Schweizer Psychiaterin fordert Quote

© Rolf Bewersdorf/ Lufthansa
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Die Verantwortung als Pilot, Lokführer oder Bus-Chauffeur ist groß. Denn die Passagiere vertrauen ihnen ihr Leben an. Vor allem Männer führen diese Berufe aus. Bei der Swiss sind von 1.341 Piloten nur gerade 59 Frauen. Ein ganz ähnliches Geschlechterverhältnis zeigt sich bei den SBB und beim Postauto: Von 3500 Lokführern sind 80 Frauen und von 3079 Postauto-Chauffeuren sind 245 Frauen.

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Mehr Frauen - für bessere Durchmischung und wegen der Sicherheit

Diesen Anteil erachtet Gabriela Stoppe als deutlich zu tief. Sie ist Psychiaterin und Vizepräsidentin von Ipsilon, dem Dachverband für Suizidprävention in der Schweiz. "Es wäre nicht nur wegen der Durchmischung sinnvoll, mehr Frauen für den Transport von Menschen zu engagieren, sondern vor allem wegen der Sicherheit", sagt Stoppe. Ihre Aussage begründet sie damit, dass Frauen eine deutlich tiefere Suizidrate haben. "Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch in Europa ein Pilot mit dem Flugzeug einen Suizid begeht."

So unglaublich der Fall der verunglückten Germanwings-Maschine nach derzeitigem Kenntnisstand ist: In den vergangenen Jahrzehnten gab es mehrere Abstürze, weil sich Piloten mit ihrem Flugzeug umbrachten. Sechs sind dokumentiert.

Der Suizid ist bei Männern zwischen 15 und 44 Jahren in der Schweiz die häufigste Todesursache. 240 Männer haben sich 2012 das Leben genommen. Zwar ist die Zahl der Selbsttötungen in den letzten zehn Jahren leicht zurückgegangen, doch noch immer nehmen sich dreimal mehr Männer das Leben als Frauen. "Dies sollte bei der Auswahl eines Piloten, Chauffeurs oder Lokführers berücksichtigt werden", sagt Stoppe.

Am Dienstag um 10.31 Uhr leitet Co-Pilot Andreas L. (27) über den französischen Alpen den Sinkflug ein. Der Germanwings-Airbus A320 verliert rasch Höhe. Der Captain ist aus dem Cockpit ausgeschlossen, er kann nichts mehr machen. Nach acht Minuten zerschellt die Maschine. Alle 150 Menschen sterben.

Suizid ist bei Männern zwischen 15 und 44 die häufigste Todesursache

"Vieles deutet darauf hin, dass es sich hier um einen Mitnahme-Suizid handelt", sagt Stoppe. Eine seltene Form einer Selbsttötung. "Häufig sind es Väter oder Mütter, die nicht nur sich töten, sondern auch die Kinder und den Partner. Dass jemand sämtliche Passagiere mitreisst, ist ungewöhnlich." Und es spreche nicht für eine Handlung im Affekt. "Die Umsetzung hatte der Pilot wohl schon probegedacht." Die Psychiaterin stellt sich so vor: Als sich Andreas L. die Gelegenheit bietet, seine Gedanken in die Wirklichkeit umzusetzen, klinkt er sich geistig und emotional aus. Im Moment einer suizidalen Krise haben die Menschen nur noch einen Tunnelblick. Und es gibt, wie bei Amokläufern, keinen Weg zurück.

Einen Abschiedsbrief findet die Ermittlergruppe "Alpen" der Düsseldorfer Polizei bei der Durchsuchung der Wohnungen von Andreas L. nicht. Dafür fallen den Ermittlern zerrissene, aktuelle und auch für den Tag des Absturzes umfassende Krankschreibungen in die Hände sowie eine Vielzahl von Medikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Auch litt der Co-Pilot an Sehstörungen. Die Behörden gehen davon aus, "dass der Verstorbene seine Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat".

Psychiaterin Stoppe erstaunt dies nicht. "Gerade Menschen, die befürchten müssen, wegen einer psychischen Erkrankung den Job zu verlieren, trauen sich nicht, darüber zu sprechen." Häufig würden solche Menschen auch Medikamente verweigern, um bei etwaigen Tests nicht aufzufallen. "Depressionen und andere psychischen Krankheiten sind in gewissen Branchen und Berufen nach wie vor ein Tabu.» Das führt dazu, dass nur rund 60 Prozent der Menschen solche Krankheiten melden. "Dabei wären 80 bis 90 Prozent der Fälle erfolgreich behandelbar."

