Verstoß gegen Menschenwürde!

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"Wenn ein Gesetz den Kauf sexueller Dienste verboten hätte, wäre ich niemals zu einer Prostituierten gegangen“, verriet Jean-Louis Mitte April in der Tageszeitung 20 Minutes. 53 Jahre alt ist der Franzose und bekennender Ex-Freier. Heute leistet er in einem Verein Prostituierten Beistand. Am selben Tag veröffentlicht eine Kommission des französischen Parlaments, der Abgeordnete aller Parteien in der Nationalversammlung angehören, ihren Bericht über die Prostitution in Frankreich. Das 373-Seiten starke Dokument fordert an erster Stelle Spektakuläres: ein Gesetz, das Freier bestraft! Mit Geldbußen von bis zu 3000 Euro oder einem halben Jahr Gefängnis. Das schwedische Gesetz ist Vorbild, dem Sexkauf-Verbot folgten schon Norwegen und Irland.

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Der Forderung der Pariser Nationalversammlung stimmt Roselyne Bachelot, ­Ministerin für Soziales und Frauenrechte, aus vollem Herzen öffentlich zu. Auch ­Innenminister Claude Guénot hält die Idee, den Sexkauf zu bestrafen, für „sehr interessant“. Nicht nur am 13. April, dem Tag der Veröffentlichung der Prostitu­tions-Enquête, sorgt das Thema in den Medien für Wirbel. Und rasch wurde die Sorge laut: Kann mann morgen noch zur Hure gehen? Philippe Caubert, seines Zeichens Schauspieler, selbsternannter Feminist, vor allem aber bekennender Freier, verbreitet seine Meinung gleich in mehreren Medien: „Huren sind bemerkenswerte Frauen“, erklärt er, denn „sie kümmern sich um die Männer, von denen viele in sexueller Armut und schrecklicher Einsamkeit leben.“ Auch Elisabeth Badinter, feministische Philosophin und Schriftstellerin stimmt in den Pro-Prostitutions­kanon ein: Sie ist „für absolute sexuelle Freiheit zwischen Erwachsenen, die sich untereinander einig sind“ und verwehrt sich dagegen, „die Prostitution ganz allgemein zu verdammen“. Emmanuelle Piet, Mitgründerin der Notruf-Hotline für vergewaltigte Frauen, ist anderer Meinung. In einem TV-Nachrichtenkanal berichtet sie von der täglichen Gewalt an Frauen in der Prostitution. Auch die wichtigsten feministischen Organisationen im Land spenden dem Bericht Beifall.

Danielle Bousquet und Guy Geoffroy, die sozialistische Präsidentin und der gaullistische Berichterstatter der Parlaments-Kommission, hatten schon am Vortag in Le Monde Stellung genommen: „Die Prostitution ist keine Schicksals­fügung. Die Kunden zu bestrafen, ist eine Notwendigkeit.“ In ihrem Beitrag stellen sie klar: Vor allem in den letzten zehn Jahren habe sich das Milieu der Prostitution komplett gewandelt: „Heutzutage handelt es sich bei 80 Prozent der sich prostituierenden Personen um Ausländerinnen, die häufig illegal im Land sind, ohne dass sich auch nur irgendeiner die Frage stellen würde, wie sie aus Osteuropa, aus Nigeria oder aus China bis zu uns aufs Trottoir gelangen konnten.“ Und sie stellen mit Blick auf die Nachbarstaaten fest: „Überall dort, wo die Prostitution ­libe­ralisiert wurde, ist der Menschenhandel im vergangenen Jahrzehnt explodiert“. All das gilt übrigens auch für Deutschland.

