Alice Schwarzer schreibt

Und die Opfer von Honka?

Die Opfer (von links): Frieda Roblick, Gertrud Breuer, Anna Beuschel und Ruth Schult.
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Zwischen 1973 und 1975 hat der Hilfsarbeiter Fritz Honka in Hamburg vier Frauen gefoltert, eingesperrt, ermordet und zerstückelt. Die vier Frauen waren zwischen 42 und 58 Jahre alt und prostituierten sich in Honkas Stammkneipe, dem „Goldenen Handschuh“, eine Kaschemme in Altona. Eine der Frauen hatte das KZ überlebt, auch da hatte sie sich prostituieren müssen. Keine der vier Frauen war nach ihrem Tod vermisst worden.

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Der 40-jährige Honka flog erst auf durch den zunehmend penetrant werdenden Leichengeruch. Er hatte die verwesenden Körperteile in Nischen seiner Dachwohnung versteckt.

Fritz Honka
Fritz Honka

Der Prozess 1976 in Hamburg war einer der Tiefpunkte der Frauenverachtung und Komplizität von Justiz und Medien mit dem Täter. Den Ton gab Spiegel-Reporter Gerhard Mauz vor. Er gilt als der Pionier einer „modernen“ Gerichtsberichterstattung, die auch die Richter stark beeinflusste. Dabei geht es - in Reaktion auf die Kopf-ab-Mentalität der Nachkriegszeit - um mehr Verständnis für die Täter. Wobei jedoch die Opfer in Vergessenheit gerieten.

Bei dem Verstümmeln und Zersägen der Leichen habe es sich, so der Richter, „um eine totale Eliminierung des Ärgernisses gehandelt“. Mit Ärgernis meinte er die Opfer. Mauz hatte geschrieben, die Frauen seien alle „schlampig und dreckig“ gewesen. Honka hingegen, befand Mauz, sei „ein Moralist. Sauberkeit und Ordnungssinn sind für ihn hohe Werte.“ In Wahrheit habe er „eine Partnerin gesucht, das Gespräch, den Austausch, jene Hilfe, die allein das Gespräch zwischen den Geschlechtern geben kann.“

Auch die FAZ wusste zu berichten, die von Honka in seiner Wohnung wochenlang gefangen gehaltenen Frauen seien „alle schmutzig gewesen“ und hätten „gestunken und seinen Haushalt nicht so geführt, wie Honka es sich erhofft hatte“.

Der Richter übernahm die Berichterstattung der Journalisten teilweise wörtlich in seiner Urteilsbegründung: Vor der Tötung der Frauen sei es immer zu „heftigem Streit“ gekommen, der „durch die Frauen ausgelöst wurde“. Denn Honka „war der Ansicht, da es sich schließlich um Prostituierte handelt, dass sie ihm zu Willen sein müssten“. Das Gericht kam also zu dem Schluss, Honkas Motive seien weder „niedrige Beweggründe“ noch „Mordlust“ gewesen – und verurteilte den Serienmörder zu nur 15 Jahren Gefängnis.

1993 wurde Honka entlassen und als „Peter Jensen“ anonymisiert. Er zog in ein Altersheim, ein gemischtes Altersheim mit Männern und Frauen.

2016 veröffentlichte der Hamburger Schriftsteller und bekennende Bukowski-Fan Heinz Strunk einen Roman über Honka, Titel: „Der goldene Handschuh“. Er ging darin episch auf die schwere Kindheit Honkas ein. Bei der Beschreibung der Opfer begnügte er sich damit, weitgehend den Aussagen Honkas vor Gericht zu folgen, oft wörtlich.

Honka-Darsteller Dassler und Regisseur Akin auf der Berlinale. Foto: snapshot/Imago
Honka-Darsteller Dassler und Regisseur Akin auf der Berlinale. Foto: snapshot/Imago

Jetzt, 2019, ein Jahr nach MeToo, präsentiert Fatih Akin auf der Berlinale einen auf dem Roman basierenden Spielfilm, der, so der Spiegel, „den Sadismus eines Mörders und die Todesangst seiner Opfer“ zelebriert. Dafür ließ Akin sich zusammen mit seinem Hauptdarsteller (den Die Zeit Oscar-verdächtig findet), auf dem roten Teppich feiern.

Fatih Akin ist 1973 in Altona geboren, zu der Zeit, in der Honka gleich nebenan mordete. Er charakterisiert seinen Film als "Horrorfilm", der "vielleicht sogar Glückshormone freisetzen" könnte (Fragt sich nur, für wen). Als Motiv für die Auswahl seines Stoffes gab Akin in einem Spiegel-Interview an, ihm seien „die Loser näher“. Er meinte damit nicht Ruth Schult. Auch nicht Gertrud Breuer oder Anna Beuschel. Und auch nicht Frieda Roblick, die zwar das KZ überlebt hat, aber nicht Honka. Akin meinte damit den sadistischen Frauenmörder.

Wann eigentlich schreibt eine Schriftstellerin ein Buch über diese vier Frauen – oder eine von ihnen? Und wann verfilmt eine Regisseurin ihr Leben?

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer schreibt

Männerjustiz

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Justitia ist ein Mann. Denn: Frauen werden für gleiche Taten oft härter verurteilt als Männer. Frauen haben schlechtere Haftbedingungen als Männer. Frauen werden seltener begnadigt als Männer!