Depressionen sind in gewissen Branchen und Berufen nach wie vor ein Tabu

Die Psyche der Piloten überprüft der Fliegerarzt heute beim Eignungstest. Danach folgen jährlich lediglich medizinische Tests. Vergleichbar ist das Vorgehen bei den SBB und der Post. Angehende Postauto-Chauffeure werden vor allem auf Belastbarkeit, Beobachtungsfähigkeiten sowie auf aggressive Verhaltensweisen geprüft und angehende Lokführer auf berufsbedingte Eigenheiten wie Einsamkeit oder repetitive Tätigkeiten.

Das reicht nicht, ist die Psychiaterin Stoppe überzeugt. Es würde auch im späteren Berufsleben psychologische Tests brauchen. Und zwar von psychiatrisch geschulten Ärzten. "Insbesondere hochintelligente Menschen sind in der Lage, selbst schwere Leiden wie etwa paranoid-halluzinatorische Psychosen zu verbergen", sagt der Münchner Psychiater Helmut Kolitzus im Spiegel.

Ob die Swiss die Psyche ihrer Piloten künftig einmal im Jahr testet, wird bei der Airline derzeit diskutiert.

Der Text von Fabienne Riklin erschien in der Schweiz am Sonntag.

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Frauenquote fürs Cockpit!

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Die Fluggesellschaften reagierten schnell: Ab sofort soll auch bei uns die “Zwei-Personen-„ bzw. „Vier-Augen-Regel“ für das Cockpit gelten. Im Gespräch sind auch regelmäßige psychologische Tests für Piloten. Das meldeten heute die Nachrichten. Gleichzeitig meldeten sie: „Der Bundesrat verabschiedete am Freitag in Berlin das Gesetz, nach dem in Zukunft knapp ein Drittel der Plätze in den Aufsichtsräten von Großkonzernen von Frauen besetzt werden müssen“ (Handelsblatt). Zu den Großkonzernen gehört auch die Lufthansa.

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Ich möchte einen Vorschlag machen. Die Lufthansa sollte sich nicht nur für ihren Aufsichtsrat, sondern auch für ihre Cockpits eine Frauenquote verordnen. Höchste Zeit ist es allemal, denn zur Zeit gibt es bei der Lufthansa nur 6 Prozent Pilotinnen.

Die Selbstmordquote, so hörte ich bei meinem Radio- und TV-Marathon seit der Katastrophe in den französischen Alpen, ist bei Männern viermal so hoch wie bei Frauen. Die Lufthansa könnte also das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.

Amokläufe werden nahezu ausschließlich von Männern begangen

Amokläufe und so genannte Familienauslöschungen, die gern zu „erweitertem Selbstmord“ und „Mitnahme-Selbstmord“ verharmlost werden, sind Verbrechen, die nahezu ausschließlich von Männern begangen werden. Für Amokflüge, die offenbar häufiger vorkommen, als der Öffentlichkeit bewusst ist, gilt dasselbe.

Die Lufthansa sucht verzweifelt nach Maßnahmen, um Katastrophen wie die mutmaßlich durch ihren Germanwings-Co-Piloten verursachte in Zukunft auszuschließen oder wenigstens unwahrscheinlicher zu machen. Auf das Nächstliegende - Frauenquote im Cockpit erhöhen - kommt niemand. Wieso nicht? Es wird derselbe blinde Fleck sein, der aus den beiden getöteten Lehrerinnen aus Haltern „Lehrer“ und aus den 14 getöteten Mädchen und zwei Jungen „16 Schüler“ macht.

Auch ganz unabhängig von Vorbeugungsmaßnahmen gegen weitere Katastrophen in der Luftfahrt ist die Erhöhung der Frauenquote im Cockpit richtig und längst überfällig. Die Lufthansa mit ihren 6 Prozent Frauen ist ja fast so schlimm wie die katholische Kirche. 

Den Kommentar entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin dem Blog der Linguistin Luise Pusch: Laut und Luise 

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