„Prostitution weltweit abschaffen!“

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Helles Mädchenlachen hallt durch den Schulflur. Es dringt aus einem kleinen Klassenraum. Darin ein Dutzend Mädchen, die jüngste ist vier Jahre alt. Sie singen und tanzen und werfen ihre schmächtigen Ärmchen jauchzend in die Luft, ganz wie das Nilpferd in dem Trickfilm vor ihren Nasen. Erst als sie sich umdrehen, sieht man die Traurigkeit in ihren Augen. Denn das luftige Schulgebäude mit seinen mit bunten Kinderzeichnungen tapezierten Wänden steht in maximalem Kontrast zu der Welt, aus der die Mädchen kommen: ein illegaler Rotlichtbezirk, nicht weit entfernt von der südindischen Metro­pole Hyderabad.

Wie eine Pizza konnten Männer sich bisher die Mädchen bestellen und sie vergewaltigen. Und es ist gar nicht lange her, dass die Mädchen bei einer Polizei-Razzia entdeckt und an einen Ort gebracht wurden, der nicht nur in Indien, sondern auf der ganzen Welt einmalig ist. Er trägt den Namen „Prajwala“, das heißt „ewige Flamme“. Ein Zufluchtsort für verkaufte Mädchen und Frauen.

In dem Klassenraum neben dem Kindergarten pauken Teenagerinnen Dreisatz und Englisch. Auch ihre Vergangenheit ist ein Albtraum. Aber heute hoffen sie auf eine Zukunft: als Pilotin, Architektin oder Software-Entwicklerin. Als der Schulunterricht endet, strömen sie aus dem Gebäude auf den weitläufigen Hof. Dort wartet eine Frau, die so klein ist, dass manche der Schülerinnen sie sehr bald überragen werden. Die Mädchen werfen sich in ihre Arme. „Wo warst du so lange, Mami?“

Diese Frau heißt Sunitha Krishnan. Prajwala ist ihr Werk. 600 Frauen, darunter 200 minderjährige Mädchen, leben derzeit in den Schutzunterkünften auf dem durch hohe Mauern geschützten Gelände. Rund 20.000 Frauen und Mädchen hat Krishnan aus der Sexsklaverei gerettet und davor bewahrt, dass sie erneut in die Prostitution abrutschen. „Wir sind das einzige Modell weltweit, das beweist: Es ist möglich, Frauen da rauszuholen und sie auf den Weg der Genesung zu schicken. Ich denke nicht, dass wir zu 100 Prozent erfolgreich sind. Aber wir sind sehr erfolgreich“, sagt Krishnan stolz. „Von zehn schaffen acht den Ausstieg und beginnen ein neues Leben.“

Laut offizieller Kriminalstatistik wird in Indien stündlich eine Frau verkauft. NGOs schätzen, dass es eher minütlich passiert. Die meisten Fälle werden niemals angezeigt. Die offiziellen Zahlen sind also nur eine Annäherung an das tatsächliche Ausmaß des Elends. Ein weltweites Elend. Gemäß des „Global Slavery Index“ sind 71 Prozent der 40 Millionen Menschen in der modernen Sklaverei weiblich. In der Sexsklaverei ist es die überwältigende Mehrheit.
Das Problem habe „erschreckende Dimensionen“ angenommen, erklärten unlängst die Vereinten Nationen. Nicht nur die UN, sondern auch die EU-Kommission warnte in einem Report vor der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Europa. Alleine in den Jahren 2015 und 2016 sind 9.759 in den Statistiken aufgetaucht. Die Dunkelziffer beträgt auch hier ein Vielfaches. In Ländern, in denen die Prostitution legal ist, hätten es die Frauenhändler besonders leicht, berichtet die EU-Kommission.

Sunitha Krishnan reist häufig für Vorträge nach Europa und in die USA. Sie ist immer wieder überrascht über das fehlende Problembewusstsein so mancher ZuhörerIn. „Viele Menschen denken, so etwas passiert ja nur in Ländern wie Indien, nicht aber vor der eigenen Haustür“, sagt sie. „Dabei ist es wichtig, dass alle Länder dieser Welt begreifen, dass das Problem immer näher kommt!“ Krishnan sagt: „Es geht mir nicht nur um Prajwala. Ich möchte die Prostitution weltweit abschaffen. Punkt!“

Ein Ziel, das die 46-Jährige seit einem Vierteljahrhundert verfolgt. Angefangen hat es 1996, als die Polizei den Rotlichtbezirk in Hyderabad dichtmachte und hunderte Prostituierte auf der Straße standen. Sunitha Krishnan richtete in einem geschlossenen Bordell eine Schule für deren Kinder ein – und legte damit den Grundstein für Prajwala. Bis 2009 operierte das Team in der Altstadt von Hyderabad.

