Burkaverbot: Der Schrei von Djemila

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Ich habe unter den Bedingungen einer islamistischen Diktatur gelebt. Das war Anfang der 90er Jahre. Ich war noch keine 18 Jahre alt. Ich war schuldig, weil ich eine Frau war, weil ich Feministin war und weil ich für die Trennung von Staat und Religion eintrat.

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Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht Feministin und Laizistin aus Neigung bin, ich bin es aus Notwendigkeit, gezwungenermaßen, aus leidvoller Erfahrung. Denn ich kann mich nicht damit abfinden, hier und überall auf der Welt den politischen Islamismus auf dem Vormarsch zu sehen. Ich bin Feministin und Laizistin geworden, weil ich um mich herum Frauen leiden sah, schweigend, eingesperrt hinter verschlossenen Türen, um ihr Geschlecht und ihr Leid zu verbergen, um ihre Sehnsüchte zu ersticken und ihre Träume zum Schweigen zu bringen.

Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es um den Ganzkörperschleier. Statt den Geltungsbereich des Gesetzes von 2004 auf die Universitäten auszuweiten, diskutieren wir darüber, ob wir wandelnde Särge auf unseren Straßen zulassen sollen. Ist das noch normal? Morgen steht vielleicht die Polygamie auf der Tagesordnung. Lachen Sie nicht. In Kanada ist das passiert, und die Gerichte mussten eingreifen. Denn schließlich hat die Kultur einen breiten Rücken, wenn es darum geht, die Frauen zu unterdrücken.

Ironie des Schicksals: In mehreren Stadtvierteln habe ich festgestellt, dass die Röcke länger werden und die Farbpalette eintöniger wird. Es ist üblich geworden, den eigenen Körper unter einem Schleier zu verbergen. Einen Rock zu tragen wird nun zu einem Akt des Widerstands. Während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums unter Gefährdung ihres Lebens immer freizügiger kleiden, ist in abgelegenen Gegenden der Französischen Republik der Schleier zur Norm geworden.

Was geht hier vor? Ist Frankreich krank? Der islamische Schleier wird oft als Teil der „gemeinsamen moslemischen Identität“ dargestellt. Das ist falsch. Er ist überall auf der Welt das Symbol des moslemischen Fundamentalismus. Wenn er eine besondere Bedeutung hat, dann eher eine politische, vor allem seit dem Beginn der islamischen Revolution im Iran 1979.

Der politische Islamismus ist nicht Ausdruck einer kulturellen Besonderheit, wie hier und da behauptet wird. Er ist eine politische Angelegenheit, eine kollektive Bedrohung, die mit der Verbreitung einer gewaltverherrlichenden, sexistischen, frauenfeindlichen, rassistischen und homosexuellenfeindlichen Ideologie das Fundament der Demokratie angreift.

Wir haben erlebt, wie die islamistischen Bewegungen im feigen Einvernehmen und mit Unterstützung bestimmter Teile der Linken die tiefgehende Rückschrittlichkeit zementieren, die sich mitten in unseren Städten eingenistet hat. In Kanada wäre es fast zur Einrichtung islamischer Gerichte gekommen. In Großbritannien ist das in vielen Gemeinden bereits der Regelfall. Von einem Ende des Planeten bis zum andern verbreitet sich das Tragen des islamischen Schleiers und wird zur Gewohnheit, manche halten ihn sogar für eine annehmbare Alternative, denn er sei immer noch besser als die Burka!

Was sagen wir zu der nachgiebigen Haltung der westlichen Demokratien, wenn es um die wesentlichen Grundlagen des Zusammenlebens und des Gemeinwesens geht, um die Verteidigung des staatlichen Schulsystems, die öffentlichen Dienstleistungen und die Neutralität des Staates? Was sagen wir zum Rückzug in der Abtreibungsfrage hier in Frankreich?

Als der FIS (Front islamique du salut – Islamische Heilsfront) Anfang der 90er Jahre meine Heimat Algerien mit Krieg überzog und Tausende von Algeriern ermordete, begriff ich die Notwendigkeit der Trennung von Staat und Religion. Seitdem hat sich, wie wir heute feststellen müssen, nicht viel verändert.
Noch immer werden weltweit sehr viele Frauen erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt, verstoßen, ermordet, verbrannt, ausgepeitscht und gesteinigt. Und in wessen Namen? Im Namen der Religion, in diesem Fall eines instrumentalisierten Islams.