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Hier ein paar Beispiele aus den Analen der niederrheinischen Frauenhaftanstalt Anrath. Da ist Frau H.S.: Sie war zur Tatzeit 32 Jahre alt, Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Ihr Geliebter erschoss ihren Ehemann. Sie wurde aber wegen „Anstiftung“ zu lebenslänglich verurteilt. Er bekam fünf Jahre und wurde ein Jahr später begnadigt. – Und Frau A.J., zur Tatzeit 32 Jahre alt, Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Sie bekam lebenslänglich, weil ihr Freund mit ihrer „Billigung“ ihren Mann erwürgt hatte. Der Täter wurde zu 14 Jahren verurteilt und nach acht Jahren begnadigt. – Oder Frau L. Sch., zur Tatzeit 33 Jahre alt und Hausfrau. Sie vergiftete zusammen mit ihrem Freund den Ehemann. Sie bekam lebenslänglich, er zehn Jahre. Begründung des Gerichts: Er sei der Frau „hörig“ gewesen. – Bei Frau M. schließlich erschlug der 20-jährige Pflegesohn den die Frau misshandelnden Ehemann mit dem Hammer. Das Gericht vermutete in ihr die „Anstifterin“: lebenslänglich. Der Sohn bekam sechs Jahre und wurde rasch begnadigt.

Und das sind nur ein paar Beispiele von vielen möglichen... Aber nur selten sind sie so offensichtlich. Meist sind die Taten von Frauen und Männern so unterschiedlich in Motiven, Umständen und Ausführung, dass sich ein direkter Vergleich nicht so einfach aufdrängt. Auffallendster Unterschied: Beim Verbrechen sind Frauen vor allem Opfer, nicht Handelnde. So ist in der BRD das Risiko einer Frau, von ihrem Mann umgebracht zu werden, zehnmal so groß wie das Risiko eines Mannes, von seiner Frau umgebracht zu werden.

Auch vor Gericht ist das Risiko der Frauen größer. Die Mörderin bekommt fast immer lebenslänglich oder zehn, fünfzehn Jahre, der Mörder nicht selten einen Freispruch oder ein paar Jährchen zur Bewährung. Bei Gattenmord werden von den weiblichen Tätern doppelt so viele zu lebenslänglich verurteilt wie von den männlichen Tätern! (Das ergab 1975 eine Düsseldorfer Dissertation von Janek Chomiak und Gerd Schumacher). 

Irgendwo tief im Orient, da können Männer ihre Frauen einfach umbringen – so lesen wir mit Schaudern. Doch wären wir gewohnt, Gewohntes nicht hinzunehmen, so würden uns auch die kleinen Meldungen aus Berlin Spandau oder Köln-Nippes alarmieren. Denn in der Bundesrepublik der 70er Jahre herrschen wahrhaft orientalische Sitten. Die eigene Frau töten ist auch hierzulande für einen Mann unter Männern oft nicht mehr als ein Kavaliersdelikt. Und vor Gericht sind ja Männer quasi unter sich. Ungestraft oder milde getadelt können Männer Frauen töten, Hauptsache, es handelt sich um eine „schlechte“ Frau: um eine „Schlampe“, die ihn in seiner „Männerehre“ gekränkt hat.

Beweise dafür? Es gibt kaum Unter­suchungen darüber, keine Statistiken und keine Zahlen. Was kein Zufall ist. Ich muss einzelne Fälle schildern, um die Sys­tematik hinter solchen Urteilen sichtbar zu machen:

•Im November 76 milderte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen den 38-jährigen Schlosser Klaus Dunger von acht auf dreieinhalb Jahre. Herr Dunger hatte eine Prostituierte, Frau Kunzmann, deren Zuhälter er war, erschlagen. Das Gericht hielt dem Angeklagten zu Gute, dass Frau Kunzmann ihn „schwer gekränkt“, nämlich „dreckiger Zuhälter“ und „Versager im Bett“ genannt habe. Klaus Dunger erstach das Opfer, weil er das „Gekeife und Ge­zeter nicht mehr hören konnte“. Richter Haller führte in der Begründung für das milde Urteil die scheinbare Rollen-Umkehrung des Paares an: „Während üblicherweise der Zuhälter die Prostituierte beherrscht, war es in diesem Fall umgekehrt.“

•Im Oktober 76 steht in Augsburg Karl Muhr, 22, vor Gericht. Er ist angeklagt, die 52-jährige Barbara Hofbauer getötet zu haben. „Er würgt die Frau bis zur Bewusstlosigkeit, dann schlägt er ihr viermal den Wagenheber über den Kopf, schlingt ihr das Abschleppseil um den Hals und schleift sie mit seinem Wagen zu Tode.“ Strafmaß: Fünf Monate, abgegolten durch die Untersuchungshaft... Begründung: Das Opfer, eine Witwe, habe den Angeklagten nach einem gemeinsam verbrachten Abend verführen wollen. Er aber habe nicht gewollt. „Da hat sie mich einen Schlappschwanz geheißen und mich wüst beschimpft.“ Außerdem habe sie ihn wegen seiner Hasenscharte verlacht. Kommentar des Richters: „Das Opfer ist schuld, nicht der Mörder.“

•Im Mai 76 steht in Berlin der 49-jährige X. vor dem Richter. Er hatte seine 50-jährige Ehefrau mit Messerstichen schwer verletzt. Das Schwurgericht hielt ihm zu Gute, dass er betrunken und „durch eine schwere Beleidigung gereizt worden“ sei. Es han­dele sich um eine Entgleisung eines sonst „unagressiven Menschen“. Der Angeklagte wurde zu 18 Monaten mit Bewährung verurteilt.

