Wedel: Lügt da wieder die Frau?

Regisseur Dieter Wedel. - Foto: Andreas Fischer/epd-bild/imago images
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Zum ersten Mal wird damit die gängige Strategie der Verteidiger von Männern, die der Sexualgewalt angeklagt sind, das mutmaßliche Opfer unglaubwürdig zu machen, nicht schulterzuckend hingenommen, sondern öffentlich gegengehalten. 

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Das Münchner Landgericht hat noch gar nicht entschieden, ob es die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft überhaupt annehmen und einen Prozess gegen Dieter Wedel eröffnen wird - da meldeten sich schon die drei VerteidigerInnen des Regisseurs lautstark zu Wort: mit einem dreiseitigen Interview im Spiegel.

Darin beklagte das Trio - Ex-CSU-Politiker Peter Gauweiler, seine Kanzlei-Kollegin Dörte Korn sowie Ex-Bundesrichter Thomas Fischer – die „Lynch-Stimmung“ und „widerrechtliche Vorverurteilung“ ihres Mandanten. Nicht nur damit sorgten die drei bei SchauspielerInnen für massive Empörung. Denn: Die StrafverteidigerInnen „verbreiten nicht nur misogyne Vorurteile und längst widerlegte Vergewaltigungsmythen, sondern beleidigen mit ihren Äußerungen neben den Zeuginnen im Prozess gegen Wedel den gesamten Berufsstand der Schauspieler:innen.“ 

Das ist klassische Täter-Opfer-Umkehr aus dem Mund eines ehemaligen Bundesrichters!

Deshalb haben fünf Mitglieder der Initiative „Pro Quote Bühne“ eine „Öffentliche Erwiderung“ verfasst. Sie wurde bisher von über 500 Theater- und Filmschaffenden unterzeichnet, darunter die Comedian Carolin Kebekus, die Schauspielerinnen Jasmin Tabatabai, Claudia Michelsen, Bibiana Beglau und Laura Tonke; und die Regisseurinnen Connie Walther und Isabel Kleefeld. Auch viele Männer sind dabei, zum Beispiel die Schauspieler Peter Lohmeyer und Johann von Bülow oder Regisseur Simon Verhoeven (der Sohn von Senta Berger).

Sie alle beklagen die „Vergewaltigungsmythen aus der Mottenkiste“, die Gauweiler, Fischer und Korn verbreiteten. So hatte Thomas Fischer im Spiegel zum Beispiel erklärt: „Wenn sich jemand planlos in gefährliche Situationen stürzt, hängt das schon mit Eigenverantwortlichkeit zusammen.“ Die UnterzeichnerInnen erwidern: Dies suggeriere, dass „Schauspielerinnen sich nicht wundern sollten, wenn sie vergewaltigt werden und geradezu selber schuld daran seien, wenn sie zu einer/m Regisseur:in ins Hotelzimmer gingen. Das ist klassische Täter-Opfer-Umkehr und haarsträubend aus dem Mund eines ehemaligen Bundesrichters“. 

Zur Erinnerung: Im Januar 2018 hatten im Zeit-Magazin drei Schauspielerinnen unabhängig voneinander den Regisseur Wedel beschuldigt, sie auf seinem Hotelzimmer sexuell bedrängt zu haben. Bei einer von ihnen, der damals 27-jährigen Jany Tempel, sei es 1996 bis zur Vergewaltigung gegangen.

Nachdem der Bericht erschienen war, meldeten sich weitere Frauen zu Wort, unter anderem die Schauspielerin Esther Gemsch. Auch sie erklärte, von Wedel vergewaltigt worden zu sein, im Jahr 1980, als 24-Jährige. „Er setzte sich rittlings auf mich, packte meinen Kopf bei den Haaren und schlug ihn immer wieder aufs Bett, einmal auch an die Wand und dann einmal auf die Bettkante“, schilderte Gemsch der Zeit. Dieter Wedel bestreitet alle Vorwürfe.

Nun erklären seine VerteidigerInnen, alles könnte „glatt gelogen“ sein. „In der Causa Wedel spielen das weibliche Gefallenwollen, aber auch Berechnung eine große Rolle“, sagte Strafverteidigerin Korn im Spiegel. Außerdem habe man es im Fall Wedel mit ZeugInnen zu tun, „die von Beruf Schauspieler sind. Also Personen, die gerne und schnell in andere Rollen schlüpfen, die aber auch die Gabe haben, überzeugend rüberzukommen in dieser Rolle“.

Die also, möchte Strafverteidigerin Korn offenbar mehr als andeuten, im Zweifel gute Lügnerinnen sind. Damit werde, so die über 500 UnterzeichnerInnen des Protestes, „ein ganzer Berufsstand verunglimpft. Umgekehrt könnte man auch Herrn Wedel unterstellen, er nutze seine Fertigkeiten als Regisseur für eine perfekte Inszenierung vor Gericht aus.“

Die Unschuldsvermutung gilt auch für die Zeuginnen in diesem Verfahren!

Denn schließlich, erklären die Protestierenden: „So wie die Unschuldsvermutung bis zum Abschluss des Verfahrens für Herrn Wedel gilt, so tut sie das auch für die Zeug:innen in diesem Verfahren.“

Das ist neu in Deutschland, wo nur jeder 100. mutmaßliche Vergewaltiger letztendlich auch verurteilt wird. Bisher hatten mutmaßliche Täter ein leichtes Spiel: Ihre Beschuldigung des mutmaßlichen Opfers wurde gerade von manchen Medien bereitwillig aufgenommen und kolportiert. So wie 2011 die Vorverurteilung der Freundin von Jörg Kachelmann, die ihn beschuldigte, sie vergewaltigt zu haben. Monate vor Beginn des über acht Monate laufenden Prozesses hatten damals die Zeit und der Spiegel erklärt: Die Frau lügt, Kachelmann ist unschuldig. Niemand widersprach dieser unerhörten Vorverurteilung damals öffentlich. Das scheint sich gerade zu ändern.

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Hier die Erwiderung von "Pro Quote Bühne" auf den Spiegel-Artikel im Wortlaut. Mehr auf www.proquote-buehne.de

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