Alice Schwarzer schreibt

„Mit Hosen hat man seine Ruhe!“

Foto: Christian Thiel/IMAGO
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Die gebürtige Rheinländerin und studierte Volkswirtin nahm kein Blatt vor den Mund und hatte mit ihren legendären Sprüchen nicht nur einen hohen Unterhaltungswert, sondern einen donnernden Ruf als Finanzpolitikerin. 2005 wurde sie gestürzt, weil ein Abgeordneter (oder eine Abgeordnete) im schleswig-holsteinischen Landtag viermal gegen sie stimmte. Die an Parkinson erkrankte Heide Simonis starb wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag. 2004 führte Alice Schwarzer ein Interview mit der damaligen Ministerpräsidentin. Es begann natürlich mit Kleidungsfragen. Und: Schon vor fast 20 Jahren ging es um die Abschaffung des Ehegattensplittings…      

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ALICE SCHWARZER Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie eine Kanzlerkandidatin, welche auch immer, in Stilfragen zu beraten hätten: Wie soll sie sich anziehen?
HEIDE SIMONIS Sie sollte Leuten, die es angeblich gut mit ihr meinen, auf keinen Fall einen Anlass geben, sich mit ihrem Äußeren zu beschäftigen. Das heißt, zurückhaltend kleiden. Bei offiziellen Auftritten rate ich eher zu Schwarz statt Farbe, und warne vor Durchsichtigem, Rüschen und kurzen Röcken.

Also nicht so weiblich?
Wenn Sie so wollen. Nach dem Motto: Hört auf das, was ich sage - und guckt nicht, was ich anhabe. Darum trage ich auch am liebsten Hosen. Röcke sind immer problematisch. Sie rutschen, dann heißt es, man hat zu viel Bein gesehen. Mit Hosen hat man seine Ruhe. Aber das gilt eigentlich für alle Karrierefrauen und sogar schon für junge Bewerberinnen.

Sie selbst richten sich danach, aber wiederum auch nicht. Ihre oft gewagten Hüte sind Legende.
Eine Schwäche sollte sich jede Frau und jeder Mann leisten. Und meine Schwäche sind eben die Hüte. Man kann es schwer immer allen recht machen. Auch von Feministinnen wurde ich ja immer wieder kritisiert: Mal war ich denen zu aufgedonnert, mal zu sachlich angezogen.

Die Kleidung scheint ja für alle Spitzenpolitikerinnen ein Problem zu sein.
So ist es. Auch Frau Merkel tut mir manchmal richtig leid. Sehr gewundert habe ich mich über den Ausbruch von Heiner Geißler gegen sie. Wenn er es wirklich wichtig findet, wie sie aussieht, hätte er ihr das nicht in der Zeitung sagen sollen, sondern persönlich, bei einem Tässchen Tee. Ich weiß gar nicht mehr, was Frau Merkel anhatte, aber ich weiß, dass Frau Clinton etwas trug, was ich nie anziehen würde. Nie!

Eine rosa, genauer: eine pinkfarbene Bluse. Ich weiß auch nicht mehr, was Frau Merkel anhatte, aber ich erinnere mich an die Körperhaltung. Und dieses Dauerlächeln von uns Frauen wirkt ja immer schwach. Es ist aber auch ein Dilemma: einerseits müssen wir stark sein, andererseits dürfen wir uns das nicht anmerken lassen. Manche versuchen, die Power hinter einem Lächeln oder einem Rüschenkragen zu verstecken.
So wie die arme Frau Nolte, der damals irgendjemand diese Rüschenblusen eingeredet hatte (gemeint ist Claudia Nolte, Bundesfamilienministerin im Kabinett Kohl 1994-1998, Anm. d.Red.) . Oder wie Frau Süssmuth, die sich ja auch lange angepasst hat und diese Krägelchen trug.

Apropos Kanzlerkandidatin. Warum sind Sie eigentlich nie selbst eine geworden?
Wir haben ja sowohl einen Kanzler wie auch einen Kandidaten. Und das in Personalunion.

Es scheint mir dennoch bemerkenswert, dass der einzige weibliche Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik in diesem Zusammenhang bisher noch nicht einmal erwähnt worden ist. Auch bei den Überlegungen zum Bundespräsidentenamt ist der Name Simonis in Berlin noch nicht einmal gefallen.
Das ist auch ein zweischneidiges Schwert. Eigentlich ist "Frau" ja keine Kategorie. Es sollte einfach der/die geeignete Kandidat/Kandidatin sein. Das ärgerliche ist nur, dass die Männer dabei immer nur an Männer denken.

