Aslı Erdoğan - die Verfolgte

Aslı Erdoğan kurz nach ihrer Entlassung mit ihrer Mutter (li). - © Imago/Depo Photos
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Wenige Minuten, nachdem die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan am 29. Dezember 2016 das Istanbuler Frauengefängnis von Bakirköy verlassen hatte, machte ein AFP-Fotograf ein bewegendes Foto von ihr: Aslı Erdoğan, wie sie sich in die Arme ihrer Mutter schmiegt, lachend und weinend zugleich und schwer gezeichnet von den vergangenen vier­einhalb Monaten in der Haft. Verletzlich hatte die 50-Jährige schon immer gewirkt, doch wer sie traf, hatte stets eine große Kraft gespürt. Auf diesem Foto hingegen war eine Frau zu sehen, die man versucht hatte zu brechen. Aslı Erdoğan war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

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Die türkische Regierung behauptet, Aslı Erdoğan, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Türkei, sei eine Terroristin. Als solche will die türkische Justiz sie auch verurteilen, wenn im März der Prozess gegen sie fortgesetzt wird. Der Vorwurf ist absurd, wer Aslı Erdoğans Bücher gelesen hat, weiß, wie sehr die türkische Schriftstellerin jegliche Art von Gewalt verabscheut.

Die Türkin
wollte sich dem
Gebaren der
Männerwelt
nicht fügen

Die Zeichen standen einst gut, dass die 1967 geborene Aslı Erdoğan eine bemerkenswerte Wissenschaftlerin wird. Nach ihrem Studium der Informatik und Physik an der renommierten Istanbuler Bosporus-Universität forschte sie schon im Alter von 24 Jahren am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf über das Higgs-Partikel. Sie war eine von sehr wenigen Frauen, die damals dort arbeiteten.

Dem Gebaren in dieser Männerwelt wollte sich die Türkin nicht fügen, es war ihr schnell verhasst. Nach der Arbeit im Labor flüchtete sie nachts in ihre Gedankenwelt und begann, an ihrem ersten Roman zu schreiben. Schließlich wandte die Physikerin sich ganz dem Leben als Schriftstellerin zu, später auch der journalistischen Arbeit.

Aslı Erdoğan wird von türkischen Nationalisten wie von religiösen Fanatikern gehasst. Bevor sie in ihrer Heimat zur Persona non Grata erklärt wurde und ihre Verhaftung weltweit ein Entsetzen hervorrief, war die mit vielen Preisen geehrte Autorin dem internationalen Publikum vor allem durch ihre Romane bekannt. Ihr Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt, „Die Stadt mit der roten Pelerine“ oder „Der wundersame Mandarin“ liegen auch auf Deutsch vor.

Immer geht es in ihren Romanen um die Erfahrung der Fremde, um Einsamkeit, Leid und Ungerechtigkeit. In ihren autobiografisch geprägten Büchern begegnet einem eine Frau, deren unabhängiger Geist sie immer wieder an den Rand des Abgrunds bringt. Mit ­ihrem Schreiben wolle sie dort sein, wo die menschlichen Tragödien am dunkelsten sind: „Denn dort herrscht die größte Stille.“

Die Anklage gegen Aslı Erdoğan:
Sie sei eine
"Terroristin".

Doch eine Stimme wie jene von Aslı Erdoğan, die sich keinen Konventionen beugt und keine Tabus akzeptiert, erträgt die türkische Gesellschaft letztendlich nicht.

Nach einem Aufenthalt in Südamerika – wohin Aslı Erdoğan 1994 ging, weil sie sich in der Türkei bedroht fühlte und bei einer Polizeiaktion schwer verletzt worden war – schrieb sie von 1998 bis 2001 als Kolumnistin für die linksliberale Radikal. Damals ­bekam sie das erste Mal Drohanrufe. In ihrer Kolumne hatte sie über drei kurdische Mädchen berichtet, die von Milizionären vergewaltigt worden waren. Das Schicksal des einen Mädchens schilderte sie im literarischen Ton, das des zweiten journalistisch, bei der dritten zitierte sie den Autopsiebericht: Das Mädchen war 15, geistig zurückgeblieben, für die Vergewaltigung benutzten die ­Täter ein Bajonett.

