Wollen die nur spielen?

Anita Sarkeesian analysiert Sexismus in Computerspielen.
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Beginnen wir mit einem Geständnis: In der EMMA gibt es keine, die Computerspiele spielt (außer Grafikerin Silvie). Aber mit Beleidigungen und Drohungen im Internet und mit Hass auf Frauen kennen wir uns aus, Alice Schwarzer allen voran. Also mit den Zutaten, die die Diskussion über Sexismus und sexuelle Gewalt in der Gamerszene unter dem Hashtag „#Gamergate“ seit Monaten am Kochen halten.

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Bis hin zur New York Times und zur Tagesschau wurde berichtet über die Übergriffe im Internet auf Frauen. Doch diese Attacken von Frauenhassern sind ein immer wiederkehrendes Szenario, das gespielt wird, sobald Frauen ihren Platz in der Welt einfordern, in dem Fall in der digitalen Welt. Und es funktioniert stets nach denselben Mustern. 

Fall 1 Im August 2014 verließ die amerikanisch-kanadische Analystin für Computerspiele Anita Sarkeesian nach Morddrohungen ihre Wohnung. „Ich werde dich zu Tode vergewaltigen“, hatte einer ge­twittert, samt Anitas Adresse. „Und deine Eltern werde ich auch umbringen.“ Sarkeesian analysiert auf ihrem Blog Feminist Frequency seit 2012 in einer Videokolumne Sexismus in Computerspielen. „Tropes vs. Women in Video Games“ heißt das Projekt. Über 300 Spiele sind im Visier, von Nintendos „Super Mario“, in dem Frauen nur als Jungfrau in Nöten auftauchen, bis zur Action-Spiel-Serie „Grand Theft Auto“, in der Spieler in die Unterwelt Krimineller eintauchen. Da gibt es auch Prostituierte. Und wer diese Frauen nach dem Sex mit einer großkalibrigen Schusswaffe abknallt, bekommt sein (Spiel-)Geld zurück. 

Als Game-Expertin Sarkeesian 2012 eine Kickstarter-Kampagne lancierte, mit der sie über 150.000 Dollar für ihr Projekt sammelte, programmierten aufgebrachte Gamer „Beat up Anita Sarkeesian“ (Anita Saarke­sian zusammenschlagen). Jeder konnte ­Anitas Gesicht via Mausklick grün und blau prügeln. Soweit die virtuelle Gewalt. 

Zur realen Gewalt ist es dann nur noch ein Schritt. Als Sarkeesian im Oktober 2014 einen Vortrag an der Universität in Utah halten wollte, kündigte ein gewisser Marc Lépine „das schlimmste Schul-Massaker“ an, das Amerika je gesehen hatte. „Feministinnen haben mein Leben ruiniert und ich werde mich rächen“, stand in seiner E-Mail an die Universität. Seinen Namen hatte der Mann sich ausgeliehen: Bei dem echten Lépine, der 1989 in Montreal in eine Ingenieursschule ging und 14 Frauen erschoss. Der Amokläufer hatte das Feuer mit den Worten eröffnet: „Ich hasse Feministinnen!“ (EMMA 2/1990). 

Sarkeesian sagte den Auftritt ab. Die Universität hatte ihr mitgeteilt, sie könne wegen der Gesetzgebung in Utah niemanden in Besitz einer gültigen Schusswaffenlizenz daran hindern, eine Waffe bei sich zu tragen. 

Fall 2 Im August 2014 eskalierten auch die Drohungen gegen Spieleentwicklerin Zoe Quinn – der eigentliche Auslöser für „Gamergate“. Quinn hatte 2013 das Spiel „Depression Quest“ veröffentlicht, in dem jede und jeder in die Welt eines depressiven Menschen eintauchen kann. „Die Belästigungen begannen an dem Tag, an dem das Spiel veröffentlicht wurde“, sagt sie. Sie schaukelten sich hoch, als die Erfinderin Preise erhielt. Als dann das Spiel im Sommer 2014 auf „Steam“, einer bekannten Download-Plattform für Computerspiele, landete, veröffentlichte Quinns Ex-Freund einen Blogbeitrag, in dem er nicht nur die ­intimsten Details über die gemeinsame Beziehung ausplauderte, sondern ihr auch unterstellte, sie habe Affären mit Spielejournalisten, um sich positive Rezensionen zu erschleichen. 