Ein gutes halbes Jahr lang waren die Abgeordneten in die Welt der Prostitution eingetaucht und hatten 200 Personen zur Anhörung gebeten: ExperteInnen von Hilfsvereinen, PolizistInnen, JuristInnen, PolitikerInnen, VertreterInnen der Prostituierten-„Gewerkschaft“, Frauen vom Strich. Laut amtlichen Schätzungen gibt es an die 20000 Prostituierte in Frankreich, Vereine sprechen von einer wesentlichen höheren Dunkelziffer. Dennoch erhellt der Bericht einiges, wie beispielsweise: Heute ist auf dem Straßenstrich nur noch jede zehnte eine so genannte „traditionelle Hure“, also eine Französin, die angibt, sich dieses Leben gewählt zu haben. „Als ich mit den Recherchen begann, war mir zwar bewusst, dass Prostitution und Menschenhandel heute eng miteinander verknüpft sind“, sagt Kommissions-Chefin Bousquet, aber: „Wie eng diese Verflechtungen wirklich sind, hätte ich nicht gedacht.“

Im ersten Teil des Berichts gehen die Abgeordneten den mafiösen Zuhälter-Ringen auf den Grund, beleuchten die neuen Formen der Prostitution: im Internet, in Massage-Salons, unter Studentinnen. „Armut und Wehrlosigkeit bleiben die entscheidenden Faktoren des Eintritts und des Verbleibens in der Prostitution“, schreiben die Autoren. Und: „Die Lebens- und Arbeitsbedingungen schädigen in den meisten Fällen die Gesundheit der prostituierten Personen; diese Welt ist von einer besonders schwerer Gewalt geprägt, die psychologischen und physischen ­Folgen sind umfangreich“.

Der zweite Teil bilanziert die staatliche Politik, mit ernüchterndem Ergebnis: „Die öffentlichen politischen Maßnahmen sind häufig nicht kohärent, teils unwirksam oder gar nicht existent.“
Im dritten Teil wird die Prostitution in Hinblick auf republikanische und demokratische Werte gewertet: „Das älteste Gewerbe der Welt – ein System, das auf nicht hinterfragten Voraussetzungen basiert.“ Hier geht es zum Beispiel auch um die angebliche ­soziale Nützlichkeit der Prostitution, um das Postulat, dank ihr gäbe es weniger Vergewaltigungen. Eine scheinbare „Selbstverständlichkeit, der die Fakten widersprechen“, heißt es trocken im Bericht. „Das Gegenteil ist der Fall: Wird die Prostitution akzeptiert, steigt der sexuelle Druck.“

Das Veröffentlichungsdatum des Berichts hat Symbolwert: Auf den Tag genau vor 65 Jahren, am 13. April 1946, wurde in Frankreich die „Loi Marthe Richard“ verabschiedet, das Gesetz, dass für die Schließung der Bordelle im ganzen Land sorgte. Benannt nach seiner Verfasserin, die kurz nach Kriegsende als Gemeinderätin in das Pariser Rathaus einzog. Ihr ging es darum, die Lebensbedingungen der Huren, damals Sklavinnen der Bordellwirte, zu verbessern.

Wohlgemerkt: Auf dem Strich „anschaffen“ zu gehen ist in Frankreich nicht strafbar. Doch das Land hat sich seit über einem halben Jahrhundert der Abolitionspolitik verschrieben. Diese strebt an, das prostitutionelle System abzuschaffen, indem der Staat Ausstiegshilfen bietet und Diskriminierungen wie das Polizeiregister für Prostituierte abschafft. Zuhälterei hingegen steht seit dem Gesetz von 1946 unter Strafe. Der Begriff der Zuhälterei ist weit gefasst und so ausgelegt, dass die Polizei die Aussage der Frau, die von ihrem Zuhälter oftmals unter Druck gesetzt wird oder ihn „liebt“, nicht benötigt. Ein Gesetz, das deutsche Polizisten neidisch aufs Nachbarland blicken lässt (EMMA 2/2011). So fällt unter den Zuhälterei-Paragrafen schon, einer Prostituierten ein Auto zur Verfügung zu stellen. De facto macht sich jeder Mann, der mit einer Prostituierten zusammenlebt, strafbar: Ihm wird unterstellt, von ihren Einkünften zu profitieren. Und das wird bestraft. 2009 wurden insgesamt 434 Männer wegen so genannter „einfacher Zuhälterei“ verurteilt.

Daneben gibt es den Tatbestand der „schweren Zuhälterei“. Die ist gegeben, wenn Zuhälter in einer organisierten Bande agieren. Oder wenn das Opfer jünger als 15 Jahre ist. Als Straftat wird gewertet, wenn jemand seine Autorität missbraucht, um eine Person auf den Strich zu schicken. Wenn eine Waffe oder sonstige Gewalt eingesetzt wird. Wenn das Opfer außer Landes gebracht oder unwillentlich ins Land eingeschleppt wird. 2009 erfolgten 498 Verurteilungen wegen „schwerer Zuhälterei“.