Weil sie eine arrangierte Ehe oder das Tragen des islamischen Schleiers verweigern, die Scheidung verlangen oder Hosen getragen haben, Auto gefahren oder ohne männliche Erlaubnis aus dem Haus gegangen sind, müssen Frauen, sehr viele Frauen, die Barbarei am eigenen Leib erdulden. Ich denke besonders an unsere iranischen Schwestern, die auf den Straßen Teherans demonstrierten, um Ahmadinejad, einem der schlimmsten Diktatoren der Welt, Angst zu machen. Ich denke an Neda, die junge Iranerin, die im Alter von 26 Jahren getötet wurde. Wir alle sahen das Bild, wie Neda am Boden liegt und ihr das Blut aus dem Mund läuft. Ich denke an Nojoud Ali, die kleine zehnjährige Jemenitin, die nach der Zwangsverheiratung mit einem Mann, der dreimal so alt war wie sie, um das Recht auf Scheidung kämpfte und es bekam. Ich denke an Loubna Al-Hussein, die im vergangenen Sommer durch ihre Kleidungswahl die Regierung in Karthum in Angst und Schrecken versetzte.

Bereits 1984 wurde in Algerien ein Familiengesetz beschlossen, das sich an der islamischen Scharia orientierte. Ich war damals zwölf Jahre alt. Dieses Gesetz verlangt von der Ehefrau Gehorsam gegenüber ihrem Mann und ihren Schwiegereltern, erlaubt die Verstoßung, die Polygamie, entlässt die Frau aus der elterlichen Verantwortung und erlaubt dem Ehemann, seine Frau zu züchtigen. Im Erbschaftsrecht wie bei Zeugenaussagen wird die Ungleichheit zum System erhoben, denn die Stimme zweier Frauen zählt so viel wie die eines Mannes, und das gleiche gilt bei Erbanteilen.

Die Frauen in den islamischen Ländern leben unter den schlimmsten Bedingungen weltweit. Das ist eine Tatsache, die wir erkennen müssen. Darin besteht unsere oberste Solidaritätspflicht gegenüber all den Frauen, die den schlimmsten Gewaltregimen auf der Welt die Stirn bieten. Wer wollte das bestreiten? Wer wollte dem widersprechen? Wer wollte das Gegenteil behaupten? Die Islamisten und ihre Komplizen? Natürlich. Aber nicht nur sie.

Es gibt auch einen Relativismus, eine politische Tendenz, die fordert, wir müssten im Namen der Kulturen und der Traditionen Rückschrittlichkeit akzeptieren. Man verdammt die anderen dazu, Opfer zu bleiben, und behandelt uns als Rassisten und Islamgegner, wenn wir für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Trennung von Staat und Religion eintreten. Und dieselbe Linke empfängt mit offenen Armen Tarik Ramadan (Anm.d.Red.: Enkel des Gründers der fundamentalistischen Muslim-Brüder in Ägypten und heute einer der islamistischen Vordenker in Europa), damit er sich landauf, landab aufspielen und die republikanischen Werte niedermachen kann.

Ich sage euch: In meiner Kultur gibt es nichts, was mich als Frau dazu bestimmt, unter einem Leichentuch als dem zur Schau getragenen Symbol von Andersartigkeit zum Verschwinden gebracht zu werden. Nichts, was mich dazu prädestiniert, den Sieg eines Schwachsinnigen, eines Dummkopfs und eines Feiglings zu akzeptieren, vor allem, wenn das Mittelmaß zum Richter erhoben wird. Nichts, was mein Geschlecht darauf vorbereitet, zerstückelt zu werden, ohne dass mein Leib daran erstickt. Nichts, weshalb ich dazu ausersehen wäre, mich an Peitsche oder Stachel zu gewöhnen. Nichts, was mich dazu verurteilt, Schönheit und Lust abzulehnen. Nichts, was mich dafür empfänglich macht, die Kälte der rostigen Klinge an meinem Hals zu spüren.

Und wäre das der Fall, würde ich ohne Reue und Gewissensbisse den Bauch meiner Mutter, die Zärtlichkeit meines Vaters und die Sonne, unter der ich aufgewachsen bin, verfluchen.