Also müssten Frauen an Frauen denken?
Eigentlich ja. Aber entscheiden tun es die Männer an der Macht. Frauen werden einfach weniger wahrgenommen, von Männern wie Frauen. Mir kann es heute noch passieren, dass man bei offiziellen Veranstaltungen vergisst, mich zu begrüßen. Oder ich werde auf Veranstaltungen als "Ministerin" bezeichnet statt als "Ministerpräsidentin". Die Leute lachen dann schon. Und es gibt immer noch Briefe an "Herrn Simonis". Und neulich in Berlin bin ich beim Kanzleramt nicht durch die Sicherheitssperre gelassen worden, weil eine junge Dame nicht wusste, wer ich bin. Sie konnte sich vielleicht nicht vorstellen, dass eine Frau wichtig ist und hatte nur Männer im Kopf. Wären nicht meine beiden Polizisten dabei gewesen, ich stünde heute noch vor der Absperrung.

Sie haben Ihre Autobiografie ja nicht zufällig "Unter Männern" genannt. Sie hatten von Anfang an mehr mit Männern zu tun als mit Frauen.
Stimmt. Der wichtigste Mensch in meiner Kindheit war mein Vater. Der fand seine drei Töchter alle prima. Und ich, die Älteste, hatte eigentlich eine eher jungenorientierte Ausbildung. Ich habe Volkswirtschaft studiert und später auch in der Politik immer in einem Männerumfeld gearbeitet: Haushaltsausschuss, Finanzen, Tarifverhandlungen.

Habe ich richtig verstanden, dass Ihr Vater gleichzeitig sehr fürsorglich war, also auch mütterlich?
Ja, er hat sich sehr gekümmert. Meine Mutter hatte eine eher herbe, harsche Art, nicht gerade aufbauend. Sie hat mich eher entmutigt, mir prophezeit: "Du wirst nochmal in der Gosse landen." Und mir geraten, ich sollte Friseuse werden, dann könnte ich meinen Schwestern später, wenn sie mit ihren Männern auf große Bälle gehen, die Haare machen (man beachte den Klassen-Hochmut). Das hat aber das Gegenteil bei mir ausgelöst. Ich habe mir gesagt: Das wollen wir doch mal sehen! Und es hat ja geklappt – aber ich hätte auch untergehen können.

Sie schreiben in Ihrem Buch über Ihre so schwierige Beziehung zur Mutter. Und Sie stehen dazu, dass sie ihr die Vernachlässigung als Kind letztendlich nie verziehen haben. Haben Sie inzwischen versucht, zu verstehen, warum sie so hart mit ihrer Tochter war? War sie eigentlich berufstätig?
Das ist schon so ein Punkt. Sie hat nach dem Krieg als Sekretärin die Familie ernährt, während mein Vater noch studierte. Später saß sie zuhause und langweilte sich zu Tode. Das hat mein eher konservativer Vater wohl so von ihr erwartet, und es entsprach auch ihrem Selbstbild. Dabei hätte sie zum Beispiel eine gute Managerin werden können, sie konnte phantastisch organisieren. Das Schreckensbeispiel meiner Mutter hat bei mir die geradezu reflexartige Haltung ausgelöst, immer unabhängig zu sein. Immer einen eigenen Beruf und ein eigenes Konto zu haben. Ich war unerträglich, sobald ich nicht mein eigenes Geld hatte, was in unserer jungen Ehe ja schon mal vorkam. Zum Beispiel als ich mit meinem Mann über ein Jahr in Afrika und dann in Japan war, wo er Forschungsaufträge hatte.

Ihre frühe Prägung ist also Ermutigung durch einen Mann und Abschreckung durch eine Frau.
(lacht) Von den Männern habe ich gelernt, dass man als Kumpel eine Menge durchkriegt. Aber dann muss man auch zu den ihnen gehören, muss auch mal abends mit einen trinken gehen. Und immer bis zum Schluss bleiben! Denn die meisten Entscheidungen werden nicht in den Sitzungen getroffen, sondern danach. Darum ist es ein Fehler, dass Frauen dann immer schon weg sind. Ich weiß zwar, warum das so ist, aber es behindert Karrieren. Da warten Kinder und Männer, und es ist ja auch bescheuert, sein Leben in Hinterzimmern zu verbringen. Wenn sie etwas erreichen wollen, müssen sie aber bleiben.