Doch während Frankreichs Gesetzgebung die Zuhälter scharf ins Visier nimmt, bleiben die Kunden der Prostituierten unbehelligt. Das blieb auch so, als Nicolas Sarkozy 2003, damals Innenminister, ein neues Gesetz zur Eindämmung der Prostitution aus der Taufe hob, die „Loi Sarkozy“. Seither werden Prostituierte kriminalisiert. „Passive Anmache“ von Freiern ist unter Strafe gestellt, für zu aufreizende Kleidung oder ebensolches Verhalten drohen zwei Monate Haft und 3750 Euro Geldbuße. 1367 Prostituierte wurden in 2010 von der Polizei wegen „passiver Anmache“ aufgegriffen, darunter 106 Minderjährige.

Danielle Bousquet und Guy Geoffroy fordern nun in ihrem Prostitutions-Bericht, statt der Prostituierten die Freier ins Visier zu nehmen. Aber ihre insgesamt 30 Forderungen gehen weit über ein ­Gesetz zur Freier-Bestrafung hinaus. Der Staat habe sich aus seiner Verantwortung geschlichen, was die Ausstiegshilfen für Prostituierte anbelangt und diese Arbeit Vereinen überlassen, beklagen die AutorInnen. Unter anderem müssten die ­Sozialbehörden für die Lage der Frauen im Rotlicht-Milieu sensibilisiert werden, um Aussteigewilligen angemessen unterstützen zu können.

Außerdem müsse der Gesetzgeber den Opfern der Prostitution mehr Rechte einräumen, vor allem aber den Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind, mehr Schutz bieten: mit Aufenthaltsgenehmigungen und Eingliederungs-Maßnahmen. Auch sollen die Opfer Anspruch auf Entschädigung erhalten für das Leid, das ihnen Zuhälterei und Menschenhandel antaten.
Auch das Thema Prävention spielt im Bericht eine große Rolle. Bousquet und Geoffroy empfehlen, Kinder ab der Grundschule für die Gender-Problematik zu sensibilisieren. Heute schon gehen die Mitarbeiter des Vereins Le Nid in Schulen, um dort Jugendliche über die Realität im Rotlicht-Milieu aufzuklären. Die parlamentarische Kommission schlägt eine Studie vor, um zu ergründen, welche Auswirkungen die Pornografie auf das Frauenbild von Jugendlichen hat.

Frauenministerin Roselyne Bachelot hat bereits eine Sensibilisierungskampagne für potentielle Freier angekündigt, um ihnen klarzumachen, was Frauen in der Prostitution durchmachen. Und als potentieller Freier gilt: jeder Mann – wie soziologische Studien belegen und auch der Bericht feststellt. Damit diese Kampagne greift, soll es bis zur tatsächlichen Umsetzung der Freier-Bestrafung eine Schonfrist geben. Zunächst aber muss das Gesetzesprojekt formuliert und verabschiedet werden. Das könnte noch dauern. „Im Mai 2012 stehen die Präsidentschaftswahlen an“, erinnert die Sozialistin Bousquet: „Bis dahin wird das Interesse, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, das viel Staub aufwirbelt, gering sein.“

Doch die Mitglieder der parlamentarischen Kommission wollen ihren Bericht nicht in einer Schublade verschwinden lassen. „Seit Jahren verstärken wir unseren Kampf gegen die Gewalt an Frauen, aber das Feld der Prostitution wurde dabei außer Acht gelassen“, klagt Bousquet. Die Kommissionschefin konstatiert erfreut, dass der Bericht der französischen Parlamentarier schon im Ausland Echo fand: „Gerade hat mich eine belgische Journalistin angerufen und mir mitgeteilt: Eigentlich hatte das Land beschlossen, die Prostitution zu liberalisieren. Doch aufgrund unseres Berichts scheint dieser Kurs jetzt ins Schwanken zu kommen.“    

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In Frankreich tobt die Debatte um die Prostitution (3/03)
 

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