Pop: power to the women!

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Reed wurde von der BBC zur international dritteinflussreichsten Frau im Musikgeschäft gekürt – nach Beyoncé und Taylor Swift. Elf Jahre war sie Vorstandsvorsitzende der PRS Foundation und hat ganz gezielt talentierte Musikerinnen gefördert. Keychange heißt ihre 2011 gestartete Kampagne, die u. a. ein 50/50 Verhältnis von Frauen auf Festival­Bühnen fordert. Vach ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die ein eigenes Label führt: Snowhite Records. Als Vorstandsvorsitzende des Verbands unabhängiger Musikunternehmen (VUT) hat sie das Netzwerk Music Industry Women mitgegründet.

Was sind die größten Hürden für Frauen im Musikgeschäft?
Vanessa Ich habe mit der Stiftung „Women Make Music“ die Lage der Frauen analysiert. Die Künstlerinnen haben gesagt, dass es für sie vor allem eine Hürde sei, dass die tagtägliche Arbeit von Männern dominiert ist. Nur mit Männern in einem Aufnahmestudio zu sein oder mit einer rein männlichen Crew auf Tour zu gehen, das ist auf Dauer nicht einfach. In der Musikindustrie sind nur die Jobs auf der niedrigsten Hierarchiestufe inzwischen ausgeglichen.

Desiree Das sehe ich genauso. Bei den Künstlerinnen gibt es ja sogar noch weibliche Vorbilder. Aber auf der Produzenten-Seite – sprich: bei denen, die die tägliche Arbeit verrichten – fehlen weibliche Vorbilder völlig. Junge Frauen, die einsteigen  wollen, wissen gar nicht, an wen sie sich wenden sollen.

Genau diese Debatte über fehlende weibliche Vorbilder und die gläserne Decke führen wir doch seit Jahren. Und trotzdem geht es nur sehr langsam voran. Wieso?
Vanessa Na ja, es handelt sich ja auch um die immer gleichen, tief verwurzelten, strukturellen Gründe. Zum Beispiel, dass Kinderaufziehen immer noch zu 100 Prozent auf den Schultern der Frauen lastet. Die Kultur in der Musikindustrie ist so wie vor 20 Jahren. Das einzige, was sich geändert hat: Die Männer an der Spitze sind heute älter.

Desiree Dabei müssten wir nur mal nach Skandinavien schauen, wo das alles ja schon sehr viel besser funktioniert. Vor allem, was die gezielte finanzielle Förderung von weiblichen Musikern angeht.

Schweden ist derzeit auch das einzige Land, das ein reines Frauenfestival im größeren Stil auf die Beine gestellt hat.
Vanessa Ja, das „Statement Festival“. Das war eine Reaktion auf die sexuelle Gewalt auf vorhergehenden Festivals. Aber es ist keine Lösung. Ein echter Erfolg wäre es, wenn Männer mit Frauen zusammenarbeiten würden, weil sie begriffen haben, dass Geschlechtergerechtigkeit gut für die ganze Branche ist.

Desiree Die Frauen müssen sich auch trauen, selbstbewusster aufzutreten. Wenn ich bei meinem Label Snowhite ein Vorstellungsgespräch mit einer Frau habe, dann ist diese Bewerberin fast immer überqualifiziert – und macht sich trotzdem total klein. Da fallen sogar Sätze wie: „Ich würde alles tun, um diesen Job zu bekommen. Es ist okay, wenn ihr mich gar nicht bezahlt.“ Und wenn da ein Mann sitzt, dann fragt er als erstes nach mehr Geld, einer 32-Stunden-Woche und einem schicken Titel für seinen Job.

Vanessa Im Prinzip haben die Musikindustrie und die Gastronomie da viel gemeinsam. Alles dreht sich um Unterhaltung und Vergnügen. Um Essen und um Trinken, um Musikhören und Tanzen. Geschäft, Spaß und Socialising verschwimmen, Veranstaltungen laufen bis spät in die Nacht. Es herrscht eine informelle, strukturlose Atmosphäre. Es kommt vor, dass eine Musikerin auf einem Festival auf dem gleichen Slot spielt wie ein Musiker – und trotzdem verdient sie dreimal weniger.