Es ist möglich, die Gesellschaft durch unseren Mut, unsere Entschlossenheit und unsere Kühnheit voranzubringen. Das ist nicht leicht. Keineswegs. Die Wege zur Freiheit sind immer steile Wege. Aber es sind die einzigen Wege, die zur Emanzipation der Menschheit führen. Ich kenne keine anderen. Dieser wunderbare Moment der Geschichte, unserer Geschichte, lehrt uns, dass erdulden nicht bedeutet, sich zu unterwerfen. Denn neben den Ungerechtigkeiten und den Erniedrigungen gibt es auch den Widerstand.

Widerstand zu leisten, heißt, sich das Recht zu nehmen, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen. Das bedeutet für mich Feminismus. Kein individuelles, sondern ein gemeinsames Leben für die Würde aller Frauen. Ich verbünde mich als Frau mit allen, die von Gleichberechtigung und von der Trennung von Staat und Religion als den Grundlagen der Demokratie träumen, und gebe dadurch meinem Leben einen Sinn.

Die Geschichte ist reich an Beispielen von Religionen, die sich über die Privatsphäre hinaus in den öffentlichen Raum ausweiten und zum Gesetz werden. Verliererinnen sind dabei immer zuallererst die Frauen. Doch nicht nur sie. Wenn Gottesgebot und Menschengesetz miteinander vermengt werden, um alles Tun bis ins kleinste zu lenken, kommt es zu einer plötzlichen Erstarrung des Lebens in seiner ganzen Vielfalt. Es gibt keinen Raum mehr für den Fortschritt der Wissenschaft, für Literatur, Theater, Musik, Tanz, Malerei, Film, kurz, keinen Raum mehr zum Leben. Nur immer mehr Rückschrittlichkeit und Verbote.

Eben deshalb habe ich eine tiefe Abneigung gegen jeden Fundamentalismus, welcher Art auch immer, denn ich liebe das Leben. Ihr müsst bedenken: Wenn die Religion Staat und Gesellschaft beherrscht, bewegen wir uns nicht mehr im Raum des Möglichen, wir können nichts mehr in Frage stellen, wir beziehen uns nicht mehr auf Vernunft und Rationalität, die der Aufklärung so wichtig waren. Es scheint mir unerlässlich, durch die Stärkung der Neutralität des Staates den öffentlichen und den privaten Raum voneinander zu trennen, denn nur die Trennung von Staat und Religion macht es möglich, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, sagen wir, einen staatsbürgerlichen Bezugsrahmen, fern von allem Glauben und allem Unglauben, um die Zivilgesellschaft gestalten zu können.

Monsieur Gérin (Anm.d.Red.: der Bürgermeister, der die Initiative zum Verbot der Burka ergriff), ich wende mich an Sie, ich möchte mit Ihnen sprechen, Ihnen von der Angst erzählen, die ich am 25. März 1994 empfunden habe, als ich noch in Oran in Algerien lebte und die GIA (Bewaffnete islamische Gruppe) den Frauen in meiner Heimat befahl, den islamischen Schleier zu tragen. An dem Tag ging ich mit unbedecktem Kopf, wie Millionen andere Algerierinnen auch. Wir haben dem Tod die Stirn geboten. Wir haben mit den Schlächtern der GIA Versteck gespielt, und über unseren unbedeckten Köpfen schwebte die Erinnerung an Katia Bengana, eine 17-jährige Gymnasiastin, die am 28. Februar 1994 vor ihrer Schule ermordet worden war, weil sie unverschleiert war.

Es gibt Schlüsselereignisse im Leben, die dem Schicksal des Einzelnen eine besondere Richtung geben. Für mich war dies so eines. Seit diesem Tag habe ich eine tiefe Abneigung gegen alles, was Hidschab, Schleier, Burka, Niqab, Tschador, Dschilbab, Khimar oder ähnlich heißt. Heute nun stehen Sie an der Spitze einer parlamentarischen Kommission, die sich mit dem Tragen des Ganzkörperschleiers in Frankreich befassen soll.

Man täusche sich nicht. Der islamische Schleier verbirgt die Angst vor den Frauen, vor ihrem Körper, ihrer Freiheit und ihrer Sexualität. Schlimmer noch, die Perversion wird auf die Spitze getrieben, wenn man Mädchen unter fünf Jahren verschleiert. Wann genau sah ich in Algerien diesen Schleier in den Klassenzimmern auftauchen? Während meiner Kindheit und bis zu meinem Übergang auf das Gymnasium im Jahr 1987 war das Tragen des islamischen Schleiers in meiner Umgebung eine Randerscheinung. In der Grundschule trug niemand den Hidschab, nicht unter den Lehrerinnen und erst recht nicht unter den Schülerinnen.