Das gab Zoe zum Abschuss frei. „Das nächste Mal, wenn sie auf eine Konferenz kommt, machen wir sie zum Krüppel. Wir fügen ihr eine Verletzung zu, die nie wieder heilt. Ich würde ja einen Gehirnschaden vorschlagen, aber dann ist sie nachher zu behindert, um Angst vor uns zu haben“, schrieb einer in dem für Hass­attacken berüchtigten Forum „4Chan“. Quinns private Daten – Adresse, Konto, Versicherungen, Krankenkasse – wurden gehackt und im Internet veröffentlicht. Darunter auch Nacktfotos von ihr. „Doxxing“ nennt sich das heute. Anonyme Männer riefen bei ihrem Vater an und brüllten, dass seine Tochter eine „Hure“ sei. Auch Zoe Quinn flüchtete aus ihrer Wohnung. 

Jede und jeder konnte währenddessen auf Twitter live verfolgen, wie sich die Sache verselbstständigte. Tweets im Sekundentakt. Tagelang. Wer sich eigentlich hinter diesem unüberschaubaren Netzwerk aus Computerspielern verbarg, die als „Gamergate-Bewegung“ durch das Netz marodierten – unklar. Quinn: „Sie versuchen, ihren Frauenhass zu verschleiern. Aber sie diffamieren nur Frauen. Niemanden stört’s, wenn männliche Spieler mit Journalisten essen gehen.“ 

Als deutsche Bloggerinnen 2010 den Sexismus öffentlich machten, den sie täglich erleben, provozierte das ähnliche Reaktionen. Inklusive Morddrohungen. (EMMA 3/2010). Und als Wikipedianerinnen über den Sexismus innerhalb der Wikipedia-Community berichteten, hagelte es ebenso Hohn und Drohungen (EMMA 1/2013). Innerhalb der Wikipedia gab es kürzlich auch einen so genannten „Editierkrieg“ um den Gamergate-­Artikel. Mit dem Ergebnis, dass ein Schiedskommitee aus Administratoren fünf feministische AutorInnen für den ­Artikel sperrte. Drei davon dürfen nun für die Online-Enzyklopädie gar nicht mehr über Themen schreiben, die mit Geschlechterfragen zu tun haben. 

Die Drohkulissen gegen Frauen bauen sich immer gleich auf: Anfangs gibt es ein misogynes Grummeln in einschlägigen Foren. Dieses Grundrauschen wird unterfüttert mit Verschwörungstheorien über vermeintlich gefährliche Frauen, die durch angebliche Manipulation versuchen, die virtuelle Welt zu infiltrieren. Darüber wird dann fleißig auf Blogs und in den Kommentarspalten von Online-Nachrichtenmedien geschrieben. Und alle sind sich einig: Die Männer sind nicht Täter – sie sind Opfer.

Es werden Listen angelegt von Frauen, die es entweder zu beeinflussen oder auszuschalten gilt. Es werden Strategiepapiere verfasst. Es wird in Sozialen-Online-Netzwerken provoziert, beleidigt und gedroht. Und spätestens, wenn das komplette Privatleben einer Frau offengelegt wurde, ist es soweit: Attacke! Da müssen die Typen, die die Sache angezettelt haben, gar nicht mehr selbst agieren. Das erledigt dann einer, der komplett durchknallt. 

Und das Problem existiert nicht nur in der virtuellen Welt. Es hat ganz reale Vorläufer: in allen Domänen, die einst „Männerdomänen“ waren. So stieg zum Beispiel die Gewalt beim Militär gegen die Frauen schlagartig an, als Soldatinnen in den 1990er Jahren der uneingeschränkte Zugang bis hin zu den Kampftruppen und in die Generalstuben gewährt wurde. (In Deutschland stehen Frauen erst seit 2001 alle militärischen Laufbahnen offen). Bis heute stapeln sich bei dem Wehrbeauftragten des deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, die Klagen von Soldatinnen über Mobbing und sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte und Kameraden. Ein „sexualisiertes Arbeitsklima“ sei der „größte Risikofaktor für sexuelle Belästigung“ – auch das steht im Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten. 

Zurück zum Internet. Es ist nicht überraschend, dass es gerade jetzt die Spieleindustrie ist, in der es so heiß her geht. Denn es geht um viel. Der Spiele-Blockbuster „Grand Theft Auto V“ hat im Jahr 2013 am ersten Tag seiner Veröffentlichung 800 Millionen Dollar eingespielt; und allein in Deutschland hat die Computerspieleindustrie im selben Jahr 2,65 Milliarden Euro umgesetzt. Tendenz steigend. 42 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren, sprich etwa 30 Millionen Menschen, spielen laut Technikverband Bitkom hierzulande Computerspiele. 39 Prozent davon sind weiblich. In den USA haben die Frauen ganz aufgeholt: Genauso viele erwachsene Frauen wie Männer spielen.

