Lesben unterm Hakenkreuz

Einer von 50 "Damenclubs" im Berlin der 1920er Jahre.
Artikel teilen

Anfang 1933, die Nazis haben die Macht in Deutschland schon übernommen, geht Lotte Hahm über den Alexanderplatz und wird von einem Unbekannten angesprochen. Er bittet sie, auf seinen Koffer aufzupassen. Ein paar Minuten später wird sie von der Gestapo verhaftet: In dem Koffer befindet sich illegales kommunistisches Material. Eine Falle.

Anzeige

So erzählt es Lotte Hahm später ihren Mithäftlingen im KZ Moringen, in das sie 1935 gebracht wird, nachdem sie zuvor im Gefängnis gesessen hat. Es ist nicht zu übersehen, dass sie gefoltert wurde.

Ob Lotte Hahm tatsächlich Opfer einer Intrige wurde, weil die Gestapo einen Vorwand für ihre Verhaftung suchte, kann heute nicht mehr rekonstruiert werden. Denkbar ist auch, dass Hahm ihren Mitgefangenen nicht erzählen wollte, warum die Nazis tatsächlich etwas gegen sie hatten: Lotte Hahm war eine der rührigsten lesbischen Aktivistinnen im Homo-Eldorado der 20er Jahre, Berlin. Sie war Vorsitzende gleich mehrerer "Damenclubs", zum Beispiel des Damenclubs Violetta in der Bülowstraße, der über 400 Mitglieder zählte und Berlins einschlägige Damenwelt regelmäßig zu "Bunten Abenden" und "Damenbällen" rief.

Lotte Hahm, Vorsitzende des "Damenclubs Violetta", wird gleich 1933 verhaftet.

Doch: "Vor allen Dingen hat es sich dieser Club zum Ziel gesetzt, geschlossen gegen die noch herrschende Ächtung der andersgearteten Frau anzukämpfen", heißt es 1928 im Szeneführer ‚Berlins lesbische Frauen'. Der Club ist gleichzeitig Mitglied im ‚Bund für Menschenrecht', des mit 48.000 Mitgliedern größten Homosexuellenverbandes der Weimarer Republik. So hält Lotte Hahm Vorträge über ‚Die homosexuelle Frau und die Reichstagswahl' oder ‚Die Notwendigkeit der homosexuellen Aufklärung'. Außerdem ist die Violetta-Vorsitzende, die zum Kurzhaarschnitt gern Hemd und Krawatte trägt, Schriftleiterin, sprich: Chefredakteurin der Freundin, der mit 10.000 Exemplaren auflagenstärksten Zeitschrift für lesbische Frauen.

Eine der ersten Amtshandlungen der Nationalsozialisten ist es, Die Freundin einzustampfen. Am 8. März 1933 wird das Blatt wie alle Publikationen des Friedrich-Radzuweit-Verlages, verboten. Lotte Hahm wird verhaftet. Sei es, weil ihr die neuen Machthaber eine Falle gestellt haben; sei es, weil der Vater ihrer Freundin sie wegen "Verführung Minderjähriger" angezeigt hat. Oder beides.

Wegen "Beleidigung der Reichsregierung" wird auch Elsa Conrad, die Leiterin des Damenclubs Monbijou, im Herbst 1935 verhaftet und zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Sie habe sich mehrfach "staatsfeindlich" geäußert und behauptet, Hitler habe ein Verhältnis mit Rudolf Heß. Noch bevor Conrad ihre Haftstrafe ganz verbüßt hat, wird sie Anfang 1937, wie zuvor Lotte Hahm, ins KZ Moringen bei Göttingen gebracht. Zwei der wichtigsten Protagonistinnen der lesbischen Bewegung, die in der Weimarer Republik für gleiche Rechte kämpfte, sind Opfer der Nazi-Häscher geworden.

Für homosexuelle Frauen begann mit der Machtergreifung die "Zeit der Maskierung".