Jetzt lebe ich seit zwölf Jahren im kanadischen Québec, dessen Devise auf allen Nummernschildern der Autos geschrieben steht: „Ich erinnere mich“. Apropos Erinnerung: Woran sollte sich Frankreich erinnern? Dass es das Land der Aufklärung war! Dass Millionen von Frauen die Bücher von Simone de Beauvoir lesen, deren Name untrennbar mit dem von Djamila Boupacha verbunden ist (Anm.d.Red.: Eine Algerierin, die während des Algerienkriegs von französischen Soldaten gefoltert wurde und dank des Einsatzes von Beauvoir freikam).

Deshalb erwarten wir gerade von Ihnen, dass Sie Mut und Verantwortungsbewusstsein zeigen und das Tragen der Burka verbieten. Und ich schließe mit einem Zitat von Simone de Beauvoir: „Wir haben das Recht zu schreien, aber unser Schrei muss auch gehört werden. Er muss bei anderen Widerhall finden.“
Ich setze meine Hoffnung darauf, dass Sie meinen Schrei hören.

Übersetzung: Sigrid Vagt

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Freiheit oder Tod! (3/10)
Burkaverbot in Frankreich (3/10)
Dossier: Kein Kopftuch in der Schule! (5/09)

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Die Burka & die Emanzipation

Lies Hebbadj und seine vollverschleierte Ehefrau Anne Hebbadj.
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Als das französische Parlament am Vorabend des 14. Juli 2010 das Verbot der Burka in der Öffentlichkeit beschloss, enthielten sich – bis auf 20 Abweichler – die Sozialisten, Kommunisten und Grünen der Stimme. In der Kopftuchdebatte scheint die politische Front in allen europäischen Ländern ähnlich zu verlaufen: Linke neigen zur Tolerierung, Konservative und Rechte zum Verbot. Und die Bevölkerung? 82 Prozent der Französinnen und Franzosen bejahten das Burka-Verbot. Und die Mehrheit der sechs Millionen MuslimInnen in Frankreich ist ebenfalls dafür. Auch das enspricht der Stimmung in der Bevölkerung der westlichen Länder.

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Das Gesetz muss nur noch den Senat passieren (ganz wie in Belgien). Dann wird in Zukunft eine Frau, die in Frankreich öffentlich vollverschleiert auftritt, mit 150 Euro Strafe und einem Kurs in Staatsbürgerkunde rechnen müssen. Männern, die ihre Frau unter die Burka „zwingen“, drohen ein Jahr Gefängnis und Geldstrafen bis zu 30.000 Euro – was allerdings reine Theorie ist. Denn eine Frau, die so unterwürfig ist, in dem schwarzen Loch eines Vollschleiers zu verschwinden, die wird wohl kaum die Aufsässigkeit haben, ihren Mann wegen Burka-Zwang anzuzeigen.

Mehr als jede dritte Voll-
verschleierte
ist Konvertitin

Als die Burka-Debatte in Frankreich 2009 begann, angestoßen von einem kommunistischen Bürgermeister, behaupteten die Burka-Tolerierer zunächst, im ganzen Land gäbe es überhaupt nur 156 Burka-Trägerinnen, von daher sei ein Verbot irrelevant. Inzwischen sind die Burka-Trägerinnen in der offiziellen Statistik auf 2000 angewachsen. Wobei bemerkenswert ist, dass mindestens jede dritte Verschleierte in Frankreich eine Konvertitin ist. In der Regel verdanken deren muslimische Ehemänner der Eheschließung mit ihnen die französische Staatsangehörigkeit.

So ist es auch im Fall des Algeriers Lies Habbadj, dessen vollverschleierte französische Ehefrau Anne die Debatte in Frankreich auslöste. Ein Polizist hatte ihr eine Geldstrafe aufgebrummt wegen Fahrens am Steuer im Niquab (Vollschleier mit Sehschlitz). Ihr Ehemann ist ein aktiver Anhänger der schriftgläubigen Missionarssekte Tabligh. Der Metzger in Nantes wurde schon länger vom französischen Geheimdienst beobachtet, weil er seit Jahren regelmäßig Wochen in Pakistan verbringt.