Aber „dann hat uns die Gemeinde aufgefordert, zu gehen“, berichtet Sunitha. Denn wenn eine Frau aus der Prostitution gerettet wird, dauert es nicht lange, bis die Menschenhändler und Zuhälter auftauchen, die ihre Mädchen zurück wollen. „Sie haben die Anwohner terrorisiert“, sagt Krishnan.

Sunitha Krishnan hat keine Angst. Sie hat schon eine Fatwa und etliche körperliche Attacken überlebt. Sie war zwar immer „etwas rebellisch“, erzählt sie, aber beliebt und eine gute Schülerin. Der Vater, ein Kartograf, nahm sie schon früh mit auf seine Reisen durch Indien. Als Achtjährige fing Sunitha an, benachteiligten Kindern Tanzen und Lesen beizubringen. Doch dann, als 15-Jährige, wurde sie von acht Männern vergewaltigt. Die Eltern schwiegen.
Die Erfahrung, so beschämt und ganz alleine damit zu sein, beeinflusst Sunithas Arbeit bis heute. Für ihren Einsatz ist sie vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem „Aurora-Preis zur Förderung der Menschlichkeit“, auch bekannt als „humanitärer Nobelpreis“. Zu den UnterstützerInnen von Prajwala zählen Organisationen wie das katholische Hilfswerk Misereor, UNICEF und Google. Und die vielen Menschen, die seit Jahren kleine Beträge spenden, manchmal nicht mehr als ein paar Rupien, berichtet Krishnan.

Eine gute Stunde Fahrt von dem Gelände mit der Schule und den Schutzunterkünften entfernt liegt der Prajwala-Campus mit der Ruhe einer Tempelanlage und dem Takt eines mittelständischen Unternehmens. 250 MitarbeiterInnen arbeiten inzwischen für Krishnan, die Hälfte davon sind Überlebende der Prostitution. In den Büros sitzen Einheiten, die sich um Prävention und Aufklärung kümmern; die Opfer vor Gericht begleiten; die psychologische und medizinische Betreuung anbieten; die Prajwala-Frauen eine Ausbildungsstelle besorgen, einen Job und eine neue Wohnung. Und die die Anti-Trafficking-Units der Polizei bei Rettungsaktionen unterstützen.

Bis 2012 hat Sunitha Krishnan noch selbst an solchen Razzien teilgenommen, heute schafft sie das rein zeitlich nicht mehr. Aber einer dieser Einsätze verfolgt sie bis heute. „Es musste immer alles ganz schnell gehen, es geht ja um Leben und Tod“, sagt sie. Die Rettungseinheit fand die jungen Frauen versteckt in Schränken und Badezimmerkommoden. Nur ein 13-jähriges Mädchen weigerte sich mit Händen und Füßen dagegen, den Ort zu verlassen. Die Zuhälter waren getürmt, aber vorher hatten sie noch ihr Baby verschwinden lassen. „Der Teamleader, ein Polizist, wollte schon los, aber ich sagte: Wir können nicht gehen, wir müssen das Kind finden! Das war natürlich unglaublich riskant…“, erzählt Krishnan.

Schließlich fanden sie tatsächlich das Kind: in einem Wassertank. Es war schon blau angelaufen. Das wahre Grauen aber habe sich erst gezeigt, als das Baby seine rosige Hautfarbe zurückhatte, erzählt Sunitha: Bissspuren am ganzen Körper. Immer dann, wenn die Mutter nicht parieren wollte, haben die Bordellbetreiber den Säugling ihrem Hund vorgeworfen.