Für homosexuelle Menschen beginnt nun eine dunkle Zeit. Zwar fielen Frauen nicht unter den § 175, der die "Unzucht" unter Männern unter Strafe stellte. Aber für sie begann, wie die Historikerin Claudia Schoppmann in ihrem gleichnamigen Buch schreibt, eine ‚Zeit der Maskierung'. "Bloß nicht auffallen!" heißt nun die Devise. "Ich hab meine Haare wachsen lassen und meist Kleider getragen", erzählte Margarete Knittel, eine der Zeitzeuginnen, die die Forscherin befragt hat. Anneliese W., genannt Johnny, bleibt zunächst bei ihrem Kurzhaarschnitt. Aber: "Was denkste, was man manchmal zu hören gekriegt hat. ‚Kiek dir mal die schwulen Weiber an!' und so. Es hieß, auch bei den Frauen sollte es verboten werden."

Viele Frauen in Johnnys Freundeskreis verändern ihr Äußeres. Zumal auch die Arbeitsstelle nicht mehr sicher ist. Ein befreundetes Frauenpaar, das in einer Glühlampenfabrik arbeitet, wird unter einem Vorwand entlassen. Und eine Modezeichnerin erzählt rückblickend: "Ich lebte schon seit Jahren mit meiner Freundin zusammen. Als das Dritte Reich ausbrach, hieß es dann bösartig: ‚Die haben doch was zusammen!' Das waren die Hauswarte und Blockwarte, die in unser Privatleben ‚hineinleuchteten' und Meldung erstatten sollten. Unsere Zimmervermieterin wurde ausgefragt, ob sie etwas über unser ‚Intimleben' wüsste. Eines Tages kam unser Chefredakteur zu mir ins Atelier und sagte ungeduldig, ich müsse endlich heiraten oder er könne mich nicht weiter beschäftigen." Die lesbische Zeichnerin heiratet - einen schwulen Freund.

Eine weitverbreitete Strategie: Viele homosexuelle Frauen gehen jetzt Scheinehen, sogenannte "Josefsehen" ein - manchmal mit homosexuellen Freunden, aber auch mit heterosexuellen Männern, die nichts von der "Vergangenheit" ihrer Gattin wissen und selbstverständlich die Erfüllung "ehelicher Pflichten" erwarten.

Viele lesbische Frauen gingen zur Tarnung sogenannte "Josefsehen" mit Männern ein

Auch Elisabeth Zimmermann ist eine von ihnen. Sie heiratet noch 1944. Der Grund: "Die lange Zeit der Geheimhaltung, der Unterdrückung, sich bloß die Veranlagung nicht anmerken lassen, sonst wäre ich doch im KZ gelandet."

Im KZ landen nicht nur die bekannten Aktivistinnen Lotte Hahm und Elsa Conrad. Bei ihrer Ankunft im KZ Ravensbrück studiert die Kabarettistin (und spätere Ordensschwester) Isa Vermehren die Schautafel, "auf der verschiedenfarbige Winkel und ihre Bedeutung übersichtlich angegeben waren". Darunter: "grün = BV (Berufsverbrecher), schwarz = asozial, gelb und schwarz über Kreuz gelegte Winkel = Rassenschande, rosa = LL (Lesbische Liebe)".

Dass homosexuelle Frauen mit einem rosa Winkel gekennzeichnet wurden, wie es Vermehren in ihrer ‚Reise durch den letzten Akt' schildert, ist allerdings die Ausnahme. Da weibliche Homosexualität offiziell nicht strafbar war, verhafteten die Nazis lesbische Frauen meist unter Vorwänden. Deshalb sind "wissenschaftliche Erkenntnisse" über die Verfolgung weiblicher Homosexualität kompliziert. Anders als bei der Verfolgung homosexueller Männer, die anhand von Polizeiakten und KZ-Dokumenten nachvollzogen werden konnte, sind die Schicksale homosexueller Frauen fast ausschließlich durch die Berichte Überlebender zu rekonstruieren. Den Berliner Forscherinnen Claudia Schoppmann und Ilse Kokula gebührt das Verdienst, sich auf die Spuren der Verfolgten begeben und die Erzählungen von Zeitzeuginnen gesammelt zu haben - bevor diese kostbare Quelle in den 1990er Jahren zu versiegen begann, weil die meisten Frauen in dieser Zeit starben.