•Zur gleichen Zeit steht, ebenfalls in Berlin, ein 29-Jähriger vor Gericht, der seine 34-jährige Verlobte, eine Mutter von vier Kindern, durch Stiche in den Rücken mit einem Springmesser getötet hat (normalerweise strafverschärfend, da „heimtückisch“). Grund: Sie wollte sich von ihm trennen, was ihn vor allem des­halb erboste, weil er dann aus der ihr gehörenden Wohnung hätte ausziehen müssen. Außerdem „hatte sie ein Verhältnis mit einem Türken“ und sei er „durch eine Äußerung von ihr in seiner Mannesehre gekränkt worden“ (Tagesspiegel). Strafmaß: 18 Monate auf Bewährung.

•In Regensburg wird im März 76 ein Polizeiobermeister, der seine Freundin erschoss, freigesprochen. – In München bekommt der Türke Yilmaz Cosar, der seine Freundin umgebracht hat, weil sie eine „emanzipierte Frau war, die für seine Alleinbesitzansprüche kein Verständnis zeigte“ (so der Anwalt), sieben Jahre. – In Köln erwürgt der Sizilianer Francesco P. seine Ehefrau und wird im Juli 76 zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht hält ihm seine „gekränkte Ehre“ zu Gute. – In München wird im Juni 75 der Kellner Klaus P., der seine Braut Rosemarie N. erwürgt und ihr die Kehle durch­geschnitten hat, zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht ist der Meinung, der Angeklagte sei durch ihre Äußerungen wie „Du kannst nicht mal im Bett was, bist wie ein 60-Jähriger“ zur Tat hingerissen worden. – In Hagen wird im Dezember 75 der 35-jährige Friedhelm Burdenski zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte seine Freundin Ingrid Michalowski, die ein Kind von ihm erwartete und deshalb auf Heirat drängte, umgebracht. „Seine Geliebte war eine Frau von großer sexueller Ausstrahlung, die provozierte“, schrieb der Kölner Express. Das Gericht erkannte mildernd auf „Totschlag“, statt auf Mord.

•In Berlin wurde im Februar 74 ein 34 jähriger für Körperverletzung mit Todesfolge zu acht Jahren verurteilt. Er hatte seine Verlobte bei einem Abend zu dritt umgebracht. Der Tagesspiegel schildert den Tathergang so: "Die Verlobte hatte, bevor sie eintrafen, schon etwas Weinbrand getrunken. Nun wurde gemeinsam weitergefeiert und auch getanzt. Der Mann bevorzugte dabei die Besucherin. Seine deutlichen Annäherungsversuche gipfelten in Bemerkungen, er wolle mit ihr zusammen bleiben und seine Braut gehen lassen. Diese flehte ihn an, das nicht zu tun. Im Wortwechsel schlug sie ihm leicht ins Gesicht. Er reagierte mit einer Serie brutaler Fausthiebe. Als die Frau mit gebrochenem Oberkiefer am Boden lag, trat er derartig auf sie ein, dass sie außer einer tödlichen anderen Verletzung einen tiefen Leberriss erlitt. Dann schleppte er das Opfer in die Badewanne und betätigte die kalte Dusche." Kurz darauf starb die Frau. Das Gericht sah die Tötungsabsicht nicht als erwiesen an. 

Das spektakuläre Honka-Urteil schließlich, sowie auch die Berichterstattung in der Presse, ist einer der Höhepunkte der Männer-Kumpanei. Es kommt einem Freibrief für Frauenmord gleich. Unvorstellbar, dass zum Beispiel Spiegel-Mauz über eine Mörderin, die vier Männer zerstückelt und eine Leiche auch noch sexuell verschandelt hat, so einfühlsam berichten würde... Wer stellt bei Täterinnen die Frage nach der fehlenden Liebe oder dem „Gespräch zwischen den Geschlechtern“? Ein Mann darf diese Ansprüche haben, eine Frau wird, wenn sie sie äußert, lästig – ein Grund mehr, sie zu beseitigen.

Zweifel an der männlichen Potenz oder gar Verweigerung – das kann für Frauen leicht tödlich enden. Die so genannte „Mannesehre“, die ist das höchste Gut. Nennt sie ihn „Schlappschwanz“, will sie nicht, ist gar eine „Schlampe“ und führt den Haushalt nicht ordentlich – ja, dann hat sie eben eine Lektion verdient. Endet die tödlich – Pech für sie. Schimpft aber er sie „Hure“, so hat er damit nicht etwa die „Frauenehre“ verletzt – die gibt es gar nicht –, sondern einen Beweis für ihre Minderwertigkeit geliefert (Honka-Urteil: „mehr oder minder verbrauchte, ältere Prostituierte“). Eine Hure darf man(n) schon mal umbringen...