Was die Kultur von der Küche unterscheidet, ist ihr moderner und liberaler Ruf.
Vanessa Mich verwirrt es ja eher, dass sich die Menschen in der Musikindustrie häufig für so wahnsinnig cool halten. Vor allem, wenn man sich umschaut, wie das alles manchmal von außen wirkt … Insbesondere wenn ich auf Konferenzen wie dieser bin. Um mich herum sehe ich dann vor allem weiße Typen. Ich meine: Sogar die Rechtsprechung und das Finanzwesen sind vielfältiger als das Musikgeschäft. Wir müssen endlich begreifen: So ist es nicht cool! Wir müssen uns nur die Abgründe ansehen, die sich in der Filmindustrie aufgetan haben. Da haben wir doch gesehen und gehört, wie schäbig die Dinge laufen können. Aber die Musikindustrie hatte bisher noch nicht ihren #MeToo-Moment. Wir ahnen, was wirklich läuft. Aber in unserer Branche gibt es eine starke Kon trolle. Die Ryan-Adams- Geschichte zum Beispiel, das ist doch grauenvoll! Dem Sänger wird sexuelle Belästigung vorgeworfen. Er soll jungen Frauen angeboten haben, ihr Mentor zu sein – und sie dann manipuliert und bedrängt haben. Die Journalistin Laura Snapes hat kürzlich im Guardian diesen Personen-Kult um das männliche Genie speziell in der Indie-Musikszene sehr treffend beschrieben. Die Indie-Musiker entsprechen ja oft dem Klischee des genialen Songwriters mit geplagter Seele. Das kann manipulatives Verhalten überdecken.

Desiree Ich habe schon den Eindruck, dass wir im „Verband unabhängiger Musikunternehmer“ über solche Probleme sprechen. Und trotzdem merke ich, dass sogar wir immer wieder auf die alten Muster reinfallen. Gestern erst habe ich mir die Liste der Teilnehmer unserer nächsten VUT-Diskussionsrunde angesehen – und das waren ausschließlich Männer.

Vanessa Da stimme ich dir total zu. Und das bringt mich zu einem weiteren wichtigen Punkt: Algorithmen. Der Musikstreaming- Dienst Spotify hat ja diese tolle Funktion, dass du, wenn du einen Track hörst, zu einem vergleich baren Künstler weitergeleitet wirst. Und so schickt dich das System dann von einem Mann zum nächsten. Und genau so läuft das auch unter Menschen. Der Typ, der Bands für ein Festival in der einen Stadt bucht, quatscht mit seinem Kumpel von dem Festival in der anderen Stadt und bucht dann dessen Empfehlung.

Desiree, du hast vor vier Jahren ein Frauennetzwerk gegründet, um genau diesem Problem entgegenzuwirken. Wie läuft das?
Desiree Wir vermitteln erfahrene Mentorinnen an Frauen, die in der Musikbranche arbeiten möchten. Sie treffen sich monatlich zu Fragen wie Gehaltsverhandlungen oder Strategien zu Beförderungen oder auch Weiterbildung. Das funktioniert wirklich gut. Ein Anfang also.

Vanessa Ich habe ja mit der PRS Foundation jahrelang neue Talente unterstützt. Und die Situation von Musikerinnen unterscheidet sich insofern von der von Frauen in der Musikproduktion oder Vermarktung, als dass sie bei ihrer täglichen Arbeit sehr viel stärker auf sich allein gestellt sind. Als wir 30 Künstlerinnen aus sechs europäischen Ländern für die Keychange-Kampagne zusammen gebracht haben, haben diese Frauen das erste Mal begriffen, dass andere Künstlerinnen aus anderen Ländern dieselben Probleme haben.

Desiree Wobei ich auch schon mit Künstlerinnen gesprochen habe, die unter dem Konkurrenzverhalten anderer Frauen gelitten haben.  Wenn wir uns gegenseitig unterstützen, kommen wir doch viel schneller ans Ziel.

Spielt für Künstlerinnen wie Macherinnen aus der Musik-Industrie der steigende Druck zur Selbstentblößung in den sozialen Medien eine Rolle?
Vanessa Es gibt Ausnahmen von dieser Regel! Denk nur an eine der erfolgreichsten, wenn nicht sogar die aktuell erfolgreichste Singer-Songwriterin: Adele! Sie hat bewiesen, dass es auch anders geht. Und um nochmal auf die skandinavischen Länder zurückzukommen: Dort haben viele Künstlerinnen die komplette Kontrolle darüber, wie sie sich präsentieren. Robyn oder Björk – alles Frauen, die zumindest nach außen hin wahnsinnig stark wirken. Problematisch wird es natürlich, wenn man die Geschichten von Frauen hört, deren Labels ihre Selbstdarstellung am Anfang der Karriere komplett verzerren.

Desiree Aber das ist auch nicht mehr so schlimm wie noch vor 20 Jahren. Früher haben große Labels Künstler von Anfang an geformt. Heute unterzeichnen sie ihre Verträge zu einem Zeitpunkt, an dem sie schon eine Fanbase aufgebaut und Follower im Netz haben. Das heißt, die Künstlerin hat zu diesem Zeitpunkt einen Teil ihrer Identität schon etabliert.