Homosexuelle Frauen wurden in der Faschismus-Forschung vergessen

Eine äußerst schwierige Arbeit. Allein das Aufspüren von Zeitzeuginnen erwies sich als Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, "weil ältere und alte Frauen nicht gerade in die Gruppen der Lesbenbewegung strömten", berichtet Ilse Kokula, die 1986 ihre ‚Gespräche mit älteren lesbischen Frauen' veröffentlichte. Kokula: "Hinzu kommt, dass potenzielle Informantinnen zwar bereit sind, über den Faschismus zu sprechen, aber nicht über ihr Lesbischsein. Meine Erfahrungen zeigen, dass lesbische Frauen, die die NS-Zeit und die Nachkriegszeit erlebt haben, extrem vorsichtig geworden sind."

Deshalb kann sich die Forscherin "außer den Prostituierten keine Gruppe von Opfern des Faschismus vorstellen, über die so wenig bekannt ist wie über lesbische Frauen. Sie gehören zu den ‚vergessenen Opfern'. Dazu gehört auch, dass sie in der bisherigen Faschismusforschung vergessen wurden." Trotz dieser mehr als schwierigen Bedingungen gibt es das Zeugnis Überlebender und eine erdrückende Summe von Beweisen dafür, dass die Nationalsozialisten Frauen verfolgten, weil sie lesbisch waren - was bei ein wenig Reflexion auch niemanden überraschen dürfte.

Schon in den Zwanziger Jahren hatten die Nationalsozialisten, dieser dunkelste aller Männerbünde, der "neuen Frau" - die mit Beruf und Bubikopf das fortsetzte, was die Frauenbewegung um die Jahrhundertwende begonnen hatte - die "Ausmerzung" angekündigt. Denn: "Die Emanzipation der Frauenwelt ist ein Merkmal des Volksverfalles, dessen Fortschreiten sie beschleunigt", erklärte Vordenker E.F.W. Eberhard 1924 in seinem Werk ‚Die Frauenemanzipation und ihre erotischen Grundlagen'. Als einen der schlimmsten Auswüchse der Frauenemanzipation betrachtete man die Homosexualität. Bedeutete sie doch den schärfsten Verstoß gegen die der Frau zugedachte Rolle als Gebärmaschine. So forderten gleich mehrere Nazi-Ideologen bereits in den Zwanzigern, den § 175, der die "Unzucht" unter Männern unter Strafe stellte, auch auf Frauen auszudehnen, denn: "Homosexuelle Tendenzen der Frau drängen sich in letzter Zeit mit einer gewissen Aggressivität an die Öffentlichkeit."

Die sogenannten "Tribaden" verschwanden mit der "sittlichen Erneuerung"

"Es ist nicht einzusehen, warum der gleichgeschlechtliche Verkehr unter Frauen, die Tribadie, von einer strafrechtlichen Verfolgung ausgeschlossen sein soll" erklärt einer der schärfsten Verfechter für die Ausdehnung des § 175, der Jurist Rudolf Klare. Denn: "Wenn die Homosexualität an sich als rassische Entartung und der Homosexuelle als Feind der völkischen Gemeinschaft gewertet wird, dann entfällt jegliche Begründung für eine Straflosigkeit der ‚lesbischen Liebe'. Dass die weiblichen Homosexuellen dieselben Entartungserscheinungen aufweisen wie die männlichen, dass ihre Abneigung gegen Ehe und Familie z.B. genauso tief wurzelt wie beim homosexuellen Mann, ist unbestreitbar."

Der ideologische Hass der Nazis auf die Feindinnen der "völkischen Gemeinschaft" war groß. Doch setzten sich in der Strafrechtsdebatte schließlich die Stimmen durch, die erklärten: Die Frau spiele im nationalsozialistischen "Männerstaat" (O-Ton Himmler) ohnehin praktisch keine öffentliche Rolle, weshalb die Gefahr der "Verderbnis" Unbescholtener weitaus geringer sei als bei homosexuellen Männern. Eine Strafverfolgung weiblicher Homosexualität hätte die Aufwertung von Frauen im allgemeinen und ihrer Sexualität im besonderen bedeutet. Das konnte nicht im Sinne des "Männerstaates" sein.

