§219a: Urteil gegen Hänel aufgehoben!

Kristina Hänel ist entschlossen, durch die Instanzen zu gehen, um den §219a vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.
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Auf den ersten Blick klingt es nach einer guten Nachricht: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Urteil gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel gekippt. Hänel war im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Ihr Vergehen: Sie hatte auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt - und damit gegen den §219a verstoßen. Das Landgericht Gießen hatte das Urteil in zweiter Instanz bestätigt. Allerdings hatte der Richter durchaus Sympathie für Hänels Anliegen bekundet und erklärt: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz.“

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Das Gesetz: eine Katastrophe für ÄrztInnen wie PatientInnen.

Diesen Kampf hat die Gießener Ärztin aufgenommen. Sie will den Weg durch die Instanzen gehen, um den §219a vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Denn auch nach der Reform des §219a, den Union und SPD nach massiven öffentlichen Protesten schließlich minimal änderten, ist das Gesetz immer noch eine Katastrophe für ÄrztInnen wie PatientInnen.

So wurden am 14. Juni in Berlin die Gynäkologinnen Bettina Gaber und Verena Weyer nach dem neuen §219a zu einer Geldstrafe von je 2.000 Euro verurteilt. Sie informieren auf ihrer Website darüber, dass „zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber“ auch „ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch“ gehört. Die Begriffe „medikamentös“ und „narkosefrei“ sind aber auch nach dem neuen Gesetz zu viel der Information. Dennoch hatte Ex-Justizministerin Katarina Barley, die die Reform mit verhandelt hatte, im EMMA-Interview erklärt: "Ich persönlich kann mit dem Kompromiss gut leben." Die verurteilten Ärztinnen können das weniger gut.

Nun hat also im Fall Hänel die dritte Instanz, das Oberlandesgericht Frankfurt, das Urteil gegen die Ärztin aufgehoben und den Fall zurück an das Landgericht Gießen verwiesen. Begründung: Zu Hänels Gunsten müsse die neue Fassung des §219a angewendet werden. Aber: Einen Freispruch wird es auch dann nicht geben, wenn das refomierte Gesetz angewendet wird. Denn Kristina Hänel teilt auf ihrer Website nicht nur mit, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Wer auf das Wort klickt, kann sich „weitere Informationen“ per PDF zuschicken lassen. In diesem PDF wird ausführlich erklärt, welche Methoden des Abbruchs Kristina Hänel durchführt und was dabei zu beachten ist. Wenn schon die Berliner Ärztinnen Gaber und Weyer wegen zweier zusätzlicher Worte verurteilt wurden, wie sollte das bei Kristina Hänel anders sein? Das sieht auch Hänel selbst so: "Für mich bedeutet das Urteil nur, dass ich eine Ehrenrunde drehen muss", erklärt sie. "Mich freisprechen kann das Landgericht auf gar keinen Fall."

Wie wird nun das Landgericht entscheiden?

Es wäre also besser gewesen, Kristina Hänel wäre bei ihrem Marsch durch die Instanzen einen Schritt weiter Richtung Karlsruhe gekommen. Denn selbst wenn das Landgericht das Urteil abmildert und zum Beispiel die Geldstrafe reduziert, bleibt das skandalöse Gesetz bestehen. Dass das Landgericht den Fall selbst zur Klärung nach Karlsruhe verweist, ist höchst unwahrscheinlich, denn die Richter hatten im Prozess bereits erklärt, dass sie den §219a nicht für verfassungswidrig halten.

So aber wird nun das unsägliche Gesetz, das ÄrztInnen und ungewollt schwangere Frauen entmündigt, demnächst nicht in Karlsruhe verhandelt, sondern zum dritten Mal in Gießen. Und das ist eine schlechte Nachricht.

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Abtreibung: Die Hatz auf ÄrztInnen

Nora Szász ist eine der ÄrztInnen, die Frauen das Recht auf Abtreibung sichert. - Foto: Bert Bostelmann
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ÄrztInnen wie Nora Szász (Foto) werden ein­geschüchtert und angezeigt. Schwangere sollen sich ­wieder schämen und zum Austragen gezwungen werden. Seit fast einem halben Jahrhundert tobt nun der Kampf in Deutschland. Hat es denn nie ein Ende? Wann endlich werden Frauen die Herrinnen ihres eigenen Körpers und Lebens sein? In Kassel hat der Prozess gegen die beiden Gynäkologinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus begonnen - wegen Verstoß gegen den § 219a. Begleitet von Solidaritätsbekundungen von über 100 DemonstrantInnen. Das Urteil wurde wegen eines Befangenheitsantrags der Verteidigung gegen den vorsitzenden Richter vorerst verschoben. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Nachfolgend ein Auszug aus der September/Oktober EMMA, jetzt im Handel.