Ihr würdet also sagen, dass das Internet den Künstlerinnen die Arbeit erleichtert und mehr Freiheiten gibt? (Beide lachen laut.)
Vanessa Das Internet hat sehr viele Vorteile. Und gleichzeitig kann es so leicht ausgenutzt werden. Was den Feminismus betrifft, finde ich es ja immer wieder schockierend, wie schon die mildeste Kritik am Gender Pay Gap oder dem Sexismus in der Musikbranche tonnenweise Kommentare von wütenden Männern nach sich zieht. Deswegen bleiben vermutlich viele Künstlerinnen wie Taylor Swift eher still.

Dabei sind Taylor Swift und auch Beyoncé inzwischen bekennende Feministinnen.
Vanessa Das stimmt. Ich fände es ja interessant, noch einen Schritt weiter zu gehen. Als Frances McDormand 2018 für den Film „Three Billboards“ den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewonnen hat, hat sie in ihrer Rede gesagt: „Ich lasse euch mit zwei Wörtern zurück: inclusion rider.“ (Anm. d. Red: Das steht für eine Vertragsklausel, nach der die Besetzung eines Films möglichst divers sein soll.) Manche Künstlerinnen und Künstler machen es zur Bedingung, dass sie eine Rolle nur annehmen, wenn es weitere starke Frauenfiguren gibt und das Filmteam divers ist. Und jetzt stellt euch doch mal vor, was los wäre, wenn Beyoncé zum „Glastonbury Festival“ sagen würde: Ich trete nur dann als Headlinerin auf, wenn ihr 50 Prozent Frauen auf allen Bühnen habt. Das wäre großartig!

Desiree Es gibt ja auch die Initiative „Male Feminists Europe“. Die haben die Kampagne #men4- equality gestartet. Die Unterzeichnenden verpflichten sich dazu, auf keinem Panel mehr mitzudiskutieren, auf dem nur Männer sitzen.

Vanessa, du hast mit der PRS Foundation die Kampagne Keychange gestartet. Ihr fordert Festivals dazu auf, bis 2022 alle Bühnen paritätisch, also 50/50 zu besetzen. Das ist jetzt nicht mehr so lange hin … Wie wollt ihr das erreichen?
Vanessa Na ja, das müssen ja nicht wir, sondern die 160 Festivals erreichen, die diese Erklärung unterzeichnet haben. Und darunter sind einige, die schon jetzt ein 50/50-Verhältnis in ihrem Line-Up haben. Bewusstsein für ein Problem zu entwickeln ist der erste Schritt nach vorn.

Was können Festivals denn noch tun?
Vanessa Vervielfältigt eure Netzwerke, über die ihr nach neuen Talenten sucht! Schaut euch an anderen Orten nach Künstlerinnen um als gewohnt! Redet mit unterschiedlichen Menschen! Und was ganz wichtig ist: Plant ausreichend Zeit ein! Es passiert immer wieder, dass Festivals sagen: Wir haben ja probiert, acht Frauen zu engagieren. Aber sie hatten keine Zeit. Aber wenn diese Frauen es nicht machen können, dann arbeitet eben daran, andere Frauen zu finden.

Desiree Was ich interessant finde, ist, dass man ja davon ausgehen würde, dass gerade Frauen diese Forderungen unterstützen. Aber ich habe nach Interviews über den fehlenden Frauenanteil auf Musikfestivals die Erfahrung gemacht, dass ausgerechnet die Online-Kommentare von Frauen dann so klingen: „Du musst doch mal ökonomisch denken! Die Leute im Publikum wollen schließlich auf der Bühne Musiker sehen, die sie kennen.“

Vanessa Oder es ist eine verinnerlichte Komplizenschaft mit dem Patriarchat, mit der wir alle aufgewachsen sind. Das einfachste ist ja: Einfach keine Tickets von Festivals kaufen, die Werte vertreten, die man nicht teilt.

Desiree Und dann einfach auf ein anderes Festival fahren.

Auf welches denn?
Vanessa Zum Beispiel auf das „Primavera Sound“ im Frühjahr in Barcelona, das „Iceland Airwaves“ im Herbst in Reykjavík, oder das New Yorker „Winter Jazz Festival“. Die haben alle 50/50 schon erreicht.

Desiree Oder auf das „Jazz Fest“ im Herbst in Berlin, das Nadin Deventer kuratiert.

Prima, dann hören wir uns das mal an.

emma.de: Frauen in der Musik stören nur? (2/16); Alles nicht so gemeint (6/18); Wacken Open Air: Heidrun regelt das!

im Netz: keychange.eu; Facebook: Music Industry Women; Infos über Festivals: www.festivalplaner.de

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