Sexualstrafrecht: Nein heißt Nein?

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Schon wenige Tage nach den dramatischen sexuellen Übergriffen der Silvesternacht hatten sich PolitikerInnen in vollmundigen Ankündigungen überboten. Die Täter, verkünden sie, müssten bestraft werden. Bundeskanzlerin Merkel will mit der „vollen Härte des Rechtsstaats“ zuschlagen; Vizekanzler Gabriel fordert „Null Toleranz gegenüber Kriminalität und sexuellen Übergriffen“ und will Täter „schneller und effizienter abschieben“; Justizminister Maas erklärt: „Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden“ und solle dann auch ausgewiesen werden.

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In der Regel enden Taten wie in der Kölner Silvesternacht straflos

Das klang gut. War aber völlig unrealistisch. Denn wer einen Blick in das Sexualstrafrecht und einschlägige Gerichtsurteile wirft, muss feststellen: Das, was die marodierenden Männer am Kölner Hauptbahnhof oder auf der Hamburger Reeperbahn getan hatten - Frauen an den Busen oder zwischen die Beine gefasst - ist in den meisten Fällen gar nicht strafbar.

Wer glaubt, „sexuelle Belästigung“ sei im deutschen Recht ein Straftatbestand, irrt. „Belästigung“ ist lediglich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt und betrifft ausschließlich sexuelle Übergriffe im Beruf. Im Strafgesetzbuch hingegen kommt diese Art sexueller Gewalt überhaupt nicht vor.

Dort gibt es im § 177 zwar die „sexuelle Nötigung“, aber: Die „sexuellen Handlungen“, die der Täter vornimmt, müssen „von einiger Erheblichkeit“ sein, damit sie tatsächlich strafbar sind. So haben es RichterInnen entschieden. Mehrere Urteile, darunter auch solche des Bundesgerichtshofs, kamen zu dem Schluss: Ein Griff an die Genitalien oder an den Po ist unerheblich.

Hinzu kommt: Das Opfer muss Widerstand leisten, damit der Täter weiß, dass die Frau nicht von ihm angefasst werden möchte. Ein Mann, auch ein fremder, darf also zunächst davon ausgehen, dass eine Frau sexuellen Kontakt mit ihm möchte. Also zum Beispiel mit ihm schlafen, wenn er sie nach einer Party nach Hause bringt; oder von ihm auf der Kaufhaus-Rolltreppe an den Po gefasst werden; oder am Kölner Hauptbahnhof in den Schritt. Sollte sie das wider Erwarten nicht wollen, muss sie das dem Mann deutlich machen. Fehlt ihr dazu die Zeit, weil der Täter ihr blitzschnell an den Busen oder zwischen die Beine greift, oder der Mut, weil der Täter einschüchternd groß ist, oder weil es mehrere sind, fällt der sexuelle Übergriff nicht unter den § 177.

Viele sexuelle 
Übergriffe 
fallen nicht 
​unter den § 177

Deshalb ist auch der „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) mehr als skeptisch, was die angekündigte Bestrafung der Silvester-Täter anbelangt: „Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. Solche Überraschungsangriffe sind so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei.“

Der Verband befürchtet deshalb, dass die Bestrafung der Täter so sie denn überhaupt gefunden werden „hauptsächlich wegen der zusätzlich begangenen Diebstahl- und Raubdelikte stattfinden wird und nicht aufgrund der sexuellen Übergriffe“. Fazit: Der Straftatbestand der sexuellen Nötigung bedarf „dringend einer Reform“.

Die hat Justizminister Heiko Maas (SPD) jetzt vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu, auch wenn der Minister, der nun unter Zugzwang steht, versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Fakt ist: Maas hatte in Sachen § 177, dem so genannten Vergewaltigungsparagrafen, noch im September 2014 „keinen Handlungsbedarf“ gesehen. Erst der öffentliche Druck von Frauenorganisationen inklusive einer Petition mit 20.000 Unterschriften (inklusive der seiner Kollegin Manuela Schwesig) scheinen ihn offenbar von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt zu haben. Im September 2015 präsentierte der Justizminister also einen Entwurf, der aber rasch wieder in der Versenkung verschwand und nun nach der Silvesternacht wieder ans Licht geholt wurde.

Erst der öffentliche Druck brachte die Reform wieder auf den Tisch

Der Entwurf erfasst nicht nur die sexuelle Nötigung, sondern auch die Vergewaltigung, also den erzwungenen „Beischlaf“ oder andere Taten, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Denn auch hier gilt bisher: Das Opfer muss Widerstand leisten. Ein Nein reicht nicht aus.