Habbadj hat übrigens noch drei weitere Ehefrauen, mit denen er jedoch nicht nach französischem, sondern nur nach islamischem Recht verheiratet ist. Als die Justiz ihm wegen Polygamie an den Kragen wollte, ging der offenbar gut Geschulte cool an die Öffentlichkeit und erklärte, dann müssten aber auch die vielen französischen Männer, die Geliebte haben, der Polygamie angeklagt werden. Lies Habbadj ist also keineswegs ein naiver Gläubiger, sondern ein taktisch agierender Islamist, für den das Strafmandat seiner Frau vermutlich ganz in seinem Sinne war, da er auf Provokation des Rechtsstaates aus zu sein scheint.

Ganz wie einst die Deutsch-Afghanin Fereshta Ludin, die für das Recht von Lehrerinnen auf das Kopftuch in der Schule über acht Jahre lang bis zum höchsten Gericht klagte. Oder wie im Fall der so genannten „Kopftuchaffäre“, die 1989 Frankreich beschäftigte. Da hatten politisch einschlägig aktive Väter und Onkel drei kleine Mädchen provokant mit Kopftuch in die laizistische Schule geschickt – und damit eine jahrelange Debatte ausgelöst, in der quasi die gesamte Linke pro Kopftuch war.

Eine Ohrfeige
für alle
unterdrückten Schwestern

Die Philosophin Elisabeth Badinter, Ehefrau des früheren sozialistischen Justizministers, war damals eine der raren Stimmen aus der Linken, die gegen das - 19 Jahre später verbotene - Kopftuch in der Schule plädierte und von einem „verschleierten Verstand“ sprach. Auch jetzt erhob Badinter wieder ihre Stimme und schrieb einen Offenen Brief an die Burka-Trägerinnen: „Sind wir in Ihren Augen so verachtenswert und unrein, dass Sie jeden Kontakt, jede Beziehung mit uns verweigern, bis hin zu einem kleinen Lächeln?“, fragte sie und fuhr fort: „In Wahrheit nutzen Sie die demokratischen Freiheiten, um die Freiheit abzuschaffen. Das ist eine Ohrfeige für alle Ihre unterdrückten Schwestern, denen für diese Freiheiten, die Sie so verachten, die Todesstrafe droht.“

Es ist in der Tat schwer nachvollziehbar, wie Frauen – und gar Konvertitinnen! – freiwillig eine Verhüllung anlegen können, die in den „Gottesstaaten“ und allen Ländern, in denen die Islamisten inzwischen die (heimliche) Macht haben, Frauen mit Todesdrohungen aufgezwungen wird. In diesen Ländern haben die verzweifelten Frauen keine andere Wahl. Und auch innerhalb der islamistisch beherrschten Communitys mitten in Europa ist es für die Musliminnen nicht immer einfach.

Aber was ist nur los mit den Konvertitinnen, die in Ländern aufgewachsen sind, in denen ihre Vorfahrinnen die Gleichberechtigung – vom Wahlrecht bis zum Recht der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum – so mühsam erstritten haben? Ihre Motive scheinen Angst vor Freiheit und Selbstverantwortung zu sein sowie weiblicher Masochismus– als Folge einer langen realen Unterdrückung und Demütigung des weiblichen Geschlechts.

Das Kopftuch - die Flagge des politisierten Islam

Doch die subjektiven Motive von Mädchen und Frauen, die sich in Demokratien „freiwillig“ unter ein Kopftuch oder den Ganzkörperschleier begeben, sind nur die eine Ebene und übrigens vielfältig und wechselnd (so diese Frauen überhaupt die innere und äußere Freiheit haben, die Meinung zu wechseln). Die zweite Ebene aber, die objektive Bedeutung des Schleiers, ist eindeutig: Kopftuch und Tschador waren auch in der muslimischen Welt Relikte der ländlichen, unaufgeklärten Bevölkerung – bis Khomeini in Iran den Gottesstaat ausrief. Seither ist das Kopftuch die Flagge des politisierten Islam – und der Ganzkörperschleier sein totaler Sieg.

Die Mehrheit der IslamwissenschaftlerInnen scheint sich einig zu sein, dass weder das islamische Kopftuch (das die Haare ganz bedeckt) noch der Ganzkörperschleier religiös begründet sind. Doch, ehrlich gesagt, finde ich diese Frage für unsere Debatte eigentlich unerheblich. Denn es kann doch nicht sein, dass wir Texte, die aus religiösen oder machtpolitischen Interessen vor Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden geschrieben wurden, im Rechtsstaat als Realität anerkennen – selbst wenn sie gegen die elementarsten Menschenrechte verstoßen.