Die Gewalt von Männern gegen Frauen ist ja etwas Banales, Alltägliches. Er kann sie jeden Tag schlagen, kann drohen, sie umzubringen, und niemand wird sich darüber empören. Und wenn er sie dann eines Tages aus „Versehen“ totschlägt, ja, dann ist das eben nicht mehr als ein Ausrutscher: Er ist ein wenig zu weit gegangen. Richtet sich aber Frauengewalt gegen Männer, so ist das etwas Unerhörtes. Dann statuiert eine Männergesellschaft rachsüchtige Exempel:

•Im August 75 steht Ruth Kerckhoff, die „Giftmischerin von Köln“, vor Gericht. Wofür? Sie hatte ihrem Mann, einem Apotheker, über Monate kleinere Giftdosen ins Essen gemengt, die zwar nicht sein Leben gefährdeten, ihn aber krank machten. Ruth Kerckhoff beteuerte bis zuletzt, sie habe ihn nicht töten, sondern nur ein „bisschen krank“ machen wollen. Als Apotheken­helferin muss sie die Dosierung genau gekannt haben. Doch bei ihr schlugen sich das 20-jährige Ehemartyrium mit einem Mann, dessen kleine Angestellte und Putzfrau sie einst gewesen war, nicht mildernd im Urteil nieder. Herrn Kerckhoff geht es längst wieder bes­tens, Frau Kerckhoff bekam 15 Jahre.

•In Düsseldorf steht 1974 Renate Mocken vor dem Richter. Ihr Verbrechen: mit einem Mann befreundet gewesen zu sein, der seine Frau umgebracht hat. Sie war dabei weder Mittäterin noch Komplizin. Ihr einziges Verschulden: unfeine Bemerkungen des Stils „Entweder die geht kaputt oder ich“. Das Gericht verurteilte sie wegen „Anstiftung“ zu 15 Jahren Gefängnis.

•Im gleichen Jahr werden in Itzehoe Marion Ihns und Judy Andersen verurteilt. Sie ließen den Ehemann Marions durch einen gedingten Mörder umbringen. Strafmaß: lebenslänglich für beide. Ihr Leben, ihre Motive und die Umstände wurden bei dieser Höchststrafe nicht berücksichtigt.
Judy war bereits mit vier Jahren zum ersten Mal vergewaltigt worden. Marion mit neun. Ihre Mutter, eine Näherin, musste für sie und ihre vier Geschwister „anschaffen“ gehen. Die eheliche Ver­gewaltigung war für Marion alltäglich (Bild über Herrn Ihns: „... auch seine häufigen Trinkereien werden plötzlich verständlich. Er musste sich einen Rausch antrinken, um sich mit Gewalt holen zu können, was ihm ‚von Rechts wegen’ zustand.“) Kaum war die Rede von dem leidvollen Frauenleben der Angeklagten, von ihren Demütigungen und Abhängigkeiten, viel dafür von ihrer Liebesbeziehung zueinander, in die sie sich geflüchtet hatten.
Und das war es auch, was letztlich den Ausschlag für die Verurteilung gab. Ju­ristisch wie moralisch. Bild: „Wenn Frauen Frauen lieben, kommt es oft zum Verbrechen.“ Und Mauz im „Spiegel“, der bei Männern gerne und zu Recht die Frage nach Psyche und Sozialem stellt, argumentierte bei den beiden Frauen platt biologistisch. Er verstieg sich dazu, von der „konstitutionellen Veranlagung“ der Lesbierin zu Judy Andersen zu sprechen! Vor Gericht standen weniger zwei Mör­derinnen und mehr zwei Lesbierinnen. Hier war die Tat Vorwand zur mora­lischen und juristischen Verurteilung.

Wenn Frauen verurteilt werden, werden sie immer auch für ihren Lebenswandel verurteilt. Eines der berühmtesten und traurigsten Beispiele dafür ist der Prozess gegen Vera Brühne, der ein wahrer „Hexen­prozess“ war. Pressezitat: „Sie ist ihrem Wesen nach das, was sie einmal in einem Faschingskostüm darstellte – die Frau im Tigerfell. Darunter ist ihre Haut, eine glatte, seidige Frauenhaut, die schon manchen Mann lockte und belohnte. Aber unter diese Haut selbst geht nichts.“

Wenn Frauen verurteilt werden, fallen Begriffe wie „triebhaft“, „sexgierig“, „pro­vozierend“, „gefühllos“ und – „respektlos“ (vor dem Mann). Und wie auch immer die Angeklagte es wendet, es steht schlecht um sie. Ist sie hilflos, schüchtern und sagt nicht viel, begreift das Gericht überhaupt nichts, und sie kriegt gleich die Höchststrafe. Ist sie sicher und gesprächig (wie im Fall Kaiser), irritiert ihr „unweibliches“ Selbst­bewusstsein das hohe Haus.

Nur eine Möglichkeit gibt es für Frauen, einigermaßen heil davonzukommen: die ewig weibliche. Die Angeklagte hat sichtbar auf dem Pfade der weiblichen Tugend zu wandeln, oder dem, was Richter dafür halten. Wählt sie diesen Weg, kann sie sogar mit ungewöhnlicher Milde rechnen und männlichen Angeklagten gegenüber im Vorteil sein. So entsteht manchmal im Gerichtsaal der Eindruck, Frauen hätten es sogar leichter als Männer. Er trügt.

