Wo bleibt die Butch?

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In Berlin gibt es seit einiger Zeit Frauen-Partys, die sich ausschließlich an „lesbische und bisexuelle Frauen (einschließlich Transfrauen und Inter­sexfrauen)“ richten; an Menschen also – so lautet der Zusatz – „die sich grundsätzlich mit dem Pronomen ‚sie‘ richtig beschrieben fühlen.“ Das ist, auch wenn es erst einmal harmlos klingt, ein Politikum.

Denn die Zeichen der Zeit stehen auf Diversity und Inklusion. „Wenn du ... dich als ‚genderfluid‘ siehst, ist diese Party nicht für dich. Sie ist ebenfalls nicht für Transmänner, Transvestiten, Crossdresser und Männer“, heißt es weiter im Einladungstext. Das klingt nicht gerade gender bender.

Die Veranstalterinnen wollen offenbar ein etwas aus der Mode gekommenes Modell exklusiver „Frauenräume“ wiederbeleben. Sie reagieren damit auf ein Phänomen, das in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zunehmend zu beobachten ist: Etliche der Frauen, die früher einfach „butch“ gewesen wären, also sich „männlich“ inszenierende lesbische Frauen, sind oder werden heutzutage Transmänner. Da viele von ihnen aber aus der lesbischen Szene kommen und in ihr zu Hause sind, sieht man auf den entsprechenden Partys nun immer mehr Männer, Transmänner eben, die teils zart, teils massiv mit behaarter Brust, Bierbauch und entsprechenden Manieren als Kerle auftreten. Queer ist das natürlich. Frau fragt sich aber schon, ob sie jetzt noch auf einer Frauenparty ist.

Es gibt einen Trend zu Trans, so scheint es, und auch erstaunlich viele der berühmten ­Sexual Politics-Aktivistinnen haben sich mehr oder weniger eindeutig ins Männliche hin verschoben. Leslie Feinberg, die Autorin von „Stone Butch Blues“, unterzog sich einer Behandlung; Judith Halberstam („Female Masculinity“) nennt sich nun Jack Halberstam; Pat ­Califia, die den Lesbensex-Klassiker „Sapphistry“ schrieb, ist heute Patrick. Umgekehrt lebt der Begründer der Männerforschung, Robert Connell, heute als Raewyn Connell. Auch manche nicht ganz so berühmte Lesbe aus der Szene trifft man heute als waschechten Typen wieder. Die Medizin macht’s möglich. Und auch die rechtliche Liberalisierung in Sachen Transgender. Seit der Novelle des Transsexuellengesetzes von 2011 ist für eine Personenstandsänderung keine operativ hergestellte „dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit“ mehr nötig, also kein operativer genitaler Eingriff. Das ist ein guter Schritt, der im Grunde gegen die verpflichtende medizinisch hergestellte Vereindeutigung des Geschlechts geht. Es kann also jetzt ein Transmann theoretisch Kinder gebären. Warum auch nicht.

Dennoch bleibt Transsexualität für klassisch sozialisierte Homos eine zwiespältige Sache. Erstens, weil hier eher Geschlechtsidentität im Vordergrund steht und weniger das Begehren. Zweitens evoziert trans einerseits ein multiples, andererseits aber auch irritierend eindeutiges Gender-Bild. Verkürzt gesagt haben Transpersonen „im falschen Körper“ eher ein Problem mit sex, also dem biologischen Geschlecht, Homos dagegen eher mit gender, also der sozialen ­Geschlechterrolle.

Ein Haken jedenfalls ist, dass Ex-Lesben oder Ex-Schwule als Transmenschen wieder ins heterosexuelle Paradigma passen, falls sie unterwegs nicht auch ihre sexuelle Orientierung wechseln. In der Lesben-Szene sprechen manche jetzt wehmütig vom „Verschwinden der Butches“. Eine meiner Bekannten bezeichnete die immer häufigeren „Transitions“ gar als einen „Dolchstoß in den Rücken der Butches“. Wer heute noch als „Mannweib“ rumläuft, so scheint es, ist selber schuld und hört mitunter auch den freundlich gemeinten Ratschlag: „Nimm doch Testo.“

Die Butch ist keine einfache Figur, denn im Alltag verstößt sie gegen eine soziale und daher auch gegen eine ästhetische Norm. Egal wie frei unsere Mode angeblich sein soll: Eine Frau mit zu vielen männlichen Attributen irritiert und gilt als hässlich. Von einer Butch hörte ich, dass es „wie Urlaub war“, als sie sich die Haare einmal länger wachsen ließ. Eine andere – sie ist groß, schlank und macht wirklich etwas her – erzählt, dass ehedem maulfaule KollegInnen plötzlich mit ihr redeten, seit sie ihre Locken nicht mehr ganz so kurz geschnitten trägt. Wieder eine andere, ältere Butch sagte, dass sie sicher Testosteron genommen hätte, wenn es diese Möglichkeit in ihrer Jugend schon gegeben hätte. Ein Transmann gesteht, dass er jetzt, als Mann, tatsächlich berufliche Vorteile hat und besser verdient.

