Da nutzt kein Abwiegeln.

Im Gegenteil. Die Mehrheit der Frauen, die Tag für Tag Kompromisse macht (machen muss), erwartet zu recht von uns "unabhängigen Frauen", dass wenigsten wir uns trauen! Die von Feministinnen im Westen gegen alles Totschweigen und Lächerlichmachen gewonnene Schlacht um ein verändertes Bewusstsein ist der beste Beweis dafür!

Die DDR-Frauen werden ihre eigenen Wege finden müssen. Diese Wege werden so unterschiedlich sein wie ihre Leben. Manche werden sich anpassen, andere Kompromisse machen und wieder andere kämpfen. Eine jede nach ihrer Facon. Nur sollte endlich der Etikettenschwindel aufhören. Die gemäßigten Sozialistinnen sollen sich nicht länger als radikale Feministinnen ausgeben - und die Radikalen müssen lernen, genau hinzuschauen.

Nichts gegen Bündnisse. Im Gegenteil. Bündnisse müssen sein. Von Fall zu Fall. Unter klaren Voraussetzungen und nach klaren Absprachen. Aber grundsätzlich sollten wir "unabhängigen Frauen" auch wirklich unabhängig sein. Denn nur das erlaubt uns ein freies, konsequentes Denken und Handeln. Für Frauen.

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