Nur: Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen spielen nicht das Gleiche. Der „Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest“ hat eine Studie veröffentlicht, in der 12- bis 19-Jährige befragt wurden. Jungen spielen am liebsten das Fußballspiel FIFA, den Ego-Shooter Call of Duty und Grand Theft Auto. Mädchen hingegen spielen am liebsten Quiz Duell und Candy Crush. Bei letzterem sortieren sie Süßigkeiten. 

(...)

Fall 4 ist Spiele-Entwicklerin Jana Reinhardt. Die 29-jährige  sitzt im ostdeutschen Halle. „Die Diskussion über Sexismus in der Spieleindustrie gärt auch in Deutschland seit Jahren“, sagt sie. „Männer wurden lange als einzige Zielgruppe hofiert, das muss sich ändern.“ Zum Beispiel, indem sich endlich mehr Frauen in den Bereich reintrauen. „Davon würde nicht nur das Arbeitsklima profitieren und es gäbe weniger Belästigung – vor allem wären die Spiele vielfältiger!“ Jana betreibt zusammen mit ihrem Freund ein eigenes Independent-Studio: „Rat King Entertainment“. Die beiden haben gerade das Spiel „Tri“ veröffentlicht.

Fall 5 ist Jennifer Schneidereit in Birmingham. Sie will Spiele kreieren, seit sie als Sechsjährige das erste Mal Pac-Man gespielt hat. Heute ist sie 36 Jahre alt, hat sowohl in Tokyo für einen Independent-Spiele-Entwickler gearbeitet als auch für den Branchenriesen Microsoft in England. Und jüngst hat sie die Spiele-Schmiede „Nyamyam“ mitgegründet. Sie sagt: „Wir lassen uns als Frauen nach all den Jahren doch nicht mehr sagen: Du darfst nicht mitmachen, weil du kein Mann bist!“ „Tengami“ heißt ihr Computerspiel, japanischen Einflüsse sind unverkennbar. Jennifer schreiben vor allem Spielerinnen, wie toll sie das finden. Und Jennifer findet: „Wir brauchen eine breitere Debatte über Sexismus in der Spieleindustrie!“. 

Die hat begonnen. Trotzdem fallen Sätze wie: So ist das eben im Netz, da ist der Ton ein bisschen rau. Das sind eben so ein paar vergrämte Jungs, die früher kein Mädchen abbekommen haben. 

EMMA wollte es genauer wissen und fragte beim Bundesministerium für Inneres und den Innenministerien der Länder sowie den Landeskriminalämtern nach der Anzahl an Frauen, die im vergangenen Jahr zum Beispiel via Facebook, Twitter oder E-Mail mit dem Tod bedroht wurden. Doch dafür hatte sich bisher scheinbar niemand interessiert. „Vermutlich müssten die Daten bundesweit überarbeitet werden, um diese neuen Formen der Kriminalität besser abzubilden“, antwortete unter anderem die Bremer Landesbehörde für Inneres und Sport. Und die Berliner Polizei schrieb: „Bei der Erfassung der Delikte werden die in Frage kommenden Bedrohungswege/Tatmittel wie von ihnen aufgeführt nicht gesondert erfasst.“  

Die wenigen vorliegenden Zahlen zu „Bedrohung“ und „Nachstellung“ mit dem „Tatmittel Internet“ hat das Bundesinnenministerium nun ausgewertet. 

Zur Bedrohung: Die Anzahl der Opfer ist seit 2010 von 1.993 auf 3.025 im Jahr 2013 angestiegen – also um über 50 Prozent in nur drei Jahren. Es sind mehr weibliche Opfer als männliche (2013: 1.638 zu 1.387). Anders sieht es bei den TäterInnen aus: Im Jahr 2013 waren das 1.886 Männer – und nur 550 Frauen. 

Zur Nachstellung: Die Anzahl der Opfer hat sich seit 2010 ebenso erhöht: von 1.174 auf 1.654 – also ebenso um fast 50 Prozent in drei Jahren. Hier sind Frauen vier Mal so oft betroffen. Umgekehrt ist es bei den Tatverdächtigen: Da sind 994 männlich und 305 weiblich. Doch es ist davon auszugehen, dass das Dunkelfeld sowohl bei den Bedrohungen als auch bei der Nachstellung viel größer ist. Denn viele Frauen zeigen Übergriffe im Internet gar nicht erst an. 