Mit den kopftuchtragenden Musliminnen in unseren Ländern haben wir selbstverständlich zu reden und ihnen nicht mit Verboten zu begegnen. In Kindergärten, Schulen und im öffentlichen Dienst allerdings hat dieses Kopftuch - das kein religiöses, sondern ein politisches Zeichen ist - nichts zu suchen. Hinzu kommt, dass es eine gewaltige Erleichterung für viele muslimische Mädchen aus orthodoxen oder fundamentalistischen Familien wäre, wenn das Kopftuch sie wenigstens in der Schule nicht als die „Anderen“ stigmatisieren, in ihrer Bewegungsfreiheit behindern und sie von den Jungen wie Wesen von unterschiedlichen Sternen trennen würde. Wir würden den Mädchen mit dem Freiraum Schule überhaupt erst die Chance zu einer eines Tages wirklich freien Wahl geben.

Der Ganzkörperschleier aber hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Er raubt den weiblichen Menschen jegliche Individualität und behindert sie aufs schwerste in ihrer Bewegungsfreiheit. Burka und Niquab sind zutiefst menschenverachtend. Nicht nur für die in ihren Stoffgefängnissen eingeschlossenen Frauen – auch für die Männer, denen ja unterstellt wird, sie würden sich auf jede Frau, von der sie auch nur ein Haar oder ein Stück Haut erblicken, wie ein Tier stürzen.

Die Burka -
in Deutschland
kein Problem?

In Deutschland wurde in den vergangenen Monaten über die französische Burka-Debatte in fast allen Medien herablassend spöttisch berichtet. Stil: Haben die Franzosen eigentlich keine anderen Probleme? Wir jedenfalls haben diese Probleme nicht! Angeblich gibt es bei uns keine Burka- bzw. Niquab-tragenden Frauen. Mit Verlaub, da staune ich. Ich sehe seit geraumer Zeit bei jedem Gang durch die Kölner Innenstadt mindestens zwei, drei vollverschleierte Frauen (selbst bei 35 Grad Hitze, wie in diesen Tagen), meist in Begleitung lässiger Männer in Jeans. Wie lange wollen wir eigentlich über einen solchen Sklavinnen-Auftritt noch wegsehen?

Als Frankreich im Herbst 2008 das Kopftuchverbot in der Schule für Lehrerinnen und Schülerinnen verabschiedete, drohte der Al-Quaida-Führer Abou Moussab Abdoul Wadoud ganz offen: „Wir werden uns im Namen der Ehre unserer Töchter und Schwestern an Frankreich rächen. Heute ist es der Tschador, morgen ist es der Niquab.“ (Also die zusätzliche Verschleierung des Gesichts.) Wadoud und seine Gotteskrieger scheinen ernst machen zu wollen.

Doch Präsident Sarkozy ließ sich nicht einschüchtern. Als Sohn eines emigrierten Ungarn und einer griechischen Jüdin – aufgewachsen bei den jüdischen, einst vor den Nazis geflüchteten Großeltern – hat er selber einen „Migrationshintergrund“ und ein sehr pragmatisches, unsentimentales Verhältnis zur Integration. „Wir sind eine alte Nation, die sich einig ist in Bezug auf eine gewisse Vorstellung von der Würde des Menschen, insbesondere der Würde der Frau“, erklärte Sarkozy stolz. „Der Vollschleier, der das Gesicht verbirgt, verletzt unsere fundamentalen republikanischen Werte.“

Auch Sarkozys muslimischen Kabinettsmitglieder erklärten, die Burka sei „ein sichtbarer Ausdruck der Fundamentalisten in unserem Land“ (Staatssekretärin Fadela Amara, Franco-Algerierin) bzw. „menschenverachtend und der reine Hohn“ (Staatssekretärin Rama Yade, Franco-Senegalesin).

