Alice Schwarzer schreibt

Frauen & Politik

Alice Schwarzer - Foto: Bettina Flitner
Artikel teilen

Das haut rein. Und müsste eigentlich allen Parteien, zumal mitten im Wahlkampf, zu denken geben. Doch genau das: dass es das eben nicht tut, ist der Grund des Unbehagens. Zwei von drei Frauen (genauer: 61 Prozent) halten es im Jahr 2013 für nötig, sich mit anderen Frauen zusammenzutun, um ihre Interessen durchzusetzen; gleich viele Frauen finden, dass mit der Gleichberechtigung noch vieles im Argen liegt. Das ergab die von EMMA in Auftrag gegebene Allensbach-Umfrage. Diese Zahlen sind überraschend, nicht zuletzt, weil gemeinhin niemand danach fragt. Emanzipation ist kein Thema mehr im 21. Jahrhundert, höchstens noch Familie. Und die bleibt Frauensache.

Anzeige

Die Frauen aber scheinen der Politik immer weniger zuzutrauen. Die Zahl derer, die es an der Zeit finden, sich mit Frauen zusammenzutun, hat sich allein in den letzten sieben Jahren um ein Drittel erhöht. Das hat zweifellos auch mit den öffentlichen Debatten über ungleichen Lohn, Quoten und der so genannten „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zu tun. Es hat aber auch mit einer Enttäuschung zu tun. Enttäuschung über alle Parteien – nicht nur der Wählerinnen, sondern auch der Frauen, die ab den 70er- und 80er-Jahren massenhaft in die Parteien geströmt sind. Von denen haben es zwar einige geschafft, doch die Mehrheit ist auf der Strecke geblieben; nicht nur als Personen, sondern auch mit dem Versuch, die spezifischen Interessen von Frauen einzubringen.

Enttäuschung auch über die Kanzlerin. Von ihr sagen in unserer Umfrage nur 33 Prozent der Frauen: „Sie setzt sich ausreichend für Frauen ein“, 39 Prozent aber finden: Sie tut nicht genug!“ (Der Rest hat keine Meinung). Gleichzeitig aber würden, laut Infratest, bei einer Direktwahl immer noch 65 Prozent aller Frauen Merkel wählen, doch nur 24 Prozent Steinbrück. Während die Merkel-Wählerinnen weit über die konservative Klientel hinausgehen, verliert der SPDKandidat weite Teile der eigenen, der rotgrünen Klientel.

Was ist los mit den fortschrittlichen Parteien?

Was ist los? Die fortschrittlichen Parteien, die doch eigentlich die Emanzipation gepachtet zu haben schienen, verlieren die Frauen, allen voran die Sozialdemokraten. Der aktuelle Stand ist der Tiefpunkt einer langen, schmerzlichen Entwicklung.

Werfen wir einen Blick zurück. 1972 hatten die fortschrittlichen Frauen die SPD zur stärksten Partei gemacht. Wahlanalysen bewiesen: Die „neuen Frauen“ haben den Ausschlag gegeben beim Sieg der Sozialdemokraten. Sie waren die Steigbügelhalterinnen für Brandt. „Neu“ waren die Frauen, die, infiziert von der Frauenbewegung, das Verhältnis der Geschlechter revolutionieren wollten und die ganze Gesellschaft gleich mit. Die Konservativen, bis dahin traditionell eine Partei der Frauen, vor allem der älteren, verloren gleichzeitig ihre weibliche Stammkundschaft.

Etliche Jahre lang setzten die neuen Frauen nun tapfer auf die Sozialdemokraten, doch die verrieten sie rasch. Schon als Kanzler Schmidt 1974 an die Macht kam, rangierten die Frauen unter „Gedöns“ (Schröder). Er war es, der den ursprünglichen CDU-Slogan von der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ (bei dem bis heute vor allem von Müttern die Rede ist) auch für die SPD adaptierte. Und auch die eigenen, damals mehrheitlich sehr frauenbewegten Genossinnen, bekamen nun das Desinteresse ihrer Partei an der Frauenfrage zu spüren. Die wenigen offenen Feministinnen unter ihnen waren quasi verbrannt, die heimlichen wurden immer heimlicher.

Dann kamen die Grünen – bis heute Hoffnung vieler Frauen. Wie höchst ambivalent auch diese Partei einer wahren Gleichberechtigung gegenüber steht, hat sich seither immer wieder gezeigt. Zwar spielen die Frauen bei den Grünen eine relativ größere Rolle als in allen anderen Parteien, aber auch in ihren Reihen ist das offensive Vertreten der Interessen von Frauen nicht gerade angesagt. Die wahren Herren der Partei waren über lange Zeit nicht nur echte Männer, sondern echte Macker.