Die Schriftstellerin ließ sich nicht einschüchtern. Sie erhob ihre Stimme für Kurden, Aleviten, Armenier, berichtete über die Bedingungen in türkischen Gefängnissen, von Folter und Gewalt gegen Frauen und setzte sich vehement für deren Rechte ein.

Im Jahr 2011 begann Aslı, Kolumnen für die pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem zu verfassen und wurde Mitglied in deren Beratergremium. Der türkischen Regierung war sie da schon längst zur unbequemen Zeitgenossin geworden. Frauen wie sie, die gegen Ungerechtigkeiten aufbegehren und hochtalentiert sind, passen nicht in Erdoğans Vorstellungen seiner „neuen Türkei“. Allein deshalb sitzt sie jetzt auf der Anklagebank.

Im August 2016, kurz nach dem Putschversuch in der Türkei, wurde Özgür Gündem per Regierungs­dekret geschlossen. Aslı Erdoğan wurde inhaftiert. Die Regierung wirft ihr vor, eine „Terror­organisation“ gegründet zu haben und Mitglied einer Terrororganisation zu sein.

Es ist ein politischer Prozess. Gut möglich, dass sie verurteilt wird.

Insgesamt 132 Tage saß die Schriftstellerin in einem Frauengefängnis von Istanbul. Obwohl sie aufgrund verschiedener chronischer Krankheiten auf medizinische Betreuung angewiesen ist, konnte sie in dieser ganzen Zeit keinen Arzt konsultieren. Zum Jahreswechsel kam die Malträtierte überraschend auf freien Fuß. Das Gefängnis habe sie nur überlebt, sagte sie danach, weil die kurdischen Frauen, die sie dort viereinhalb Monate als Zellen­genossinnen hatte, ihre Freundinnen wurden und sie stützten.

Vom rechtlichen Standpunkt aus müsste Aslı Erdoğan freigesprochen werden, mehr noch: Der türkische Staat müsste ihr eine Entschädigung zahlen, da sie unschuldig im Gefängnis saß. Aber der Prozess gegen sie ist ein politischer und deshalb ist es gut möglich, dass sie verurteilt wird. Im April soll in der Türkei per Referendum über ein neues Präsidialsystem abgestimmt werden, das alle Macht beim Staatspräsidenten vereinigen würde. Deshalb setzt Staatspräsident Erdoğan alles daran, dass kritische Stimmen wie Aslı Erdoğan in der Türkei ganz verstummen.

Karen Krüger

Aslı Erdoğan: "Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch" (Knaus Verlag, 17.99 €).

 

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Alice Schwarzer schreibt

Trump & Erdogan bekämpfen!

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Am Tag des Women’s March in Washington mailte mir Katharina aus Bremen begeistert: „Jetzt geht es wieder los, Alice!“ Mir war klar, was sie meint: Jetzt müssen wir Frauen wieder auf die Barrikaden! Katharina hat recht.

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Doch nicht alle Frauen gehen auf die Barrikaden. So manche lauern mit ihren Küchenmessern hinter unserem Rücken. Aber dafür haben wir inzwischen auch Männer an unserer Seite, die ganz wie wir für die Gleichberechtigung eintreten und die Freiheit des Individuums.

Erdogan war
schon immer
ein Islamist.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Aufbruch der Frauen in der westlichen Welt haben wir sehr viel erreicht. Für manche zu viel. Auch darum erfolgt jetzt dieser mächtige Rückschlag der traditionellen Machos. Wir müssen also begreifen: Der Fortschritt ist keinesfalls gesichert. Bisher ging es im besten Fall zwei Schritte vor und einen Schritt zurück. Jetzt aber soll es nur noch zwei Schritte zurück gehen. Für die westliche Welt bedeutet das: Wir können jetzt nicht auf Fortschritt hoffen; wir müssen versuchen, das Erreichte zu sichern.

