Home Office: Schreiende Mütter
Am Tag neun des Lockdowns habe ich um 13 Uhr ein Telefonat. Kurz vorher will ich meine drei Jahre alte Tochter ins Bett bringen. Ich habe ihr und ihrem fünf Jahre alten Bruder vorher ein Mittagessen gekocht, gefüllte Tortellini aus dem Beutel. Um eins liegt sie im Bett, ich will zum Telefon gehen, sie fängt an zu weinen. Die Zeit tickt, mein Atem wird flacher, und ich muss mich entscheiden: Chef oder Kind? Ich atme tief ein und beruhige meine Tochter. „Will nicht schlafen“, sagt sie. Es ist 13.15 Uhr. Ich gehe raus und rufe meinem Mann zu, der vor seinen zwei Bildschirmen sitzt. Er ist Grafikdesigner, auch im Home Office. „Kannst du mal bitte“, rufe ich und mein Ton klingt schärfer als beabsichtigt.
Seit zwei Wochen sind in Berlin die Kitas geschlossen, bis nach Ostern, mindestens. So lange waren wir als Familie noch nie zusammen, tagein tagaus in der 90-Quadratmeter-Wohnung; weder im Urlaub, noch in der Elternzeit. Home Office gilt als Privileg, aber ich glaube, das gilt nur für Menschen, die keine kleinen Kinder haben, die Aufmerksamkeit wollen und regelmäßige Mahlzeiten. Home Office ohne feste Regeln ist eine ständige Überforderung. Man kann nicht gleichzeitig wach sein und schlafen, rennen und stillsitzen.
Die Pläne, sich die Betreuung mit einer anderen Familie aufzuteilen, sind gescheitert
Am Anfang wollten wir uns die Betreuung mit einer anderen Familie aus der Kita aufteilen, aber die Familie wollte dann lieber doch nicht, wegen Ansteckungsgefahr. Zum Glück schlossen wir uns dann mit der Nachbarin zusammen, die unter uns wohnt. Sie nimmt die Kinder vormittags, ich am Nachmittag. Wir haben einen Garten, das ist Luxus, das rettet uns. Ich nehme das Laptop mit in den Garten, in der Hoffnung, mal zehn Minuten arbeiten zu können. Konzentration auf Knopfdruck. Dann wieder voll im Fürsorge-Modus schalten, wenn sich ein Kind beim Trampolin-Springen verletzt.
Die drei Stunden am Vormittag vergehen sehr schnell, ich spüre den inneren Druck, so viel wie möglich zu erledigen, denn die Zeit läuft. Die freien Stunden vergehen wie Minuten. Mein Mann saß in der ersten Woche seine sechs Stunden am Rechner und vergaß die Welt um sich. Ich weiß, warum er sich so anstrengt: Er hat einen befristeten Vertrag, er sorgt sich um die Verlängerung.
Ich kochte mittags essen, redete gleichzeitig mit der Kollegin am Telefon, räumte die Spülmaschine aus und beobachtete, was bei Slack, einer der vielen neuen Kommunikationskanäle, so reinlief. Mein Sohn zeigte mir sein Surfboard, das er aus Pappe gebastelt hatte. „Guck mal, guck mal“, sagte er.
Mein Problem: Wie soll ich arbeiten - und gleichzeitig die Kinder betreuen?
Mein Kopf brummte, mir wurde schwindlig. Wie sollte ich das alles fünf Wochen aushalten? Am liebsten wäre ich weggerannt oder hätte ganz laut geschrien. Mein Mann saß ungerührt am Rechner, als ginge ihn das Chaos nichts an. Ich merkte, wie ich wütend wurde. An manchen Tagen schrie ich meine Kinder schon morgens vor dem Frühstück an. Mich nervte es, wenn ich überall die Basteltipps sah, auf Instagram und in anderen sozialen Medien. Mein Problem ist nicht, dass ich nicht weiß, wie ich die Kinder beschäftige, mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich arbeiten und Kinderbetreuung gleichzeitig schaffen soll.
Jemand hat vorgeschlagen, dass sich abends alle Eltern auf den Balkon stellen und nicht musizieren oder klatschen, sondern schreien. Ich wäre dabei.
Es ist, als ob die Krise alle Ungerechtigkeiten verschärfen würde: die schlechte Bezahlung der Pflegerinnen und Supermarktkassiererinnen, die auf einmal als „systemrelevant“ gelten; und die Mütter, an denen die Sorgearbeit hängen bleibt, selbst wenn sie voll erwerbstätig sind.
Vorher hatte ich acht Stunden im Büro gearbeitet, die Kita hatte uns die Kinderbetreuung abgenommen und die Hausarbeit teilte ich mir mit meinem Mann: Hälfte/Hälfte. Das war das Angebot des Staates, um Vereinbarkeit zu ermöglichen. Nun fällt dieses System weg, und auf einmal ist es so, dass meine Nachbarin (eine Ingenieurin) und ich einen Großteil der Betreuungsarbeit leisteten. Gleichzeitig kochte ich, telefonierte, schrieb E-Mails, entwickelte ein Arbeitskonzept. Abends wischte ich die Küche.
Statt Klatschen auf dem Balkon: Einfach mal alles rausschreien. Ich wäre dabei!
Ich klagte einer Kollegin, die große Kinder hat, meine Probleme, sie sagte: „Nimm dir doch einen Babysitter.“ Wie sollte ich während der Kontaktsperre einen Babysitter, also eine fremde Person, anheuern?
Am zehnten Tag entschuldigte ich mich bei meinen Kindern für meine schlechte Laune. Und ich hatte ich eine Aussprache mit meinem Mann. Wir werden jetzt einen Plan machen, die Stunden aufteilen und feste Zuständigkeiten für jeden Tag festlegen. Er wird außerdem mehr abends arbeiten, wenn die Kinder im Bett sind. Zeit für uns? Zeit zum Erholen, zum Kopf-Frei-Bekommen? Jeder bekommt täglich eine halbe Stunde frei. Mal sehen, ob es funktioniert. Wir schreien erst mal nicht.
SABINE RENNEFANZ