Die Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen haben rund 100 bewiesene Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde. Die Begründungen verschlagen einem bisweilen den Atem. Allen voran die des Bundesgerichtshofs, der 2006 einen Freispruch wie folgt erklärte: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Andere Richter folgen diesem höchstrichterlichen Vorbild.

Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im September 2012. Der 31-jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Die Richterin sprach den Täter frei. Begründung: „Er konnte ja nicht wissen, dass sie das nicht wollte.“

Ein "Nein, ich will das nicht" reicht nicht aus: Freispruch!

Folge: Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung steigt, sinkt die Verurteilungsquote. Nur jede zehnte Anzeige endet, so hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgefunden, mit einer (Bewährungs-)Strafe für den Täter, in Bundesländern wie Berlin sogar nur jede 25.

Jetzt, nach der Silvesternacht-Katastrophe, kommt Bewegung in die Sache. Endlich. An dem neuen Gesetzentwurf gibt es einige gute Aspekte und einen schlechten. Gut an diesem Entwurf ist:

1. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig sind“.

2. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig“ sind.

3. Er erfasst auch Fälle, in denen das Opfer „im Falle des Widerstandes ein erhebliches Übel befürchtet“.

4. Und falls der fehlende Widerstand des Opfers „auf einer Behinderung beruht“, soll dies künftig als „besonders schwerer Fall“ gelten. Bis dato war es ein minder schwerer Fall.

Eine Frage aber bleibt: Warum muss das Opfer eigentlich Widerstand leisten? Warum gilt nicht das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein!“, wie es auch die sogenannte Istanbul-Konvention fordert? Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ fordert in Artikel 36: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr, Anm.d.Red.) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
Der deutsche Justizminister hat sich dazu in seinem Gesetzentwurf nicht durchringen können.

Jetzt ist die CDU an dem SPD-Minister vorbeigeprescht. Anfang des Jahres hat der Bundesvorstand der CDU die so genannte „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Darin heißt es: „Sexualdelikte sind keine Kavaliersdelikte. (...) Deshalb sorgen wir dafür, dass gemäß Art. 36 der Istanbul-Konvention die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung geschlossen wird. Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen.“

Österreich hat vorgemacht wie es gehen kann

Während die SPD bisher davon ausgeht, dass der konservative Koalitionspartner den Maas-Entwurf durchwinkt, bestätigt die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Annette Widmann-Mauz, auf EMMA-Anfrage: „Nein heißt Nein! Deshalb müssen wir die Istanbul-Konvention umsetzen und die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung schließen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers muss dahingehend verändert werden.“ Auch das sogenannte Begrapschen solle ein „neuer Straftat bestand“ werden.

Österreich hat gerade vorgemacht, wie das geht. Seit 1. Januar 2016 wird dort bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“. Und auch das so genannte Grapschen steht nun, klar definiert, unter Strafe: Seit Jahresanfang drohen in unserem Nachbarland sechs Monate Haft, wenn „der Geschlechtssphäre zuordenbare Körperstellen entwürdigend berührt“ werden.

Leider hat sich Justizminister Maas davon nicht inspirieren lassen. Und die CDU-MinisterInnen haben es durchgewunken - trotz "Mainzer Erklärung". Die CDU/CSU-Fraktion scheint das zu Recht irritierend zu finden. Nach dem Kabinetts-Beschluss erklärte sie in einer Pressemitteilung: "Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesminister Maas bietet allerdings noch keinen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Wir werden daher im parlamentarischen Verfahren auf Änderungen drängen." Und weiter: "Ein Nein muss immer beachtet werden."
 

Zur Petition des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) an Justizminister Heiko Maas: "Schaffen Sie ein modernes Sexualstrafrecht. Nein heißt nein."

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Kachelmann verliert gegen Schwarzer

© dpa
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Bei dieser Klage vor dem Oberlandesgericht Köln ging es nicht, wie so oft, um juristische Formalien, die für die eine oder die andere Seite zu deren Gunsten bzw. Ungunsten ausgelegt werden können. Sondern es ging um „ein Thema von erheblichem öffentlichem Interesse“ (so das Urteil): Nämlich um die Frage, ob in einem Prozessbericht, der von dem Vorwurf der Sexualgewalt handelt, das „Intimleben“ des Angeklagten thematisiert werden darf. Und darum, ob Zeuginnenaussagen zitiert werden dürfen, um die Strategie der Verteidigung im Umgang mit diesen Zeuginnen deutlich zu machen. 

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Das Oberlandesgericht Köln entschied nun in einem bemerkenswerten Urteil, es könne durchaus rechtens sein, das Sexualleben eines der Sexualgewalt Angeklagten zu thematisieren. Und ebenso sei es rechtens, die Aussagen von ZeugInnen im Zusammenhang mit einer Kritik an der Verteidigungsstrategie zu zitieren. 