Welche Maßnahmen bei einer Anzeige eingeleitet werden, ist Sache der Landespolizei. Sie variieren je nach Gefahrenlage von „Belehrung“ über „Kontaktverbote“ bis hin zur Verhaftung. Auch Personenschutz für Betroffene ist denkbar. Doch zunächst muss der Täter ermittelt werden. Die Polizei kann zwar bei Onlineanbietern die Bestandsdaten der Absender oder auch IP-Adressen abfragen. Die meist anonym agierenden Täter können jedoch ihre Spuren im Netz verschleiern oder sie sind gar nicht mehr vorhanden. „Dieser Ermittlungsansatz führt mangels Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in der Regel ins Leere“, schreibt das Innenministerium. Darüber streiten DatenschützerInnen seit Jahren. 

Kürzlich traf sich die „Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen­büros“ auf der Tagung „Dann geh doch nicht ins Internet! Gewalt gegen Frauen im Netz“. Die Gleichstellungsbeauftragten sind besorgt über die „steigende Diskriminierung von frauenpolitischen AkteurInnen im Netz“. Zu ihren Forderungen zählen ein „Gesetz gegen Cybermobbing“, mehr Beratungsstellen für Betroffene und eine Kampagne zur „Ächtung von Cybersexismus“. 

Tatsache ist: Diese Jungs sind ganz schön gut organisiert. Und sie sind laut. So laut, dass sie leider auch ihre Geschlechtsgenossen übertönen, die es besser machen wollen. Wie zum Beispiel die 2.500 Computerspiele-Entwickler (und Entwicklerinnen), die auf dem Höhepunkt der Gamergate-Debatte einen „Offenen Brief an die Gaming-Community“ unterzeichnet haben: Gegen Belästigung und für mehr (Geschlechter-)Vielfalt in den eigenen Reihen. Wer sich sowieso nicht den Mund verbieten lässt, sind die Frauen. Zoe Quinn hat das Betroffenen-Netzwerk „Crash Override“ gegründet – und ziemlich gute Ideen.                         

(Gekürzte Fassung aus EMMA 2/15)

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Geschlechterkrieg im Netz

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Die größte Gefahr für die Gleichberechtigung ist die Annahme, wir hätten sie schon erreicht“, sagt Rena Tangens. Die Internet-Pionierin und Datenschutzexpertin von FoeBuD sitzt zwischen einem Dutzend anderer Frauen (und einem Mann) auf einer großen Wiese vor dem DGB-Bildungszentrum in Hattingen an der Ruhr. „Frauenim.Net“ heißt das Treffen, ein Stelldichein von NetzexpertInnen, die am ersten Juni-Wochenende Bilanz ziehen. Frauen, Feminismus und Netzkultur – wie steht es um die Geschlechtergerechtigkeit im Internet?

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In ihrem Vortrag „Androzentrismus im Netz 2.0“ erzählt Tangens folgende Anekdote: Ihr erster Besuch auf einem Chaos-Computer-Club-Kongress (CCC) in Hamburg anno 1988. Hunderte Männer sind da – und zwei Frauen. Nämlich: Rena Tangens und die Freundin eines Hackers, die sich um Kaffee und Vollkornbrötchen kümmert. Tangens tut zwei Dinge. Sie schwört sich, sich auf künftigen CCC-Kongressen niemals für Cafeteria-Dienste zu melden. Und sie gründet die „Haecksen“, ein Zusammenschluss weiblicher Hacker des Clubs. Fortan gab es auf den CCC-Kongressen einen Raum für Frauen – ein Projekt, das im Hamburg der 80er Jahre auch Hacker-Kollegen begrüßten und unterstützten. „Aber als dann die New-Economy-Blase aufpoppte und der Kongress nach Berlin umzog, begannen die Diskussionen mit Männern, die dem Projekt mit Unverständnis begegneten“, sagt Tangens.

In der Runde in Hattingen sitzt auch Anne Roth, Verfasserin des politischen Blogs „annalist“. Roth hat im vergangenen Jahr einen Blogeintrag geschrieben, den sie als „Tomatenwurf im Netz“ bezeichnet. Der legendäre Wurf auf dem Studentenkongress in Frankfurt einer „Genossin“ gegen den Obergenossen Krahl war 1968 der Startschuss für das Aufbegehren der Frauen innerhalb der linken, studentischen APO (Außerparlamentarische Opposition). Warum werden die meistgelesenen Blogs nur von Männern verfasst?, fragte Anne Roth also nun und trat damit eine Diskussionslawine los.