Auf dem Prajwala-Campus gibt es inzwischen ein Notfall-Shelter, damit Frauen und Mädchen, die nachts gerettet werden, nicht auf den Polizeistationen bleiben müssen. Rund zwei Jahre ist es her, dass ein Dutzend Frauen sich bei einer Rettungsaktion der Polizei haben einschleusen lassen. „Sie haben sich als Opfer ausgegeben, aber sie waren in Wahrheit Menschenhändlerinnen“, sagt Krishnan. Die Frauen demolierten das Büro und die Küche, sie verprügelten die Sozialarbeiterinnen und sperrten die anderen Frauen in den Schlafsälen ein. Dann übergossen sie die Wände mit Speiseöl aus der Küche. „Sie wollten alles niederbrennen“, erinnert sich Krishnan.

Dreimal ist Prajwala schon Ziel von solchen Attacken geworden, immer nach der gleichen Methode. „Menschen, die wollen, dass die Sexindustrie läuft; dass die Prostitution legalisiert wird; die immer nur über die ‚Rechte von Sexarbeiterinnen‘ reden – diese Menschen wollen, dass wir verschwinden“, weiß Krishnan. Je erfolgreicher Sunithas Modell wird, desto größer wird die Gegenwehr. Kein Wunder, die Mädchen und Frauen sind ja ab dem Zeitpunkt ihrer Rettung in Ermittlungsverfahren involviert. Und mit jedem Zentimeter Selbstbewusstsein, den sie in den Kunst- und Tanzkursen bei Prajwala entwickeln, steigt auch die Chance, dass sie den RichterInnen das Erlebte erzählen.

Doch bis dahin dauert es manchmal Jahre. Anfangs sind die Frauen meist total traumatisiert. „Viele sind drogen- oder alkoholabhängig. Sie sind aggressiv oder versuchen, sich umzubringen. Sie haben Angst, dass wir sie genauso ausbeuten wie die Zuhälter“, erzählt Sujatha, die seit 14 Jahren als Sozialarbeiterin für Prajwala arbeitet.

Neben der Notunterkunft liegen die großen Werkstätten, in denen ehemalige Prostituierte heute Tische, Betten und Regale schweißen. Sie werden hier auf dem Campus zu Schreinerinnen, Weberinnen oder Buchbinderinnen ausgebildet. Erst wenige Monate zuvor haben die „girls“ Schlagzeilen gemacht, als sie kurz nach der Jahrhundertflut in den südindischen Bundesstaat Kerala reisten, um dort bei den Aufbauarbeiten zu helfen.

„Madam hat uns ein neues Leben gegeben“, sagt eine der kräftigen Frauen im Blaumann. „Jetzt können wir Menschen helfen, denen es schlechter geht als uns.“ Die ganz Mutigen übernehmen den härtesten Job: Sie gehen in das „Awareness Program“ um andere über die Gefahren von Menschenhandel und Prostitution aufzuklären. Dann erzählen sie das, was sie „ihre Reise“ nennen. „Ich war 13 Jahre alt und habe mich in einen Jungen verliebt“, beginnt Aditit. Sie sitzt zusammen mit sechs anderen Überlebenden zwischen 18 und 35 in einem Seminar-Raum auf einer Bank, und es kostet sie immer noch ungemeine Kraft, das Unfassbare auszusprechen.

Aditis Reise: Drei Monate ging die Beziehung gut. Dann brachte der Junge sie in ein abgelegenes Haus und verschwand. „Er hat dich verkauft!“, sagte eine fremde Frau. Die Frau sperrte das Mädchen in ein Zimmer. Aditi begriff zunächst gar nicht, was passierte. Aber dann kamen täglich fremde Männer. Manchmal fünf, manchmal zehn. Wenn Aditi sich wehrte, gaben ihre neuen Besitzer ihr Alkohol. Wenn sie sich stärker wehrte, gaben sie ihr Drogen. Und wenn sie kaum zu bändigen war vor Angst, zerschlugen sie eine Flasche und drohten: „Wir werden dich umbringen, wenn du nicht mitmachst!“

Zwei Jahre lang ging das so. Dann tauchte eine Rettungseinheit auf. Aditi wurde zurück in ihr Heimatdorf gebracht. Aber die Tanten und Onkel wiesen sie ab. Dann erfuhr Aditi, was ihr bis heute die Tränen ins Gesicht treibt: Ihre Eltern hatten sich umgebracht. Sie konnten die Scham nicht ertragen, dass ihre Tochter mit einem fremden Mann verschwunden war. Aber „das ist Vergangenheit“, sagt sie. „Ich möchte andere vor meinem Schicksal bewahren.“

