Das System Prostitution angreifen!

Hat der Prostitution den Kampf angesagt: Die französische Frauenministerin Vallaud-Belkacem.
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Mit wenigen Sätzen in einem Inter­view der Sonntagszeitung Le ­Journal de Dimanche sorgte die frischgebackene sozialistische Ministerin für Frauenrechte, Najat Vallaud-Belkacem, Ende Juni für ziemlichen Wirbel: „Zu großer Mehrheit sind Prostituierte vor allem Opfer von Gewalt, es geht darum, sie zu schützen“, erklärte sie. Und: „Die Frage ist nicht, ob wir die Prostitution abschaffen wollen – die Antwort lautet: ja. Sondern, mit welchen Mitteln wir das schaffen können.“

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Laut offiziellen Schätzungen gehen in Frankreich 20000 Frauen plus eine Minderheit von Transsexuellen und Männern auf den Strich, zu achtzig Prozent handelt es sich um ausländische Frauen – die mehrheitlich illegal im Land sind. Die Ministerin träumt von einer „Konsens-Konferenz“ mit Gegnern und Befürwortern der Abolitionspolitik. Von einem Gesetz, das ebenso Strafen für Freier vorsieht wie Ausstiegshilfen für Prostituierte und Prävention. Prompt protestierte der Verband der „Sex-ArbeiterInnen“ lautstark gegen Vallaud-Belkacems Pläne. Mitte Juli erklärt Innenminister ­Manuel Valls, es sei „schwierig“, die Prostitution verbieten zu wollen. Auch die Frauenministerin selbst rudert – notgedrungen – ein Stück zurück: Ende Juli bat sie die ­Abgeordneten der Nationalversammlung, konkrete Vorschläge für die Stärkung der Abolitionspolitik zu erarbeiten. Sie sucht Rückenstärkung.

Das Thema Prostitution ist in dem Land, in dem der Ausdruck Puritaner als Schimpfwort gilt, ein heikles, doch in der Parti ­Socialiste keineswegs tabu. Wenn auch ein Riss durch die Regierungspartei geht: im ­sozialistischen Wahlprogramm „Projekt für die Präsidentschaftswahl“ von Januar 2012 hieß es: „Wir werden die kommerzielle Ausbeutung von Menschen durch ein Gesetz bekämpfen, mit dem wir das System der Prostitution angreifen“. Und Mitte März ­erklärte François Hollande, damals noch Kandidat für das höchste Amt im Staat: „Die Tatsache, dass ein Kunde frei über den Körper eines anderen Menschen verfügen kann, weil er dafür bezahlt hat“, sei „ein ­Angriff auf die Menschenrechte.“

Ministerin Vallaud-Belkacem hat also ganz im Geiste des Wahlprogramms gehandelt. Aber: „Sie ist ein bisschen zu früh vorgeprescht“, sinniert Claire Quidet, die Sprecherin des "Mouvement du Nid". Der Verein bietet seit langem Menschen im Rotlicht­milieu Ausstiegshilfe an, klärt in Schulen auf. Und streitet, gemeinsam mit über 40 weiteren Vereinen und Organisationen, seit November 2011 mit der Kampagne „Abolition 2012“ gegen Prostitution und Frauenhandel. Eine Abkehr von der bisherigen Laissez-faire-Politik fordert auch der ein halbes Jahr zuvor veröffentlichte 373-Seiten-Bericht einer parlamentarischen Kommis­sion. Im Dezember 2011 dann bekräftigen die Vorsitzenden der politischen Parteien in der Nationalversammlung per Resolution das Festhalten an der staatlichen Abolitionspolitik, sprich: dem Ziel, die Prostitution abzuschaffen.

In der öffentlichen Meinung schlägt das Thema Freier-Bestrafung weiterhin hohe Wogen. Dieser Plan sei „despotisch“ erklärten zwölf „Linksintellektuelle“, darunter Elisabeth Badinter, Philosophin und Freundin des Ehepaars Strauss-Kahn, jüngst in einem Appell im Nouvel Observateur. Die Politik habe „nicht das Recht, sich in die einvernehmlichen Sexualprak­tiken Erwachsener einzumischen.“ Die GegnerInnen der Prostitution antworten: „Wir kämpfen nicht gegen Sexualität, sondern dagegen, aus der Sexualität ein ­Geschäft zu machen!“

Ein Stimmungswandel bahnt sich an. Als „Madame Lisa“ im Frühsommer in Paris ihr autobiographisches Werk über ihren Alltag als Bordell-Chefin in Genf veröffentlichte, rissen sich die Macher von Talkshows im Radio und Fernsehen um die Landsmännin, die in die Schweiz gegangen war, weil sie dort mit ihrem Geschäft ungestörter Kasse machen konnte. In einer beliebten TV-Show jedoch erzählt einer der beiden Männer in der Talkrunde, ein junger Schauspieler, er sei einmal im Leben bei einer „Hure“ gewesen – und habe das danach nie wieder getan. Der andere, ein bärenhafter Sportfunktionär, erklärt, zwischen der Prostitu­tion und einer Vergewaltigung keinerlei Unterschiede feststellen zu können. Töne, „die vor wenigen Jahren noch ausgeschlossen ­gewesen wären“, freut sich Claire Quidet.

Die Koalition der Abolitionisten plant für den Herbst Aktionen, um ihr Anliegen weiter publik zu machen. „Weil wir für ­sexuelle Freiheit sind, werden wir kein Freier sein“, proklamiert zum Beispiel das im vergangenen Winter in Frankreich lancierte Netzwerk „Zéromacho“ – dessen Petition „Männer sagen NEIN zur Prostitution“ ­bislang 1002 Männer aus 43 Ländern unterschrieben haben.

Mouvement du Nid
Zéromacho

 

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