Trotz alledem wirkten in der Bonner Republik engagierte Frauen sowohl innerhalb der Parteien wie auch von außen auf die Politik ein. Frauen waren nicht total marginalisiert. Das fing erst in den 90er-Jahren in der Berliner Republik an. In der Hauptstadt blies der Wind von Anbeginn an eisig gegen die Frauen.

Ich erinnere mich nur zu gut an das erste Treffen des von mir Anfang der 90er-Jahre in Bonn initiierten Politikerinnenkreises, in dem die Spitzenpolitikerinnen aller Parteien sich zwei, dreimal im Jahr trafen. Hinter verschlossenen Türen wurde bis 1998 Tacheles geredet, wurden Strategien zum gemeinsamen Vorgehen mit verteilten Rollen besprochen („Wir können das bei uns unmöglich sagen. Ihr müsst das fordern – und wir verweisen dann auf euch“ etc.): für Ganztagsschulen und -krippen, gegen Pornografie und religiösen Fundamentalismus. Am Abend endeten diese Treffen dann regelmäßig mit einem übermütigen, feuchtfröhlichen Gelage, bei dem Parteizugehörigkeiten null Rolle spielten (EMMA 5/1998).

Wie anders das erste Treffen in Berlin im Herbst 1999. Inzwischen war Rotgrün an der Macht, das unvergessliche Duo Schröder/Fischer mit den dicken Zigarren und der dicken Hose. Nach den altväterlichen Patriarchen à la Kohl, die wir für gestrig hielten, jetzt also die neuen Machos – die es noch toller trieben als ihre Väter. Uns Frauen erwischte es kalt.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit SPD-Ministerinnen nach Start der Großen Koalition im Herbst 2005. Die konnten ihr Glück kaum fassen. Glück darüber, dass sie im Kabinett endlich ernstgenommen wurden, ja sogar das Wort ergreifen durften. Das waren sie aus den vergangenen sieben Jahren nicht mehr gewohnt. Doch nun stand eine Frau an der Spitze, zwar eine von der anderen Fraktion, aber eben eine Frau. Und die nahm auch Politikerinnen ernst.

Zwangsläufig, war sie doch selber eine. Woran sie spätestens nach der Wahl 2005 schmerzhaft erinnert worden war: Da diskutierten nicht nur die Männer aus der unterlegenen Opposition, sondern auch die aus der eigenen Partei mehrere Wochen lang ernsthaft öffentlich darüber, ob die Gewählte denn nun auch wirklich Kanzlerin werden sollte. Ein historisch einmaliger Vorgang in einer Demokratie – und höchst verwunderlich, um nicht zu sagen beunruhigend. Im Ausland hörte man nicht auf zu staunen: Was war los in Deutschland?

Mit Kanzlerin Merkel ist bewiesen: eine Frau kann das!

Seither aber weiß man auch in Deutschland: Die kann das. Und mit ihr ist bewiesen: Nicht jede, aber eine Frau kann das. Was fraglos von höchster symbolischer Bedeutung für alle Frauen ist. Aber heißt das schon automatisch, dass die Frau an der Spitze auch die Interessen aller Frauen vertritt? Keineswegs.

Angela Merkel hat anscheinend schon genug damit zu tun, die Herren nicht noch mehr zu reizen – da kann sie, zusätzlich zu der Zumutung einer Frau im Kanzleramt, nicht auch noch die Frauenfrage auf den Tisch knallen. Denkt sie anscheinend. Jedenfalls handelt sie so, seit sie Kanzlerin ist: auch in der dicksten Krise sachorientiert, zielstrebig, tüchtig – die Frauenfrage jedoch im großen Bogen umgehend.

Und die Frauen bzw. Wählerinnen? Die können Merkel nicht wirklich Dampf machen – sie haben kaum Alternativen. Denn selbst die Parteien, die die Frauen immerhin im Programm haben, handeln anders, sobald sie an der Macht sind.

Die gerade bei den Frauen trotz alledem hoch angesehene Kanzlerin nun scheint sich darauf zu verlassen, dass sie eine Frau ist. Das sollte genügen. Konzessionen an den rechten Flügel ihrer Partei macht sie am liebsten auf Kosten der Frauen, die haben ja keine Lobby. So bei der PID, beim Betreuungsgeld oder bei der Quote.

Lieber legt die Kanzlerin sich mit den 51 Prozent der WählerInnen an als mit einem Seehofer. Zum Beispiel. Und die Umfragen scheinen ihr recht zu geben. Es gibt aber eben auch Umfragen, die selbst der Kanzlerin zu denken geben sollten.

Artikel teilen
 
Zur Startseite