Keine Frage: Weil Ästhetik sich immer an Angemessenheit, das heißt auch an Geschlechtskonformität orientiert, sehen Butches als Männer vielleicht nicht besser, aber oft adäquater aus. Und sie fühlen sich ja auch so. Bei den Lesben aber, zumindest bei denen einer bestimmten, mehr feministisch als queer geprägten Generation, löst ihr Verschwinden  eine erotische Trauer aus, ja mehr noch: eine feministische Wut. Denn die medizinisch-pharmakologisch unterstützte Vereindeutigung des Geschlechts bedeutet eine Reduzierung der Vielfalt spezifisch weiblicher Begehrens- und Identitätsmuster. Und sie befördert zum Teil eine Maskulinisierung, eine Aufwertung der Virilität gegenüber dem Weiblichen.

Der Umgang der Transmänner untereinander erinnert jedenfalls eher an die offensivere schwule Subkultur als an die lesbische. Es ist also nicht ganz unverständlich, dass manche die „Transition“ als sexuelles Renegatentum deuten und sich ihre Frauenräume zurückwünschen.

In Geschlechterfragen liegen die Nerven grundsätzlich schnell blank, es gibt hier verständliche Empfindlichkeiten auf allen Seiten. Das Bild von Transsexualität hat sich verändert, wir sollten heute besser von Transidentität sprechen und keinesfalls mehr von Geschlechtswechsel, wie noch vor einigen Jahren üblich. Denn das Zielgeschlecht sei immer schon das eigentliche gewesen, das sich richtig anfühlte, sagen die Betroffenen. Das ist nachvollziehbar; irritierend ist aber, wie sicher manche jetzt von einem „Gehirngeschlecht“ reden. Als gebe es da eine eindeutige Geschlechtsnatur, die nicht mehr zwischen den Beinen zu verorten ist, sondern zwischen den Ohren. An dieses „wahre“ Geschlecht soll der Körper angeglichen werden. Hat denn hier keineR das Gefühl, einer Ideologie aufzusitzen, einer hübschen Volte pharmakologisch und plastikchirurgisch inspirierter Biopolitik?

Ob die Geschlechtsangleichung nun eine Befreiung ist oder ein Einknicken gegenüber Konventionen, bleibt offen. Vielleicht stimmt ja, was die radikale Gender-Theoretikerin Beatriz (mittlerweile Paul) Preciado in Anlehnung an Foucault behauptet: Dass nämlich Homo­sexualität als Gegenentwurf zu Heterosexualität eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sei und im diversifizierten 21. Jahrhundert als Konzept nicht mehr tauge. „Ent-identifiziert euch“ lautet der Ruf Preciados. Er/sie und die meisten Queer-Aktivist*innen lesen Transsexualität daher als die eigentliche Subversion des Geschlechts.

Problematisch aber bleibt, dass diese Subversion – zumindest ästhetisch, oft aber auch lebenstechnisch – als Mimikry ans herrschende Modell daherkommt. Dass also Frau-zu-Mann Transsexualität sich nicht wie eine weibliche Aneignung des Phallus anfühlt, sondern eher wie eine phallische Überwindung des Weib­lichen. Das alte Programm also.

Der Spagat zwischen queer und feministisch, zwischen zwei Formen von Identitätspolitik, ist nicht leicht zu meistern. Denn einerseits gilt absolute Solidarität gegenüber allen Transpersonen. Aber als Feministin kann frau den Verdacht haben, dass sich unter dem ­Label „queer“ eben auch wieder ein massiver gesellschaft­licher Maskulinismus durchsetzt.

Ich erinnere mich, dass zu Zeiten der reinen Frauenräume – der Frauencafés, Frauenbuchläden, Frauenseminare, Hexentänze – immer der ein oder andere Mann Zugang wollte, weil er einfach nicht einsehen wollte, dass es Zonen gibt, in die Männer nicht hineindürfen. Wer hätte gedacht, dass sich im Herzen der lesbischen Community einmal dieselben „heterosexuellen“ Kämpfe wiederholen würden?

Das Anstößige am alten Feminismus war, dass er Männer ausschloss, dass er sich der gesellschaftlichen Nachsicht für virile Dominanz nicht beugte. Er hat sich getraut, Männer nicht zu mögen. Diese Politik des Ausschlusses hat heute keine Glaubwürdigkeit mehr. Wir sind weiter. Wir sind differenzierter. Aber ein Stück der alten Radikalität blieb dabei auch auf der Strecke.

 

Andrea Roedig

emma.de
Ode an einen KV (EMMA-Sonderband Sexualität, 1983)

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