Ladendiebinnen und kleine Betrügerinnen zum Beispiel, die mögen schon ein paar Tränchen kullern lassen für den Herrn Richter. Kommen da auch noch die darbenden Kindlein zu Hause ins Spiel, so könnte die Angeklagte Glück haben (muss aber nicht). Dann erlaubt sich die Männerjustiz – so sie ihren guten Tag hat – die noble Geste der Ritterlichkeit: Bei so rührend kleinen weiblichen Tricks kann man ja schon mal ein Auge zudrücken... Aber die garstigen Weiber, die kriegen um so mehr eins drauf! - Das ist wie mit dem Türaufhalten und den Frauenlöhnen. Wie sagte noch eine Amerikanerin, gefragt, ob es ihr als emanzipierter Frau denn recht wäre, wenn ein Mann ihr die Tür aufhielte, lächelnd? ,,Aber selbstverständlich - solange mich das in der Lohntüte nicht 10 000 weniger im Jahr kostet..."

Die Muster, nach denen hier Männer- und da Frauenurteile ergehen, ähneln sich. Gesetzt den Fall, ich würde nach Patentrezepten zum Gattenmord gefragt – ich wäre um Antworten nicht verlegen. Allerdings sähe mein Ratschlag sehr unterschiedlich aus, je nach Geschlecht des Fragenden.

Was würde ich einem Mann raten? In der Wirtschaft mit Stammtischbrüdern einen über den Durst trinken. Dabei laut und vernehmlich über das hysterische Weibsbild zu Hause klagen. Dem Richter klarmachen, dass sie beim Nachhause­kommen gekeift hat – wie immer. Im Bett lief übrigens schon lange nichts mehr. Sie zierte sich. Auf seine Annäherungsversuche reagierte sie abweisend, ja verletzend. Da sah er plötzlich rot. Er weiß nicht mehr, wie es über ihn kam. Sie hat ihn in seiner Männerehre gekränkt. Er warf sie zu Boden, würgte sie und schlug ihr dann noch wie besinnungslos mit der Bierflasche auf den Kopf.

Kein Richterherz, das sich da nicht vor Mitgefühl krampft... Denn wo wollten wir hinkommen, wenn auch Richter-Gattinnen so renitent würden? Spätestens das Psychologen-Gutachten wird die Herren Geschworenen (und auch manche Dame) davon überzeugen, dass sich der Angeklagte aufgrund der „dauernden Kränkungen“ in einem Ausnahmezustand befand. War die Frau auch noch Alkoholi­kerin oder sogar ein paar Jahre älter als er – ja dann kann er seiner maximal drei Jährchen mit Bewährung sicher sein. Denn wer mag da noch übel nehmen? Von „niederen Beweggründen“, „Heimtücke“ oder gar „sexuellen Motiven“ (alles Kriterien für die strafverschärfende Definition als „Mord“ statt „Totschlag“) kann unter solchen Umständen ja nicht die Rede sein. Oder?

Und einer Frau, was würde ich der raten? Schon schwieriger. Sie darf ihn auf gar keinen Fall gewalttätig umbringen, zum Beispiel mit dem Beil („unweibliche Brutalität“). Sie darf ihn aber auch nicht gewaltlos töten, zum Beispiel mit E 605 im Kaffee („weibliche Heimtücke“). Sie muss auch nicht glauben, sie dürfe sich wehren, nur weil er ihre Ehre verletzt, sie „Hure“ oder „Schlampe“ genannt hat! Auch nicht, wenn er sie vergewaltigt oder halbtot schlägt. Ganz schlecht ist, wenn sie einen lockeren Lebenswandel hat oder auch nur so aussieht, als würde sie einen haben können. Sehr negativ könnten sich auch gereizte Bemerkungen über die Kinder auswirken. Daraus kann geschlossen werden, die Angeklagte sei eine „schlechte Mutter“, ergo ein Unmensch, ergo aller Untaten fähig. Ganz fatal schließlich wäre ein auffällig gewor­denes Interesse für die Emanzipation oder gar so genannte Männerfeindlichkeit...

Bei meiner Lektüre der letzten Jahren habe ich nur ein den Lebensbedingungen des weiblichen Täters und dem Verhalten des männlichen Opfers Rechnung tragendes Urteil finden können. Und auch hier war das Strafmaß nicht etwas Freispruch oder drei Jahre mit Bewährung, sondern fünf Jahre ohne Bewährung.

Dazu wurde im Oktober 76 Gretel W. in Ludwigsburg verurteilt, weil sie ihren Mann erschlagen hatte: „Weil ihr Mann selten arbeitete und sämtliches Geld vertrank, musste die biedere Hausfrau 50 Stunden die Woche fremde Böden putzen. Abends wurde sie von ihrem betrunkenen Mann verprügelt. Oft musste sie mit den drei Kindern auf den Speicher flüchten und dort ausharren, bis der Haustyrann eingeschlafen war. Er ver­gewaltigte seine 11-jährige Tochter und hatte ein Verhältnis mit seiner Schwä­gerin“ (Kölner Express). Als er seine Frau dann auch noch mit 6.000 Mark Schulden verlassen wollte, um ihre Schwester zu heiraten, geschah es. Die Täterin wird in der Berichterstattung ausdrücklich als „bieder“ geschildert, die Schlagzeile des Berichts lautet „Mutter erschlug Haus­tyrann mit dem Hammer!“ – Nicht eine Frau also erschlug einen Mann, sondern eine Mutter einen Tyrannen. Ihre Brut darf eine Frau verteidigen, nicht aber sich selbst.