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Nora Szász ist wütend. Sie ist wütend über diejenigen, die sie und ihre Praxis-Kollegin Natascha Nicklaus im Internet als „Duo mortale“ beschimpfen. Grund: Die beiden Allgemeinmedizinerinnen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Das macht in Deutschland heute nur noch jedeR 15. GynäkologIn. Szász ist wütend, weil sie kürzlich erfahren hat, dass in Münster gerade der letzte Arzt, der noch Abtreibungen machte, aus Altersgründen seine Praxis geschlossen hat und es keinen Nachfolger gibt. Sie ist wütend, weil unter ÄrztInnen ein Schweige­gebot darüber herrscht, wer Abbrüche macht und das Thema Schwangerschaftsabbruch auch bei Ärztekongressen schlicht ignoriert wird.

Besonders wütend ist Nora Szász allerdings darüber, dass die Gesetzeslage es erlaubt, dass der Prozess gegen sie und ihre Kollegin überhaupt stattfinden kann. Deshalb hat sich die Frauenärztin geweigert, das zu tun, was der Staatsanwalt von den beiden verlangte: die Information, dass sie in der benachbarten Kasseler Tagesklinik einmal die Woche ambulante OPs durchführen, darunter auch Schwangerschaftsabbrüche, von ihrer Website zu nehmen. Denn Frauenärztin Szász weiß nur zu gut, dass es bei diesem Prozess nicht nur um sie selbst geht. Sondern dass es einer Entwicklung Einhalt zu gebieten gilt, die sie „sehr beklemmend“ findet: „Ich habe den Eindruck, ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht mehr gesellschaftsfähig. Das muss heute alles wieder unter dem Siegel der Verschwiegenheit stattfinden.“ Dazu gehört auch, dass „es nicht mehr üblich ist, dass ein Arzt ausweist, dass er oder sie Abbrüche macht und dazu steht“.

Dabei spielen Ärztinnen und Ärzte bei der Frage, ob Frauen unter medizinisch korrekten Bedingungen und ohne Lebensgefahr abtreiben können, eine Schlüsselrolle. Deshalb stehen sie unter besonderem Beschuss.

Zwar ist das in Deutschland (noch) nicht wörtlich gemeint. Doch das Beispiel USA zeigt, dass die Hatz auf so genannte „Abtreibungsärzte“ tatsächlich tödlich enden kann. Seit den 1980er-Jahren haben selbsternannte „Lebensschützer“ vier Ärzte und sieben MitarbeiterInnen von Abtreibungskliniken ermordet. Darunter den Gynäkologen Barnett Slepian, den sie 1998 vor den Augen seiner Frau und seiner vier Kinder durch das Küchenfenster erschossen, weil er im Krankenhaus „Buffalo Gyn Womenservices“ auch Schwangerschaftsabbrüche vornahm. Oder George Tiller, der an einer Klinik in Kansas Spätabbrüche machte, und dem ein „Lebensschützer“ 2009 mit einem Gewehrschuss das Leben nahm, als der Arzt gerade das Kirchenblatt seiner Gemeinde verteilte. Schon 1993 hatte „Tiller, dem Babykiller“ eine Aktivistin der „Army of God“ in beide Arme geschossen. Der jüngste Vorfall: Am 27. November 2015 nahm ein fanatisierter „Abtreibungsgegner“ in einer Planned Parenthood-Klinik in Colorado Springs 24 Geiseln und erschoss einen Polizisten und zwei Zivilisten. Auf das Konto der Pro-Life-­Bewegung gehen bisher elf Morde und über ein Dutzend weitere Mordversuche. Plus: hunderte Säureattacken, Körperverletzungen sowie Bomben- und Brandattentate auf Abtreibungs-Kliniken. In Amerika spricht man in diesem Zusammenhang schon lange von einem „Anti-­Abtreibungs-Terrorismus“.

Soweit ist es in Deutschland noch nicht. Aber auch hier gibt es massive Einschüchterungsversuche gegen ÄrztInnen.

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