Zwischen den Erfahrungen von Tangens und Roth liegen etwas mehr als zwei Jahrzehnte – und die Etablierung des World Wide Webs. Viel geändert hat sich seither scheinbar nicht. Wir schreiben das Jahr 2010, dem Feminismus der 70er Jahre folgte der Post-Feminismus der 90er Jahre, und heute sprechen wir wie selbstverständlich von Gleichberechtigung. Klar, in der echten Welt gibt es noch das ein oder andere Problem.

Aber im Internet, sind wir da nicht alle frei? Unabhängig von Hautfarbe, Kontostand oder Geschlecht? Hier hat jeder Zutritt; kann seine oder ihre Meinung sagen; als MusikerIn, AutorIn oder VideoproduzentIn berühmt werden; Programme zum Download bereitstellen, Netzwerke aufbauen oder sogar Unternehmen gründen und mit viel Glück MillionärIn werden. Oder?

Als das Time Magazine im Jahr 2006 „You“ zur Person des Jahres kürte und diese drei großen Buchstaben vor einem Computerbildschirm auf den Titel setzte, war doch eigentlich alles gesagt.

„Du kontrollierst das Informationszeitalter“ schrieb das Magazin. Das Netz ist deine Chance, mach was draus! Doch seit einiger Zeit erreicht die Nachricht selbst die Offline-Welt: Diese Chancengleichheit gilt offenbar nicht für Frauen. Der Geschlechterclinch, er rumort in der Blogosphäre, auf Hacker-Treffen und auf Netzkongressen.

Mit ihrem Alarmruf „Sexismus 2.0“ brachte Susanne Klingner die Problematik in Neon auf den Punkt. „Das Medium des 21. Jahrhunderts repräsentiert die Geschlechterverhältnisse des 18. Jahrhunderts“, schrieb sie. Frauen schreiben Strickblogs, Männer führen das große Wort, wenn es um Politik und Technik geht. „Kompetenz wird im Internet, wie auch außerhalb des Netzes, immer noch mit Männlichkeit gleichgesetzt“, klagt Klingner.

Sie selbst gehört nicht gerade zur Strickblog-Fraktion. Sie ist Autorin bei dem Gemeinschaftsblog „Mädchenmannschaft“, der sich zu feministischen Themen zu Wort meldet. Und als solche hat sie ein Problem, das vielen Bloggerinnen zunehmend zu schaffen macht: Frauen, die sich zu den „harten“ Themen zu Wort melden, müssen sich auf fiese Kommentare unter der Gürtellinie gefasst machen.

Als Klingner zum Beispiel kürzlich ein Radiointerview zum Thema „Feminismus im Netz“ gab, quoll danach die Kommentarfunktion der Mädchenmannschaft über. „Suchen Sie sich einen Mann und sitzen Sie nicht vor technischen Gerätschaften wie dem Computer“, stand da. Oder: „Vielleicht sollten Sie demnächst mal wieder etwas mehr für Ihre Figur machen, sich entsprechend kleiden, dann klappt es auch mit den Männern.“

Die Gender-Debatte im Netz, eine Zeitreise: Ähnliche Sprüche waren schon in den 60er Jahren angesagt, um Frauen einzuschüchtern. „Frauen mischen sich zu wenig in die Netzpolitik ein“, findet auch Leena Simon, die das Vernetzungstreffen in Hattingen gemeinsam mit der Bloggerin Gudrun Habersetzer organisiert hat. Die 25-jährige Politikstudentin gilt heute als das Zünglein an der Waage, wenn es um die Gender-Debatte innerhalb der Piratenpartei geht.

Auf dem Bundesparteitag im Mai kandidierte sie als einzige Frau für den Parteivorstand. Die Wahl hat sie verloren. Vor allem, weil sie ihren Parteigenossen kurz zuvor mit der Gründung eines Netzwerks für „Piratinnen“ – Slogan: „Klarmachen zum Gendern!“ – auf die Füße getreten war. Schließlich wollen die Piraten den Faktor Geschlecht erst gar nicht zum Thema machen, und so bescherte die Debatte über Leena Simons Gender-Initiative viel internen Zank und der Diskussion um Gleichberechtigung im Internet ein neues Schlagwort: „post-gender“.

Wer den Begriff aus der Taufe hob, ist unklar. Der Piratenpartei-Vorsitzende Jens Seipenbusch will es nicht gewesen sein, er dementierte die Aussage „Wir sind post-gender!“ in der taz. Das ändert allerdings nichts daran, dass trotz zehnstündiger Wahlprozedur am 15. Mai keine Frau in den Vorstand gewählt wurde. In Hattingen herrschte Einigkeit: Von einem Post-Gender-Zustand im Netz – also ein Zustand, in dem das Geschlecht keine Rolle mehr spielt – kann noch lange nicht die Rede sein.