Auch die juristische Fachliteratur be­weist den tief verankerten Sexismus, die systematische Diskriminierung des weiblichen Geschlechts. Sie ist voller Klischees. So schreibt zum Beispiel Landgerichtsrat Ameluxen in der „Kriminalstatistik Hamburg“: „Die Frau ist im Gegensatz zum Mann fähig, durch bloße seelische Erregung in einer Abenteuersituation lust­betonte Affekte, ja sogar Orgasmen zu er­leben.“ Und warnt: „Wenn eine an sich gut veranlagte Frau einmal moralisch verdorben ist, so greift ihre Verwahrlosung tiefer und führt zu schlimmeren Konsequenzen als beim Mann in der gleichen Lage, denn nicht nur im Guten, auch im Bösen lässt sich die Frau mehr vom Instinkt leiten als der Mann.“

Und erstmal der weibliche Sexualtrieb: „Der starke sexu­elle Hintergrund der Frauenkriminalität zeigt sich sogar beim Diebstahl, der beim Mann ein reines Not- und Nutzdelikt ist... Der beherrschende Einfluss der Schwangerschaft und des Klimakteriums auf die Dieb­stahlkriminalität ist heute in der Gerichtsmedizin unbestritten“ (Ameluxen). Bedenken wir, dass 90 Prozent der weiblichen Strafgefangenen aus sozial benachteiligten Schichten kommen, so ist das, was der Herr Landgerichtsrat da als moralische und juristische Wahrheit verkündet, zynisch.

Fast alle der wenigen Experten, die der straffällig gewordenen Frau die Ehre antun, sie für erwähnenswert zu halten, führen ihre besondere Situation nicht etwa auf soziale Gründe zurück, sondern auf biologische Gegebenheiten. Nicht das Leben einer Frau wird zum Verständnis der Tat beleuchtet, sondern die Tage bis zur nächsten Menstruation werden gezählt. Der Amerikaner Pollak zum Beispiel argumentiert in seinem Buch „The Criminality of Women“, Betrügereien und Täuschungsmanöver seien für Frauen nichts Ungewöhnliches, da sie es in der „sexuellen Sphäre“ ja gewöhnt seien, alle vier Wochen ihre Menstruation zu verheimlichen...

Selbst die wenigen, denen die ausschlaggebende Rolle von Lebensbedingungen und Umwelteinflüssen bei Straftaten generell längst klar ist, werden bei Frauenkrimi­na­lität schlagartig von patriarchalischer Kurzsichtigkeit befallen. Da bringen Mütter ihre Babys nicht etwa um, weil sie sie eigentlich nicht haben wollten und überfordert sind – nein, sie tun es, weil es ihnen an „Mutter­instinkt“ mangelt, weil sie „eiskalte Geschöpfe“ sind oder gerade in der „prämenstruellen Phase“ waren. Da töten Frauen nicht ihre Männer, weil sie seit Jahren von ihnen geschlagen und gedemütigt werden; weil sie ökonomisch, sozial und seelisch zu abhängig waren, um gehen zu können – nein, sie tun es aus „Leichtfertigkeit“ oder „Heimtücke“. Ob Täter oder Opfer – schuldig ist im Zweifelsfalle immer die Frau.

Ein Frauenleben verläuft von der Wiege bis zur Bahre anders als ein Männerleben. Frauen haben daher andere Gründe, straffällig zu werden als Männer. Und sie werden es zum Teil auf andere Art. So sind Frauen zum Beispiel keine arrivierten Manager und haben daher kaum Gelegenheit, an der Wirtschafts­kriminalität teilzunehmen. Frauen werden zur Passivität und Gewaltlosigkeit erzogen, lungern weniger auf der Straße herum, sitzen selten auf schweren Motorrädern – haben also kaum Gelegenheit, Chef einer Rockerbande zu werden oder Bankräuber. Ein Frauenleben soll sich im Hausfrauen- und Mutterglück erfüllen, hier erfüllt sich darum auch das Frauenunglück: 90 Prozent aller von Frauen ausgeübten Morde passieren zu Hause. Doch nur jeder zwölfte Mörder ist weiblich. Nur jeder sechste Straffällige war 1975 eine Frau. Und jeder zweite bis dritte leichte Diebstahl (meist Ladendiebstähle) geht auf ein Frauenkonto.