Ganz anders tönen europäische, linke Menschenrechtsorganisationen. So warnte Human Rights Watch vor einer „Stigmatisierung“ der Burka-Trägerinnen durch ein Verbot; erklärte amnesty international, ein Burka-Verbot würde „die Grundrechte von Frauen verletzen“; und gab Sozialistenführerin Martine Aubry der Sorge Ausdruck, damit „isoliere“ man die burkatragenden Frauen nur noch stärker. Als sei eine Steigerung der Isolation einer Frau unter der Burka überhaupt noch möglich…

Die Linke überlässt den Kampf gegen Islamismus der Rechten

Dieser Paternalismus der Linken ist nicht neu. Auffallend ist, dass in ganz Europa die Linke den Kampf gegen die Islamisierung den Konservativen bzw. Rechten überlässt. Mit dem Resultat, dass die Rechte dies zum Teil populistisch funktionalisiert bzw. missbraucht. Und die Linke? Die relativiert mit einer solchen falschen Toleranz nicht nur mühsam errungene westliche Werte – wie Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung – sondern sie ignoriert auch die berechtigten Ängste der Bevölkerung und vor allem: Sie lässt die Mehrheit der MuslimInnen im Stich, die ja die ersten Opfer der fundamentalistischen Agitatoren sind.

Die Gründe für diese scheinbare „Fremdenliebe“, die eigentlich nur die Kehrseite des Fremdenhasses ist, scheinen vielfältig. Sie reichen von Gleichgültigkeit und schlechtem Gewissen bis hin zu einem sehr grundsätzlichen Differenzialismus dieser Söhne und Töchter von Michel Foucault und Claude Lévi-Strauss. Andere Religionen oder Ethnien, andere Sitten… Es waren diese Kreise, die die Offensive des Islamismus lange als „Revolution des Volkes“ gefeiert haben. (So war Foucault einer der ersten und glühendsten Befürworter des iranischen Gottesstaates.) Und die Liberalen und Konservativen? Die machten und machen fröhlich Geschäfte mit den Islamisten. Von den Menschenrechten, in dem Fall aller Frauen, redet da niemand.

Als die Feministinnen ab den späten 1970er Jahren die Genitalverstümmlung kritisierten, wurden sie von der Linken des „weißen, bürgerlichen Eurozentrismus“ beschuldigt und angewiesen, sich rauszuhalten. In bezug auf die grausame Genitalverstümmelung gibt es inzwischen einen allgemeinen Sinneswandel. Müssen wir die Gesellschaftsfähigkeit der Burka auch noch 20, 30 Jahre gewähren lassen – bis es zu spät ist? Sollen wir uns wieder einmal raushalten, wenn vor unser aller Augen mitten unter uns Frauen ihrer elementarsten Menschenrechte beraubt und unsichtbar gemacht werden? Wollen wir immer noch nicht begreifen, dass es sich hier nicht um Glaubensfragen, sondern um gezielte politische Provokationen handelt, die Dank unserer falschen Toleranz die Grenzen des Rechtsstaates überschreiten könnten?!

Es gibt
Grenzen der
Religionsfreiheit

„Sollen wir die Burka verbieten?“, wurde ich jüngst bei einer öffentlichen Veranstaltung gefragt. Was für eine Frage! Selbstverständlich Ja! Mit welchen spitzfindigen formaljuristischen Formulierungen auch immer. Denn es gibt Grenzen der „Religionsfreiheit“. Mit der wollen ja auch christliche Fundamentalisten zum Beispiel begründen, wenn sie ihre Kinder nicht in unsere Schulen schicken. Schon seit Papst Johannes Paul II. ist übrigens ein Schulterschluss zwischen den Konservativen bzw. Fundamentalisten beider Religionen zu beobachten. Im Visier haben sie beide dabei ihre Privilegien – und die Selbstbestimmung der Frauen. Eine auch für die Christen gefährliche Strategie. Denn sie würden am Ende den kürzeren ziehen.

Ein Burka-Verbot sei nur symbolische Politik und das Problem der Unterwanderung durch den schriftgläubigen Steinzeit-Islamismus damit nicht gelöst, argumentieren die ganz Schlauen. Das stimmt. Aber symbolische Politik ist auch Politik. Und ein Verbot wäre ein erster Schritt und ein sichtbares Zeichen – nicht nur für die unsichtbaren Frauen. Nicht zufällig verabschiedete schließlich das französische Parlament das Burkaverbot am Vorabend des 14. Juli, dem Jahrestag der französischen Revolution (am 14. Juli selbst wird in Frankreich nicht gearbeitet, sondern gefeiert). Diese französische Revolution proklamierte vor über zweihundert Jahren die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ für alle Menschen. Und wir Frauen fügten die „Schwesterlichkeit“, genauer: die „Geschwisterlichkeit“ hinzu. Dahinter wollen wir nicht mehr zurück fallen.

Alice Schwarzer für die FAZ, 20.7.2010

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