Jodie Foster: Zum Glück nicht normal

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Schon ganz früh hat Mutter ihr gesagt: Du kannst alles. Und Jodie Foster, 29, kann. Jetzt gibt die Schauspielerin mit den vielen Gesichtern ihr umjubeltes Debut als Regisseurin. Thema des Films: Das Wunderkind und seine Mutter.

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"Zum Glück ist er nicht normal", entgegnet die eine der anderen. Die beiden Frauen messen sich mit kühlem Blick. Zwischen ihnen das Objekt der Kontroverse, der siebenjährige Tate. Wird er sich entscheiden müssen zwischen der einen und der anderen, zwischen Herz und Kopf? Oder wird er beides haben können: Gefühl und Verstand? Dieser Konflikt zwischen Emotion und Intellekt, zwischen so genannter "Weiblichkeit" und "Männlichkeit", zieht sich nicht nur durch den ersten Regiefilm von Jodie Foster, er zieht sich durch ihr ganzes Leben. Sie selbst sagt dazu: "Wie soll man nur damit umgehen, Dinge gleichzeitig zu wissen und zu fühlen? Wie ist es zu ertragen, ein so großes Herz und einen so klugen Kopf zu haben?"
Jodie Foster hat das Beste aus dem Konflikt gemacht: Sie leugnet ihn nicht, sie setzt ihn kreativ um. So zum Beispiel in dem ersten Film, in dem sie Hauptdarstellerin und Regisseurin ist, in "Das Wunderkind Tate". Ihr kleiner Filmheld Tate ist naiv und weise, gefühlvoll und klug zugleich. Mit zwei Jahren lernt Tate lesen; Jodie lernt es mit drei. Tate hat im Film eine herzliche Underdog-Mutter, die sich mit Jobs als Serviererin und Tänzerin durchschlägt, und eine kühle Upperclass-Ziehmutter, die Bildung und Verstand verkörpert.
Jodies Mutter im Leben kommt aus dem Armen-Viertel Bronx, ihr abwesender Vater ist Absolvent der Yale-Universität (an der auch Jodie summa cum laude promoviert hat). Wunderkind Tate ist im Film ein einsames Wunderkind, das so gerne mit den anderen Fußball spielen oder Geburtstag feiern würde. Weltstar Jodie fährt noch heute Straßenbahn statt Taxi, "um wie die anderen zu sein".
29 Filme hat die 29-jährige Schauspielerin seit ihrem siebten Lebensjahr gedreht (und nebenher ihre Doktorarbeit in Literatur über Toni Morrison geschrieben). Jetzt präsentiert sie ihren ersten Film als Regisseurin. In 40 Jahren Hollywood waren von 7.332 Filmen ganze 14 von Regisseurinnen - 1990 waren es immerhin schon 23 von 408. Jodie Foster: "Diese Branche ist Frauen nicht besonders wohl gesonnen, aber sie braucht sie. Doch die weiblichen Pioniere müssen zehnmal besser sein als jeder Mann. Vielleicht gründen wir ja eines Tages ein 'Old Girls Netzwerk'..."
Die "All Girls Production" gibt es schon, gegründet von Bette Midler, die, ganz wie Foster, heute Schauspielerin und Regisseurin ist. Beiden voran ging Barbra Streisand, die ihren ersten Regiefilm "Yentl" noch selbst produzieren mußte, weil niemand in Hollywood ihn machen wollte. Auch in "Yentl" geht es um den Identitätskonflikt, in den eine denkende Frau zwangsläufig gerät... Diese drei schauspielernden Regisseurinnen wagten viel - und gewannen. Jodie Foster wird für "Das Wunderkind Tate" sogar euphorisch gefeiert. So titelte Time: "A director is born" (Ein Regisseur ist geboren).