Und so etablierten die Nationalsozialisten eine zwar subtilere, aber nicht minder wirkungsvolle Strategie, um die Verweigerinnen der Mutterkreuz-Ideologie einzuschüchtern und zum Verschwinden zu bringen. Hier also die mystische Überhöhung der männlichen Sexualität und Zeugungskraft und die phobische Ablehnung von Homosexualität sowie die Sanktionierung der Verschwendung kostbaren Samens. Da die völlige Negierung der weiblichen Sexualität, die in dem Standpunkt gipfelte, homosexuelle Frauen seien dennoch "bevölkerungspolitisch nutzbar". Im Klartext: "Der Richtige" würde eine Frau schon kurieren und schwängern, notfalls eben mit Gewalt.

Sängerin Claire Waldoff kam auf den Index, Kabarettistin Erika Mann floh ins Exil

Die sogenannten "Tribaden" verschwanden also, nachdem im März 1933 im Zuge der "sittlichen Erneuerung" Deutschlands auch ihre Lokale und Treffpunkte geschlossen worden waren, in der Unsichtbarkeit. 1938 begrüßt Ideologe Klare, dass "mit der Zerschlagung der Verbände der Frauenbewegung und der anderen Organisationen der Tribaden die Möglichkeit der Einwirkung auf politische Entscheidungen gefallen ist."

Im selben Jahr wird Österreich dem Deutschen Reich angeschlossen. Hier werden Frauen, den Männern gleich, wegen "Unzucht mit einer Person desselben Geschlechts" mit Zuchthaus zwischen ein und fünf Jahren bestraft. Auch nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 wurde der § 129 beibehalten. Allein in Wien wurden zwischen 1938 und 1943 darum 66 Frauen aktenkundig wg. Homosexualität verurteilt.

Aber auch in Deutschland werden in diesen Jahren allzu offensichtliche Verstöße gegen die Geschlechterordnung geahndet. Prominente und öffentlich homosexuelle Frauen sind ohnehin fast ausnahmslos nicht mehr im Lande. Die Protagonistinnen der Frauenbewegung wie das Paar Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann - im Schweizer Exil. Die androgyne Erika Mann, vom Völkischen Beobachter schon 1933 als "blasierter Lebejüngling" denunziert, mit ihrem politischen Kabarett ‚Die Pfeffermühle' - im Schweizer Exil. Claire Waldoff, die als Star der Lesbenszene auf Berliner Bühnen mit Schlips und roten "Bubihaaren" offenherzig Lieder wie ‚Ach wie ich die Lena liebe' geschmettert hatte - auf dem Index. Waldoff: "Die Kollegen rückten von mir ab, die Kabarettdirektoren durften keine Verträge mit mir abschließen."

Die Nachbarin verrät das Frauenpaar an den Blockwart, der ruft die Gestapo.

Aber auch die lesbische Frau von nebenan wurde Opfer des grassierenden Denunziationswahns der systematischen Repression und hatte, falls der Blockwart Verdacht schöpfte, mit einem Besuch der Gestapo zu rechnen.

So werden im Mai 1940 Hildegard Wiedehöft und Helene Treike zum Verhör bestellt. Ihre Nachbarin Therese Piek, die in Berlin-Friedrichshain die Nebenwohnung bewohnt, hatte die beiden Frauen beim Blockwart gemeldet. "Beide schlafen in einem Bett", heißt es in der Anzeige. Die Nachbarin vermutet, "dass beide den abnormen Geschlechtsverkehr gemeinsam ausüben". Der Blockwart gibt die Angelegenheit weiter, schließlich schaltet sich die Gestapo ein. Die beiden Frauen geben zu, sexuellen Kontakt zu haben. Die Gestapo zwingt das Paar, sich zu trennen. Helene Treike, die die Gestapo für den "männlichen" - also nicht ohne weiteres bekehrbaren - Teil der Beziehung hält, wird in einer Kartei erfasst und unter Beobachtung gestellt, um "nötigenfalls weitere Maßnahmen ergreifen zu können".