Das zeigte sich im April auch auf der „re:publica“, einem Treffen der deutschsprachigen Bloggerszene. Zum vierten Mal fand die Konferenz in Berlin statt und auch hier wurde die Genderfrage gestellt: „Das andere Geschlecht – Sexismus im Internet“ hieß eine von zwei Diskussionsrunden zum Thema, in der Anne Roth mit einer weiteren Bloggerin und einem Kulturwissenschaftler auf dem Podium saß.

Während die Podiumsteilnehmer und das Publikum über fehlende Geschlechtergerechtigkeit im Netz debattierten, lieferte ein anonymer User namens Penenbernd im Livechat ein anschauliches Beispiel für die Problematik: Geschätzte hundert Mal ließ er seinen Beitrag über die Leinwand flimmern. Er lautete: „Mein Sack“.

Etwas Ähnliches geschah auf dem Kongress „Sigint“ des Chaos Computer Clubs am letzten Mai-Wochenende: Hier kommentierte ein Teilnehmer die Veranstaltung „Women and Geek Culture – What’s the problem, guys?“ auf Twitter: „So, jetzt reden zehn Brüste über Feminismus.“

Es sind vor allem diese sexistischen Kommentare, die von konstruktiven Diskussionen über die Rolle von Frauen im Netz ablenken. Im Duktus der Netzgemeinde heißen solche Störer „Forentrolle“. Einfach ignorieren, lautet der gängige Rat, Forentrolle sind überall. Doch das ist gar nicht so einfach, weiß Beate Hausbichler, die als Redakteurin für das Wiener Online-Magazin dieStandard nach Hattingen gekommen ist. Bis zu 1000 Postings müssen die Redakteurinnen an manchen Tagen überblicken.

Im Forum tummeln sich vor allem Männer, die gegen Feminismus wettern. Bei dieStandard ist deshalb dienstags forenfreier Tag. An diesem Tag stellen die Redakteurinnen ihre Meinunsgsstücke online, die meist Ziel besonders heftiger Attacken sind. „Ich habe schon von vielen Frauen gehört, dass sie auf unsere Seite keine Beiträge mehr posten, weil sie sich die Kommentare darauf nicht antun wollen“, bedauert die Journalistin.

EMMA hat ganz ähnliche Erfahrungen im Netz. Susanne Patzelt, die seit Jahren das EMMA-Forum moderiert, berichtet: „Immer wieder versuchen Maskulisten, jene organisierten Feministinnen-Feinde und Frauenhasser, das EMMA-Forum zu überschwemmen und meinungsfreudige Feministinnen einzuschüchtern. Das geht von einfachen Beleidigungen bis zum organisierten Stalking.

Aber vor allem: Sie versuchen gezielt, konstruktive feministische Diskussionen auf Null zu bringen. Es geht ihnen nicht darum, ihre kontroverse Sicht der Dinge vorzutragen, sondern bewusst die Party zu sprengen und den Frauen die eigenen Spielregeln und Themen aufzuzwingen."

Aus diesem Grund hat EMMAonline seit Anbeginn ein moderiertes Forum: Jeder Beitrag wird grundsätzlich erst nach Sichtung ins Netz gestellt. Mehrere Versuche, auf diese Vorabsichtung zu verzichten, endeten auf EMMAonline binnen Stunden in Hasspostings gegen die „Feminazis“ und das „schwanzlose Gesindel“.

Auch Gudrun Habersetzer, Mit-Initiatorin des Hattinger Vernetzungstreffens, hatte kurz vor dem Wochenende eine E-Mail dieser Art erhalten: „Na, bekommt ihr euer Genderwahnsinnstreffen nicht voll? Ja ja, die natürlichen Frauen, die es zum Glück auch noch gibt, lesen halt lieber Bunte als c’t.“ Die Mail hat das 45-jährige „Piratenweib“, so lautet auch der Titel ihres Blogs, gleich in ihren Vortrag über Cyberstalking eingebaut. „Die Anonymität des Internets senkt die Hemmschwelle, Menschen offen anzugreifen“, sagt Habersetzer. Sie weiß, wovon sie redet.

Seit sie ihren Blog betreibt, hat sie selbst zahlreiche E-Mails der Art bekommen, wie sie sie jetzt per Beamer an die Wand wirft: „Wegen solcher Tussen krieg ich Lust, mal ne Frau zu vergewaltigen“, heißt es da über die „Femischlampen“. Oder: „Erschießen sollte man diese Fotze!“ Neben E-Mails versenden die Stalker auch sexistische oder pornografische Fotos, sie verbreiten Gerüchte im Netz oder loggen sich unter den Namen der Frauen in Foren ein und posten Beiträge. Und der Ton steigert sich.