Aus der einst als "bossy little thing" (rechthaberisches kleines Ding) Geschmähten ist längst eine Boss Woman geworden. Die zarte, hübsche, kleine Frau mit der tiefen rauhen Stimme (Spitzname in der Schule: Froggy) hat es geschafft. Und sie scheint immer gewußt zu haben, daß sie es eines Tages schaffen wird. Woher? Von der eigenen Mutter.
"Das Wichtigste, was meine Mutter für mich getan hat, war, mir Kraft durch die Förderung meines Selbstvertrauens zu geben", erzählt Jodie. "Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hat sie einmal zu mir gesagt: ,Weißt du, du hast ein solches Glück, eine Frau zu sein! Du kannst alles tun, was du möchtest, kannst Rechtsanwältin werden oder Ärztin... Die wollte keinen seelischen Krüppel zum Kind. Sie wollte, daß ich fliegen kann."
Als Jodie auf die Welt kam, haben sich ihre Eltern gerade getrennt. Ihre Mutter erfährt die Nachricht von der Schwangerschaft am Tag ihres ersten Scheidungstermins. Jodie ist ihr viertes Kind. Sie nennt sie Alicia Christian (sic). Und sie steckt alle Energie in ihre Jüngste, wohl auch die Energie, die bis dahin ihr Mann beansprucht hatte. Mutter Evelyn managt ihre Tochter seit derem dritten Lebensjahr. Kommentar Jodie: "Das war für mich viel besser, als irgendeinen Manager zu haben, der mit meinem Geld nach Paraguay verduftet."
Die fünf, Mutter und Kinder, schlagen sich mit Jobs in der Filmbranche durch. Jodie verdient zum ersten Mal mit drei: Sie zeigt ihren Kinderpo als Werbung für eine Creme. Jodie hat immer gearbeitet: "Das hat mir die Konventionen einer langweiligen Kindheit erspart."
Jodie verdankt Mutter Evelyn alles, sagt sie - das Glück und wohl auch den Schmerz. "Das Wunderkind Tate" ist "ein Liebesfilm" (Foster), ein Film über die Liebe zwischen einem Siebenjährigen und einer Dreißigjährigen. Und wo es um Liebe geht, geht es meist auch um Besitz und um die Gefahr des Mißbrauchs von Gefühlen. Mutters Liebling weiß nur zu gut, wie "manche Mütter ihre Kinder als Stützen mißbrauchen, wenn kein erwachsener Partner da ist". Wenn Filmmutter Jodie mit Tate zu Hause rockt, weiß sie, daß dieser Part für den Kleinen wunderbar und erschreckend zugleich ist: Er ist der Liebe seiner Mutter einfach nicht gewachsen.
In "Das Wunderkind Tate" hat unübersehbar eine Schauspielerin Regie geführt. Im Mittelpunkt des Films stehen Menschen, stehen ihre Handlungen und Gefühle. Über die Personen hinaus hat die Foster nur wenig Interesse für Bilder. Das ist ihre Schwäche. Die Regisseurin Foster hat übrigens ihr Metier so wenig akademisch gelernt wie die Schauspielerin. Aber daß sie eines Tages Regie führen würde, war schon lange klar, zumindest ihr selbst. Schon als Teenager antwortete sie in einem Interview: "Regie führen ist großartig. Regisseure können alles machen! Sie lassen Menschen umbringen, sprengen Sachen in die Luft, bringen Leute zum Lachen und Weinen. Regie führen ist wie die Erschaffung von Leben. Es ist eine sehr männliche Sache."
Die Tüchtige ist so tüchtig, daß sie es noch nicht einmal nötig hat, sich von den Frauen zu distanzieren, im Gegenteil. "Ich bin Feministin", sagt Foster unumwunden. "Aber ich bin nicht für plattes Überzeugungskino, ich bin für Komplexität. Denn ich habe es satt, Frauen zu sehen, die entweder Wonderwoman oder Opfer mit einem ganz großen 'O' sind, unfähig, etwas dazwischen zu sein."
Wohl nicht zufällig hat Jodie Foster nach dem Vergewaltigungsopfer in "Angeklagt" die rächende FBI-Agentin im "Schweigen der Lämmer" gespielt. Und ebensowenig zufällig ist ihr Alter ego in ihrem ersten Regiefilm ein kleiner Junge, der "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" zugleich verkörpert. Die weiblichen  Protagonistinnen stehen sich (noch) unvereinbar gespalten in Verstand und Gefühl gegenüber.
Jodie Foster selbst scheint es gelungen zu sein, "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" so in sich zu vereinen, daß sie ein ganzer Mensch ist, der den anderen Respekt, ja sogar Bewunderung abnötigt: So zitiert Time ihren Drehbuchautor Frank mit den Worten: "In dieser Stadt gibt es niemanden wie sie. Sie wirkt so klein und so besorgt, daß du sie beschützen willst. Und dann entdeckst du, daß sie eine hübsche und intelligente Frau ist, die Thai-Boxen kann... Sie ist nicht eingebildet, trägt meist Sweatshirts, ist mütterlich und ißt gesund: Sie rät dir, wie du dich ernähren sollst."
Und das Magazin American Film schwärmt: "Sie hat klare Augen wie ein prä-raphaelitischer Engel. Sie hat die rauhe Stimme einer Femme Fatale und das Benehmen eines jungen Mannes, dessen Stern im Aufstieg begriffen ist. Sie ist eher Kronprinz als verwöhnte Prinzessin."
Der Kronprinz kleidet sich schlampert oder elegant, je nach Laune. Zu Interviews taucht sie mal auf wie das Mädchen von nebenan, mal im grauen Armani-Anzug. Und sie lebt bewußt in Los Angeles, wo alle beim Film arbeiten und auch ein Star im Supermarkt einkaufen kann, ohne wie ein Wundertier angestarrt zu werden. New York ist der Aufsteigerin zu "snobistisch". Sie hat eben ihre Herkunft nicht vergessen, und Solidarität mit den Schwächeren bleibt eines ihrer zentralen Themen.
Als der Weltstar vor einigen Monaten bei der amerikanischen Premiere von, "Das Wunderkind Täte" auf Straßenplakaten als "absolutely queer" (total andersrum) denunziert, das heißt geoutet wurde, hielten die Medien still. Bisher respektieren sie weiterhin Fosters Wunsch, nicht auf ihr Privatleben angesprochen zu werden.
Als Jodie Foster 1989 für ihre Rolle in "Angeklagt" den Oskar bekam, setzte sie den Erfolg prompt in Unabhängigkeit für sich um, ganz wie es ihre Art ist. Ihr Kommentar: "Als ich den Oskar bekam, begriff ich: Jetzt muß ich nichts mehr machen, was ich nicht will."
EMMA 2/1992

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