Neben Aditi sitzt Maryam. Sie war 13 Jahre alt, als ihre Eltern sie verheirateten. Der Ehemann soff und verprügelte sie, die Schwiegereltern sahen zu. Nach einem Jahr warf die Familie das Mädchen raus und forderte die Scheidung. Maryams Eltern verstießen die gedemütigte Tochter, eine entfernte Verwandte nahm das weinende Mädchen auf. Die Frau gab ihr schöne Kleider und auch etwas Geld. Und reichte das Mädchen an Männer aus der Umgebung weiter, die sie vergewaltigten. Nach ein paar Monaten brachte die Verwandte Maryam in ein Bordell. Als sie wegrennen wollte, drohten ihre Zuhälter damit, Videos von ihr im Internet zu veröffentlichen. Eines Abends schnitten sie Maryam die Pulsadern auf, weil sie nicht gehorchen wollte.

Maryam hat überlebt. Sie zieht ein Lederarmband beiseite, darunter verbirgt sie die schwulstigen Narben an ihrem schmalen Unterarm. „Ich hatte lange keine Hoffnung“, sagt sie. „Aber hier habe ich neue Kraft geschöpft.“

Es gibt in Indien viele Wege in die Prostitution. Es beginnt meistens in den Dörfern und kleinen Städten; da, wo der Alphabetisierungsgrad niedrig und die ökonomische Not hoch ist. Es endet meistens in den großen Städten wie Mumbai oder Delhi, wo die Käufer dieser Mädchen sitzen. Und das Geld.

Manchen geht es wie Aditi und Maryam – sie fallen auf einen Lover Boy rein oder werden von den eigenen Angehörigen verkauft. Andere werden von ihren gutgläubigen Eltern in die Stadt geschickt, weil jemand versprochen hat, dass die Tochter dort Arbeit findet. Wieder andere flüchten vor der Gewalt in ihren eigenen Familien und die Prostitution ist ihr einziger Ausweg. Es gibt in Indien bis heute Communities, in denen Frauen seit hunderten von Jahren in die Prostitution hineingeboren werden. Oder schon im Mädchenalter als „Devadasis“ geopfert werden. Diese „Tempelprostitution“ ist längst verboten, wird aber im Untergrund immer noch praktiziert.

Viele Frauen werden auch schlicht gekidnappt. Besonders häufig passiert das derzeit in dem Anrainerstaat Bangladesch und auch in Nepal, von wo Tausende Mädchen und junge Frauen nach Indien geschmuggelt werden. Das Elend ist so groß geworden, dass Frauenrechtsorganisationen wie „Maiti Nepal“ an der Grenze patrouillieren und auf eigene Faust Fahrzeuge kontrollieren.

Menschenhändlern droht in Indien lebenslange Haft. Die Prostitution an sich ist nicht illegal, aber das Geschäft damit, also die Betreibung eines Bordells, die Zuhälterei oder das Werben für Prostitution in der Öffentlichkeit. Trotzdem existieren in Indien die größten Rotlichtbezirke von ganz Asien, wie das berüchtigte Kamathipura in Mumbai.

Aber die sind heute gar nicht mehr das einzige Problem, sagt Mahesh Bhagwat. Der Polizeichef aus Hyderabad ist für Rachakonda, ein Zusammenschluss von drei Bezirken mit gut vier Millionen Menschen verantwortlich. Im Verlauf seiner Karriere hat er viele der Frauen und Mädchen gerettet, die bei Sunitha Krishnan Unterschlupf gefunden haben. Er hat dutzende Bordelle schließen und Menschenhändlerringe hochgehen lassen. Er hat Politiker beraten und Kollegen geschult. Aber die neuen Methoden machen selbst ihn ratlos.

„Heute wickeln die Trafficker ihre Geschäfte einfach über WhatsApp oder Locanto ab“, sagt Polizeipräsident Bhagwat. Locanto ist eine weltweit zugängliche Webseite für Kleinanzeigen, auf der auch „Escort-Service“ angeboten wird. Häufig werden die Frauen per Flugzeug quer durchs Land geschickt und dann von Mittelsmännern in Privatwohnungen oder abgelegene Farmhäuser gebracht, wo die Käufer auf sie warten. Die Menschenhändler und Zuhälter sind in dieser Kette fast unsichtbar geworden.