Ob auch in der ‚Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung', die die Nazis 1936 eingerichtet hatten, die Daten homosexueller Frauen gesammelt wurden, ist nicht mehr festzustellen, denn die Kartei der Reichszentrale wurde vernichtet. Fest steht aber, dass örtliche Gestapo-Stellen Lesbenkarteien führten. "Wir kennen Ihr Privatleben, Sie, und nicht nur Sie... Wir haben eine Liste von diesen Frauen", eröffnet ein Herr von der Berliner Gestapo Elisabeth Leithäuser. Die Homosexuelle und ehemalige Kommunistin soll zu Spitzeltätigkeiten erpresst werden. "Die Gestapo war in diesen zwölf Jahren immer da."

"Als Arbeitsmaid im Reicharbeitsdienst für die weibliche Jugend im Jahr 1940 hatten wir eine Lagerführerin, die mit einer ihr ‚untergebenen' Kameradschaftältesten eng befreundet war", berichtete eine Zeitzeugin Ilse Kokula. "Für uns damals noch sehr junge Frauen hatte diese Freundschaft etwas Geheimnisvolles und über die Intimitäten der beiden wurde viel getuschelt. Eines Tages erschienen zwei seriös gekleidete Männer, die uns verhörten und uns bedrängten, über ‚die obszönen Verhältnisse der Lagerführerin' etwas auszusagen. Der größte Teil der Mädchen weigerte sich, Aussagen zu machen. Aber einige hatten die lesbische Beziehung der Frauen bei der Gestapo gemeldet, so dass die Lagerführerin und ihre Freundin verhaftet und abgeführt wurden, obwohl es dafür keine gesetzliche Grundlage gab. Gerüchteweise erfuhren wir, dass sie im Gefängnis Dresden festgehalten wurden, keine Besuche empfangen durften. Die neue Lagerführerin fand ‚zur Aufklärung der Tat' folgende Worte: ‚Wenn sich alle Frauen so verhielten wie diese, würde unser Volk bald aussterben. Die Gemeinschaft kann so etwas nicht zulassen, noch dazu im Krieg.'"

Die Lesben-Karteien der Gestapo: "Wir kennen Ihr Privatleben. Wir haben eine Liste von diesen Frauen."

Wenn lesbische Frauen im KZ landeten, dann wurden sie in den allermeisten Fällen als "Asoziale" gebrandmarkt. Als "asozial" galten unter anderem "Personen, die durch unsittlichen Lebenswandel aus der Volksgemeinschaft herausfallen". Ohnehin gingen die Nationalsozialisten davon aus, dass es sich bei lesbischen Frauen "zu zwei Dritteln um Vorbestrafte und Dirnen, also Kriminelle und Asoziale" handelte. Zeitzeuginnen berichten von Razzien in lesbischen Lokalen, deren Besucherinnen "zur Gesundheitskontrolle" verfrachtet wurden, weil sie automatisch der Prostitution verdächtigt wurden. "Dafür, dass lesbische Frauen unter dem Vorwand der ‚Asozialität' in die KZs eingeliefert wurden, gibt es zahlreiche Berichte von KZ-Insassinnen", berichtet Ilse Kokula. Auch Claudia Schoppmann berichtet von solchen Fällen. So wird 1938 die 17-jährige Klara W. in Frankfurt bei einer Razzia in einem einschlägigen Lokal überprüft. Sie zieht daraufhin in eine andere Stadt und meidet verdächtige Treffpunkte. "Doch vermutlich wurde sie denunziert, und ein Verhör 1942 durch die Gestapo, bei dem ihr Verhältnis mit einer Flakhelferin entdeckt wurde, führte zu ihrer Einweisung nach Ravensbrück als ‚Asoziale'."

Ab 1937 brauchte die Polizei aber ohnehin gar keinen Grund mehr, um unliebsame Subjekte zu aus dem Verkehr zu ziehen: Im Zuge der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" konnte sie verdächtige Personen festnehmen, auch wenn diese gegen kein Gesetz verstoßen hatten. Es sind Fälle überliefert, in denen Frauen nach 1937 bei Razzien in einschlägigen Lokalen verhaftet und direkt ins Konzentrationslager verschleppt wurden.

Nach Ausbruch des Krieges konnten die Nazis weitere Vorwände finden, um lesbische Frauen ins KZ zu bringen: Die 16-jährige Gertie war zur Arbeit in einer Rüstungsfabrik eingesetzt und hatte dort mit einer Frau geflirtet. Aus einem Metallstück hatte die burschikose Verliebte einen Ring gedreht. Sie wurde mit dem Schwarzen Winkel ins KZ Oranienburg eingeliefert. Begründung: "Sabotage".