Macht „Emanzipation Frauen krimineller“? Solche Tendenzen zeichnen sich ab. Und es ist ja auch nur logisch, dass sich mit veränderndem Leben auch das Verhalten der Frau ändert. Nichts spricht für eine ange­borene Friedlichkeit von Frauen (so wenig wie Schwarze von Natur aus tumbe Onkel Toms sind und Juden raffgierige Rotschilds). Aber noch hat sich in der BRD die weibliche Kriminalität so wenig fundamental geändert wie das weibliche Leben. Am steigenden Frauenanteil an der Gesamtkriminalität sind vor allem die Ladendiebstähle schuld, die von Frauen heute relativ doppelt so häufig begangen werden wie von Männern (sie kaufen auch mindestens doppelt so häufig ein wie Männer). Auch der absolute Frauenanteil an den Verkehrsdelikten steigt, so wie ihre Teilnahme am Verkehr. Sicher, es morden heute doppelt so viele Frauen wie vor 15 Jahren. Insgesamt hat sich die Zahl der Morde jedoch verdreifacht. Die Anzahl der Mörderinnen ist also nicht in demselben Maße gestiegen wie die der Mörder. Allein schon diese Rechnung zeigt, wie leicht Zahlen für die jeweils passende Argumentation missbraucht werden können. 

Einige der ganz wenigen Untersuchungen von Frauenkriminalität, die nicht in der Blindheit des Vorurteils und Klischees stecken blieben, sind die Arbeiten von Dr. Helga Einsele und Prof. Elisabeth Trube-Becker. Beide haben eine jahrzehntelange Erfahrung in der Praxis: die eine als Gefängnis-Leiterin in Preungesheim, die andere als Gerichtsmedizinerin in Düsseldorf. Prof. Trube-Becker hat 1971 die Schicksale aller damals 84 lebenslänglich in der Strafanstalt Anrath einsitzenden Frauen untersucht. In ihrem Buch „Frauen als Mörder“ kam sie zu erstaunlichen Resultaten:

  • Ehefrauen morden mehr als Ledige.

  • In neun von zehn Fällen sind die ei­genen Männer und Kinder die Opfer.

  • Jede siebte Mörderin war schwanger und  jede siebte war unehelich (BRD-Durch-­schnitt jedeR 25.).

  • Zwei von drei waren in einer „Muss­ehe“ verheiratet. (Die meisten hatten keinen gelernten Beruf.)

  • Und: Männer morden in Ausnah­me­situationen (Arbeitslosigkeit, drohende Schei­dung etc.), Frauen aber in „normalen“ Situationen. Das heißt, nicht die Ausnahme treibt die Frauen zur Verzweiflung, sondern die Regel, ihr ganz „nor­males“ Leben.

Die Lebensläufe der Frauen, die Trube-Becker skizzierte, sprechen für sich. Das Ausmaß des Elends und der wirtschaft­lichen und seelischen Abhängigkeit ist er­drückend. Und erschütternd ist die Aus­sage vieler Frauen, sie fänden es „im Gefängnis besser, als sie gedacht hätten“. Im Vergleich zum Ehegefängnis scheint das Staatsgefängnis erträglich zu sein.

Manche der Frauen sitzen seit über 20 Jahren in Anrath, die längste seit 28 Jahren. Denn die Dauer der Strafe ist bei lebenslänglich willkürlich, das heißt, von der Gnade des jeweiligen Ministerprä­sidenten eines Bundeslandes abhängig. Und die Anrather Frauen haben das Pech, einen un­gnädigen Ministerpräsidenten zu haben. Während in Hamburg zum Beispiel alle Lebenslänglichen (Frauen wie Männer) automatisch nach 15 Jahren be­gnadigt werden, sitzen sie in Nordrhein-Westfalen am längsten. Ministerpräsident Kühn, Sozialdemokrat und Ex-Emigrant, macht von seinem Recht, Gnadengesuche ohne Begründung abzulehnen, ausgiebigst Gebrauch.

Zum Beispiel bei Erna Meyer. Sie vegetiert seit 15 Jahren in einer Anrather Zelle dahin. Ihr Vergehen: Ihr Baby ist erstickt. Im Indizienprozess wurde behauptet, es sei kein Unfall (wie sie bis heute beteuert), sondern Mord gewesen. Nichts im Leben von Frau Meyer sprach für eine solche Verzweiflungstat: untadelige Mutter dreier Kinder (die mit ihrem Baby sogar bei Schnupfen zum Arzt rannte), sorgfältige Hausfrau, gute Ehe. Nur eines irritierte den Richter: Frau Meyer hatte den vernehmenden Polizisten erzählt, sie wolle jetzt keine Kinder mehr – dreie, das reiche. Daraus schloss das Gericht messerscharf, sie sei eines solchen Verbrechens durchaus fähig. Prof. Trube-Becker ist sich sicher, dass der damalige medizinische Befund des toten Kindes nicht für Mord, sondern für einen Unfall spricht. Erna Meyer sitzt immer noch im Gefängnis.

In welchem Ausmaß auch der Strafvollzug Frauen vernachlässigt und benachteiligt, beweist auch die Gefängnisleiterin Helga Einsele. Es fängt schon damit an, dass der Frauenstrafvollzug, der quanti­tativ eine geringere Rolle spielt als der Männerstrafvollzug, einfach gar nicht ernst genommen wird. Das heißt: die „Erkenntnisse“ des Männerstrafvollzugs werden platt auf den Frauenstrafvollzug übertragen (z.B. strenge Sicherheitsmaßnahmen), mit der Einschränkung, dass bei Frauen nicht dieselben Reformbestre­bungen wie bei Männern zum Tragen kommen (zum Beispiel bei der Berufsaus­bildung im Gefängnis).