Im vergangenen Sommer hat die erste Kammer des indischen Parlaments, die Lok Sabha, darum einen Gesetzentwurf verabschiedet, die „Trafficking of Persons (Prevention, Protection and Rehabilitation) Bill 2018“. Mit diesem Gesetz soll der Kampf gegen alle Formen von Menschenhandel auf ein solides Fundament gestellt werden. „Es wäre das erste Mal, dass Menschenhandel in Indien offiziell als organisierte Kriminalität anerkannt wird“, sagt Sunitha Krishnan von Prajwala, eine der Befürworterinnen des neuen Gesetzes. Dabei geht es unter anderem um die Einrichtung einer Behörde gegen Menschenhandel auf nationaler Ebene, die grenzübergreifend ermitteln kann und die Zusammenarbeit der einzelnen Bundesstaaten stärken soll. Und die Festschreibung des Rechts der Überlebenden auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft via Schutzhäuser und Rehabilitationszentren. Sowie die Einrichtung eines Opferfonds.

Treibende Kraft hinter dem neuen Gesetz ist Frauenministerin Maneka Gandhi, eine profilierte Frauen- und Tierrechtlerin. Dass sie in die hindu-­nationalistische BJP eingetreten ist, haben ihr viele Liberale bis heute nicht verziehen.

Auf dem Whiteboard in ihrem Büro im „Ministry of Women and Child Development“ in Delhi hat die Ministerin über 40 Ziele für das Frauenministerium aufgelistet. Das Gesetz gegen Menschenhandel steht ganz weit oben. „Bisher war es so: Die Frau wurde verkauft und in die Prostitution gezwungen“, sagt Gandhi. „Und anstatt der Menschenhändler hat die Polizei dann diese arme Frau gefunden und als illegale Sexarbeiterin ins Gefängnis gebracht. Das muss sich ändern.“

Die Ministerin hat die Erstellung einer Liste aller existierenden Schutzhäuser in Indien veranlasst. An die 10.000 sind zusammengekommen, darunter viele, die zuvor nicht registriert worden waren. „Manche dieser so genannten Schutzhäuser sind in einem sehr schlechten Zustand. Die Betreiber könnten alles sein – sogar Menschenhändler“, klagt Gandhi. Inzwischen sind in mehreren ­Bundesstaaten Fälle von schwerem Missbrauch in solchen Einrichtungen bekannt geworden.

Eigentlich müsste die zweite Kammer des indischen Parlamentes, die Rajya Sabha, das Gesetz nur noch verabschieden. Aber in den Sitzungswochen im Januar kam das Gesetz gar nicht erst zur Sprache. Im Frühjahr stehen nun in Indien Parlamentswahlen an – und mit dem Thema Menschenhandel sind kaum Stimmen zu machen. „Wir sind besorgt, wie es weitergehen wird“, klagt Sunitha Krishnan.

Auf dem Prajwala-Gelände neigt sich der Tag inzwischen dem Ende zu. Die Erwachsenen haben sich in ihre Gemeinschaftszimmer zurückgezogen. Aber die Kleinen haben noch Redebedarf. Sunitha Krishnan sitzt auf der breiten Treppe vor dem Wohnhaus, rund 90 Mädchen hocken zu ihren Füßen. Einige von ihnen sind in den vergangenen Wochen zu spät oder gar nicht zum Unterricht erschienen, und darüber wollen die Schulsprecherinnen nun mit Sunitha reden. Außerdem steht der „Kindertag“ an, es soll eine Aktion für die umliegenden Dörfer organisiert werden.

„Sing uns noch ein Lied“, rufen die Mädchen schließlich und klatschen in die Hände. Sunitha Krishnan ziert sich erst, aber dann stimmt sie an: „Naa lo una prema ni tho cheppana; nee lo una Prema na tho cheppava“. Das bedeutet etwa: Darf ich euch von meiner Liebe für euch erzählen; und erzählt ihr mir von eurer Liebe für mich? Und die Mädchen zu ihren Füßen stimmen ein.

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