Und was haben Sie von den Frauen gelernt?
Ich fürchte, frauenpolitisch bin ich ein ziemlicher Blindgänger. Ich laste aber heute den Frauen ihre Zwänge nicht mehr so negativ an und achte darauf, dass sie ihre Chance bekommen. Was mich an Frauen immer noch nervös macht, ist, dass sie die Krallen einfahren, sobald sie ein Terrain erobert haben. Sie sind weniger konfliktfähig und so harmoniesüchtig – umso heftiger rasten sie dann aus, wenn es mal nicht mehr weitergeht.

Frauen neigen nach meinen Beobachtungen auch stärker dazu, Sachkritik persönlich zu nehmen.
Ja, sie sind dann rundum erschüttert und verunsichert.

Sie haben 1992 mal gesagt: Ich hatte es als Frau leichter. Würden Sie das heute noch sagen?
Ja. Das fing ja schon Anfang der 70er Jahre an, als ich wegen Willy Brandt in die Partei ging. Der hatte gerade die Parole ausgegeben: Wir wollen junge Frauen fördern ...

... die jungen Frauen?
Ja, er hat ja die SPD für die 68er geöffnet. Ich kam also ziemlich schnell auf die Listen für die Kommunalwahl, die Landtagswahl, die Bundestagswahl.

Das war ja exakt die Zeit des Aufbruchs der Frauenbewegung. Haben Sie es indirekt der Frauenbewegung zu verdanken, dass Sie auf diese Listen gekommen sind?
Nein! Das heißt ... Willy Brandt hatte immer ein Gespür für Strömungen draußen. Ich möchte also nicht ausschließen, dass er auf die Frauenbewegung reagiert hat.

Haben Sie persönlich das den Feministinnen gedankt?
Ehrlich gesagt habe ich mit den Feministinnen nie viel anfangen können – und die nicht mit mir. Ich war immer der Meinung, dass die Frauen nicht soviel jammern, sondern handeln sollten. Und dass sie es schon schaffen, wenn sie nur wollen.

Sehen Sie das heute noch so?
Nicht mehr so ganz. Dass hinter den Schwierigkeiten vieler Frauen nicht persönliche Schwächen stecken, sondern auch ganze Systeme, Männersysteme, das hat ja erst die Frauenbewegung deutlich gemacht. Doch wie immer, wenn jemand was Neues sagt, gingen die Frauen einem damit auf den Keks.

Aber Sie gehen den Leuten doch auch oft auf den Keks.
Stimmt. Aber seither bin ich ein paar Jährchen älter geworden.

Lassen Sie uns nochmal ganz konkret über Ihre Arbeit als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein sprechen. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Ein 14-Stunden-Tag ist die Norm, Wochenende inbegriffen. Neulich hat einer meiner beiden Fahrer gesagt: Das ist ja prima, dass Sie im Ausland sind, dann kann ich einige meiner 21 Sonntage abfeiern. Der andere Fahrer hat sicher auch 21 Sonntage. Das heißt, ich war an 42 von 52 Sonntagen im Jahr beruflich unterwegs. Das ist etwas, was Frauen zu recht abschreckt. Man hat kaum Zeit für sich. Man verliert Freunde, wird einsamer ...

Umso angewiesener ist man dann auf die Beziehung. Auf einen Karrieremann wartet in der Regel abends eine einfühlsame Frau.
Mein Mann wartet nicht, und ich erwarte es auch nicht. Er hat seinen eigenen Beruf, seinen eigenen Schreibtisch, und er ist die Woche über ja auch meist in Berlin. Sicher, so allein sein kann schon mal hart sein, aber es kann auch Vorteile haben. Denn mal will man gerne noch ein bisschen reden, mal will man seine Ruhe haben. Aber so ist es eben: Man kann nicht alles haben.

Und was sind die Vorteile eines solchen Spitzenjobs? Warum fällt es trotz Stress so vielen, auch Frauen, so schwer, wieder loszulassen?
Transportation and Information, wie Churchill mal gesagt hat. Alles ist auf einen zugeschnitten. Man kriegt alle Informationen und wird überall hingefahren. Man steht im Mittelpunkt, liest seinen Namen in der Zeitung. Und all das fällt dann plötzlich weg. Das muss man erstmal verkraften.