Die Nazis fanden immer wieder Vorwände, um lesbische Frauen ins KZ zu stecken

Auch "Wehrkraftzersetzung" konnte nun ein Vorwand für eine Verhaftung sein. "Meine Freundin Helene G. aus G. in Schleswig-Holstein war in den Jahren 1943 bis 1945 Luftwaffenhelferin in Oslo", berichtet eine Zeitzeugin in einem Brief an Ilse Kokula. "Sie war als Fernschreiberin tätig und stand unter Geheimhaltungsvorschrift. In der Luftwaffenunterkunft lebte sie in intimer Gemeinschaft mit einer anderen Luftwaffenhelferin zusammen, die das Pech hatte, einem Leutnant der Luftnachrichtentruppe zu gefallen. Als sie die Zudringlichkeiten dieses Vorgesetzten zurückwies, gerieten die beiden Lesben in die Schusslinie des nationalsozialistischen Kriegsrechts. Beide Frauen wurden von der geheimen Feldpolizei verhaftet und getrennt. Helene G. wurde wegen Wehrkraftzersetzung vor ein Kriegsgericht gestellt, aus der Wehrmacht ausgestoßen und in das KZ Bützow in Mecklenburg gebracht. Dort kam sie mit sechs anderen Lesben in einen Extrablock.

Das KZ Bützow war ursprünglich ein Kriegsgefangenen-Straflager. Die Lesben kamen in einen vollständig leeren Block und wurden von männlichen Kapos bewacht. Bei der Einlieferung sagten die SS-Posten zu den Kriegsgefangenen: ‚Die hier sind der letzte Dreck. Die würden wir nicht mit dem Sofabein ficken. Wenn ihr die ordentlich durchzieht, kriegt ihr jeder eine Flasche Schnaps.' Die SS-Posten hetzten zunächst russische und französische Kriegsgefangene auf die gefangenen Lesben, um sie ‚mal richtig durchzuficken'. Die Lesben wurden - streng von den anderen Frauen getrennt - unter SS-Bewachung zur Arbeit geführt und bekamen das übliche KZ-Essen (Wassersuppe ohne Fleisch und Fett mit verfaulten Kohlblättern udgl.). Zwei Frauen starben dort an Hunger. Meine Freundin überlebte das erste Nachkriegsjahr und starb dann an Lungentuberkulose." Dass das Schicksal von Helene G. kein Einzelfall war, liegt auf der Hand.

Genau wie die Tatsache, dass lesbische Frauen, deren "Veranlagung" den Nationalsozialisten ja weit eher als "umkehrbar" galt, zwecks "Bekehrung" bevorzugt in die KZ-Bordelle gesteckt wurden. Auch wenn dies nicht aktenkundig ist, da die KZ-Verwaltungen über solche informellen Vorgänge keine Vermerke führten. Ohnehin wurden die Bordelle, in denen die inhaftierten Frauen nicht nur SS-Männern, sondern ab 1942 auch ihren Mithäftlingen zu Diensten sein mussten, von der SS bei Lagerbesichtigungen ausgespart und auch nach Kriegsende verschämt verschwiegen. Die Forschung zum Thema KZ-Prostitution begann erst in den 90er Jahren.

Ein Zeitzeuge: "Lesbische Frauen steckten die Nazis besonders gern in die KZ-Bordelle"

Doch es gibt Zeitzeugen wie Erich, der wegen Homosexualität im KZ Flossenbürg inhaftiert war und dort im Herbst 1943 Else im Lagerbordell kennen lernt. Die 26-jährige Kellnerin hatte in Potsdam mit ihrer Freundin zusammengewohnt und war als "Asoziale" ins KZ Ravensbrück gekommen. Von dort hatte man sie ins Flossenbürger Lagerbordell gebracht. "Lesbische Frauen steckten die Nazis besonders gern in Bordelle. Da würden sie schon wieder auf Vordermann gebracht, meinten sie", berichtet Erich, der zehn Jahre lang in verschiedenen Konzentrationslagern interniert war. Schon bald verschwand Else. In der Regel wurden die Frauen nach einem halben Jahr Bordelldienst - die Zeit, die die Nazis zum "Verbrauch" ansetzten - ermordet.