Die erste Morddrohung erreichte Stephanie Mayfield vor ein paar Monaten. Neben ihrem Studium betreibt Mayfield das feministisch-lesbische Werbenetzwerk „Lila Box“. Eigentlich wollte sie an diesem Abend vor einer Party nur noch schnell einen Blogeintrag veröffentlichen. Stattdessen ging sie mit einer ausgedruckten E-Mail zur Polizei. „Dir gehört der Schädel wirklich verprügelt. Ich häng dich mit den Füssen nach oben auf und dann verbrenne ich deinen scheiß langen Körper“ stand da.

Seither hat sie zwei weitere Mails dieser Art erhalten, immer samstags, immer mit den gleichen Drohungen: Vergewaltigung, Misshandlung, Mord. Doch Mayfield ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte die Morddrohung bei der „Mädchenmannschaft“. Seitdem haben sich zwölf Frauen gemeldet, die laut Mayfield E-Mails vom selben Täter bekommen haben.

„Ich kenne Frauen, die aufgrund von Drohungen nicht mehr im Internet aktiv sind. Zum Teil wurden auch ihre Kinder bedroht“, sagt Gudrun Habersetzer. Sie vermutet, dass Maskulisten und Anti-Feministen hinter den Nachrichten stecken. Sowohl Habersetzer als auch Mayfield haben bei der Polizei Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach wenigen Wochen ein. Täter nicht ermittelbar. „Es ist unglaublich, dass jede Geschwindigkeitsüberschreitung mit mehr Einsatz verfolgt wird als diese Drohungen“, sagt Habersetzer.

Stattdessen las sie auf einem Infoblatt der Polizei folgenden Ratschlag: Legen Sie sich im Netz ein geschlechtsneutrales Pseudonym zu und schreiben Sie nicht so provokative Dinge. „Das klingt wie früher, als man Frauen riet, keine kurzen Röcke zu tragen und nicht zu provozieren, um sich vor Vergewaltigungen zu schützen“, sagt die Bloggerin. „Wenn ich diesen Ratschlägen folge, dann führt das dazu, dass ich als Frau im Netz nicht mehr erkennbar bin.“ Auch eine Variante von post-gender.

„Das Internet existiert ja nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern ist ein Teil davon“, sagt auch der Medienwissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Insitut in Hamburg. Solange es also offline eine Debatte über das Machtverhältnis von Männern und Frauen gibt, muss es diese Debatte auch für das Netz geben können. Die Vorstellung, der Cyberspace ermögliche eine virtuelle Realität, in dem jeder seine Identität vollständig neu erfinden kann, nennt Schmidt den „Urmythos des Internets“: „Der überwiegende Teil der Internetnutzung hat überhaupt nichts mit alternativen Realitäten zu tun.“

Aber klicken Frauen wirklich anders, wie die Süddeutsche Zeitung nach der diesjährigen re:publica schrieb? Oder haben sie gar eine Revolution verpennt, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in dem Artikel „Frauen, wir haben versagt!“ schon vor zwei Jahren fragte?

Laut ARD-ZDF-Online-Studie waren im vergangenen Jahr 43,5 Millionen Menschen zumindest gelegentlich im Netz, fast die Hälfte davon ist weiblich. Vor allem junge Frauen nutzen soziale Online-Netzwerke, um Kontakte zu knüpfen und zu kommunizieren. Im Gegensatz zu Jungs, die bei Online-Spielen, Dateidownloads und beim Surfen vorne liegen, bestätigt Schmidt.

In dem Projekt „Gender Blogging“ der Universität Bochum fanden Cilja Harders und Franka Hesse heraus, dass es in Deutschland deutlich mehr Bloggerinnen als Blogger gibt – auch wenn es sich bei den Blogs vor allem um persönliche Journale von weiblichen Teenagern handelt.

„Bei den erwachsenen AutorInnen ist das Geschlechterverhältnis annährend paritätisch“, schreiben die Autorinnen in ihrem Artikel „Geschlechterverhältnisse in der Blogosphäre“, der in der Zeitschrift Femina Politica erschien. Dass in Rankings wie den Deutschen Blogcharts so wenige Bloggerinnen unter den meistgelesenen Blogs zu finden sind, liegt wohl vor allem an mangelnder Vernetzung. Die Aufmerksamkeitswährung im Internet heißt Verlinkung. „Unter die Top-Blogs schaffen es Blogger, die sich zu Themen äußern, die einen großen Kreis anderer Blogger interessieren, die selbst viele Links setzen und auf anderen Seiten Kommentare hinterlassen“, sagt Schmidt. Offensichtlich beherrschen Männer diese Praxis besser als Frauen.