Ein Beispiel: Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurde das Verbot, abzutreiben, zum Auslöser der Neuen Frauenbewegung. Es ging und geht dabei um das elementarste Recht einer Frau: Selbst zu bestimmen, ob und wann sie Mutter wird. Also eine ungewollte Schwangerschaft nicht unter Demütigung und Lebensgefahr illegal abbrechen zu müssen, sondern das Recht auf medizinischen Beistand zu haben.

Nicht zufällig war einer der ersten Staatsakte von Präsident Trump am Tag nach Amtsantritt die Unterzeichnung eines Dekrets, das allen NGOs, die sich für das Recht auf Verhütung und Abtreibung einsetzten, ab sofort jegliche Unterstützung entzieht. Für Millionen Frauen in Afrika kann das eine Frage auf Leben und Tod sein. Schon heute sterben in der Dritten Welt alljährlich 47.000 Frauen im Jahr an den Folgen illegaler Abtreibungen. Wird das morgen auch in der Ersten Welt wieder so sein? Trump kündigte im gleichen Atemzug ein Abtreibungsverbot für Amerika an.

Trumps Pendant, der allmächtige türkische Herrscher Recep Tayyip Erdogan, hatte bereits im Mai 2016 Verhütung und Abtreibung als „Verrat an der Nation“ und „Mord“ bezeichnet. Er verlangt von den Bürgerinnen seines Landes „mindestens drei Kinder zu gebären“. Im Namen „unseres geliebten Propheten“.

Auch bei Trump muss der liebe Gott für alles herhalten, obwohl „Donald“ bisher nicht gerade im Verdacht besonderer Frömmigkeit stand. Erdogan und Trump verbindet nicht nur, dass sie eine Autokratie, also quasi Alleinherrschaft anstreben, sondern auch, dass sie ihre Macht den religiösen Fundamentalisten verdanken. So mandatiert machen sie beide Jagd auf Frauen und „Fremde“.

In der Türkei haben die Islamisten den in der Wolle gewaschenen Gottesstaatler Erdogan an die Spitze getragen. In Amerika haben vier von fünf Evangelikalen Trump gewählt. Sie hatten schon vor ihm eine wachsende Macht, jetzt aber sind sie ins Weiße Haus eingezogen.

Beide, Trump und Erdogan, machen sich jetzt mit Eifer an die Zerstörung der demokratischen Strukturen und Institutionen. Angeblich, um alle Macht direkt „dem Volk“ zu geben – wir Deutschen kennen diese Töne aus unserer Geschichte. Vom Erfolg der Demagogen ermutigt, melden sich nun auch in Europa Ehrgeizlinge, die den großen Zampanos nacheifern wollen.

Das ist verstörend für alle freiheitsliebenden Menschen. Und es ist in der Tat fünf vor zwölf: Wir müssen dem mit aller Macht Einhalt gebieten! Bei diesem Widerstand müssen wir Frauen eine entscheidende Rolle spielen, wenn nicht vorangehen. Denn wir sind auch als Erste betroffen.

Auch Frauen
haben die
Patriarchen
gewählt.

Wir Frauen? Nein, so manche werden nicht an unserer Seite sein. Nicht die Trump- und Erdogan-Wählerinnen. Und auch nicht die Frauen, die bis heute Sätze sagen wie: „Hillary wäre vielleicht noch schlimmer gewesen.“ Sie haben, pseudolinks argumentierend, durch ihren Clinton-Boykott diese rechten Verhältnisse mit herbeigeführt!

Sicher: Hillary Clinton ist eine Befürworterin von Amerikas fataler Interventionspolitik, die nur verbrannte Erde hinterlassen hat: von Irak bis Libyen. Das ist spätestens seit Anfang der 90er Jahre mehr als kritisierenswert. Aber sie ist keine Anti-Demokratin und sie ist Feministin – was für uns Frauen ja nicht so ganz nebensächlich ist.

Treten wir ihnen also gemeinsam entgegen, Schulter an Schulter: Wir Frauen und Männer, die diese Demagogie im Namen des „Volkes“ unerträglich finden – und die für eine unverhüllte Gleichberechtigung der Geschlechter sind.

Alice Schwarzer

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