Natürlich gab es zahlreiche homosexuelle Frauen, die auch als Jüdinnen, Kommunistinnen oder andere Verfolgtengruppen ins KZ kamen und mit dem gelben Stern oder roten Winkel gekennzeichnet wurden. "Haftgrund: politisch" steht in den Einlieferungsbögen von Elli Smula und Margarete Rosenberg, die am 30. November 1940 in Ravensbrück eingeliefert werden. Zusatzvermerk "lesbisch".

Und als der Euthanasie-Arzt Friedrich Mennecke auf seinen Selektionsreisen im Dezember 1941 auch in Ravensbrück Halt macht, selektiert er zur Vernichtung auch "Henny Sara Schermann, led. Verkäuferin, Triebhafte Lesbierin, verkehrte nur in solchen Lokalen. Vermied den Namen ‚Sara'. Staatenlose Jüdin" und "Erna Sara Puenjer, verheiratete Volljüdin. Sehr aktive (‚kesse') Lesbierin. Suchte fortgesetzt ‚lesbische Lokale' auf u. tauschte im Lokal Zärtlichkeiten aus." Die beiden Frauen werden in der ‚Heil- und Pflegeanstalt Bernburg' vergast.

Lesbische Opfer des Nationalsozialismus wurden nach 1945 weiter diskriminiert

Am Ende der Naziherrschaft steht die völlige Auslöschung homosexueller Frauen aus dem öffentlichen Bewusstsein. "Die Ansätze einer kollektiven lesbischen Lebensform und Identität, die sich vor allem während der Weimarer Republik gebildet hatten, waren gründlich zerstört worden", resümiert Historikerin Schoppmann. "Die Auswirkungen sollten weit über das Ende des Dritten Reichs hinausreichen."

Gleich nach 1945 zeigt sich, wie der homophobe Geist der Nationalsozialisten auch im neuen Deutschland ungebrochen fortlebt und sich nicht nur gegen Männer, sondern auch gegen Frauen richtet. Als die deutsch-jüdischen Schwestern Hertha S. und Edith F., zwei Auschwitz-Überlebende, im August 1945 einen Antrag auf Anerkennung als "Opfer des Faschismus" stellen, erreicht den Prüfer Karl Proksch eine Information aus der Staatsanwaltschaft: Gegen die beiden Frauen liege eine Anzeige vor. Sie seien "der lesbischen Liebe zugeneigt". Kurz darauf erhalten Hertha S. und Edith F. eine Nachricht: "Wir sehen uns veranlasst, Ihnen den Ausweis abzunehmen, da Ihr derzeitiges Verhalten das Ansehen der ‚Opfer des Faschismus' aufs Schwerste schädigt."

In den 1950er und 1960er Jahren bleiben homosexuelle Frauen unsichtbar. Erst unter dem Dach der Frauenbewegung wagen sie sich in den 70ern wieder hervor. Doch die ‚Zeit der Maskierung' hat ihre Spuren hinterlassen. "Ich weiß von lesbischen Frauen, die das KZ überlebt haben", sagt Ilse Kokula. "Aber sie sprechen bis heute weder über die Gründe der Einweisung noch über die Zeit im KZ."

Auch Lotte Hahm hat das Konzentrationslager überlebt. Eine Zeitzeugin berichtete Ilse Kokula, sie habe die ehemalige Violetta-Chefin "1947 in Berlin noch einmal getroffen". Sie war halbgelähmt. Über ihre Erlebnisse im KZ hat Lotte Hahm, auch Bekannten gegenüber, nie gesprochen.

Weiterlesen
Claudia Schoppmann: Zeit der Maskierung (Fischer); Verbotene Verhältnisse (Quer); Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität (Centaurus).
Ilse Kokula: Jahre des Glücks - Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen (Gemballa).
Lesbisch leben von Weimar bis zur Nachkriegszeit, in: Eldorado (Frölich & Kaufmann).

Artikel teilen
 
Zur Startseite