Bevor Sie 1993 Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein wurden, waren Sie Finanzministerin. Was würde die Kieler Landesregierung im Bereich Ökonomie anders machen als Berlin?
Ich würde in manchen Punkten weiter gehen. Zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik. Da plädieren wir schon lange für das dänische Modell: also das Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf Kommunalebene. Am Anfang großzügig bemessen, um die Leute aufzufangen, dann knapper, wenn der/die Arbeitslose keinen neuen Job annimmt. Denn wer nicht will, darf zwar nicht wollen, aber das muss dann nicht die Gemeinschaft büßen. Und ich bin nach dem skandinavischen Modell eher für steuerfinanzierte Sozialversicherungssysteme, also via Mehrwertsteuer. Die Skandinavier machen vieles anders und manches besser als wir. Ein gutes Beispiel ist die Versorgung von Kindern: von der Ganztagskrippe über den Ganztagskindergarten bis zur Ganztagsschule. Das haben auch konservative Politiker nicht geändert. Resultat: die höchste Frauenberufsquote in Europa – und die höchste Kinderzahl gleichzeitig und PISA-Sieger.

Und welche Lehren zieht die Ministerpräsidentin daraus?
Auf die Steuergesetze haben wir als Länder ja keinen direkten Einfluss. Aber Schleswig-Holstein ist das Bundesland, das flächendeckend Ganztagskindergärten hat. Und wir haben als einziges Bundesland Kinderparlamente. Die haben echten Einfluss und entscheiden mit bei Fragen, die sie betreffen.

Lassen Sie mich nochmal auf die Steuern kommen. Wie stehen Sie zum Ehegattensplitting, diesen 23 Milliarden Euro jährlich, mit denen Vater Staat gutverdienenden Ehemännern ihre Hausfrau subventioniert?
Ich bin dafür, dass ein Teil des Ehegattensplittings umgelenkt wird auf eine direkte Familienförderung, also Familien mit Kindern.

Warum nur ein Teil? Warum nicht ganz?
Es heißt, dass sei verfassungsrechtlich nicht möglich.

Wie relativ und zeitgeistabhängig auch die Interpretation des Grundgesetzes über die Jahrzehnte war, weiß man ja. Auch darüber, ob die Abschaffung des Ehegattensplittings wirklich verfassungswidrig wäre, ließe sich trefflich streiten. Expertinnen aller Parteien wollen seit 30 Jahren das Ehegattensplitting abschaffen!
Das kann durchaus sein... Aber ich wäre schon dankbar, wenn wir es endlich mal wenigstens andenken würden.

Das könnten Sie ja anstoßen. Aber vermutlich haben einfach zu viele Abgeordnete und Minister Hausfrauen zuhause sitzen ...
Tja ...

Frau Simonis, sie sind jüngst 60 geworden.
Das Angenehme am Älterwerden scheint zu sein, dass man ruhiger wird. Auch wenn ich noch immer einmal im Jahr ausraste, rege ich mich doch nicht mehr permanent so entsetzlich auf. Ich ertrage heute auch Macken der anderen gelassener. Und ich streite mich viel, viel weniger mit meinem Mann.

Sie sind inzwischen seit 36 Jahren verheiratet und führen anscheinend noch immer eine sehr lebendige Ehe – wenn man das aus der Zahl der Kräche schließen darf. Was ist Ihrer beider Erfolgsrezept?
Allgemeingültige Rezepte gibt es ja nicht. Aber für uns ist die Eigenständigkeit wichtig. Und der Freiraum. Wir sind beide sehr unterschiedliche Typen. Wenn wir uns permanent auf der Pelle hocken würden, hätte es schon längst geknallt. Und wir haben mit der Zeit gelernt, den anderen nicht zur Anpassung zwingen zu wollen, sondern ihn so zu belassen, wie er ist.

Ist es nicht trotzdem manchmal selbst für Ihren anscheinend so gelassenen Mann schwierig, der "Mann an ihrer Seite" zu sein?
Ja, das fuchst ihn schon manchmal, weil es seine Zeit kostet. Aber ich versuche ihn so weitgehend wie möglich zu schonen. Er kommt nur bei den allerwichtigsten Terminen mit. Ansonsten lebt er sein Leben als Wissenschaftler.

Doch wenn Sie es zeitlich schaffen, sind Sie an den Wochenenden und im Urlaub zusammen?
Na klar!

Stimmt es, dass Sie früher, als Sie schon Ministerin waren, für ihn vorgekocht haben?
Das tue ich auch heute noch. Wenn ich am Wochenende da bin, dann koche ich immer ein bisschen mehr, damit er am Montag noch was zu essen hat.

Na, dann kann er sich ja eigentlich nicht beschweren.
Tut er ja auch nicht.

 

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