"Ein Thema von 
erheblichem 
öffentlichem 
Interesse."

Worum ging es genau? Hier die umstrittenen Passagen, die aus Sicht des Kachelmann-Anwaltes nicht hätten berichtet werden dürfen, im Wortlaut. 

In ihrem am 25.3.2011 in der Bild-Zeitung erschienenen Kommentar hatte Alice Schwarzer geschrieben: „All diesen Frauen, denen Kachelmann meist von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft vorgeschwärmt haben soll, ist eines gemein: Sie werfen ihm vor, er sei in ihrer Beziehung gewalttätig gewesen.“ Dies sei, so das Oberlandesgericht, ein auf einer Tatsachenbehauptung basierendes Werturteil, das durchaus auch die möglichen Zweifel an den Aussagen deutlich mache.

Und Alice Schwarzer schrieb weiter: „Denn eigentlich geht es um etwas sehr Ernstes. Nämlich darum, dass mehrere Ex-Freundinnen über einen Zeitraum von zehn Jahren alle das Gleiche sagen: Dass Kachelmann in der Beziehung gewalttätig geworden sein soll. Die Behauptung der Ex-Freundin aus Schwetzingen, er habe sie vergewaltigt, ist also denkbar. Denn stimmen die Aussagen der Ex-Freundinnen, hätte Kachelmann sich in dieser Nacht nicht zum ersten Mal gewalttätig verhalten.“ Bei dieser Passage ging es Schwarzer in erster Linie um den Umgang der Verteidigung mit den Aussagen der Zeuginnen, die von Kachelmanns Verteidiger als unglaubwürdig oder irrelevant dargestellt worden waren.

Beide Passagen seien rechtens, entschieden die drei Richterinnen des Kölner Oberlandesgerichts. Sie begründeten ihr Urteil mit den Worten: „Der Bereich der Sexualität kann von dem gegenüber einer Berichterstattung in den Medien absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung ausgenommen sein, wenn eine Sexualstraftat als Ausdrucksform der Sexualität im Raume steht. Die aktuelle Berichterstattung über eine solche Straftat rechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des Informationsinteresses nicht allein die identifizierende Veröffentlichung des Tatvorwurfs, sondern unter Umständen auch Berichte über das persönliche Leben des Täters, wenn der Inhalt der Berichte in einer unmittelbaren Beziehung zur Tat steht, Aufschlüsse über Motive oder andere Tatvoraussetzungen gibt und für die Bewertung der Schuld wesentlich erscheint.“

Ein Urteil von 
Bedeutung für 
alle Opfer von 
sexueller Gewalt.

Und auch die Frage des Rechts auf Veröffentlichung der Zeuginnen-Aussagen bejaht das Gericht mit der Begründung: "Weil die von den Zeuginnen geschilderten Begebenheiten als Teil des Strafverfahrens gegen den Kläger, nämlich als Randgeschehen der angeklagten Vergewaltigung anzusehen sind, da die Verhaltensweise des Klägers gegenüber den Zeuginnen im Strafverfahren indiziell verdeutlichen sollte, wie er sich im sexuellen Verkehr mit Frauen ‚üblicherweise‘ verhält und ob er insofern Gewalttätigkeiten zeigte."

Entscheidend war für das Oberlandesgericht, dass es bei dem Kommentar von Alice Schwarzer in erster Linie um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stil der Verteidigung ging: „Wie Zeuginnen in einem wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung geführten Strafverfahren vom Verteidiger des Angeklagten behandelt werden, ist ein Thema von erheblichem öffentlichem Interesse“, heißt es in dem Urteil. Und weiter: „Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise des Verteidigers war jedoch nicht möglich, ohne die kursorisch dargestellten Angaben der Zeuginnen, die dem Leser ein Bild davon vermitteln, mit welchen Angaben sich die Verteidigung konfrontiert sah, mit einem Schlagwort (‚gewalttätig‘) zusammenzufassen.“

Dieses Urteil ist geprägt von einem Bewusstsein um die besondere Problematik der Prozesse, bei denen es um den Vorwurf der Sexualgewalt geht. Denn: Erstens stehen sich darin in der Regel Aussage gegen Aussage gegenüber. Zweitens ist die Strategie der Verteidigung fast immer das Unglaubwürdigmachen, ja Herabwürdigen des Opfers (Stil: „die Falschbeschuldigerin“ bzw. „einvernehmlicher Sex“ etc.). Darum ist dieses Urteil von großer Bedeutung und öffentlichem Interesse.

EMMA 3/2016

Urteil OLG: 15 U 114/15

Der Originalkommentar von Alice Schwarzer: hier nachlesen

 

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