Hat ein Mann wenigsten in Ausnahme­fällen die Chance, wieder Fuß zu fassen (durch eine Berufsausbildung zum Beispiel), so werden Frauen im Gefängnis vollends aus der Bahn geschleudert. Auch die Umwelt – Familie, Nachbarn, Freunde – distanzieren sich von kriminellen Frauen stärker als von kriminellen Männern. Was bei einem Mann noch als Übermut oder Kavaliersdelikt gilt („toller Hecht“), gehört sich für eine Frau einfach nicht. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich die Mehrheit aller Ehemänner von ver­urteilten Frauen scheiden lässt, während die Mehrheit der Ehefrauen auch zum Mann hinter Gittern hält.

Mit der juristischen Verurteilung geht gerade bei Frauen die moralische Hand in Hand. Der so genannte Mordparagraph, § 211, erleichtert die Willkür der männ­lichen Sicht. Sein Text kann nach Belieben interpretiert werden, denn es heißt: „Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung  des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst niedrigen Beweggründen einen Menschen tötet.“ – Dass die überwiegend männlichen Richter es nur allzu bereit­willig „heimtückisch“ finden, wenn eine Frau aggressiv gegen Mann oder Kind wird, verwundert nicht. Auch die überwiegend männlichen Verteidiger sind in ihrem Verständnis oft weit von der Welt ihrer Mandantinnen entfernt. Und nicht selten kommt es sogar vor, dass sie gegen das Interesse ihrer Mandantinnen handeln.

Zur männlichen Interpretation der Straftat kommt ihre tatsächlich oft unterschiedliche Ausführung bei weiblichen Tätern. Frauen riskieren seltener als Männer einen frontalen Zusammenstoß. Frauen sind gezwungen, einen Mord „listiger“ zu planen als ein Mann – und schon kann rein juristisch vom „Totschlag im Affekt“ nicht mehr die Rede sein. Die Tat kann leichter als Mord interpretiert werden, und für „Mord“ sieht das deutsche Gesetz zwingend lebenslänglich vor.

Der Mordparagraph ist generell ein fragwürdiges und umstrit­tenes Gesetz. Doch für Täterinnen wirkt er sich noch tragischer aus als für Täter, denn er ist in den Händen einer Männerjustiz. 

Da beging neulich ein Vater in Mühldorf mit seinen vier Kindern Selbstmord. Vor Gericht zitiert wurde die Mutter, Irmgard Blienhuber. Express-Titel: „Vier Kinder starben, weil Mutter nicht treu sein konnte.“ Eine Umkehrung dieses Falles wäre undenkbar. Wer käme bei einer verzweifelten Mutter, deren Mann fremd geht, oder bei einem vernachlässigten Kind schon auf den Gedanken, den Vater für mitverantwortlich (oder gar allein verantwortlich) zu halten?! Auch bei der Tötung Neugeborener durch die Mutter fragt niemand nach dem Verbleib der „Erzeuger“ (die sind eh meist längst über alle Berge).

Ob ein Vater ein Kind zu Tode miss­handelt oder eine Mutter das tut, das ist in einer Gesellschaft, die so gern vom „Mutter­instinkt“ redet und den Begriff „Vaterinstinkt“ noch nicht einmal in ihrem Vokabular hat, nicht das Gleiche.

Ein paar Beispiele: In Berlin stirbt im Juli 1976 ein entwicklungsgestörtes achtjähriges Kind an den Folgen väterlicher Fußtritte mit einem Holzschuh. Strafe für den Vater: 1.500 DM.

Ebenfalls in Berlin stirbt ein vier Wochen altes Baby an einer Erkältung, die zu spät behandelt wurde. Der jungen Mutter wird vorgeworfen, sie habe das Kind extra in einem ungeheizten Zimmer stehen lassen (der Vater ist zu dieser Zeit im Gefängnis). Die junge Frau, die ihre gesamte Kindheit in Heimen verbracht hat, hatte kurz zuvor einen Selbstmordversuch gemacht. Strafmaß: Zehn Jahre Gefängnis.

In München vergiftet ein Vater am Heiligabend seinen Sohn und ersticht ihn außerdem mit einem Stilett. Strafe: dreieinhalb Jahre (ihm wurde seine Verzweiflung und die Tatsache, dass er einen Selbstmordversuch gemacht hatte, zu Gute gehalten).

Ebenfalls in München steht die Hausfrau Christine Cerny vor Gericht. In einem Indizien­prozess wird sie zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr angebliches Ver­gehen: Sie soll eines ihrer drei Kinder umgebracht haben (ein Pflegekind, das sie zusätzlich aufgenommen hatte). Frau Cerny blieb bis zuletzt dabei, es sei ein Unfall ge­wesen, das Kind sei ihr auf den Boden gefallen. Argumentation des Schwur­gerichts: „Die Angeklagte zeigte auch in der Hauptverhandlung eine ungewöhn­liche Gefühlskälte.“

Wer würde in einem solchen Zusammenhang schon von der „Gefühlskälte“ oder „mangelnden Für­sorge“ eines Vaters sprechen? Gefühle sind Frauensache.
Aber: Es tut sich etwas. „Die Frauen wehren sich mehr als früher“.  

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