Markus Beckedahl gehört zu diesen Männern. Er leitet das vielgelesene Gemeinschaftsblog netzpolitik.org. „Ich warte nur darauf, dass sich mehr Frauen Expertenthemen aneignen und darüber im Netz schreiben“, sagt er. Dass die Top-Blogs von Männern verfasst werden, liege eben an der populären Themenwahl Technik und Politik: „Darüber schreiben viele Männer, die in den 80ern mit ihrem Computer aufgewachsen sind, eine Zeit, in der man Frauen Informationstechnologien noch zu wenig näher gebracht hat.“ Die sexistischen Äußerungen im Livechat der re:publica bedauert Mitveranstalter Beckedahl. „Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, dass es im kommenden Jahr einen Livestream mit unmoderiertem Chat nicht mehr geben wird.“

Damit sich auch Frauen zukünftig stärker zu Wort melden, hat Susanne Klingner die „Girls on Web Society“ gegründet, eine Facebook-Gruppe für Bloggerinnen. „Frauen neigen immer noch zur Bescheidenheit“, sagt sie. Das Netzwerk soll die Autorinnen zu mehr Präsenz motivieren: Im Netz selbst und als Referentinnen auf Veranstaltungen wie der re:publica. Oder auch als Gestalterinnen des Internets. Denn „wer Kontrolle über Technik hat, hat auch Kontrolle über Menschen“, gibt Rena Tangens auf dem Hattinger Treffen zu bedenken. Und das sind bisher überwiegend Männer.

Es war ein Mark Zuckerberg, keine Maria, der das soziale Online-Netzwerk Facebook erfand. Angeblich übrigens, weil eine Frau dem Harvard-Sprössling das Herz brach. Facemash soll diese Vorversion geheißen haben, in der Zuckerberg zu Studiumszeiten Bilder seiner Kommilitoninnen online stellte und per Klick ihr Aussehen bewerten ließ. Auch das deutsche Pendant StudiVZ und das Unternehmernetzwerk Xing: Männervisionen. Der Microblogging-Dienst Twitter – ebenso von Männern programmiert. Oder der neue Social-Payment-Service Flattr, eine Art freiwilliges Bezahlnetzwerk für erfolgreiche und beliebte Online-Seiten.

„In diese gedankliche Falle tappen viele, wenn sie über digitale Technik nachdenken“, sagt Constanze Kurz. Erfolgreiche Frauen im Internet gibt es schließlich auch reichlich: Die ehemalige Chefin von Ebay, Meg Whitman, zum Beispiel. Die Firefox-Pionierin Mitchell Baker, heute Vorsitzende der Mozilla Stiftung. Oder Caterina Fake, die Gründerin der Foto-Community Flickr. Constanze Kurz selbst ist ein prominentes Beispiel für eine Frau, die sich in der Computerwelt durchgesetzt hat.

Sie ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs und unterrichtet am Institut für Informatik der Humboldt-Universität in Berlin. Mittlerweile ist sie auch Sachverständige für die Partei Die Linke in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages. „Und ich hab keinen Bock mehr, andauernd darauf angesprochen zu werden, dass ich eine Frau bin. Ich lege Wert darauf, dass die Leute sich mit mir über meine fachlichen Kenntnisse unterhalten!“ Sie glaubt, dass es vielen Frauen so geht: Sie wollten lieber über ihre neue Software sprechen. Oder über Linux. Auf jeden Fall nicht schon wieder über das Frausein in der Programmiererszene.

In Hattingen möchte frau (auch) über das Frausein in der Internet-Szene reden. „Wir haben entschieden, ein Netzwerk zu gründen“, sagt Bloggerin Habersetzer. „Frauen*im.Net“ soll der Zusammenschluss heißen. Das kleine Sternchen ist ein wichtiger Zusatz. Es bedeutet: Das Netzwerk richtet sich nicht nur an Frauen, sondern an alle, die sich für die Gender-Debatte im Internet interessieren. Ob nun eine Mailingliste oder ein Community-System dabei herauskommen wird, ist am Ende dieses Wochenendes noch unklar. Klar ist allerdings: „In diesem Jahr ist in Sachen Frauen im Netz viel passiert. Es handelt sich bei unserer Bewegung zwar noch um ein kleines Pflänzchen, aber wir werden es gießen und dann wird daraus eine große Sache.“

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